Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
Umstritten ist die Übertragung von Kinderfreibeträgen wegen Nichterfüllung der Unterhaltspflicht.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) lebt seit Juli 1991 von seiner früheren Ehefrau —der Beigeladenen— getrennt. Aus der im Streitjahr 1993 geschiedenen Ehe sind 7 Kinder hervorgegangen, die im Streitjahr zwischen 4 und 15 Jahre alt waren. Die Kinder lebten seit der Trennung bei der Beigeladenen, die seit 1993 wieder verheiratet ist. Aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs vom Juli 1991 hatte der Kläger ”zunächst für die Dauer von sechs Monaten” monatlich 1 434 DM an Unterhalt für die Kinder zu zahlen. 1992 kam es zu Verhandlungen wegen der weiteren Unterhaltszahlungen, nachdem der Kläger mit den Zahlungen in Rückstand geraten war. Der Kläger erklärte sich schließlich nach Aufforderung durch den Anwalt der Beigeladenen im November 1992 bereit, monatlich 1 200 DM Kindesunterhalt zu zahlen.
Dieser Verpflichtung kam er bis einschließlich September 1993 nach. Zum verlor er seinen Arbeitsplatz. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit von 28 789 DM, von denen der Arbeitgeber 2 401 DM Lohnsteuer, 153 DM Kirchensteuer und 5 455 DM Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung einbehielt. Aus Anlass seines Ausscheidens aus dem Betrieb erhielt er aufgrund eines Sozialplans eine Abfindung von 32 294 DM, die er im Wesentlichen zur Tilgung von Eheschulden verwendete, und zwar 18 287 DM aufgrund von Pfändungen und 12 000 DM Darlehensrückzahlung an seine Mutter. Nach der Einkommensteuererklärung erhielt der Kläger außerdem Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld usw.) von 6 583 DM. Das Arbeitslosengeld betrug lt. Bescheinigung des Arbeitsamts wöchentlich 379,80 DM und wurde jedenfalls ab gezahlt. Von dem Arbeitslosengeld führte das Arbeitsamt wöchentlich 114,42 DM an die Kinder des Klägers ab. Insgesamt zahlte der Kläger im Streitjahr 12 274,78 DM Kindesunterhalt.
Bei der Einkommensteuerfestsetzung für den Kläger zog der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) keine Kinderfreibeträge ab, weil die Beigeladene bei ihrer Einkommensteuerfestsetzung beantragt hatte, die Kinderfreibeträge wegen Nichterfüllung der Unterhaltspflicht in voller Höhe auf sie zu übertragen.
Nach erfolglosem Vorverfahren beantragte der Kläger mit seiner Klage, die (halben) Kinderfreibeträge (insgesamt 14 364 DM) bei seiner Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen für eine Übertragung der auf ihn entfallenden (halben) Kinderfreibeträge auf die Beigeladene lägen nicht vor, weil er seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen sei. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 98 veröffentlichten Urteil ab.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision, mit der er rügt, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, er habe seiner Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen genügt. Er habe 1992 mit der Beigeladenen vereinbart, monatlich Unterhalt von insgesamt 1 200 DM bzw. 14 400 DM jährlich zu zahlen. Die tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen von 12 274 DM hätten 85,24 v.H. seiner Unterhaltspflicht ausgemacht, also mehr als 75 v.H. Auch unabhängig von der Vereinbarung habe er Unterhaltsleistungen bis zur Grenze seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erbracht.
Der Kläger beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und bei seiner Einkommensteuerfestsetzung 14 364 DM an Kinderfreibeträgen abzuziehen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist begründet. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger sei seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern für das Kalenderjahr nicht im Wesentlichen nachgekommen.
Nach § 32 Abs. 6 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung kann auf Antrag eines Elternteils der Kinderfreibetrag des anderen Elternteils auf ihn übertragen werden, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, setzt die Übertragung des (halben) Kinderfreibetrags von dem einen Elternteil auf den anderen Teil nach dieser Vorschrift voraus, dass der Elternteil, dessen Kinderfreibetrag auf den anderen übertragen werden soll, konkret unterhaltspflichtig ist und dieser Unterhaltspflicht nur ungenügend nachkommt. Ist ein Elternteil nicht zur Leistung von Unterhalt verpflichtet, z.B. weil er nicht leistungsfähig ist, so darf der ihm zustehende Kinderfreibetrag nicht nach § 32 Abs. 6 Satz 4 Alternative 1 EStG auf den anderen Elternteil übertragen werden. Maßgebend ist nicht der (abstrakte) Unterhaltsbedarf des Kindes, sondern die konkrete Höhe der Unterhaltsverpflichtung der Eltern, die sich in erster Linie aus gerichtlichen Titeln oder sonstigen Vereinbarungen ergibt und im Übrigen nach § 1603 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu ermitteln ist. Kommt ein Elternteil seiner Unterhaltspflicht nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit nach, so darf der ihm zustehende Kinderfreibetrag ohne seine Zustimmung auch dann nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden, wenn sein Beitrag zum Unterhaltsbedarf des Kindes verhältnismäßig geringfügig ist (, BFHE 184, 60, BStBl II 1998, 329; VI R 113/95, BFHE 184, 288, BStBl II 1998, 433; VI R 129/95, BFHE 184, 293, BStBl II 1998, 435; VI R 123/95, BFH/NV 1998, 568; VI R 21/97, BFH/NV 1998, 437; vom VI R 136/95, BFH/NV 1998, 1204, und vom VI R 124/95, BFH/NV 2000, 553).
Wann die Unterhaltspflicht ”im Wesentlichen” erfüllt wird, hat der Senat bisher nicht entschieden. Er hat jedoch zu der für das Streitjahr 1987 geltenden Fassung des § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG, wonach die Übertragung des (halben) Kinderfreibetrages davon abhing, dass der eine Elternteil seiner Unterhaltspflicht ”nur zu einem unwesentlichen Teil” nachkommt, entschieden, die Auslegung in Abschn. 181a Abs. 2 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1987 sei zutreffend (BFH-Urteil in BFHE 184, 288, BStBl II 1998, 433, Abschn. 2). Danach kam ein Elternteil seiner Barunterhaltspflicht nur zu einem unwesentlichen Teil nach, wenn er sie nicht mindestens zur Hälfte erfüllte. Seit der Neufassung der Vorschrift durch das EStG 1990 i.d.F. vom (BGBl I 1990, 1898, BStBl I 1990, 453) ist entscheidend, ob der eine Elternteil seiner Unterhaltspflicht ”im Wesentlichen” nachkommt. Das ist nach Abschn. 181a Abs. 2 Satz 3 EStR ab 1990 der Fall, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil seine Unterhaltspflicht mindestens zu 75 v.H. erfüllt. Der Senat hält auch diese Auslegung aus den bereits in BFHE 184, 288, BStBl II 1998, 433, Abschn. 2, dargelegten Gründen für vertretbar und legt sie seiner Entscheidung zugrunde.
Es kommt danach im Streitfall darauf an, ob der Kläger seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinen sieben minderjährigen Kindern mindestens zu 75 v.H. nachgekommen ist. Geht man mit dem FG davon aus, dass die Unterhaltspflicht des Klägers weder durch den gerichtlichen Vergleich vom Juli 1991 noch durch die auf Aufforderung der Beigeladenen abgegebene Erklärung des Klägers vom November 1992, einen Unterhalt von 1 200 DM monatlich zahlen zu wollen, festgelegt wurde, so ist die Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB zu bestimmen. Aus Vereinfachungsgründen kann dabei mit der Vorinstanz von der sog. Düsseldorfer Tabelle (Stand: , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1992, 1367) und den dazu ergangenen Leitlinien der Familiensenate des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf (Stand , NJW 1993, 308) ausgegangen werden (vgl. auch Abschn. 181a Abs. 2 Satz 2 EStR). Bedeutsam für den Streitfall ist danach insbesondere, dass dem barunterhaltspflichtigen Elternteil bei Unterhaltsverpflichtungen gegenüber minderjährigen Kindern ein notwendiger Eigenbedarf (Selbstbehalt) von —im Streitjahr— mindestens 1 150 DM, bei Erwerbstätigkeit von 1 300 DM monatlich, verbleiben muss (Nr. 27 der Leitlinien; vgl. auch Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 6. Aufl., Rdnr. 925 a Fn. 98; Göppinger/Wax, Unterhaltsrecht, 6. Aufl., Rdnr. 741; Palandt/Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 58. Aufl., § 1610 Rn. 16). Nur soweit sein notwendiger Eigenbedarf gedeckt ist, ist der Unterhaltsschuldner unterhaltspflichtig. Für den Kläger ergibt sich danach folgende Unterhaltsverpflichtung:
a) Bruttoeinnahmen
Einnahmen aus nichtselbständiger
Arbeit lt. Lohnsteuerkarte 28 789 DM
Lohnersatzleistungen lt. Steuererklärung 6 583 DM
Bruttoeinnahmen insgesamt 35 372 DM
b) Abzüge (Nr. 1 und Nr. 6 der Leitlinien)
Lohnsteuer 2 401 DM
Kirchensteuer 153 DM
Sozialversicherung 5 455 DM
Werbungskosten lt. Erklärung; Nr. 6 der Leitlinien 1 537 DM
Nettoeinkommen 25 826 DM
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Da der Selbstbehalt des Klägers im Streitjahr insgesamt 15 000 DM betrug (8 x 1 300 DM und 4 x 1 150 DM), musste er seinen Kindern nur einen Barunterhalt von 10 826 DM leisten. Er hat im Streitjahr Unterhalt in Höhe von 12 274,78 DM bezahlt und ist somit seiner Unterhaltsverpflichtung nachgekommen. Das gilt erst recht, wenn man die Feststellungen des FG hinsichtlich der Höhe des Arbeitslosengeldes zugrunde legt. Danach betrug das Arbeitslosengeld —wie sich aus den vom FG in Bezug genommenen Bescheinigungen des Arbeitsamtes ergibt— ab wöchentlich 379,80 DM, also insgesamt nur rd. 5000 DM.
Der Kläger hat seine Unterhaltspflicht auch dann im Wesentlichen erfüllt, wenn man einen Teil der Abfindung dem Einkommen hinzurechnet. In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob und in welcher Höhe Abfindungen aufgrund von Sozialplänen dem Einkommen hinzuzurechnen sind. Nach herrschender Meinung sollen die Abfindungen, auf eine angemessene Zeit (in der Regel einige Jahre) verteilt, dem Einkommen hinzugerechnet werden (vgl. die , Zeitschrift für das gesamte Familienrecht —FamRZ— 1982, 250; vom IV b ZR 89/85, NJW 1987, 1554; , FamRZ 1995, 1220; Kalthoener/ Büttner, a.a.O., Rdnr. 794 ff.; Palandt/Diederichsen, a.a.O., 59. Aufl., § 1603 Rn. 12, Stichwort Abfindungen). Umstritten ist auch, inwieweit der Unterhaltsverpflichtete die Abfindung zur Deckung von Schulden aus der Ehe verbrauchen darf (vgl. z.B. OLG Celle, Beschluss vom 18 UF 192/91, FamRZ 1992, 590 einerseits, andererseits Urteil des OLG Brandenburg in FamRZ 1995, 1220). Im Streitfall stand die Abfindung dem Kläger jedenfalls nur insoweit zur Verfügung, als sie nicht aufgrund der Pfändungen seinen Gläubigern ausgezahlt wurde. Geht man ferner zu seinen Lasten davon aus, dass ihm die Abfindung auch insoweit für Unterhaltszahlungen zur Verfügung stand, als er damit das Darlehen seiner Mutter beglichen hat, weil insoweit die Unterhaltsverpflichtung vorging, so verblieben ihm von der Abfindung 12 889 DM (32 294 DM ./. 18 287 DM Pfändungen ./. 1 118 DM Lohnsteuer und Kirchensteuer). Verteilt man diese Summe auf drei Jahre, ergibt sich eine Erhöhung des für Unterhaltszahlungen zur Verfügung stehenden Einkommens auf 15 122 DM (10 826 DM + 4 296 DM). Gemessen an dem tatsächlich geleisteten Unterhalt von 12 274 DM hat der Kläger dann seine Unterhaltspflicht zu rd. 81 v.H. und damit ebenfalls ”im Wesentlichen” erfüllt. Die Rechnung fiele für den Kläger noch günstiger aus, wenn man der Ansicht ist, ihm habe die Abfindung auch insoweit nicht zur Verfügung gestanden, als er das Darlehen seiner Mutter getilgt hat.
Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war danach aufzuheben. Das zu versteuernde Einkommen des Klägers ist antragsgemäß um die (halben) Kinderfreibeträge von insgesamt 14 364 DM zu vermindern. Es beträgt danach 21 698 DM ./. 14 364 DM. Unter Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG und Lohnersatzleistungen lt. Einkommensteuererklärung von 6 583 DM ergibt sich ein Steuersatz von 11,6731 v.H., mithin eine Einkommensteuer für 1993 von 850 DM.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2000 S. 1194 Nr. 10
DStRE 2000 S. 977 Nr. 18
NAAAA-65913