BSG Beschluss v. - B 5 R 196/15 B

Überprüfbarkeit ablehnender Entscheidungen über Protokollberichtigungsanträge im sozialgerichtlichen Verfahren

Gesetze: § 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 122 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 177 SGG, § 202 S 1 SGG, § 164 ZPO, § 165 S 1 ZPO, § 165 S 2 ZPO, § 415 Abs 1 ZPO, § 415 Abs 2 ZPO, § 557 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: S 34 (10) R 369/06 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 3 R 155/09 Urteil

Gründe

1Mit Urteil vom hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

3Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

5Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

6Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

7Der Kläger rügt eine Verletzung des § 103 SGG.

8Hierzu trägt er vor, er habe die im Schriftsatz vom gestellten Anträge auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Ärztin Dr. M. bzw ihre Anhörung zu verschiedenen Punkten in der mündlichen Verhandlung vom wiederholt. Diese Beweisanträge hätten allerdings keinen Eingang in das Sitzungsprotokoll gefunden. Seinen Protokollberichtigungsantrag vom habe das LSG mit der Begründung abgelehnt, es habe kein von Amts wegen zu protokollierender Beweisantrag vorgelegen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts habe er aber einen formell konkreten Beweisantrag gestellt, den der Berufungssenat hätte berücksichtigen müssen.

9Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht nicht schlüssig bezeichnet.

10Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob die vom Kläger im Schriftsatz vom formulierten Beweisanträge prozessordnungsgemäß iS der ZPO sind. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich jedenfalls, dass der Kläger diese nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat.

11Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Dieser Vorgabe ist nicht genügt, wenn ein Beweisantrag lediglich in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 f; B 5a R 426/07 B - Juris RdNr 9). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann ein rechtskundig vertretener Beteiligter - wie der Kläger - nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 103 SGG gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten, dh wenigstens hilfsweise wiederholt hat, was sich aus dem Sitzungsprotokoll oder dem angefochtenen Urteil ergeben muss (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Anderenfalls ist davon auszugehen, dass der Beweisantrag nicht (mehr) gestellt wird.

12Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass das LSG in seinem Urteil Beweisanträge aufführt oder solche ins Sitzungsprotokoll aufgenommen sind. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich vielmehr, dass das Sitzungsprotokoll vom ursprünglich nur einen Sachantrag enthalten hat und auch nicht nachträglich im Wege der Berichtigung gemäß § 164 ZPO iVm § 122 SGG um Beweisanträge ergänzt worden ist. Damit steht nach der Beschwerdebegründung fest, dass im Termin vom Beweisanträge nicht gestellt worden sind.

13Dies ist unabhängig davon der Fall, ob Beweisanträge zu den Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung zählen (dafür: zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 64 S 68; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl 2015, § 165 RdNr 5; offengelassen: - Juris RdNr 4) und dementsprechend insoweit für die Beweiskraft des Protokolls § 165 ZPO maßgeblich ist oder sie keine Förmlichkeiten darstellen (so zB - Juris RdNr 14; - Juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 122 RdNr 10) mit der Folge, dass sich die Beweiskraft nach § 415 Abs 1 ZPO richtet.

14Die Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung können nur durch das Protokoll bewiesen werden; jedes andere Beweismittel ist ausgeschlossen. Die positive Feststellung im Protokoll beweist, dass die Förmlichkeit gewahrt ist, das Schweigen des Protokolls beweist, dass sie nicht gewahrt ist (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl 2014, § 165 RdNr 5). Gegen den Inhalt der Niederschrift, soweit er Förmlichkeiten betrifft, ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 165 S 2 ZPO iVm § 122 SGG), also der wissentlich falschen Beurkundung (BGH NJW-RR 1994, 386, 387) oder der nachträglichen Fälschung (Reichold aaO). Dass das Sitzungsprotokoll vom gefälscht ist, hat der Kläger nicht behauptet.

15Sollten Beweisanträge nicht zu den Förmlichkeiten iS des § 165 S 1 ZPO iVm § 122 SGG gehören, müsste die gemäß § 415 Abs 1 ZPO iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG bestehende Beweiskraft des Protokolls darüber, dass im vorliegenden Fall keine Beweisanträge gestellt worden sind, entkräftet werden. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich indes, dass er den Gegenbeweis iS von § 415 Abs 2 ZPO nicht geführt hat. Das LSG hat die beantragte Protokollberichtigung in Form der Aufnahme eines Beweisantrags in das Protokoll abgelehnt. Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.

16An Entscheidungen, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, ist das BSG gemäß § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 S 1 SGG gebunden, sofern sie - wie hier - unanfechtbar sind. Eine Bindung an unanfechtbare Vorentscheidungen besteht allerdings nach der Rechtsprechung des BSG bei der Zurückweisung von Befangenheitsanträgen gegen Richter oder Sachverständige und der Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das LSG ausnahmsweise nicht, wenn der Beschwerdeführer im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensmangel rügt, der als Folge der beanstandeten Vorentscheidung fortwirkt und damit dem angefochtenen Urteil anhaftet, sofern die Vorentscheidung gegen das Willkürverbot oder ein Verfahrensgrundrecht verstößt (vgl zur Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gegen einen Richter: zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3; BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 6; BSG Beschlüsse vom - B 12 KR 24/07 B - Juris, vom - B 1 KR 68/09 B - Juris, vom - B 11 AL 76/09 B - Juris, vom - B 6 KA 36/13 B - Juris und vom - B 14 AS 363/13 B - Juris; zur Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs gegen einen Sachverständigen: zB - Juris; zur Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe: zB - Juris; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 21). Ob dies auch in Fällen der Ablehnung von Protokollberichtigungsanträgen gilt, ist indes nicht unzweifelhaft.

17Nach der Rechtsprechung insbesondere des - Juris RdNr 8; vgl auch - Juris RdNr 10) ist die Beschwerde gegen eine sachliche Berichtigung des Protokolls nicht statthaft, weil das Beschwerdegericht mangels Teilnahme an der Sitzung zu einer Überprüfung nicht imstande sei. Eine Anfechtungsmöglichkeit des Berichtigungsvermerks schließt der BGH (aaO, RdNr 11; vgl auch BAG, aaO RdNr 24) selbst unter dem Gesichtspunkt einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit oder einer Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundrechte aus. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das - Juris RdNr 3) zu Recht ausgeführt, dass das Argument, das Beschwerdegericht könne die inhaltliche Protokollberichtigung durch das Instanzgericht mangels Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung nicht beurteilen, genauso gelte, wenn die Vorinstanz die Protokollberichtigung abgelehnt habe, weil der Inhalt des Berichtigungsantrags sachlich nicht zutreffe.

18Ob ablehnende Entscheidungen über Protokollberichtigungsanträge im sozialgerichtlichen Verfahren unter den dargestellten Voraussetzungen ausnahmsweise mittelbar überprüfbar sind, bedarf hier letztendlich keiner Entscheidung. Der Kläger hat weder willkürliche Erwägungen des LSG noch eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten vorgetragen.

19Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

20Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:230715BB5R19615B0

Fundstelle(n):
CAAAE-98478