Friede aus London?
Vor Jahresfrist und früher lautete der sehnlichste Wunsch der IFRS-Anwendergemeinde nach eine period of calm. Im Rückblick auf das Jahr 2013 scheint sich tatsächlich eine friedlichere Rechnungslegungslandschaft auszubreiten – wenn man den Output an Standardisierungsprodukten ins Visier nimmt. Die Großprojekte: Der Standard zur Erlösrealisation wurde von Mal zu Mal, zuletzt auf das erste Quartal des Jahres 2014 verschoben. Zur Versicherungsbilanzierung mag man keine Vermutungen anstellen. Der zweite Entwurf des Leasingprojekts wurde – in der Theatersprache – buchstäblich zerrissen. Mittlerweile zweifelt man am Gelingen einer Neufassung überhaupt. In der Fußballersprache: Die Leasingbilanzierung folgt ihren eigenen Gesetzen. Das musste schon das IDW im Jahr 1973 erfahren.
Das Stichwort „Leasing“ könnte die ruhigere Gangart des IASB-Ausstoßes erklären. Möglicherweise sitzt die riesige Schar der Interessenvertreter immer häufiger zur Verhinderung unerwünschter Regelungen mit an den Beratungstischen. Auch beim Standard zur Erlösrealisation kann man sich ein reges Interesse der Lobbyisten an der endgültigen Formulierung vorstellen. Die IFRS bewegen sich keineswegs nur um die Schimäre der fair value-Bewertung. Es geht dabei gerade um Teile der Rechnungslegung, die nach HGB wenigstens genauso ungelöst sind wie nach IFRS. Man denke nur an die unselige Behandlung der IDW-Stellungnahme HFA 13 n. F. in der 2. Version (!), die als Entwurf auf der Homepage des IDW noch erscheint, aber von niemandem mehr beachtet, geschweige denn einer Verabschiedung zugeführt wird.
Eine period of calm hat der Board noch im November den Finanzinstituten verschafft. Die verpflichtende Anwendung des IFRS 9 in Ablösung von IAS 39 wurde bis zur Verabschiedung des Gesamtprojekts zurückgestellt. Von einem EU- Endorsement ist man noch meilenweit entfernt. Die Aufteilung des Gesamtprojekts IFRS 9 in Teilbereiche hat sich als veritabler Rohrkrepierer entpuppt. Die besonders “lobbybehaftete“ Thematik der Erfassung von Wertminderungen finanzieller Vermögenswerte harrt noch der Vollendung.
Hier ist nun ein Rückblick auf die unfriedliche Zeit vor fünf Jahren, dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise, angebracht. Man darf schon fragen, ob die (inter-)nationalen Rechnungslegungsregeln etwas zur Verhinderung oder Abschwächung dieser Krise beigetragen haben. Hätte man nicht vielleicht schon zuvor das Vabanquespiel mit dem Kauf von undurchsichtigen Wertpapieren bei der Bilanzierung berücksichtigen oder die Nichtkonsolidierung von gewaltigen Risiken im Bestand von Finanzinstituten erkennen müssen? Enron war ja noch nicht so viele Jahre zurück. Haben zu dieser Zeit die IFRS tatsächlich die von ihnen propagierten entscheidungsnützlichen Informationen geliefert? Den Steuerzahlern in den betroffenen Ländern jedenfalls nicht. Immerhin musste der britische Staat der Royal Bank of Scotland im Herbst 2008 mit 54 Mrd € unter die Arme greifen. Das Projekt IFRS 9 wurde gerade auch wegen der als unbefriedigend erachteten Bilanzierung von Finanzinstrumenten auf der Basis des IAS 39 ins Werk gesetzt. Ob eine verpflichtende Anwendung zehn Jahre post festum (also 2018) realistisch ist?
Der Friede aus London ist mit gemischten Gefühlen zu betrachten. Umso mehr wünschen Herausgeber und Redaktion den treuen PiR-Lesern zum bevorstehenden Weihnachtsfest ein kleines Stück des Friedens auf Erden, wie ihn allerdings nur Engel verkünden können.
Wolf-Dieter Hoffmann
Fundstelle(n):
PiR 12/2013 Seite 1
NWB HAAAE-50467