BGH Beschluss v. - VII ZB 28/10

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Verzögerung der Briefzustellung durch privaten Beförderungsdienst; Hinweispflicht des Gerichts auf Ergänzungsbedürftigkeit des Vorbringens

Gesetze: § 139 ZPO, § 233 ZPO, § 238 ZPO

Instanzenzug: Az: 9 U 140/09 Beschlussvorgehend LG Konstanz Az: 4 O 493/05 F

Gründe

I.

1Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden. Der Berufungsschriftsatz vom ist am beim Berufungsgericht eingegangen. Das ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom mitgeteilt worden. Die Klägerin hat am Montag, dem , Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie hat dazu vorgetragen, der allein sachbearbeitende Rechtsanwalt habe am Freitag und Samstag, dem 20. und , an einer Baurechtstagung in M. teilgenommen und habe daher erst am Montag, dem , von der Mitteilung des Berufungsgerichts Kenntnis erlangt. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine Teilnahmebescheinigung des Tagungsveranstalters vorgelegt. Hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist hat die Klägerin vorgetragen, der Berufungsschriftsatz sei bei ihren Prozessbevollmächtigten am um 16.00 Uhr von einem privaten Postzustelldienst abgeholt worden, der ihn am dem Berufungsgericht hätte zustellen sollen. Der Schriftsatz sei am um 19.52 Uhr bei dem Postzustelldienst erfasst worden, die Zustellung sei dort für den vorgesehen gewesen. Der verspätete Zugang habe nicht aufgeklärt werden können. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine diese Tatsachen bestätigende E-Mail des Postzustelldienstes vorgelegt.

2Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

31. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Es hat zudem nicht die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beachtet.

42. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

5a) Das Berufungsgericht lässt es dahinstehen, ob die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gestellt hat. Davon ist auszugehen. Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter von der Versäumung der Berufungsfrist erst am erfahren hat und dass ihn hieran kein Verschulden trifft.

6b) Das Berufungsgericht hält den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet. Zwar könne eine Prozesspartei auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes grundsätzlich darauf vertrauen, dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten würden. Die Klägerin habe aber nicht glaubhaft gemacht, dass der Berufungsschriftsatz tatsächlich am dem privaten Zustelldienst überlassen worden sei. Die vorgelegte E-Mail bestätige lediglich die Übergabe eines an das Berufungsgericht gerichteten Großbriefes von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Zustelldienst. Es gehe daraus aber nicht hervor, dass es sich um den Berufungsschriftsatz im vorliegenden Verfahren gehandelt habe. Es sei daher möglich, dass die Postsendung einen anderen, ebenfalls an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatz enthalten habe.

7c) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist versagt.

8aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darauf vertrauen durften, dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten werden (vgl. , NJW-RR 2008, 930).

9bb) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen und damit zugleich den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör verletzt hat.

10Das Berufungsgericht hätte die Klägerin auf seine Zweifel zum Inhalt des Großbriefs hinweisen und ihr Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens hinsichtlich des Versands des Berufungsschriftsatzes geben müssen. Die Klägerin hatte in ihrem Wiedereinsetzungsantrag dargelegt, den Berufungsschriftsatz am um 16.00 Uhr dem Postzustelldienst übergeben zu haben. Der Schriftsatz ging auch tatsächlich, wenn auch verspätet, beim Berufungsgericht ein. Es ging im Wiedereinsetzungsverfahren daher aus Sicht der Klägerin in erster Linie um den Grund für diese Verzögerung und um die Frage des Verschuldens. Es musste sich ihren Prozessbevollmächtigen dagegen nicht aufdrängen, dass das Berufungsgericht Zweifel daran haben könnte, dass es sich bei dem vom Postzustelldienst in seiner E-Mail genannten Großbrief nicht um den Berufungsschriftsatz handeln könnte und dass deshalb insoweit von vornherein nähere Erläuterungen und weitere Glaubhaftmachung erforderlich sein könnten. Auf den notwendigen Hinweis hätte die Klägerin in zulässiger Weise ergänzend vortragen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XI ZB 34/09, FamRZ 2010, 636; vom - IV ZB 30/09, FamRZ 2010, 458 und vom - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212, je m.w.N.).

113. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Die Klägerin hat in der Rechtsbeschwerde dargelegt, was sie nach dem gebotenen Hinweis ergänzend dem Berufungsgericht gegenüber vorgetragen hätte: Im vorliegenden und in einem Parallelverfahren seien am die Berufungsschriftsätze gefertigt und von einer Kanzleiangestellten in einem einzigen Großbrief dem Postzustelldienst übergeben worden; weitere Rechtsstreitigkeiten seien seinerzeit beim Berufungsgericht nicht anhängig gewesen. Die Klägerin hat eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten vorgelegt. Da das Berufungsgericht den Hinweis unterlassen hat, ist dieses klarstellende Vorbringen der Klägerin bei der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zu berücksichtigen.

12Der Klägerin war danach unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Sie hat glaubhaft gemacht, dass die Kanzleiangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten den Berufungsschriftsatz zusammen mit einem weiteren am dem Postzustelldienst übergeben hat. Dies wird noch dadurch bestätigt, dass das Berufungsgericht selbst ausführt, in einem anderen Verfahren sei ebenfalls ein Berufungsschriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom am eingegangen. Damit ist davon auszugehen, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Versäumung der Berufungsfrist kein Verschulden trifft.

13Die Verwerfung der Berufung als unzulässig ist gegenstandslos.

Kniffka                                Kuffer                                   Bauner

                      Eick                                   Leupertz

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW-RR 2011 S. 790 Nr. 11
CAAAD-80294