BFH Urteil v. - VI R 98/10 BStBl 2013 II S. 443

Kindergeld: Meldung als Arbeitsuchender

Leitsatz

Wird ein Kind nach Ende der Berufsausbildung arbeitslos und teilt es dies im Rahmen des Antrags auf Bezug von Leistungen nach dem SGB II der dafür zuständigen Stelle mit, ist gleichzeitig eine Meldung als Arbeitsuchender i.S. des § 122 SGB III anzunehmen (Abgrenzung zum , BFH/NV 2012, 204).

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1EStG § 62 Abs. 1EStG § 63 Abs. 1 Satz 2SGB II § 2SGB II § 3 Abs. 2 Satz 1SGB II § 10 Abs. 1 Nr. 3SGB II § 37SGB III § 118SGB III § 119 Abs. 1SGB III § 122 Abs. 1

Instanzenzug: — EFG 2010, 1326 — (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

1 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog für ihre im März 1988 geborene Tochter J Kindergeld bis Juli 2006. J absolvierte von August 2004 bis Juli 2006 eine Ausbildung zur staatlich geprüften Kosmetikerin ohne Ausbildungsvergütung. Im Februar 2006 bewilligte die Arbeitsgemeinschaft für die Grundsicherung Arbeitsuchender (ARGE) J Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch —Grundsicherung für Arbeitsuchende— in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (SGB II), und zwar befristet bis zum . Wegen Wegfalls der bis zum ebenfalls gewährten Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bewilligte die ARGE mit Bescheid vom bzw. erhöhte Leistungen für die Zeit ab bzw. bis bzw. .

2 Am 4. September bzw. beantragte die Klägerin die Festsetzung von Kindergeld für J ab August 2006. Dies lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) am ab, nachdem die ARGE mitgeteilt hatte, dass J dort nicht arbeitsuchend gemeldet sei.

3 Der dagegen gerichtete Einspruch war insofern erfolgreich, als die Familienkasse Kindergeld ab November 2006 festsetzte. Hinsichtlich des Zeitraums August bis Oktober 2006 blieb es dagegen bei der Ablehnung.

4 Das Finanzgericht (FG) gab der gegen die Einspruchsentscheidung gerichteten Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1326).

5 Mit der Revision rügt die Familienkasse die fehlerhafte Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

6 Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

8 Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin für den Streitzeitraum (August bis Oktober 2006) ein Kindergeldanspruch für J zusteht.

9 Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist.

10 a) Seit der Neufassung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG durch Art. 8 Nr. 5 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom (BGBl I 2002, 4621, BStBl I 2003, 3) genügt die Meldung als Arbeitsuchender bei einer Agentur für Arbeit (s. § 118 Abs. 1 i.V.m. § 122, § 119 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch —Arbeitsförderung— in der für 2006 geltenden Fassung —SGB III—); die übrigen Merkmale der Arbeitslosigkeit i.S. des § 119 Abs. 1 SGB III, wie Eigenbemühungen und Verfügbarkeit, müssen nicht mehr nachgewiesen werden (, BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008). Vielmehr unterstellt das Gesetz typisierend, dass die Voraussetzungen der §§ 118 ff. SGB III vorliegen. Die Meldung als Arbeitsuchender kann allerdings nicht nur bei einer Agentur für Arbeit im Inland, sondern auch bei einer nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Stelle —wie im Streitfall der ARGE— erfolgen (, BFH/NV 2012, 204). Dabei kommt der Registrierung des arbeitsuchenden Kindes bzw. der daran anknüpfenden Bescheinigung keine (echte) Tatbestandswirkung für den Kindergeldanspruch zu. Entscheidend ist vielmehr, ob sich das Kind im konkreten Fall tatsächlich bei der Arbeitsvermittlung als Arbeitsuchender gemeldet bzw. diese Meldung alle drei Monate erneuert hat (, BFHE 223, 354, BStBl II 2010, 47).

11 Neben der Bescheinigung der Meldung als Arbeitsuchender durch die Agentur für Arbeit dient auch der Nachweis der Arbeitslosigkeit oder des Bezugs von Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch als Nachweis der Meldung als Arbeitsuchender (BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 204).

12 b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG den Kindergeldanspruch der Klägerin für den streitigen Zeitraum zu Recht bejaht.

13 Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch regelt die Grundsicherung für „Arbeitsuchende”. Für einen erwerbsfähigen Hilfeempfänger besteht nach § 2 SGB II grundsätzlich eine Pflicht zur Arbeitsuche. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind Antragsteller, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unverzüglich in eine Arbeit, eine Ausbildung oder eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln. Zwar werden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch nur auf Antrag erbracht. Auch ist für den Bezug dieser Leistungen keine ausdrückliche Arbeitsmeldung i.S. des § 122 Abs. 1 SGB III erforderlich. Vielmehr muss mit dem Antrag nur zum Ausdruck gebracht werden, dass Leistungen vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende begehrt werden. Dennoch kann sich angesichts der Aufgabe und des Ziels des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zumindest aus den Umständen des Einzelfalls ergeben, dass der erwähnte Antrag die Meldung als Arbeitsuchender einschließt. Als Arbeitsuchender gemeldet ist nämlich, wer gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit oder ARGE persönlich die Tatsache einer künftigen oder gegenwärtigen Arbeitslosigkeit anzeigt (Grönke-Reimann in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 32 EStG Rz 90). Davon ist im Streitfall auszugehen.

14 Nach den Feststellungen des FG hat J im Zusammenhang mit der Antragstellung (§ 37 SGB II) im Mai 2006 die ARGE über ihre Beschäftigungslosigkeit nach Ausbildungsende „persönlich” in Kenntnis gesetzt und hat sich damit als arbeitsuchend gemeldet. Die ARGE war ab diesem Zeitpunkt in der Lage, ihrer Verpflichtung gemäß § 3 Abs. 2 SGB II nachzukommen, also Vermittlungsbemühungen zu starten, um die Arbeitslosigkeit möglichst rasch zu beseitigen. Die Mitteilung erfüllte, wie das FG zu Recht ausführt, die Voraussetzungen des § 122 SGB III. Entgegen der Auffassung der Familienkasse verlangt § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht zusätzlich eine „ausdrückliche” Meldung als Arbeitsuchende. Es war Aufgabe der ARGE, die Anzeige der Arbeitslosigkeit der Familienkasse mitzuteilen. Dass dies unterblieb, kann nicht der Klägerin angelastet werden.

15 c) Die Auffassung des Senats steht nicht im Widerspruch zum BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 204. Diese Entscheidung war maßgeblich durch die Besonderheit des Einzelfalls geprägt. Diese bestand darin, dass dem Kind aufgrund seiner familiären Situation die Ausübung einer Tätigkeit nicht ohne weiteres zumutbar war (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II). In einem solchen Fall ist die kommentarlose Stellung eines Antrags gemäß § 37 SGB II keine Meldung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Im Streitfall liegt aber weder ein Fall des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II vor, noch hat J „kommentarlos” einen Antrag gestellt.

Fundstelle(n):
BStBl 2013 II Seite 443
BFH/PR 2013 S. 16 Nr. 1
BStBl II 2013 S. 443 Nr. 11
DB 2012 S. 2560 Nr. 45
DStR 2012 S. 8 Nr. 43
DStRE 2012 S. 1513 Nr. 24
EStB 2012 S. 446 Nr. 12
FR 2013 S. 478 Nr. 10
GStB 2013 S. 2 Nr. 1
HFR 2012 S. 1266 Nr. 12
KÖSDI 2012 S. 18162 Nr. 12
NJW 2012 S. 3808 Nr. 52
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2012 S. 3516
StB 2012 S. 418 Nr. 12
StBW 2012 S. 1012 Nr. 22
StBW 2012 S. 1078 Nr. 23
DAAAE-20484