Nachträgliche Gesamtstrafenbildung
Gesetze: § 460 StPO, § 462 StPO, § 54 Abs 2 S 1 StGB, § 55 Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Bayreuth Az: 1 KLs 121 Js 5082/11
Gründe
I.
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus anderen Verurteilungen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt, unter Aufrechterhaltung zweier Maßregeln der Besserung und Sicherung. Mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten, wirksam auf den Gesamtstrafenausspruch beschränkten und mit der Sachrüge begründeten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Gesamtstrafenbildung. Zu Unrecht habe das Landgericht die mit Strafbefehl des Amtsgerichts Bayreuth vom verhängte Strafe als vollstreckt und damit als erledigt im Sinne von § 55 Abs. 1 StGB angesehen. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
II.
21. Der jetzigen Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
3Ende 2007 erwarb der Angeklagte zwei Kilogramm Haschisch, um aus dem Weiterverkauf des Rauschmittels Gewinn zu erzielen. Einen geringen Teil der Droge konsumierte der Angeklagte selbst.
4Dafür hat die Strafkammer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt.
52. Bei der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB hat das Landgericht Einzelstrafen aus den Verurteilungen vom , , und (Berufungsurteil) einbezogen, einmal unter Auflösung einer früheren Gesamtstrafe. Unberücksichtigt ließ die Strafkammer den Strafbefehl des Amtsgerichts Bayreuth vom .
6Dies hat die Strafkammer wie folgt begründet:
7Da ein großer Teil der vom Landgericht Bayreuth mit Urteil vom gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe, in die die Strafe aus dem Strafbefehl einbezogen worden war, bereits vollstreckt ist (im Anschluss an die vollständige Verbüßung der mit Urteil des Amtsgerichts Bayreuth vom verhängten Freiheitsstrafe bis zum ), sei die mit Strafbefehl des Amtsgerichts Bayreuth vom verhängte Geldstrafe „zu Gunsten des Angeklagten als bereits vollstreckt anzusehen“.
III.
8Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Vollstreckung einer Gesamtstrafe, deren Höhe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen darf (§ 54 Abs. 2 Satz 1 StGB), stellt sich als einheitlicher Vorgang dar und nicht als sukzessive Vollstreckung der einbezogenen Einzelstrafen (etwa unter primärer Anrechnung auf die lästigste Sanktion entsprechend dem Rechtsgedanken des § 366 Abs. 2 BGB). Durch die Bildung der Gesamtstrafe verlieren die Einzelstrafen ihre selbständige Bedeutung ( -, BGHSt 7, 180, 182). Es kann nurmehr die Gesamtstrafe vollstreckt werden ( -, BGHSt 9, 370, 385). Die Annahme einer fiktiven Vollstreckung einer einbezogenen Einzelstrafe widerspricht deshalb den gesetzlichen Vorgaben des § 55 Abs. 1 StGB. Die Anrechnung der bisher verbüßten Strafe gehört im Übrigen zur Strafzeitberechnung, für die die Vollstreckungsbehörde und nicht das erkennende Gericht zuständig ist ( -, BGHSt 21, 186; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl. Rn. 694).
9Entfällt eine teilweise vollstreckte Gesamtstrafe im Rahmen einer neuen nachträglichen (§ 55 StGB) Gesamtstrafenbildung, so sind deshalb alle Einzelstrafen, die der entfallenen Gesamtstrafe zugrunde lagen, noch nicht erledigt im Sinne von § 55 Abs. 1 StGB (so - der Sache nach - auch -, NJW 1957, 1810).
10Über die Gesamtstrafenbildung muss daher neu befunden werden. Maßgebend ist die Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 368/10 -, Rn. 2; vom - 3 StR 374/11 - , Rn. 5, jew. mwN).
IV.
11Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1 b Satz 1 StPO zu entscheiden.
12Die Vorschrift findet nicht nur bei den Angeklagten beschwerenden, sondern auch - auf die Revision der Staatsanwaltschaft - bei ihn begünstigenden Rechtsfehlern Anwendung ( -, Rn. 9).
13Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung aus den rechtskräftigen Einzelstrafen obliegt dem nach § 462a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht (vgl. -, Rn. 23; Beschluss vom - 5 StR 430/04).
14Der Senat kann vorliegend die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels nach § 473 Abs. 4 StPO nicht selbst treffen. Darüber hat deshalb das für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuständige Gericht zusammen mit der abschließenden Sachentscheidung zu befinden (vgl. -, BGHR StPO § 354 Ib 1 Entscheidung 3).
Nack Wahl Rothfuß
Hebenstreit Sander
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
XAAAE-06204