BGH Beschluss v. - XI ZR 228/11

Bankenhaftung bei Kapitalanlageberatung: Nichtberücksichtigung unter Beweis gestellten Parteivortrags zur Widerlegung der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens durch das Berufungsgericht im Falle der Verheimlichung von Rückvergütungen

Gesetze: § 280 BGB, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: I-6 U 1/10vorgehend Az: 5 O 266/08

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt die beklagte Bank aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes (im Folgenden: Zedent) auf Rückabwicklung von Beteiligungen an der                    V.            3 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 3) sowie der                    V.             4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 4) in Anspruch.

2Der Zedent zeichnete nach vorheriger Beratung durch einen Mitarbeiter der Beklagten am eine Beteiligung an V 3 im Nennwert von 30.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 1.500 € sowie am eine Beteiligung an V 4 in Höhe von 50.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 2.500 €, wobei ein Anteil in Höhe von 45,5% der Beteiligungssumme an V 4 durch ein endfälliges Darlehen der H.      finanziert wurde.

3Nach dem Inhalt der Verkaufsprospekte sollten 8,9% der jeweiligen Zeichnungssumme sowie das jeweilige Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung (V 3) beziehungsweise Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finanzierungsvermittlung (V 4) durch die V.              AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte ausweislich der Prospekte ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von mindestens 8,25% der jeweiligen Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Zedenten im Beratungsgespräch offengelegt wurde.

4Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage unter Berufung auf mehrere Aufklärungs- und Beratungsfehler die Rückzahlung des in V 3 eingesetzten Kapitals in Höhe von 31.500 € sowie des Eigenanteils in Höhe von 29.750 € an Beteiligungs- und Agiosumme von V 4, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, wenigstens in Höhe von 8% seit dem für V 3 bzw. seit dem für V 4, jeweils Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.308,20 € nebst Zinsen. Ferner begehrt sie die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten mit der Rücknahme der Beteiligungen, die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz jeden Schadens, der dem Zedenten im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligungen über die Klageforderung hinaus entstanden ist oder noch entstehen wird, sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des Betrages, der der Schuld des Zedenten aus dem aufgenommenen Darlehen entspricht.

5Die Klage hatte in den Vorinstanzen überwiegend Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung, soweit für die Beschwerde der Beklagten von Bedeutung, im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen dem Zedenten und der Beklagten ein Beratungsvertrag zustande gekommen sei, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Zedenten darauf hinzuweisen, dass sie von den Fondsgesellschaften aufklärungspflichtige Rückvergütungen in Höhe von mindestens 8,25% des jeweiligen Zeichnungskapitals erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Insbesondere habe sich die Beklagte nicht in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Für den Anleger streite die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, die die Beklagte nicht widerlegt habe.

II.

6Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grund ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

71. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen dem Zedenten und der Beklagten stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Zedenten über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Zedenten über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 15 ff. mwN). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 24 f. mwN).

82. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht im Grundsatz davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Zedent hätte die Beteiligungen auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen erworben.

9Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 27 ff. mwN; BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 20).

103. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.

11a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG, NJWRR 2001, 1006, 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (BVerfG, WM 2012, 492, 493 mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, d.h. im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131; Senatsbeschluss vom  - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 8).

12b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

13aa) Die Beklagte hat in ihren Schriftsätzen vom , und vorgetragen, dass für den Zedenten bei seinem Anlageentschluss allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Sicherungskonzept der Schuldübernahme relevant gewesen seien. Diese für die Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände habe der Zedent dem Mitarbeiter der Beklagten im Vertriebsgespräch mitgeteilt. Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die Beklagte auf das Zeugnis des Zedenten sowie das ihres Mitarbeiters T.    berufen.

14bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten zum Motiv des Zedenten, sich an V 3 und V 4 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 52 ff.). Das Berufungsgericht hat sich damit nicht befasst, sondern im Hinblick auf das Urteil des OLG Frankfurt/Main vom (OLGR Frankfurt 2009, 828 ff.) lediglich die Frage erörtert, ob der Zedent verpflichtet war, sich nach etwaigen Vergütungen der Beklagten zu erkundigen. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 17 mwN) nicht der Fall. Die Tatsache, dass ein Anleger nicht von sich aus dazu verpflichtet ist, nach möglichen Vergütungen der ihn beratenden Bank durch Dritte zu fragen, sagt aber nichts darüber aus, wie sich der Anleger im Falle einer ungefragten Offenlegung der vereinnahmten Rückvergütungen durch die Bank verhalten hätte. Dass das Berufungsgericht demgegenüber den Vortrag der Beklagten zum Nichteingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens völlig übergangen hat, lässt sich nach den Umständen des Falles nur damit erklären, dass es dieses Vorbringen der Beklagten bei seiner Entscheidung überhaupt nicht erwogen hat.

154. Die unterlassene Vernehmung des Zedenten sowie des Anlageberaters als Zeugen für diese Behauptungen verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (, BGHZ 154, 288, 296 f.), und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.

165. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom  - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 42 ff.) sowie dem Vortrag der Beklagten, der Zedent habe sich bereits vor der Zeichnung der streitgegenständlichen Beteiligungen an dem geschlossenen Medienfonds A.       beteiligt und sei dort anhand des rechtzeitig ausgehändigten und inhaltlich zur Kenntnis genommenen Emissionsprospekts darüber aufgeklärt worden, dass die Beklagte für den dortigen Vertrieb eine Provision von jeweils 8,5% der Zeichnungssumme erhalten habe, was ihn aber nicht von der Zeichnung abgehalten habe, zu würdigen haben. Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung die Kausalitätsvermutung in Bezug auf verheimlichte Rückvergütungen als widerlegt ansehen, wird es sich auch mit den von der Klägerin behaupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch u.a. unrichtige Angaben der Anlageberater der Beklagten über durch Kapitalgarantien verschiedener Banken sichergestellte hundertprozentige Geldrückflüsse auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss vom - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.; Henning, WM 2012, 153 ff.).

III.

17Hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung und erfordert weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Insoweit wird von einer näheren Begründung gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

Wiechers                         Joeres                           Ellenberger

                  Matthias                        Menges

Fundstelle(n):
KAAAE-35225