BGH Beschluss v. - 2 StR 102/19

Pflicht des Tatrichters zur Gesamtstrafenbildung und Reihenfolge der Vollstreckung

Gesetze: § 53 Abs 1 StGB, § 54 Abs 1 S 2 StGB, § 55 Abs 1 S 1 StGB, § 67 Abs 1 S 1 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 3 StGB, § 460 StPO, § 462 Abs 1 S 1 StPO

Instanzenzug: LG Limburg Az: 4 Js 18156/16 - 5 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Es hat ihn deswegen unter Auflösung zweier Gesamtstrafen zu einer aus den mit Strafbefehl vom , mit Urteil vom und mit Urteil vom zu den dortigen Fällen 1 und 3 der Urteilsgründe verhängten (Einzel-)Strafen gebildeten ersten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten sowie unter Einbeziehung der mit Urteil vom zu den dortigen Fällen 2 und 4 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Es hat ferner die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zehn Monate der erkannten Gesamtfreiheitsstrafen vorweg zu vollziehen sind.

2Die hiergegen gerichtete und mit der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Während der Schuldspruch, die Bemessung der verhängten Einzelstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keine den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler erkennen lassen, können die Gesamtstrafaussprüche und in deren Folge auch der Ausspruch über den Vorwegvollzug keinen Bestand haben.

31. Bei der Bildung der Gesamtstrafen hat das Landgericht zutreffend die gegen den Angeklagten verhängten früheren Gesamtstrafen aufgelöst und der Entscheidung des Amtsgerichts Königstein vom Zäsurwirkung beigemessen mit der Folge, dass aus den für Taten vor dem bereits verhängten Einzelstrafen einerseits und aus der für vorliegende, am begangene Tat verhängten und den die Taten am und am betreffenden Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Limburg vom andererseits jeweils eine Gesamtstrafe zu bilden ist. Die teilweise Vollstreckung der mit Urteil vom gebildeten Gesamtstrafe steht dem nicht entgegen, da alle Einzelstrafen, die dieser Gesamtstrafe zugrunde lagen, noch nicht erledigt im Sinne von § 55 Abs. 1 StGB sind (vgl. , NStZ 2012, 380, 381).

42. Soweit die Strafkammer eine zweite Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten ausgesprochen hat, begegnet es indes durchgreifenden Bedenken, dass sie hierbei eine weitere, in den Urteilsgründen mitgeteilte Verurteilung des Angeklagten nicht berücksichtigt. Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Er darf dies in der Regel nicht dem Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO überlassen. Hiervon ausgehend hätte die mit Urteil des Amtsgerichts Limburg vom gegen den Angeklagten wegen eines am begangenen Betäubungsmitteldelikts rechtskräftig verhängte unbedingte Freiheitsstrafe bei der hier zu bildenden Gesamtstrafe Berücksichtigung finden müssen. Eine Erledigung, die einer Gesamtstrafenbildung entgegengestanden hätte, oder sonstige Gründe, die es ausnahmsweise gerechtfertigt hätten, die Gesamtstrafenbildung dem Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO zu überlassen (vgl. , NStZ 2005, 32), sind weder mitgeteilt noch ersichtlich. Über die Gesamtstrafenbildung muss daher neu befunden werden; maßgebend ist die Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung (vgl. , NStZ-RR 2017, 169 mwN).

53. Der Senat hebt auch die im Übrigen gebildete Gesamtstrafe von zwei Jahren und vier Monaten auf, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, das Gesamtstrafübel in den Blick zu nehmen (vgl. , NStZ 2000, 137 f.). Einer Entscheidung darüber, ob das angefochtene Urteil dem Begründungserfordernis bei der Gesamtstrafenbildung (vgl. , BGHSt 24, 268, 269 f.; Beschluss vom - 4 StR 658/10 Rn. 2 und vom - 3 StR 110/11 Rn. 3 ff.) noch genügt, bedarf es deshalb nicht.

64. Die Aufhebung der Gesamtstrafaussprüche zieht die Aufhebung des Ausspruchs über den Vorwegvollzug nach sich. Müssen wegen der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung zwei Gesamtstrafen gebildet werden, ist die Vorschrift über die Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) auf beide Strafen anzuwenden, so dass auch die Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB für beide Strafen nicht getrennt, sondern einheitlich gilt. Bei der Berechnung des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB ist somit von der Summe beider Gesamtstrafen und der Hälfte hiervon auszugehen (, NStZ-RR 2014, 368 f.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:170419B2STR102.19.0

Fundstelle(n):
OAAAH-27346