BGH Beschluss v. - IV ZR 179/10

Klage des Versicherten einer Geld- und Valorentransportversicherung: Voraussetzungen einer stillschweigenden Duldung von vertragswidrigen Bargeldeinzahlungen durch ein Sicherheitstransportunternehmen

Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 242 BGB

Instanzenzug: OLG Celle Az: 8 U 124/09vorgehend Az: 8 O 219/07

Gründe

1I. Die Klägerin, eine Baumarktkette mit zahlreichen Filialen, begehrt von der Beklagten als führendem Versicherer anteilige Versicherungsleistungen aus einer von Unternehmen der HEROS-Gruppe (im Folgenden: HEROS-Gruppe) mit mehreren Versicherungsunternehmen abgeschlossenen "Valorenversicherung", deren Versicherungsbedingungen (im Folgenden: VB) im Senatsurteil vom (Geldtransporte HEROS I - IV ZR 117/09, VersR 2011, 918) und im Senatsbeschluss vom (Geldtransporte HEROS II - IV ZR 38/09, juris) auszugsweise wiedergegeben sind.

2Die Klägerin ist Versicherte dieses Vertrages. Sie behauptet Schäden aus Bargeldentsorgungen aus dem Zeitraum vom 16. bis zum (931.912,84 €) sowie wegen nicht ausgelieferten Münzgeldes (5.420 €). Mit dem Geldtransport, der Geldbearbeitung und Hartgeldversorgung für die Klägerin war die HEROS Transport GmbH auf Grundlage eines am mit dieser geschlossenen Rahmenvertrages "über den Transport und die Aufbereitung von Tageseinnahmen sowie Scheck- und Lastschriftbearbeitung" beauftragt. Darin ist unter anderem vereinbart:

"§ 4 Weitertransport/Lagerung

2. Die Tageseinnahmen werden in alarmgesicherten Räumen bis zur Auszählung aufbewahrt, dann ausgezählt und anschließend unverzüglich über die LZB im Direkteinzahlungsverfahren auf das vom Auftraggeber genannte Konto eingezahlt.

3. Der Auftragnehmer stellt sicher, daß die Tageseinnahmen an dem auf den Tag der Kasseneinnahme folgenden Bankarbeitstag bis zum Buchungsschnitt bei der Landeszentralbank eingezahlt werden. Bei verspäteter Einzahlung macht sich der Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber schadenersatzpflichtig. …"

3Die Versicherer der Police Nr. 7509 übersandten eine "Versicherungsbestätigung" über den Abschluss einer Versicherung für die HEROS-Gruppe an Versicherte. Darin angegeben wurden unter anderem die versicherten Interessen, die Haftungshöchstsummen sowie Umfang und Gegenstand der Versicherung.

4Im Februar 2006 kam es zum Zusammenbruch der HEROS-Gruppe. Zahlreichen Auftraggebern, darunter nach ihrer Behauptung auch der Klägerin, wurde den HEROS-Gesellschaften überlassenes Bargeld nicht mehr (vollständig) auf ihren Konten gutgeschrieben oder sonst zurückerstattet. Nachdem im April 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der HEROS-Gruppe eröffnet worden war, focht die Beklagte den Versicherungsvertrag im Januar 2007 wegen arglistiger Täuschung an.

5Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob diese Anfechtung wirksam und die Beklagte schon daher leistungsfrei ist, ferner darüber, ob die HEROS Transport GmbH im Umgang mit dem ihr anvertrauten Bargeld gegen vertragliche Verpflichtungen verstoßen und dadurch einen Versicherungsfall ausgelöst hat.

6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin, die - unter Berücksichtigung von zurückerhaltenen, den Schaden aus der Geldentsorgung mindernden Beträgen - zuletzt Zahlung von 547.136,34 € nebst Zinsen sowie Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache in Höhe von 38.696,69 € begehrt hat, hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

7II. Soweit das Berufungsgericht die auf die unterbliebene Auslieferung von Hartgeld im Rahmen der so genannten Bargeldversorgung gestützte Klageforderung abgewiesen hat, war die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO - dazu unten 4.).

8Im Übrigen führt das Rechtsmittel zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht gemäß § 544 Abs. 7 ZPO. Soweit die Klage hinsichtlich des behaupteten Schadens aus der Entsorgung übergebenen Bargeldes abgewiesen worden ist, hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es deren Antrag auf Vernehmung zweier Zeugen übergangen hat.

91. Die Anfechtung einer Willenserklärung nach § 123 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Erklärende zu ihrer Abgabe durch eine arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Das ist dann der Fall, wenn diese Täuschung einen Irrtum des Erklärenden hervorgerufen und dadurch dessen Entschluss zur Willenserklärung beeinflusst hat (vgl. , MMR 2005, 447 unter 1 a). Einen solchen vom Erklärenden, hier der Beklagten, darzulegenden und gegebenenfalls zu beweisenden Irrtum (vgl. , NJW-RR 1987, 1415 unter II 3) hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft festgestellt.

10a) Es geht davon aus, bei der HEROS-Gruppe hätten spätestens seit Mitte der 1990er Jahre erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bestanden. Unter anderem um Liquiditätsengpässe auszugleichen, seien laufend die im Zuge von Transportaufträgen entgegengenommenen Gelder nicht sogleich den Konten der jeweiligen Auftraggeber gutgebracht, sondern zu Teilen zur Befriedigung anderweitig offen stehender Forderungen verwendet worden. Der Ausgleich für die dadurch zunächst geschädigten Auftraggeber sei zeitverzögert durch einen entsprechenden Zugriff auf spätere Geldtransporte erfolgt. Daraus habe sich eine vielfach als "Schneeballsystem" bezeichnete Dynamik wachsender Finanzierungslücken entwickelt. Von all dem habe die Beklagte bei Abschluss der Police Nr. 7509 jedoch noch keine konkrete Kenntnis gehabt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom aaO Rn. 911).

11b) Damit hat das Berufungsgericht das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

12Es durfte einen Irrtum der Beklagten nicht feststellen, ohne zuvor den von der Klägerin beantragten Beweis über die dieser Feststellung entgegenstehende Behauptung zu erheben, der Beklagten-Mitarbeiter S.    , der zahlreiche Zuwendungen von Verantwortlichen der HEROS-Gruppe erhalten habe, sei über sämtliche Vorgänge bei HEROS unterrichtet gewesen und habe insbesondere gewusst, dass der Lebensstil des mit ihm befreundeten HEROS-Geschäftsführers W.    aus Unterschlagungen und Veruntreuungen finanziert worden sei.

13aa) Von der Vernehmung der dafür benannten Zeugen S.     und W.     durfte das Berufungsgericht nicht deshalb absehen, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet gewesen wären, dass ihre Erheblichkeit nicht hätte beurteilt werden können. Das Vorbringen der Klägerin war vielmehr hinreichend substantiiert, zumal sie selbst keine unmittelbare Kenntnis von internen Vorgängen bei der Beklagten hat, was ihr die Darlegung und Beweisführung erschwert. In einem solchen Fall darf eine Partei auch Tatsachen, deren Vorliegen sie lediglich vermutet, als feststehend behaupten und unter Beweis stellen, wenn - wie hier - für die Richtigkeit ihres Vorbringens hinreichende Anhaltspunkte bestehen. Zu einem unzulässigen Ausforschungsbeweis wird eine solche Beweisführung erst bei offensichtlicher Willkür oder Rechtsmissbrauch der vortragenden Partei (vgl. , NJW 2001, 2327 unter III 1 a und vom  - IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147 unter II 5 d). Dafür ist hier angesichts zahlreicher - weitgehend unstreitiger und vom Berufungsgericht unterstellter - Anhaltspunkte, die für eine besondere Nähe zwischen den Zeugen S.    und W.     sprechen, nichts ersichtlich.

14bb) Die Beweiserhebung war auch nicht entbehrlich, weil die benannten Zeugen S.     und W.     ungeeignete oder unerreichbare Beweismittel oder ihre Vernehmungen unzulässig gewesen wären. Ihre auf § 384 Nr. 2 ZPO gestützte, umfassende Aussageverweigerung in einem anderen Rechtsstreit aus dem HEROS-Komplex (vgl. dazu das Zwischenurteil des OLG Celle vom  - 8 U 21/09, juris, betreffend den Zeugen W.    ) führt nicht dazu, die beiden Zeugen im vorliegenden Rechtsstreit als völlig ungeeignete oder unerreichbare Beweismittel i.S. des § 244 Abs. 2 Satz 2 StPO anzusehen oder die beantragte Beweiserhebung für unzulässig zu erachten (vgl. dazu Senatsbeschluss vom aaO Rn. 15 - 18).

152. Der dargelegte Gehörsverstoß ist mit Blick auf den behaupteten Schaden aus der Bargeldentsorgung auch entscheidungserheblich, da die übrigen Einwände der Klägerin gegen die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Arglistanfechtung nicht durchgreifen.

16a) Gegen die Annahme des Berufungsgerichts, bei der Police Nr. 7509 handele es sich um den Abschluss eines neuen, zum in Kraft getretenen Versicherungsvertrages und nicht lediglich um eine Änderung der zuvor bestehenden Police Nr. 7265, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

17aa) Ein neuer Vertrag liegt vor, wenn der aus den gesamten Fallumständen zu ermittelnde Wille der Vertragsparteien darauf gerichtet war, die vertraglichen Beziehungen auf eine selbständige neue Grundlage zu stellen und sich nicht damit zu begnügen, einzelne Regelungen des bestehenden Vertrages zu modifizieren. Für einen neuen Vertrag spricht die Veränderung wesentlicher Vertragsinhalte, z.B. des versicherten Risikos, des versicherten Objekts, der Vertragsdauer, der Vertragsparteien und der Gesamtversicherungssumme (vgl. Senatsurteil vom  - IVa ZR 111/87, r+s 1989, 22, 23; OLG Saarbrücken VersR 2007, 1681, 1682; OLG Köln VersR 2002, 1225; BK/Riedler, VVG § 38 Rn. 9; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 37 Rn. 5; Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 38 Rn. 6).

18bb) Unter Beachtung dieser Maßstäbe und Heranziehung der den Einzelfall prägenden Umstände ist das Berufungsgericht ohne durchgreifenden Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die Police Nr. 7509 sei als neuer, zum in Kraft getretener Vertrag anzusehen (vgl. Senatsbeschluss vom aaO Rn. 20 ff.). Entscheidungserheblichen Vortrag oder relevante Beweisangebote der Klägerin hat es - entgegen der Auffassung der Beschwerde - nicht übergangen. Die Angriffe der Revision erschöpfen sich im Wesentlichen in dem revisionsrechtlich unbehelflichen Versuch, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts unter abweichender Bewertung einzelner Indizien durch eine vermeintlich bessere eigene Würdigung zu ersetzen.

19Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht vorgenommenen Gesamtschau zahlreicher Umstände, die sich insbesondere auch nicht als willkürlich i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG erweist, schließt der Senat weiter aus, dass einzelne von der Revision herausgegriffene Aspekte das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung veranlasst hätten, mögen sie auch - für sich betrachtet - auf eine Verlängerung der früheren Police hindeuten.

20(1) Das gilt auch, soweit das Berufungsgericht nicht auf jedes einzelne in diesem Zusammenhang von der Klägerin im Verlaufe des Rechtsstreits vorgelegte Schreiben eingegangen ist. Nach Art. 103 Abs. 1 GG sind die Gerichte nur verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dagegen ist es nicht erforderlich, alle Einzelpunkte des Parteivortrags auch ausdrücklich zu bescheiden (vgl. Senatsbeschluss vom  - IV ZR 298/05, WuM 2008, 113; , WuM 2005, 475; BVerfGE 96, 205, 216 f.). Besondere Umstände, die darauf hindeuten könnten, das Berufungsgericht habe diese aus Art. 103 Abs. 1 GG erwachsende Pflicht verletzt, sind nicht ersichtlich.

21(2) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch, es sei angebotener Zeugenbeweis übergangen worden. Von einer näheren Begründung sieht der Senat insoweit nach § 564 Satz 1 ZPO ab.

22b) Der Beklagten ist es in Ansehung einer von der Versicherungsnehmerin begangenen Täuschung auch nicht aufgrund Ziffer 13.4 VB verwehrt, sich gegenüber der Klägerin auf eine Anfechtung des Versicherungsvertrages zu berufen.

23aa) Wie der Senat mit Beschluss vom (aaO Rn. 26 - 30) entschieden hat, ist ein vertraglicher, im Voraus erklärter Ausschluss der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bei Vertragsschluss unwirksam, wenn die Täuschung von dem Geschäftspartner selbst oder von einer Person verübt worden ist, die nicht Dritter i.S. des § 123 Abs. 2 BGB ist. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen der Beklagten als Versicherer und den Versicherten einer Versicherung für fremde Rechnung. Es kann daher offenbleiben, ob Ziffer 13.4 VB durch Auslegung ein solcher, gegenüber diesen wirkender Verzicht zu entnehmen ist.

24bb) Auch aus den Versicherungsbestätigungen, die die Beklagte den Versicherten übersandt hat, erwachsen Letzteren in Bezug auf die Arglistanfechtung keine weitergehenden Rechte. Das Berufungsgericht hat diese Bestätigungen zu Recht als lediglich deklaratorische Informationsschreiben angesehen, die dazu dienten, die Versicherten über den Abschluss einer Versicherung zwischen der Beklagten und der HEROS-Gruppe zu unterrichten und den Inhalt dieses Vertrages zusammenzufassen. Eine gesonderte Begründung, Stärkung und Sicherung von Rechten der Versicherten folgt daraus nicht (vgl. Senatsbeschluss vom aaO Rn. 30).

25cc) Die Frage, ob die Klägerin den Anfechtungsgrund kannte, ist für die Wirksamkeit der Anfechtung ohne Bedeutung, weil § 123 Abs. 2 BGB hier nicht anzuwenden ist. Sowohl § 123 Abs. 2 Satz 1 als auch Abs. 2 Satz 2 BGB setzen voraus, dass die Täuschung von einem Dritten ausgeht, und können mithin nicht eingreifen, wenn allein eine Täuschung durch den Erklärungsgegner - hier die HEROS-Gruppe als Versicherungsnehmerin - in Rede steht (vgl. , BGHZ 31, 321, 327 f.).

26c) Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, die HEROS-Gruppe habe der Beklagten bei Abschluss der Police Nr. 7509 ihr bis dahin praktiziertes Geschäftsverhalten (vgl. zum Schneeballsystem unter II 1 a) offenbaren müssen.

27aa) Die tatsächlichen Grundlagen, aus denen dies hergeleitet wird, hat das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die strafrechtliche Verurteilung der Geschäftsführer von Unternehmen der HEROS-Gruppe durch das Landgericht Hildesheim und in Übereinstimmung mit der dazu ergangenen Revisionsentscheidung des 3. Strafsenats des , wistra 2008, 427) in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt und dabei die für seine Überzeugungsbildung wesentlichen Gesichtspunkte nachvollziehbar darlegt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom  - IV ZR 140/04, NJW-RR 2005, 1024 unter 1 und 2; , NJW 1991, 1894 unter II 1). Die dagegen gerichteten Angriffe der Beschwerde sind nicht erfolgreich.

28bb) Eine anzeigepflichtige unmittelbare Gefährdung des Vertragszwecks der Versicherung lag bereits im Betreiben dieses Schneeballsystems. Schon zur Zeit des Vertragsschlusses drohte jederzeit dessen Entdeckung und Zusammenbruch mit der Folge, dass zahlreiche Auftraggeber den HEROS-Unternehmen zum Transport übergebene Gelder beziehungsweise deren Gegenwert verlieren konnten. Infolgedessen stand für die Verantwortlichen der HEROS-Gruppe zu erwarten, dass die Versicherer durch zahlreiche Versicherte in Anspruch genommen würden. Damit verlagerte die HEROS-Gruppe ihr eigenes wirtschaftliches Wagnis zum Teil auf die Versicherer und belastete diese bewusst mit einem Risiko, das über die mit dem Abschluss einer Valoren-Transport-Versicherung normalerweise verbundenen Gefahren erheblich hinausging (vgl. Senatsbeschluss vom aaO Rn. 38).

29cc) Anders als die Klägerin meint, ist es hier unerheblich, dass sich die Verantwortlichen der HEROS-Gruppe bei Offenbarung ihrer Geschäftspraktiken gegenüber den Versicherern unerlaubter Handlungen hätten bezichtigen müssen. Insbesondere erwächst aus dem strafprozessualen Privileg, sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen, kein Anspruch darauf, ungeachtet des Verschweigens solcher Umstände dennoch private Rechte voll durchzusetzen oder sich gar versicherungsvertragliche Vorteile zu erschleichen (vgl. Senatsbeschluss vom aaO Rn. 39 f.).

30d) Ob einerseits der von der Beklagten behauptete Irrtum ursächlich für die Willenserklärungen zum Abschluss der Police Nr. 7509 gewesen und andererseits die Anfechtung ausgeschlossen ist, weil die Beklagte den Versicherungsvertrag möglicherweise gemäß § 144 BGB bestätigt hat, kann abschließend erst entschieden werden, wenn geklärt ist, in welchem Umfang und ab welchem Zeitpunkt die Beklagte oder ein ihr möglicherweise gleichstehender Wissensvertreter Kenntnis von denjenigen Tatsachen hatte, über die sie nach ihrer Behauptung getäuscht worden ist.

31aa) Für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung genügt, dass der Getäuschte Umstände dartut, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein können, und die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung auszuüben pflegt. Liegen derartige Voraussetzungen vor, kann - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - ein Beweis des ersten Anscheins dafür gegeben sein, dass die Täuschung einen Einfluss auf die Entschließung des Getäuschten ausgeübt hat (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom  - VIII ZR 212/96, NJW 1997, 1845 unter II 2 b bb; Urteile vom  - V ZR 34/94, NJW 1995, 2361 unter II 3 b und vom  - V ZR 34/74, WM 1976, 111 unter F; Hefermehl in Soergel, BGB 13. Aufl. § 123 Rn. 20, 22).

32bb) Eine Bestätigung nach § 144 BGB setzt voraus, dass der ursprünglich Anfechtungsberechtigte eindeutig zum Ausdruck bringt, den Vertrag endgültig als wirksam gelten zu lassen (vgl. Staudinger/Roth, BGB [2010] § 144 Rn. 1), und dies zu einem Zeitpunkt äußert, zu dem er bereits weiß oder zumindest mit der Möglichkeit rechnet, dass der Gegner ihn bewusst getäuscht hat. Außerdem muss er wissen, dass sich daraus für ihn ein Anfechtungsrecht ergibt (vgl. , NJW-RR 1990, 817 unter III 3; RGZ 128, 116, 119; Staudinger/Roth aaO Rn. 7).

33Zwar hat das Berufungsgericht diese Voraussetzungen auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen ohne Rechtsfehler verneint. Auch insoweit bedarf die Sache aber neuer Verhandlung und Entscheidung, weil neu geprüft werden muss, ob und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt die Beklagte Kenntnis von dem von der HEROS-Gruppe praktizierten Schneeballsystem hatte.

34Erst danach kann entschieden werden, inwieweit rechtsgeschäftlichen Äußerungen der Beklagten nach Vertragsschluss möglicherweise ein Bestätigungswille entnommen werden kann.

353. Der aufgezeigte Gehörsverstoß ist hinsichtlich des von der Klägerin behaupteten Schadens aus der Geldentsorgung entscheidungserheblich, weil die weitere Annahme des Berufungsgerichts, insofern liege kein Versicherungsfall vor, auf einem Rechtsfehler beruht.

36a) Allerdings ist mit der hier genommenen "Valorenversicherung" nur Bargeld - nicht hingegen Buch- oder Giralgeld - gegen typische Transportrisiken bei und während des Werttransports bis zu dessen Abschluss versichert. Eingeschlossen werden zwar Verluste und Schäden, die aus einer Unterschlagung i.S. von § 246 Abs. 1 StGB oder einer Veruntreuung i.S. von § 246 Abs. 2 StGB (veruntreuende Unterschlagung) folgen. Nicht versichert sind dagegen Schäden, die lediglich aus einer Untreue nach § 266 StGB resultieren. Ebenso wenig ist die vertragliche Haftung für den gesamten Transportbetrieb der Versicherungsnehmerin im Sinne einer Haftpflichtversicherung vom Versicherungsschutz umfasst (vgl. dazu Senatsurteil vom aaO Rn. 31 ff., 35 ff.).

37aa) Gegenüber dieser Auslegung des Versicherungsvertrages vermag die Klägerin nicht mit Erfolg geltend zu machen, es habe - abweichend von dessen Wortlaut - zwischen der HEROS-Gruppe und den Versicherern Einigkeit bestanden, dass die Gewährung von Versicherungsschutz nicht davon abhinge, auf welche Art und Weise Gelder verloren gingen, so dass auch Buchgeld einbezogen sei. Einen vom Vertragswortlaut abweichenden Willen der Vertragsparteien hat sie hier nicht dargelegt. Ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG durfte das Berufungsgericht deshalb davon ausgehen, die HEROS-Gruppe als Versicherungsnehmerin und die Versicherer hätten den Vertrag nicht abweichend von seinem Wortlaut dahin verstanden, dass auch "Buchgeld" versichert sei (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 37 ff.; dazu auch Senatsbeschluss vom  - IV ZR 117/09, juris Rn. 4).

38bb) Entgegen der Annahme der Beschwerde kommt gegenüber einzelnen Auftraggebern der HEROS-Gruppe abgegebenen besonderen Versicherungsbestätigungen keine ausreichende Aussagekraft für den Umfang des Versicherungsschutzes zu. Damit lässt sich insbesondere keine generelle, auch zugunsten der Klägerin wirkende Erweiterung des Schutzbereichs der Valorenversicherung begründen (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom  - IV ZR 156/09, juris Rn. 8 und vom  - IV ZR 247/09, VersR 2011, 923 Rn. 14).

39b) Rechtsfehlerhaft geht das Berufungsgericht jedoch davon aus, dass bezüglich des der HEROS Transport GmbH zur Entsorgung übergebenen Bargeldes ein versicherter Verlust oder Schaden i.S. von Ziffer 2.1.1.1 VB deswegen nicht angenommen werden kann, weil die Klägerin jedenfalls gemäß § 242 BGB daran gehindert ist, sich auf eine etwaige vertragswidrige Einzahlung der Gelder durch die HEROS-Gruppe zu berufen.

40aa) Nach der Behauptung der Beklagten ist das von der HEROS Transport GmbH übernommene Bargeld vollständig am Bestimmungsort abgeliefert und dort auf ein Konto der HEROS-Gruppe eingezahlt worden. Dem hat die Klägerin nicht substantiiert widersprochen. Sie hat nur dargelegt, dass das betreffende Bargeld übergeben wurde, sich im Weiteren aber darauf beschränkt, den Vortrag der Beklagten zum Ablauf der Geldentsorgung zu bestreiten, und lediglich vermutet, das an die HEROS Transport GmbH überlassene Bargeld könne bereits vor Einzahlung auf ein HEROS-Konto verschwunden sein. Damit hat die Klägerin ihrer insofern bestehenden Darlegungslast nicht genügt (vgl. dazu Senatsurteil vom aaO Rn. 41). Das führt dazu, dass der Vortrag der Beklagten zum Ablauf der Geldentsorgung zugrunde zu legen ist.

41bb) Diese Einzahlung zu entsorgenden Bargeldes begründet jedoch einen innerhalb des nach Ziffer 3.1 und 3.2 VB versicherten Zeitraums eingetretenen Versicherungsfall i.S. von Ziffer 2.1.1.1 VB, wenn darin der von den Versicherungsbedingungen vorausgesetzte stoffliche Zugriff liegt. Ein solcher Zugriff ist anzunehmen, wenn die geschuldete Übergabe bei Ablieferung des Transportgutes nicht nach den Weisungen der Klägerin ausgeführt worden ist (vgl. dazu Senatsurteil vom  - IV ZR 251/08 unter II 3 b), ohne dass die Klägerin - wie das Berufungsgericht meint - aufgrund von § 242 BGB gehindert ist, sich auf den Eintritt eines Versicherungsfalles zu berufen.

42(1) In diesem Zusammenhang ist zwar nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz § 4 des zwischen der Klägerin und der HEROS Transport GmbH geschlossenen Rahmenvertrages entnehmen will, es sei Letzterer untersagt gewesen, transportiertes Geld im so genannten kontogebundenen Überweisungsverfahren (Pooling-Verfahren) zunächst auf ein für die HEROS-Gruppe eingerichtetes Konto verbuchen zu lassen (so auch der Sachverhalt in den Senatsurteilen vom  - IV ZR 251/08, IV ZR 15/10, IV ZR 16/10, IV ZR 171/10, IV ZR 172/10 und IV ZR 173/10; anders dagegen im Senatsurteil vom aaO Rn. 52 ff.; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom  - IV ZR 156/09, juris Rn. 18 ff. und - IV ZR 247/09 aaO Rn. 20 ff.).

43(2) Zu Unrecht hält das Berufungsgericht die Klägerin jedoch nach § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für nicht berechtigt, sich auf eine etwaige unzulässige, von den Vorgaben des Rahmenvertrages abweichende Handhabung und damit auf den Eintritt eines Versicherungsfalles zu berufen.

44Es meint, die Klägerin habe bereits frühzeitig von der Überweisungspraxis der HEROS-Gruppe gewusst und diese geduldet. Die Verfahrensweise von HEROS habe sich hinreichend deutlich bereits aus der Anzahl der Zahlungseingänge ergeben. So habe die Klägerin in den Jahren 2005 und 2006 täglich meist nur eine Überweisung erhalten. Das habe eine vorherige Bündelung der Gelder auf einem anderen Konto erfordert, da zahlreiche, über die Bundesrepublik Deutschland verteilte Cash-Center mit der Bearbeitung des Bargeldes der Klägerin befasst gewesen seien. Letztere habe nicht annehmen dürfen, dass sämtliche Gelder zunächst zu einem Cash-Center transportiert und erst von dort aus weiter geleitet worden seien. Die Praxis der HEROS-Gruppe habe die Klägerin nicht gerügt und mit dieser Duldung das Recht verloren, sich nunmehr auf eine Vertragswidrigkeit zu berufen. Dem stehe auch ein arglistiges Verhalten der HEROS-Gruppe nicht entgegen.

45Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht übersieht, dass es angesichts der erheblichen Werte, die Gegenstand der Transportaufträge gewesen sind, an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme einer stillschweigenden Duldung der Einzahlung auf ein Eigenkonto der HEROS-Gruppe fehlt. Mit der Einzahlung der zu entsorgenden Gelder waren diese einem erweiterten Zugriff durch die HEROS-Gruppe ausgesetzt. Allein das Schweigen der Klägerin als Auftraggeberin der Transporte führte nicht zu einem Rechtsverlust und durfte von der insofern nicht schutzwürdigen HEROS Transport GmbH auch nicht als Verzicht auf die Rechte der Klägerin aus dem Transportvertrag verstanden werden (vgl. dazu Senatsurteil vom  - IV ZR 251/08 unter II 3 d).

464. Soweit die Klägerin ihr Begehren auf Verluste bei der so genannten Bargeldversorgung (unterlassene Auslieferung von Münzgeld) gestützt und das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hat, deckt die Beschwerde keinen Revisionszulassungsgrund auf. Der dargelegte Gehörsverstoß erweist sich insoweit als nicht entscheidungserheblich, denn das Berufungsgericht hat hier mangels stofflichen Zugriffs auf allein versichertes Bargeld einen Versicherungsfall ohne Rechtsfehler verneint (vgl. auch den Sachverhalt im Senatsurteil vom  - IV ZR 173/10 unter II 2 f). Deshalb kommt es auf die Wirksamkeit der Arglistanfechtung insofern nicht mehr an.

47Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei Feststellung des Versicherungsfalles sind durch das Senatsurteil vom (aaO) geklärt und rechtfertigen insoweit mangels Erfolgsaussichten der beabsichtigten Revision nicht mehr deren Zulassung (vgl. dazu Senatsbeschluss vom - IV ZR 386/02, VersR 2005, 809 unter II 2 m.w.N.).

48III. Die Kostenentscheidung folgt den Grundsätzen des Beschlusses des V. Zivilsenats vom (V ZR 343/02, NJW 2004, 1048). Da die Zurückweisung der Beschwerde lediglich wegen eines gemessen an der Klagforderung von 547.136,34 € geringfügigen Teilbetrages von 3.387,50 € (62,5 Prozent von 5.420 €) erfolgt, und dadurch keine höheren Kosten veranlasst worden sind, hat der Senat davon abgesehen, der Klägerin insofern die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

49IV. Der Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:

50Greift die Anfechtung bezüglich der Police Nr. 7509 nach § 123 Abs. 1 BGB durch, wird neu zu prüfen sein, ob sie auch die einvernehmliche Aufhebung der Vorgänger-Police Nr. 7265 erfasst und im Ergebnis zu deren Wiederaufleben führt.

51Soweit das Berufungsgericht dies bisher verneint hat, begegnet die Begründung des Berufungsurteils rechtlichen Bedenken.

521. Ist der Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, wird davon gemäß § 139 BGB das gesamte Rechtsgeschäft erfasst, es sei denn die Fallumstände rechtfertigen die Annahme, der nicht unmittelbar von der Nichtigkeit betroffene Teil des Rechtsgeschäftes wäre auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden. § 139 BGB erfordert damit zunächst eine Klärung der Frage, ob ein einheitliches Rechtsgeschäft vorliegt, welches lediglich teilweise der Anfechtung unterliegt, oder ob zwei selbständige Rechtsgeschäfte abgeschlossen worden sind, auf die § 139 BGB keine Anwendung findet.

532. Ein einheitliches Rechtsgeschäft i.S. von § 139 BGB ist indes nur anzunehmen, wenn der Wille der Parteien dahin geht, dass die möglicherweise äußerlich getrennten Rechtsgeschäfte miteinander stehen und fallen sollten, mithin das eine nicht ohne das andere von den Parteien gewollt war (vgl. dazu , NJW-RR 2007, 395 Rn. 17 m.w.N.; OLG Saarbrücken aaO 1682 f.).

54Dies hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet (vgl. dazu Senatsbeschluss vom aaO Rn. 55 ff.). Es hat ferner nicht geprüft, ob die Aufhebung des bestehenden Versicherungsvertrages (Police Nr. 7265) bei den Verhandlungen über die Police Nr. 7509 zumindest von der Versicherungsnehmerin nicht ohne den gleichzeitigen Neuabschluss gewollt war und ob dies für die Annahme eines einheitlichen Rechtsgeschäfts deshalb ausreichte, weil die Beklagte bei Abschluss der Police Nr. 7509 erkannt und akzeptiert hat, dass beide Rechtsgeschäfte jedenfalls für die Versicherungsnehmerin miteinander stehen und fallen sollten (vgl. Senatsbeschluss vom aaO Rn. 58 f.).

Dr. Kessal-Wulf                                                   Wendt                                                 Felsch

                                   Harsdorf-Gebhardt                                   Dr. Brockmöller

Fundstelle(n):
DAAAE-00629