BGH Beschluss v. - XII ZB 421/11

Auslegung eines Rechtsmittels: Unbedingte Einlegung eines Rechtsmittels; Ablehnung der Wiedereinsetzung in ein form- und fristgerecht eingelegtes Rechtsmittel

Leitsatz

1. Die Auslegung, ob ein Rechtsmittel unbedingt eingelegt worden ist, richtet sich allein nach dem objektiven Erklärungswert, wie er dem Rechtsmittelgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist erkennbar war; spätere "klarstellende" Parteierklärungen können dabei nicht berücksichtigt werden (im Anschluss an BGH Beschluss vom, , XI ZB 6/07, juris Rn. 8).

2. Ergibt die Auslegung, dass ein Rechtsmittel - unbedingt - form- und fristgerecht eingelegt worden ist, bedarf es der Wiedereinsetzung nicht. Ein Beschluss, der einen solchen Wiedereinsetzungsantrag zurückweist, ist auf die Rechtsbeschwerde zur Klarstellung aufzuheben (im Anschluss an Senatsbeschluss vom , XII ZB 33/05, FamRZ 2006, 400).

Gesetze: § 64 Abs 1 FamFG, § 117 Abs 1 FamFG, § 233 ZPO, § 517 ZPO, § 519 ZPO, § 520 ZPO, § 522 ZPO, § 574 ZPO

Instanzenzug: Az: 16 UF 566/11vorgehend AG Landshut Az: 3 F 84/09

Gründe

I.

1Der Antragsgegner wendet sich gegen die Versagung der von ihm begehrten Wiedereinsetzung.

2Das Amtsgericht hat den Antragsgegner zur Zahlung von Kindesunterhalt "verurteilt". Das Urteil ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am zugestellt worden. Am ist beim Oberlandesgericht ein Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners eingegangen, der mit "Berufung" überschrieben war und einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens enthielt. Das Oberlandesgericht hat dem Antragsgegner am Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Der Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am zugestellt worden. Mit Verfügung vom hat die Vorsitzende des Beschwerdesenats darauf hingewiesen, dass nunmehr die Wiedereinsetzungsfrist verstrichen sei. Auf diesen - ihm am zugestellten - Hinweis hat der Antragsgegner am Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist, in die Frist zur Einlegung der Berufung sowie in die Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Im Anschluss hat das Oberlandesgericht den Antrag des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungseinlegung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

3Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

41. Auf das Rechtsbeschwerdeverfahren ist das seit dem geltende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom (BGBl. I Seite 2586 - FamFG) anzuwenden, weil das Verfahren nicht vor diesem Zeitpunkt eingeleitet bzw. dessen Einleitung nicht beantragt worden ist (vgl. Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG). Zutreffend hat das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom darauf hingewiesen, dass der vor dem gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, in dem die Antragstellerin ausgeführt hat, "unter der Bedingung der PKH-Bewilligung" Klage zu erheben, nicht zur Anwendung des alten Rechts geführt hat (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 198/11 - zur Veröffentlichung bestimmt).

52. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners richtet sich die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde allerdings nicht nach § 70 FamFG, sondern nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 127/11 - FamRZ 2011, 1929 Rn. 7).

6Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO dennoch zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

73. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hätte den Wiedereinsetzungsantrag des Antragsgegners schon deshalb nicht zurückweisen dürfen, weil es einer Wiedereinsetzung nicht bedurfte und der entsprechende Antrag deshalb gegenstandslos war (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400, 401). Weil die Entscheidung schon deswegen aufzuheben ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Beschwerdegericht - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend gerügt hat - den Antrag des Antragsgegners, ihm Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren, nicht beschieden hat.

8Die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt sich deshalb nicht, weil der Antragsgegner das Rechtsmittel gegen das "Urteil" des Amtsgerichts form- und fristgerecht eingelegt hat.

9a) Das Beschwerdegericht hat in seinem Hinweis vom , auf den es in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen hat, ausgeführt, eine wirksam eingelegte Beschwerde liege nicht vor, weil der Antragsgegner mit dem fraglichen Schriftsatz vom "ausdrücklich um Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsmittel nachgesucht" habe.

10b) Das hält einer rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung indes nicht stand.

11aa) Wird ein Rechtsmittel oder seine Begründung zulässigerweise mit einem Antrag auf Verfahrenskostenhilfe verbunden, muss der Rechtsmittelführer zwar alles vermeiden, was den Eindruck erweckt, der Antrag solle eine (künftige) Prozesshandlung nur ankündigen und sie von der Gewährung von Verfahrenskostenhilfe abhängig machen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400). Wenn der Rechtsmittelführer aber einen Verfahrenskostenhilfeantrag verbunden mit einem Schriftsatz einreicht, der die formalen Anforderungen einer Beschwerdeschrift bzw. einer Beschwerdebegründung erfüllt, ist das regelmäßig als unbedingt eingelegtes Rechtsmittel zu behandeln. Die Deutung, dass der Schriftsatz zunächst nur als Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gemeint war, kommt nur dann in Betracht, wenn sich das entweder aus dem Schriftsatz selbst oder sonst aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt. Im Zweifel ist zugunsten des Rechtsmittelführers anzunehmen, dass er eher das Kostenrisiko einer ganz oder teilweise erfolglosen Berufung auf sich nimmt als von vornherein zu riskieren, dass seine Berufung als unzulässig verworfen wird, er also unbedingt Berufung eingelegt hat und sich lediglich für den Fall der Versagung von Verfahrenskostenhilfe die Zurücknahme des Rechtsmittels vorbehält (vgl. - juris Rn. 7). Mit Rücksicht auf die schwerwiegenden Folgen einer bedingten und damit unzulässigen Beschwerdeeinlegung ist für die Annahme einer derartigen Bedingung eine ausdrückliche zweifelsfreie Erklärung erforderlich, die beispielsweise darin gesehen werden kann, dass der Schriftsatz als "Entwurf einer Berufungsbegründung" oder als "Begründung zunächst nur des PKH-Gesuchs" bezeichnet wird, von einer beabsichtigten "Berufungsbegründung" die Rede ist oder angekündigt wird, dass die Berufung "nach Gewährung der PKH" begründet werde (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400).

12Dabei kann das Rechtsbeschwerdegericht die Auslegung einer prozessualen Willenserklärung uneingeschränkt nachprüfen (BGHZ 4, 328, 334; - VersR 1979, 373; Zöller/Heßler ZPO 29. Aufl. § 546 Rn. 11 mwN - jeweils zum Revisionsrecht).

13bb) Der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts kann danach keinen Bestand haben.

14(1) Dass der Antragsgegner sein Rechtsmittel als "Berufung" bezeichnet und beim Oberlandesgericht eingelegt hat, steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen. Zwar wäre nach dem hier anwendbaren Recht gemäß § 64 Abs. 1 FamFG die Beschwerde beim Amtsgericht einzulegen gewesen. Jedoch gilt auch bei der Wahl des - vom Amtsgericht angewandten alten und damit - falschen Verfahrensrechts und der hierauf beruhenden - ebenfalls unrichtigen - Entscheidungsform der Meistbegünstigungsgrundsatz (Senatsbeschluss vom - XII ZB 553/10 - FamRZ 2011, 966 Rn. 12 ff.), was das Beschwerdegericht auch zutreffend erkannt hat. Von daher kann dem Antragsgegner nicht angelastet werden, das Rechtsmittel nach den Formalien des bis zum anwendbaren Berufungsrechts eingelegt zu haben.

15Gemäß dem Meistbegünstigungsgrundsatz genügt für die Zulässigkeit des Rechtsmittels im vorliegenden Verfahren die den §§ 517, 519 ZPO entsprechende Rechtsmitteleinlegung.

16(2) Dabei kann entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht von einer bedingten Berufungseinlegung ausgegangen werden. Insoweit fehlt es an einer ausdrücklichen, zweifelsfreien Erklärung, aus der sich auf eine solche Bedingung schließen ließe.

17(a) Es ist bereits unzutreffend, dass der Antragsgegner ausdrücklich um Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsmittel nachgesucht hat. Vielmehr ist der Schriftsatz vom mit dem Wort "Berufung" überschrieben. Er enthält einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens. Ferner heißt es dort, dass "gegen das Urteil des Amtsgerichts (…) Berufung eingelegt werden soll", wobei das Wort Berufung besonders hervorgehoben ist. Es folgt dann eine detaillierte Begründung des Rechtsmittels. Am Ende des Schriftsatzes wird das Gericht "zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung (…) gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO um die notwendigen Hinweise ersucht."

18Diesen Ausführungen kann entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts keine ausdrückliche, zweifelsfreie Erklärung des Inhalts entnommen werden, dass die Einlegung des Rechtsmittels von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängig sein soll.

19(b) Daran ändert auch nichts der Umstand, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners mit Schriftsatz vom , also lange nach Ablauf der Begründungsfrist, vorgetragen hat, dass die "Berufung" aus Prozesskostengründen nur bedingt eingelegt worden sei. Denn entscheidend ist bei der Auslegung allein der objektive Erklärungswert, wie er dem Rechtsmittelgericht innerhalb der ablaufenden Rechtsmittelfrist erkennbar war. Spätere "klarstellende" Parteierklärungen können dabei nicht berücksichtigt werden ( - juris Rn. 8 mwN).

20(3) Schließlich erfüllt der Schriftsatz vom auch die an eine Rechtsmittelbegründung zu stellenden Anforderungen (vgl. § 520 Abs. 3 ZPO bzw. § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Er enthält eine detaillierte Begründung, warum nach Auffassung des Antragsgegners der streitgegenständliche Vergleich nicht hätte abgeändert werden dürfen. Zwar finden sich in dem Schriftsatz keine Anträge. Dies ist jedoch unschädlich.

21Ein förmlicher Berufungsantrag ist nicht nötig. Es genügt, wenn aus der Berufungsschrift oder Berufungsbegründung zu entnehmen ist, in welchem Umfang das Urteil angegriffen wird und welche Abänderungen erstrebt werden. So kann sich aus der Wiederholung des Sachvortrags erster Instanz, in der Klageabweisung beantragt war, ergeben, dass dieser Antrag in der Berufungsinstanz wieder gestellt wird ( - NJW 1966, 933; Zöller/Heßler ZPO 29. Aufl. § 520 Rn. 32 mwN).

22In der Begründung seines Rechtsmittels rügt der Antragsgegner, dass die Antragstellerin keine Tatsachen vorgetragen habe, die eine Abänderung des streitgegenständlichen Vergleichs rechtfertigen könnten. Zudem beruft er sich auf Leistungsunfähigkeit. Schließlich hat sich der Antragsgegner auf das Protokoll vom berufen. Auch dort hatte der Antragsgegner bereits darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB nicht vorgetragen worden seien. Zudem hat sein Bevollmächtigter in diesem Termin Klagabweisung beantragt.

23Nach alledem lässt die Begründung darauf schließen, dass der Antragsgegner die Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils im Sinne einer Klagabweisung begehrt.

244. Der Rechtsbeschwerde war der Erfolg auch nicht etwa deshalb zu versagen, weil die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts, Wiedereinsetzung nicht zu gewähren, als im Ergebnis richtig und nur in der Begründung falsch anzusehen wäre. Eine Wiedereinsetzung in eine nicht versäumte Frist sieht das Gesetz nicht vor und kann daher auch nicht gewährt werden. Ein gleichwohl gestellter Wiedereinsetzungsantrag ist dann gegenstandslos. Deswegen ist ein Beschluss, der einen solchen Antrag zurückweist, auch ohne zugleich das Rechtsmittel zu verwerfen, auf die Rechtsbeschwerde hiergegen zur Klarstellung aufzuheben. Denn das Rechtsmittelgericht hätte diesen Antrag als gegenstandslos behandeln müssen, statt ihn zurückzuweisen (Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400, 401).

255. Da eine Wiedereinsetzung mithin nicht in Betracht kommt, bedarf es keiner weiteren Entscheidung darüber, dass das Beschwerdegericht ersichtlich den Antrag des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist übersehen und deshalb nicht beschieden hat.

266. Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG nicht zu erheben, weil sie bei richtiger Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht angefallen wären. Die Entscheidung über die übrigen Kosten der Rechtsbeschwerde ist der Endentscheidung des Beschwerdegerichts in der Hauptsache vorzubehalten und wird an deren Ergebnis auszurichten sein (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 165, 318 = FamRZ 2006, 400, 402).

Hahne                                            Weber-Monecke                                                    Klinkhammer

                      Schilling                                                        Nedden-Boeger

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
HFR 2012 S. 1117 Nr. 10
NJW-RR 2012 S. 755 Nr. 12
NAAAE-08585