BGH Beschluss v. - VIII ZB 13/13

Rechtzeitige Einlegung der Berufung: Aufklärungspflicht des Gerichts bei Zweifeln am Zeitpunkt des Faxeingangs bei Gericht

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 238 Abs 2 S 1 ZPO, § 418 Abs 1 ZPO, § 418 Abs 2 ZPO, § 522 Abs 1 S 4 ZPO

Instanzenzug: Az: 4 S 335/12vorgehend AG Ludwigsburg Az: 7 C 99/12

Gründe

I.

1Die Klägerin begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Gebrauchtfahrzeug. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen das am zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom Berufung eingelegt, den er ausweislich eines von ihm vorgelegten Sendeberichts am um 11.39 Uhr vorab per Telefax zwar nicht an die offizielle, aber an eine andere Telefaxnummer des Berufungsgerichts übermittelt hat.

2Nachdem die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts den Prozessbevollmächtigten der Parteien im Zusammenhang mit der Zustellung der Berufungsschrift zunächst mitgeteilt hatte, diese sei am per Telefax eingegangen, teilte sie dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten wenige Tage später telefonisch mit, entgegen der vorbezeichneten Mitteilung sei am kein Berufungsschriftsatz in der vorliegenden Sache eingegangen, sondern erst am . Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten übersandte dem Berufungsgericht daraufhin den oben genannten Sendebericht. Die Vorsitzende des Berufungsgerichts wies ihn sodann telefonisch darauf hin, dass entgegen diesem Sendebericht am kein Telefax mit der Berufungseinlegung eingegangen sei; aus dem Journal des im Sendebericht genannten Telefaxgerätes des Berufungsgerichts ergebe sich, dass an diesem Tag zur angegebenen Uhrzeit kein Telefax eingegangen sei. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat daraufhin vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

3Das vorgenannte Telefaxjournal weist in dem im Sendebericht genannten Zeitraum den Eingang eines Telefaxes um 11.28 Uhr mit einem Umfang von zwei Seiten - dies entspricht dem Umfang der Berufungsschrift - und mit einer unterdrückten Absenderkennung auf. Dieser Empfangsvorgang ist auf dem Telefaxjournal mit einem handschriftlichen Zusatz "anscheinend 11.39 gefaxt" versehen, dessen Urheber nicht ersichtlich ist.

4In der Gerichtsakte befindet sich neben dem unstreitig erst am eingegangenen Original der Berufungsschrift eine - nicht mit einer Faxkennung versehene - Kopie dieses Schriftsatzes, die einen Eingangsstempel der Gemeinsamen Postannahmestelle der Justizbehörden Stuttgart vom mit dem handschriftlichen Zusatz "14.30 Uhr" trägt. Außerdem enthält dieses Schriftstück unterhalb des Adressfeldes und des Eingangsstempels eine handschriftliche Notiz "LG Stgt Registratur" in Rot, deren Urheber ebenfalls nicht ersichtlich ist.

5Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und deren Berufung als unzulässig verworfen. Es ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagten der ihr obliegende Nachweis eines rechtzeitigen Eingangs der Berufungsschrift nicht gelungen sei. Auch sei nicht fristgerecht ein den Anforderungen der §§ 233 ff. ZPO entsprechender Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden. Jedenfalls aber habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass ihren Prozessbevollmächtigten kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist treffe.

6Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erstrebt und hilfsweise ihren Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.

II.

7Die frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

81. Die kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 77, 275, 284; 88, 118, 123; BVerfG, NJW 2005, 814, 815; BGH, Beschlüsse vom - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227; vom  - VIII ZB 22/12, NJW 2013, 237 Rn. 7; vom - VIII ZB 45/12, NJW 2013, 2361 Rn. 7; jeweils mwN). Indem das Berufungsgericht ohne eine ausreichende Prüfung der Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsschrift die Berufung als unzulässig verworfen hat, hat es der Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz unzulässig verwehrt.

92. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft den Nachweis des rechtzeitigen Eingangs der Berufungsschrift als nicht geführt angesehen, ohne zuvor die hier gebotenen Maßnahmen zur Aufklärung der einer Kenntnis der Beklagten nicht zugänglichen gerichtsinternen Vorgänge ergriffen zu haben.

10a) Im Rahmen der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeit der Berufung hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass der Berufungsführer den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift zu beweisen hat (vgl. , NJW 1995, 665 unter II 3; vom - IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872 unter II 1 a; jeweils mwN). Die rechtzeitige Einlegung der Berufung wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des angegangenen Gerichts auf dem entsprechenden Schriftsatz nachgewiesen (§ 418 Abs. 1 ZPO). Der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis ist zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Er erfordert mehr als bloße Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO). Notwendig ist die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang, wobei allerdings die Anforderungen an den Gegenbeweis wegen der Beweisnot des Berufungsführers hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge nicht überspannt werden dürfen (st. Rspr., vgl. nur , NJW 2007, 603 Rn. 5; vom - V ZR 254/10, NJW-RR 2012, 701 Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom - III ZB 81/04, NJW 2005, 3501 unter II; vom - IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501 Rn. 10 f.; jeweils mwN).

11b) Das Berufungsgericht ist zu der Beurteilung gelangt, dass der Beklagten der nach den obigen Grundsätzen zu führende Gegenbeweis durch die Vorlage des Sendeberichts, wonach die Berufungsschrift am um 11.39 Uhr an das Berufungsgericht gefaxt worden sei, nicht gelungen sei.

12Dabei ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass ein Sendebericht nicht den Zugang des Telefaxschreibens beweist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. bereits Senatsurteil vom - VIII ZR 153/93, aaO unter II 3 a und b) begründet die durch einen "OK"-Vermerk unterlegte ordnungsgemäße Absendung eines Schreibens per Telefax über ein bloßes Indiz hinaus nicht den Anscheinsbeweis für dessen tatsächlichen Zugang bei dem Empfänger. Der "OK"-Vermerk belegt nur das Zustandekommen der Verbindung, nicht aber die erfolgreiche Übermittlung der Signale an das Empfangsgerät (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - IX ZR 148/10, juris Rn. 3; vom - III ZR 289/12, NJW 2013, 2514 Rn. 11; jeweils mwN).

13c) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch mit Recht, dass das Berufungsgericht seiner Pflicht zur Aufklärung der mit dem Eingang der Berufungsschrift im Zusammenhang stehenden gerichtsinternen Vorgänge nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist.

14Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die gerichtsinternen Vorgänge und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen (, aaO unter II 1 b; BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 169/07, aaO Rn. 11 f.; vom - VIII ZB 44/10, juris Rn. 10; jeweils mwN; vgl. auch , NJW 1981, 1673 unter II). Davon ausgehend hätte sich das Berufungsgericht unter den hier gegebenen Umständen nicht damit begnügen dürfen, lediglich das Telefaxjournal des oben genannten Empfangsgerätes des Berufungsgerichts heranzuziehen. Eine weitergehende Aufklärung der gerichtsinternen Vorgänge lässt sich der Akte nicht entnehmen.

15aa) Angesichts der zeitlichen Nähe des im Telefaxjournal verzeichneten, vom Umfang her mit der Berufungsschrift übereinstimmenden Eingangs am um 11.28 Uhr hätte das Berufungsgericht zusätzlich dienstliche Erklärungen der damals mit der Bedienung dieses Telefaxgeräts befassten Bediensteten des Berufungsgerichts einholen müssen.

16In diesem Zusammenhang wäre auch zu prüfen gewesen, durch wen und zu welchem Zeitpunkt die Notiz "LG Stgt Registratur" auf der Kopie der Berufungsschrift angebracht wurde und was es mit dem auf dem Empfangsjournal vorhandenen handschriftlichen Zusatz "anscheinend 11.39 gefaxt" auf sich hat.

17bb) Darüber hinaus hätte der Aufklärung bedurft, aus welchem Grund die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts den Parteivertretern zunächst einen rechtzeitigen Telefaxeingang der Berufungsschrift bestätigt hat. Anlass zur Einholung einer dienstlichen Erklärung der hiermit befassten Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bestand hier schon deshalb, weil es sich bei der zunächst erfolgten Bestätigung des Eingangs eines schließlich nicht bei der Akte befindlichen Telefaxes um einen eher ungewöhnlichen Vorgang handelt.

18d) Erst nach Ausschöpfung dieser nahe liegenden innerdienstlichen Erkenntnisquellen, denen das Berufungsgericht vor einer erneuten Entscheidung nachzugehen haben wird, kann beurteilt werden, ob der Beklagten der (Gegen-) Beweis eines früheren als des durch den Eingangsstempel bezeugten Eingangs der Berufungsschrift gelungen ist.

193. Da nicht in der erforderlichen Weise festgestellt ist, ob die Berufungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, kann die Verwerfung der Berufung keinen Bestand haben. Ist sie rechtzeitig eingegangen, war über den Antrag auf Wiedereinsetzung nicht zu entscheiden. Der angefochtene Beschluss ist deshalb insgesamt aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

III.

20Sollte das Berufungsgericht nach weiterer Aufklärung erneut zu dem Ergebnis gelangen, dass der Beklagten der Nachweis eines fristgerechten Eingangs der Berufungsschrift nicht gelungen sei, wird es bei der Prüfung des für diesen Fall gestellten Wiedereinsetzungsantrags der Beklagten zu erwägen haben, ob nicht trotz der in der angefochtenen Entscheidung angenommenen unzureichenden Darlegung einer den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechenden Ausgangskontrolle ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben sein könnte, weil selbst eine unzureichende Ausgangskontrolle hier letztlich nicht zu einer Verzögerung des Eingangs der Rechtsmittelschrift geführt haben dürfte (vgl. , NJW 2007, 2778 Rn. 10 f.). Denn die Beklagte hat mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Berufungsschrift fristgerecht und vollständig per Telefax an das Berufungsgericht gesandt hat. Hieran ändert entgegen der in der angefochtenen Entscheidung anklingenden Auffassung des Berufungsgerichts der Umstand nichts, dass hierzu nicht die offizielle Telefaxnummer des Berufungsgerichts, sondern offenbar diejenige der dortigen Registratur verwendet worden ist. Denn entscheidend kommt es für die Einreichung einer Berufungsschrift darauf an, dass sie fristgerecht in die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gelangt ist (BVerfGE 57, 117, 120 mwN; BGH, Beschlüsse vom  - VII ZB 27/80, BGHZ 80, 62, 63; vom - IVb ZB 154/82, NJW 1983, 123 unter II 2 a).

Ball                           Dr. Frellesen                              Dr. Milger

            Dr. Fetzer                              Dr. Bünger

Fundstelle(n):
NJW-RR 2014 S. 179 Nr. 3
HAAAE-50201