Maßregelvollstreckung: Vollstreckungsreihenfolge bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und Sicherungsverwahrung
Gesetze: § 64 StGB, § 66 StGB, § 67 Abs 1 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 3 StGB, § 67 Abs 5 S 1 StGB, § 67c Abs 1 S 1 Nr 1 StGB
Instanzenzug: LG Landshut Az: Ks 101 Js 28859/14
Gründe
1Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und der Entziehungsanstalt angeordnet. Zudem hat es bestimmt, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung nach der Gesamtfreiheitsstrafe zu vollstrecken ist und nach dem Vollzug der Sicherungsverwahrung die Unterbringung in der Entziehungsanstalt. Die Revision ist unzulässig, soweit der Angeklagte eine nicht näher ausgeführte „allgemeine Verfahrensrüge“ erhoben hat (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der nicht näher ausgeführten Sachrüge erzielt das Rechtsmittel den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
2Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift ausgeführt:
„I. Die Anordnung des vollständigen Vorwegvollzugs der Gesamtfreiheitsstrafe kann keinen Bestand haben, da die Kammer die Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 StPO nicht beachtet hat.
Nach der in § 67 Abs. 1 StGB normierten Grundentscheidung des Gesetzgebers soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Eine Abweichung von der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge ist - unbeschadet der Regelung in § 67 Abs. 2 S. 2 und 3 StGB - nur zulässig, wenn hierdurch der Zweck der Maßregel leichter erreicht werden kann (§ 67 Abs. 2 S. 1 StGB). Das Urteil muss in einem solchen Fall auf der Grundlage einer eingehenden, die Persönlichkeit des Angeklagten berücksichtigenden Beurteilung darlegen, wegen welcher besonderen Umstände der Vorwegvollzug der Strafe die Therapie günstiger beeinflussen wird und dass dieses Ziel im Maßregelvollzug nicht in gleicher Weise erreicht werden kann (vgl. ; Fischer, 63. Auflage, § 67 Rn. 5f., 8).
Hingegen soll das Gericht bei einer verhängten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB); dies also dann, wenn nicht aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolges erwarten lässt. Liegen keine Gründe vor, die gegen eine Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe sprechen, so hat der Tatrichter im Erkenntnisverfahren bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum mehr. Dieser Teil ist so zu berechnen, dass nach seiner Vollstreckung und einer anschließenden Unterbringung eine Bewährungsentscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist ( m.w.N.). Dies gilt auch in Fällen, in denen neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde ().
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht im Ansatz gerecht. Die Kammer hat den Vorwegvollzug als zwingend angesehen, nachdem sie angeordnet hatte, dass die Sicherungsverwahrung vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollziehen ist (UA S. 81). Die Strafkammer hätte bedenken müssen, dass es gerade bei längeren Freiheitsstrafen darum gehen muss, den Betroffenen schon frühzeitig von seinem Hang zu befreien, damit er in der Vollzugsanstalt an der Verwirklichung des Vollzugszieles der Strafe mitarbeiten kann. Dies gilt hier umso mehr als eine erfolgreiche Therapie in die spätere Prüfung einzubeziehen ist, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung noch erfordert oder die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§§ 72 Abs. 3 Satz 2, 67c, 67e StGB). Die Erwägung der Kammer, dass die bisherige mangelnde Therapiemotivation durch einen längeren Haftaufenthalt geschaffen werden könne, vermag den vollständigen Vorwegvollzug nicht zu begründen. Darüber hinaus hat es die Strafkammer unterlassen, in dem Urteil mitzuteilen, wie lange die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt voraussichtlich erforderlich sein wird (vgl. dazu etwa ).
II. Daneben begegnet die angeordnete Reihenfolge der Vollstreckung der Maßregeln durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Kammer hat ihre Anordnung damit begründet, dass der Angeklagte 'derzeit als sehr gefährlich einzustufen ist, [und es nicht] verantwortet [werden] kann, ihm im Rahmen der Maßregel der Unterbringung in der Entziehungsanstalt die Lockerungen zu gewähren, welche für eine erfolgreiche Absolvierung dieser Maßregel erforderlich sind' (UA S. 81). Die Kammer hat dabei nicht beachtet, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Zweifel grundsätzlich vor der Sicherungsverwahrung zu vollstrecken ist, weil eine erfolgreiche Entziehungskur die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung (§ 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) oder jedenfalls günstigere Voraussetzungen für die Resozialisierung in der Sicherungsverwahrung schaffen kann (). Die Frage einer Gefahr für die Allgemeinheit bei Vollzugslockerungen im Maßregelvollzug kann demgegenüber keine Rolle spielen ().“
3Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Der Rechtsfehler betrifft auch die zugehörigen Feststellungen, die deshalb ebenfalls aufzuheben sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
Raum Jäger Mosbacher
Fischer Bär
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:160216B1STR624.15.0
Fundstelle(n):
HAAAF-70309