Entgeltforderung aus der Überlassung von Datenmaterial zu Zwecken der Versicherungsvermittlung: Zurückbehaltungsrecht des Zahlungsschuldners bis zur Erteilung einer Rechnung mit Umsatzsteuerausweis
Leitsatz
1. Besteht ein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG, kann der Leistungsempfänger das von ihm geschuldete Entgelt grundsätzlich nach § 273 Abs. 1 BGB zurückhalten, bis der Leistende ihm die Rechnung erteilt (Anschluss an , GRUR 2012, 711 Rn. 44 - Barmen Live; Beschluss vom , VIII ZB 3/04, NJW-RR 2005, 1005, 1006).
2. Ist ernstlich zweifelhaft, ob die Leistung der Umsatzsteuer unterliegt, kann der Leistungsempfänger die Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG mit gesondert ausgewiesener Steuer nur verlangen, wenn die zuständige Finanzbehörde den Vorgang bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen hat (Anschluss an , NJW 1989, 302, 303; Urteil vom , VIII ZR 64/87, BGHZ 103, 284, 291 ff.).
3. Einer bestandskräftigen Unterwerfung kommt es im Ergebnis gleich, wenn einer Klage des Leistungsempfängers gegen das für die Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem Leistenden zuständige Finanzamt auf Feststellung, dass der betreffende Umsatz steuerbar und steuerpflichtig ist, durch rechtskräftige Entscheidung stattgegeben wird (vergleiche BFH, , V R 94/96, BFHE 183, 288, 294).
Gesetze: § 273 Abs 1 BGB, § 14 UStG
Instanzenzug: LG Neuruppin Az: 4 S 101/12vorgehend AG Oranienburg Az: 22 C 84/11nachgehend Az: 1 BvR 2518/14 Nichtannahmebeschluss
Tatbestand
1Die Klägerin, die als Handelsmaklerin unter anderem betriebliche und private Versicherungen vermittelt, schloss mit dem Beklagten am einen als Handelsvertretervertrag bezeichneten Vertrag. Die Klägerin verpflichtete sich unter anderem dazu, den Beklagten bei dessen Vermittlungstätigkeit zu unterstützen und "zur Erfüllung seiner Tätigkeiten kostenpflichtiges Adressenmaterial (Leads) zur Verfügung" zu stellen.
2Die Parteien schlossen am ferner eine "Zusatz-Vereinbarung Leads". Nach § 1 Abs. 2 der genannten Zusatzvereinbarung stellt die Klägerin dem Beklagten zur Erfüllung seiner Tätigkeiten qualifiziertes und teilweise terminiertes Adressenmaterial (Leads) zur Verfügung. Bei den durch die Leads bezeichneten Interessenten sollte der Beklagte Beratungstermine wahrnehmen und Versicherungsverträge für die Klägerin vermitteln. Die Parteien vereinbarten in § 2 der genannten Zusatzvereinbarung, dass die Leads dem Beklagten gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Für einen Lead zu einer privaten Krankenvollversicherung sollten 160 € von dem Beklagten an die Klägerin gezahlt werden.
3Die Klägerin übermittelte dem Beklagten verschiedene Leads für eine private Krankenvollversicherung. Mit Schreiben vom stellte sie dem Beklagten für acht Leads einen Betrag von 1.280 € in Rechnung. Eine Zahlung des Beklagten erfolgte nicht.
4Mit der Klage macht die Klägerin den genannten Zahlungsanspruch in Höhe von 1.280 € zuzüglich Zinsen geltend. Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung des Beklagten, mit der er seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sie sich auf die dem Beklagten versagte Geltendmachung des Rechts bezieht, die Zahlung bis zur Erteilung einer Rechnung gemäß § 14 UStG zurückzuhalten.
5Mit der Revision verfolgt der Beklagte dieses Zurückbehaltungsrecht weiter.
Gründe
6Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
7Das Berufungsgericht hält den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von 1.280 € zuzüglich Zinsen für begründet.
8Ohne Erfolg berufe sich der Beklagte auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen einer nicht den Vorgaben des § 14 UStG entsprechenden Rechnung. Zwar könne ein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG dazu führen, dass der Empfänger die geschuldete Leistung nach § 273 Abs. 1 BGB zurückhalten könne, bis ihm die Rechnung erteilt werde. Die vorgelegten Rechnungen entsprächen auch offensichtlich nicht den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG. Indes sei dem Beklagten die Berufung auf das Zurückbehaltungsrecht verwehrt. Denn die Erteilung einer Rechnung nach Maßgabe des § 14 UStG könne gemäß § 242 BGB dann nicht verlangt werden, wenn - wie hier - die Umsatzsteuer ernstlich zweifelhaft sei und die zuständige Finanzbehörde den Vorgang noch nicht bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen habe. Hieran sei auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich sowohl durch die Rechtsprechung entwickelten als auch von § 14c UStG vorgesehenen Korrekturmöglichkeiten für unrichtige und unberechtigte Steuerausweise festzuhalten.
9Im Streitfall stoße eine endgültige Beurteilung unter Berücksichtigung der Regelung in § 4 Nr. 11 UStG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung auf besondere Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art.
II.
10Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.
11Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Beklagte nicht das Recht hat, die Zahlung bis zur Erteilung einer Rechnung gemäß § 14 UStG mit gesondertem Steuerausweis zurückzuhalten.
121. Ein Unternehmer, der eine Lieferung oder sonstige Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG und dabei einen Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausführt, ist grundsätzlich verpflichtet, eine - den Anforderungen des Umsatzsteuergesetzes entsprechende - Rechnung auszustellen, vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 UStG. Eine solche Verpflichtung zur Ausstellung einer Rechnung besteht gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 UStG nicht, wenn der Umsatz nach § 4 Nr. 8 bis 28 UStG steuerfrei ist.
13Besteht ein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG, kann der Leistungsempfänger das von ihm geschuldete Entgelt grundsätzlich nach § 273 Abs. 1 BGB zurückhalten, bis der Leistende ihm die Rechnung erteilt (vgl. , GRUR 2012, 711 Rn. 44 - Barmen Live; Beschluss vom - VIII ZB 3/04, NJW-RR 2005, 1005, 1006; Bunjes/Korn, UStG, 12. Aufl., § 14 Rn. 31). Ist indes ernstlich zweifelhaft, ob die Leistung der Umsatzsteuer unterliegt, kann der Leistungsempfänger die Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG mit gesondert ausgewiesener Steuer nur verlangen, wenn die zuständige Finanzbehörde den Vorgang bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen hat (vgl. , NJW 1989, 302, 303 = BauR 1989, 83; Urteil vom - VIII ZR 64/87, BGHZ 103, 284, 291 ff.; Urteil vom - II ZR 76/79, NJW 1980, 2710; offengelassen von , NJW-RR 2002, 376, 377). Einer solchen bestandskräftigen Unterwerfung kommt es im Ergebnis gleich, wenn einer Klage des Leistungsempfängers gegen das für die Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem Leistenden zuständige Finanzamt auf Feststellung, dass der betreffende Umsatz steuerbar und steuerpflichtig ist, durch rechtskräftige Entscheidung stattgegeben wird (vgl. BFHE 183, 288, 294). Soweit der Leistungsempfänger danach die Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG mit gesondert ausgewiesener Steuer nicht verlangen kann, steht ihm ein diesbezügliches Zurückbehaltungsrecht nicht zu.
14An der genannten Rechtsprechung (, NJW 1989, 302, 303 = BauR 1989, 83; Urteil vom - VIII ZR 64/87, BGHZ 103, 284, 291 ff.; Urteil vom - II ZR 76/79, NJW 1980, 2710) ist jedenfalls für den - hier gegebenen (vgl. nachstehend unter 2. b) - Fall, dass ernstlich zweifelhaft ist, ob eine Steuerbefreiung eingreift, auch unter Berücksichtigung der Regelungen zur Berichtigung bei zu Unrecht erfolgtem Steuerausweis (vgl. § 14c UStG) festzuhalten (offengelassen bezüglich der Korrekturmöglichkeiten gemäß § 14 Abs. 2, Abs. 3 UStG a.F. von , NJW-RR 2002, 376, 377). Bei einer derartigen ernstlich zweifelhaften Steuerrechtslage ist es dem Leistenden regelmäßig nicht zuzumuten, eine Rechnung nach § 14 UStG mit gesondertem Steuerausweis auszustellen, die unter Umständen nach der Beurteilung der zuständigen Finanzbehörde zu Unrecht einen Steuerausweis enthält. Der Leistende wäre damit dem Risiko ausgesetzt, dass allein durch einen solchen Steuerausweis eine - ansonsten nicht bestehende - Steuerschuld ausgelöst wird (vgl. § 14c UStG). Die für den Leistenden grundsätzlich eröffneten Korrekturmöglichkeiten gemäß § 14c UStG kompensieren die mit diesem Risiko verbundene Belastung nicht hinreichend. Es kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob und inwieweit derjenige, der von einem Zivilgericht rechtskräftig zur Erteilung einer Rechnung nach § 14 UStG mit gesondertem Steuerausweis verurteilt worden ist, zu einer Berichtigung der daraufhin erteilten Rechnung nach Maßgabe von § 14c UStG noch befugt wäre (vgl. hierzu Bunjes/Korn, aaO, § 14 Rn. 26). Die mit dem genannten Risiko verbundene Belastung wird jedenfalls wegen der Komplexität der mit einer solchen Berichtigung verbundenen Verfahren nicht hinreichend kompensiert (vgl. Sölch/Ringleb/Wagner, Umsatzsteuer, 71. Ergänzungslieferung, § 14 UStG Rn. 197). Im Übrigen ist ein Leistungsempfänger, der einen Vorsteuerabzug ausüben möchte und hierfür eine nach § 14 UStG ausgestellte Rechnung benötigt (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG), in derartigen Fällen nicht rechtlos gestellt. Denn der Bundesfinanzhof (BFHE 183, 288, 293 f.) erachtet bei ernstlich zweifelhafter Steuerrechtslage eine Klage des Leistungsempfängers gegen das für die Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem Leistenden zuständige Finanzamt auf Feststellung, dass ein bestimmter Umsatz steuerbar und steuerpflichtig ist, für zulässig.
152. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe steht dem Beklagten das geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht nicht zu.
16a) Das Berufungsgericht hat unangefochten festgestellt, dass der streitige Vorgang nicht durch die zuständige Finanzbehörde bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen ist. Der Beklagte hat auch nicht geltend gemacht, dass er Klage vor den Finanzgerichten auf Feststellung, dass der betreffende Umsatz steuerbar und steuerpflichtig ist, erhoben hätte.
17b) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht im Übrigen angenommen, dass ernstlich zweifelhaft ist, ob im Streitfall die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 11 UStG eingreift.
18Nach dieser Vorschrift sind unter anderem die Umsätze aus der Tätigkeit als Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler steuerfrei. § 4 Nr. 11 UStG dient der Umsetzung von Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom (ABl. EU Nr. L 347 S. 1, ber. ABl. EU 2007 Nr. L 335 S. 60; früher Art. 13 Teil B Buchst. a Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern) und ist konform mit dieser Richtlinie auszulegen. Nach dieser Richtlinienbestimmung befreien die Mitgliedstaaten Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazu gehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden, von der Steuer. Die von Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG verwendeten Begriffe sind unionsrechtlich-autonom auszulegen, um eine in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems zu verhindern (vgl. EuGH, UR 2005, 201 Rn. 25 - Arthur Andersen; BFHE 226, 172, 175).
19Nach dieser Rechtsprechung ist es für die steuerfreie Versicherungsvermittlungstätigkeit wesentlich, Kunden zu suchen und diese mit dem Versicherer zusammenzubringen (vgl. EuGH, UR 2005, 201 Rn. 36 - Arthur Andersen; BFHE 226, 172, 175; BFHE 219, 237, 239). Die Vermittlung kann in einer Nachweis-, einer Kontaktaufnahme- oder in einer Verhandlungstätigkeit bestehen, wobei sich die Tätigkeit auf ein einzelnes Geschäft, das vermittelt werden soll, beziehen muss (vgl. BFHE 226, 172, 175 m.w.N.). Nicht steuerfrei sind hingegen Leistungen, die keinen spezifischen und wesentlichen Bezug zu einzelnen Vermittlungsgeschäften aufweisen (vgl. BFHE 226, 172, 176 m.w.N.). Der Umstand, dass ein Versicherungsmakler oder -vertreter zu den Parteien des Versicherungsvertrags, zu dessen Abschluss er beiträgt, keine unmittelbare Verbindung, sondern nur eine mittelbare Verbindung über einen anderen Steuerpflichtigen unterhält, der selbst in unmittelbarer Verbindung zu einer dieser Parteien steht und mit dem der Versicherungsmakler oder -vertreter vertraglich verbunden ist, schließt es nicht aus, dass die von dem Letztgenannten erbrachte Leistung nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei ist (vgl. EuGH, BB 2008, 1152 Rn. 29 - J.C.M. Beheer). Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass die Tätigkeit eines Versicherungsmaklers und -vertreters sich in verschiedene Dienstleistungen aufteilen lässt, die als solche unter den Begriff "zu den Versicherungs- und Rückversicherungsumsätzen gehörige Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden" fallen (vgl. EuGH, BB 2008, 1152 Rn. 27 - J.C.M. Beheer). Die Reichweite des § 4 Nr. 11 UStG bei arbeitsteilig organisiertem Vertrieb ist nicht abschließend geklärt (vgl. BFHE 219, 237, 240 f.).
III.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Eick Safari Chabestari Halfmeier
Kartzke Jurgeleit
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2014 S. 2387 Nr. 40
BFH/NV 2014 S. 1711 Nr. 10
DB 2014 S. 1674 Nr. 30
DB 2014 S. 7 Nr. 30
DStR 2014 S. 1887 Nr. 38
HFR 2014 S. 947 Nr. 10
KÖSDI 2014 S. 19075 Nr. 11
NJW 2014 S. 8 Nr. 31
NJW-RR 2014 S. 1520 Nr. 24
PStR 2014 S. 272 Nr. 11
WM 2014 S. 1928 Nr. 40
DAAAE-70241