BGH Beschluss v. - IV ZB 29/18

Wirksamkeit einer gerichtlichen Zustellung: Beweiskraft der Zustellungsurkunde; Zugang eines Schriftstücks bei dem amtlichen Vertreter nach Zustellung an den Prozessbevollmächtigten

Gesetze: § 172 Abs 1 S 1 ZPO, § 182 Abs 1 S 2 ZPO, § 182 Abs 2 ZPO, § 418 Abs 1 ZPO, § 53 BRAO

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 17 U 858/18vorgehend LG Zwickau Az: 7 O 983/14

Gründe

1I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er Erbe seiner 2013 verstorbenen Mutter ist. Im Wege der Stufenklage beantragt er zudem die Verurteilung des Beklagten zur Auskunft über den Nachlass und Herausgabe sich hieraus ergebender Nachlassgegenstände.

2In der mündlichen Verhandlung am hat das Landgericht Verkündungstermin auf den bestimmt, den es später auf den , von dort auf den und sodann auf den verlegt hat. An diesem Tag hat es ausweislich des Protokolls ein klageabweisendes Urteil bestehend aus dem Tenor ohne Gründe verkündet. Am ist das mit Gründen versehene Urteil zur Geschäftsstelle gelangt. Das Empfangsbekenntnis des Klägervertreters datiert vom . Der Kläger hat am Berufung eingelegt.

3Mit dem vorliegend angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen, weil sie zwar die Regelfrist wahre, nicht aber die absolute Berufungsfrist nach § 517 Halbs. 2 ZPO. Diese habe am begonnen und sei mit Ablauf des , einem Freitag, abgelaufen.

4Die Zustellung beglaubigter Abschriften des angefochtenen Beschlusses ist am verfügt worden. Am hat die Urkundsbeamtin dem Klägervertreter per Telefax mitgeteilt (GA II 241), "am wurde Ihnen gegen Empfangsbekenntnis gem. § 174 Abs. 1 ZPO die beglaubigte Abschrift des Beschlusses vom zugeleitet. Das Empfangsbekenntnis ist bis heute hier nicht eingegangen. Um dessen Zusendung wird umgehend gebeten." Auf dem Ausdruck des Telefax-Sendeberichts, der das Schreiben an den Rechtsanwalt wiedergibt (nach GA II 241), ist handschriftlich und von der Urkundsbeamtin unterzeichnet vermerkt "Beschluss gegen ZU an KV ". Darunter ist ein Aufkleber mit einem Strichcode und der Nummer N140000531819 angebracht. Auf der die Zustellung an den Klägervertreter am ausweisenden Zustellungsurkunde finden sich ein gleichartiger Aufkleber mit derselben Nummer, das Aktenzeichen und die Angabe "Bl. 241". Unter dem hat ein anderer Rechtsanwalt angezeigt, er sei amtlicher Vertreter des Klägervertreters, der angefochtene Beschluss sei ihm am selben Tag zugegangen.

5II. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber verfristet und deshalb gemäß § 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

61. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses einzulegen. Die Zustellung hat in einem anhängigen Verfahren an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Das ist im Streitfall am geschehen, was durch die von dem Zusteller eines Postunternehmens unterzeichnete Zustellungsurkunde mit der Beweiskraft gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO nachgewiesen ist. Die Rechtsbeschwerde ist am , einem Montag, eingelegt worden, also nach Fristablauf.

72. Der Einwand der Rechtsbeschwerde, die Zustellungsurkunde beweise allenfalls die Zustellung einer Verfügung der Urkundsbeamtin, nicht aber diejenige des in der Urkunde nicht genannten angefochtenen Beschlusses in beglaubigter Abschrift, greift nicht durch. Zwar trifft der Ausgangspunkt zu, dass sich die Beweiskraft gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO nur auf die in der Zustellungsurkunde festgestellten Tatsachen erstreckt (vgl. , NJW 2018, 2802 Rn. 5). § 182 Abs. 2 ZPO verlangt aber nicht die Bezeichnung des zugestellten Schriftstücks in der Zustellungsurkunde. Zudem ist die Zustellungsurkunde kein notwendiger (konstitutiver) Bestandteil der Zustellung, sondern dient nur deren Nachweis (, NJW-RR 2008, 218 Rn. 26; Beschluss vom aaO; BT-Drucks. 14/4554 S. 15; Zöller/Schultzky, ZPO 33. Aufl. § 166 Rn. 10). Zur Klärung der Frage, welches Schriftstück zugestellt wurde, sind daher neben etwaigen Angaben in der Zustellungsurkunde auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Verfügungen des Gerichts, zu würdigen (vgl. aaO Rn. 8).

8Im Streitfall ist in der Zustellungsurkunde in dem Textfeld "1.2 Ggf. weitere Kennz." vermerkt "Bl. 241". Das verweist auf die Verfügung der Urkundsbeamtin vom , in welcher der Prozessbevollmächtigte des Klägers zur Rücksendung des Empfangsbekenntnisses betreffend die beglaubigte Abschrift des Beschlusses aufgefordert wird. Am (dem Vortag der Zustellung) hat die Urkundsbeamtin auf dem Telefax-Sendebericht dieser Verfügung (ohne Blattzahl hinter GA II 241) vermerkt "Beschluss gegen ZU an KV". Darunter ist ein Aufkleber mit derselben Nummer angebracht, die sich auf einem entsprechenden Aufkleber auf der Zustellungsurkunde findet. Aus dem Zusammenhang der Verfügungen vom 25. September und , der Angabe der Blattzahl in der Zustellungsurkunde sowie den Aufklebern auf der Verfügung vom und der Zustellungsurkunde ergibt sich zur Überzeugung des Senats hinreichend deutlich, dass dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am eine beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses zugestellt worden ist.

93. Ohne Erfolg bleibt der Einwand der Rechtsbeschwerde, es liege keine Zustellungsurkunde im Sinne von § 182 ZPO mit der Beweiswirkung des § 418 ZPO vor, weil nicht ersichtlich sei, dass das mit der Zustellung beauftragte Unternehmen nach § 33 Abs. 1 PostG beliehen sei. Der Senat hat zwar die Einhaltung der Frist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO und damit auch den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Beschlusses von Amts wegen zu prüfen (§ 577 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Prüfung von Amts wegen bedeutet aber nicht Amtsermittlung der Tatsachen und Erforschung der Wahrheit wie beim Untersuchungsgrundsatz (RGZ 160, 338, 346 f., 348). Die Prüfung von Amts wegen beschränkt sich vielmehr auf den dem Gericht vorliegenden oder offenkundigen Prozessstoff (, NJW 1989, 2064 [juris Rn. 17]; vom - III ZR 39/81, NJW 1982, 1467 [juris Rn. 15]; vom - VIII ZR 73/75, NJW 1976, 149 [juris Rn. 9]; MünchKomm-ZPO/Rauscher, 5. Aufl. Einl. Rn. 350; Brehm in Stein/Jonas, ZPO 23. Aufl. Einl. Rn. 257). Hieraus ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht entgegen § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen nicht nach § 33 Abs. 1 PostG beliehenen Unternehmer mit der Ausführung der Zustellung beauftragt haben könnte. Näheres trägt der Kläger nicht vor. Erleichterungen seiner Darlegungslast, wie sie bei gerichtsinternen Vorgängen geboten sein können (vgl. , NJW-RR 2014, 179 Rn. 10, 13 f. m.w.N.), kommen nicht in Betracht, da das Postunternehmen in der Zustellungsurkunde benannt wird und damit auch dem Kläger bekannt ist.

104. Der Wirksamkeit der gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Recht an den Prozessbevollmächtigten gerichteten Zustellung am steht nicht entgegen, dass sich später ein anderer Rechtsanwalt als gemäß § 53 BRAO bestellter amtlicher Vertreter zur Akte gemeldet und erklärt hat, der angefochtene Beschluss sei ihm am zugegangen. Auf den Zugang bei dem Vertreter kommt es nicht an. Die Bestellung zum amtlichen Vertreter verleiht dem Vertreter die im Vertretungsfall erforderliche Vertretungsmacht nach außen, schränkt aber nicht die Rechtsposition des Vertretenen aufgrund seiner Mandatierung durch die Partei und Bestellung zum Prozessbevollmächtigten ein (vgl. , NJW 1975, 542 [juris Rn. 19 f.]; vom - III ZR 8/68, VerwRspr 1971, 509, 510 f.; Dahns in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht 3. Aufl. § 53 BRAO Rn. 49; Nöker in Weyland, BRAO 10. Aufl. § 53 Rn. 81 f.).

115. Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist zu Recht nicht beantragt. Wiedereinsetzungsgründe sind nicht ersichtlich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:120220BIVZB29.18.0

Fundstelle(n):
LAAAH-43171