Nichtannahmebeschluss: Subsidiarität einer gegen die Versagung von finanzgerichtlichem Eilrechtsschutz bzgl einer Prüfungsverfügung nach dem MiLoG gerichteten Verfassungsbeschwerde - keine Pflicht zur Vorlage an den EuGH im fachgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren - Rechtsschutzgarantie gebietet Suspensiveffekt von Rechtsbehelfen nicht schlechthin - vorliegend zudem keine Vorabentscheidung gem § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG geboten
Gesetze: Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, Art 267 Abs 3 AEUV, MiLoG
Instanzenzug: Az: 11 V 2865/16 Beschluss
Gründe
1 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie ist unzulässig, weil sie dem Grundsatz der Subsidiarität nicht genügt.
2 1. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität aus § 90 Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>) müssen vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um die jeweils geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen. Werden mit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine fachgerichtliche Eilentscheidung ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt, die sich auf die Hauptsache beziehen, bietet das Verfahren der Hauptsache regelmäßig die Chance, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz kommen daher als Gegenstand der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nur in Betracht, soweit sie eine selbständige verfassungsrechtliche Beschwer enthalten, die sich nicht mit derjenigen durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache deckt (vgl. BVerfGE 77, 381 <400 f.>; 79, 275 <278 f.>; 104, 65 <70 f.>; stRspr).
3 2. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt keine hinreichend substantiierte Rüge einer eigenständigen Beschwer durch die Eilentscheidung des Finanzgerichts erkennen. Insbesondere erschließt sich nicht, welche Beschwer gerade durch die gerichtliche Entscheidung zur Aussetzung des sofortigen Vollzugs einer Prüfungsverfügung nach dem Mindestlohngesetz - im Unterschied zu einer eventuellen Beschwer durch die behördliche Verfügung selbst - entstanden sein soll.
4 a) Eine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin mangels Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union als gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 339 <366>; 135, 155 <230 Rn. 177>; stRspr) kommt nicht in Betracht. Dieses Recht kann durch eine fachgerichtliche Eilentscheidung nicht verletzt sein, da in solchen Verfahren grundsätzlich keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht (vgl. BVerfGK 5, 196 <201>; 9, 330 <334 f.>; 10, 48 <53>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1221/12, www.bverfg.de, Rn. 16; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1642/91 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2013/16 -, www.bverfg.de, Rn. 15; s.a. "Hoffmann-La Roche" -, juris, Rn. 5; Urteil vom -C 35/82 "Morson und Jhanjan" -, juris, Rn. 8 f.).
5 b) Eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 19 Abs. 4 GG ist ebenfalls nicht zu erkennen. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert zwar nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern beinhaltet auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>; stRspr). Den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz müssen die Gerichte auch bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den Eilrechtsschutz Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 79, 69 <74>). Doch garantiert das Grundgesetz die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen nicht schlechthin. Vielmehr können es überwiegende öffentliche Belange rechtfertigen, den Anspruch auf Rechtsschutz einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen rechtzeitig in die Wege zu leiten (vgl. BVerfGE 35, 382 <402>). Dies hat das Finanzgericht hier angenommen, ohne dass die Beschwerdeführerin dem mit hinreichend konkretem Vortrag entgegengetreten wäre.
6 3. Eine Vorabentscheidung der Verfassungsbeschwerde wegen allgemeiner Bedeutung nach dem entsprechend anwendbaren § 90 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 BVerfGG ist nicht angezeigt. Soweit nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin erkennbar, gehen mit der Verweisung auf den fachgerichtlichen Rechtsweg nur verhältnismäßig geringe Belastungen einher. So hat die Beschwerdeführerin nicht etwa bereits bei Erhalt der Prüfungsverfügungen nach dem Mindestlohngesetz eine Feststellungsklage erhoben (vgl. insoweit BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 555/15 -, www.bverfg.de, Rn. 11 ff.), sondern hierzu bislang nur einen Antrag in der Hauptsache angekündigt, diesen aber nicht begründet. Zudem trägt sie selbst vor, dass zahlreiche fachrechtliche und auch hier relevante Fragen des Mindestlohngesetzes ungeklärt sind. Auch das spricht dagegen, hier ausnahmsweise auf die im Regelfall im Sinne der Subsidiarität verfassungsgerichtlicher Entscheidungen prozessrechtlich geforderte Klärung solcher Fragen durch die dazu berufenen Fachgerichte zu verzichten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 555/15 -, www.bverfg.de, Rn. 14 ff.).
7 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
8 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2017:rk20170919.1bvr192817
Fundstelle(n):
HFR 2017 S. 1165 Nr. 12
VAAAG-58783