BFH Urteil v. - V R 7/10 BStBl 2011 II S. 391

Keine Steuerschuld einer Organgesellschaft aufgrund Rechnungserteilung an Organträger

Leitsatz

1. Erteilt eine Organgesellschaft für Innenleistungen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG) Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis an den Organträger, begründet dies für die Organgesellschaft weder nach § 14 Abs. 2 UStG 1993 noch nach § 14 Abs. 3 UStG 1993 eine Steuerschuld.

2. Zu den Voraussetzungen der organisatorischen Eingliederung.

Gesetze: UStG 1993 § 14 Abs. 2 und 3UStG 1993 § 2 Abs. 2 Nr. 2

Instanzenzug: (EFG 2010, 911) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

1Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde mit Gesellschaftsvertrag vom durch einen Zweckverband, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, als Alleingesellschafter gegründet. Die Klägerin war für den Zweckverband im Bereich der Abfallentsorgung gegen Entgelt tätig.

2Die Klägerin ging zunächst davon aus, dass sie umsatzsteuerpflichtige Leistungen gegenüber dem Zweckverband erbringe und erteilte für ihre Leistungen Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis. Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat sie demgegenüber die Auffassung, dass sie aufgrund einer Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) im Streitjahr 1997 nichtsteuerbare Innenleistungen an den Zweckverband als Organträger erbracht habe und reichte eine berichtigte Umsatzsteuer-Jahreserklärung ein, aus der sich eine Steuer von 0 € ergab. Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) nicht. Aufgrund der Prüfung erließ das FA einen Umsatzsteuerjahresbescheid 1997, der der ursprünglichen Jahreserklärung entsprach und hob den nach § 164 der Abgabenordnung bestehenden Vorbehalt der Nachprüfung auf.

3Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) stützte die Klageabweisung mit seinem in „Entscheidungen der Finanzgerichte” 2010, 911 veröffentlichten Urteil darauf, dass die Klägerin bei Vorliegen einer Organschaft Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis erteilt habe und daher trotz Organschaft Steuerschuldner nach § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG sei. Liege keine Organschaft vor, sei der Steuerausweis zu Recht erfolgt. Fraglich sei aber auch, ob im Hinblick auf das Erfordernis der organisatorischen Eingliederung eine Organschaft vorliege. Hierfür sei eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der Klägerin erforderlich. Demgegenüber sei die dem Zweckverband zuzuordnende Person nur Prokurist der Klägerin gewesen. Der Geschäftsführer der Klägerin habe mit dem Zweckverband nichts zu tun gehabt.

4Mit ihrer Revision macht die Klägerin Verletzung materiellen und formellen Rechts geltend. Bei einer Organschaft könne sich aus der Abrechnung von Innenleistungen keine Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG ergeben. Die Voraussetzungen der Organschaft lägen vor. Die organisatorische Eingliederung ergebe sich daraus, dass dieser nur geringes Gewicht zukomme, Gesellschafterversammlung und Beirat ausschließlich mit Mitgliedern der Verbandsversammlung besetzt gewesen seien und vertragliche Bedingungen dem Zweckverband umfangreiche Beherrschungsmöglichkeiten gesichert hätten. Darüber hinaus seien dieselben Büroräume benutzt worden. Das komplette Rechnungswesen sei durch gemeinsames Personal erledigt worden. Im Hinblick auf die Frage der organisatorischen Eingliederung sei außerdem ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

5Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG, den Umsatzsteuerjahresbescheid 1997 vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

6Das FA beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

7§ 14 Abs. 3 UStG sei auf Innenumsätze von Organgesellschaften nicht anwendbar. Zur Organschaft habe das FG keine ausreichenden Feststellungen getroffen, so dass die Sache nicht spruchreif sei.

II.

8Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG ist zu Unrecht von einer Steuerschuld aufgrund eines Rechnungsausweises ausgegangen. Die Feststellungen des FG ermöglichen dem Senat keine Beurteilung der Frage, ob die Klägerin ihre Leistungen als Unternehmer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG zu versteuern hat oder ob sie im Wege der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) als Organ in den Zweckverband als Organträger eingegliedert gewesen ist. Hierzu sind weitere Feststellungen durch das FG zu treffen.

91. Die Klägerin ist nicht aufgrund eines Steuerausweises in Rechnungen Steuerschuldner.

10a) Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 UStG liegen nicht vor.

11aa) § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG hatte im Streitjahr folgenden Wortlaut: „Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen, so schuldet er auch den Mehrbetrag ...”. Steuerschuldner war nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 UStG a.F. „der Unternehmer”.

12bb) Unabhängig vom Vorliegen einer Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) ist die Klägerin nicht nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG Steuerschuldner.

13(1) War die Klägerin selbständig tätig und daher nicht Organgesellschaft, fehlt es bereits an einem überhöhten Steuerausweis für die dann steuerpflichtigen Leistungen der Klägerin.

14(2) Ohne dass der Senat zu entscheiden hat, ob § 14 Abs. 2 UStG auf Innenleistungen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG) überhaupt anzuwenden ist, wäre jedenfalls nicht die Klägerin als Organgesellschaft, sondern nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 UStG „der Unternehmer” und damit nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG der Organträger Steuerschuldner.

15b) Die Klägerin ist auch nicht Steuerschuldner nach § 14 Abs. 3 UStG.

16aa) § 14 Abs. 3 UStG hatte im Streitjahr folgenden Wortlaut: „Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist, schuldet den ausgewiesenen Betrag. Das gleiche gilt, wenn jemand in einer anderen Urkunde, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt.”

17bb) Auch die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 UStG liegen im Streitfall unabhängig vom Bestehen einer Organschaft nicht vor.

18(1) War die Klägerin nicht Organgesellschaft, fehlt es bereits an einem Steuerausweis durch eine hierzu nicht berechtigte Person, da die Klägerin dann als Unternehmer (§ 2 UStG) zum Steuerausweis in Rechnungen befugt war.

19(2) Die Klägerin wäre aber auch als Organgesellschaft zum Steuerausweis berechtigt. Denn bei Bestehen einer Organschaft würde die Klägerin mit Ausnahme der Selbständigkeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) alle Unternehmervoraussetzungen erfüllen. Organgesellschaften sind als Teil eines unternehmerischen Organkreises grundsätzlich zum Steuerausweis berechtigt. Denn bei steuerpflichtigen Leistungen an Dritte besteht keine Verpflichtung, eine durch eine Organgesellschaft erbrachte Leistung durch den Organträger abzurechnen. Die Rechnungserteilung kann vielmehr auch durch die Organgesellschaft im eigenen Namen erfolgen. Dies ergibt sich daraus, dass es sich bei der Organgesellschaft und ihrer Firma um einen Unternehmensteil des Organträgers und damit um eine zusätzliche Firmenbezeichnung des Organträgers handelt.

20Im Hinblick auf § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG war die Klägerin danach zumindest als Teil des Organkreises Unternehmer und zum Steuerausweis berechtigt. Dementsprechend verneint auch die Finanzverwaltung eine Steuerentstehung nach § 14 Abs. 3 UStG für Innenumsätze innerhalb eines Organkreises (Abschn. 183 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1996 ebenso Abschn. 14.1. Abs. 4 der Verwaltungsregelung zur Anwendung des Umsatzsteuergesetzes vom ).

212. Die Sache ist nicht spruchreif, weil die unter II. vor 1. genannten Feststellungen fehlen.

22Im Hinblick auf die organisatorische Eingliederung ist dabei zu beachten, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wirklich wahrgenommen werden muss; maßgeblich ist, dass der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht oder aber zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter nicht möglich ist (vgl. z.B. , BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451, unter II.2., und vom V R 76/05, BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.3.b).

23Die organisatorische Eingliederung setzt weiter in aller Regel eine personelle Verflechtung der Geschäftsführungen des Organträgers und der Organgesellschaft voraus (BFH-Urteil in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, Leitsatz 3). Neben diesem Regelfall kann sich die organisatorische Eingliederung auch daraus ergeben, dass leitende Mitarbeiter des Organträgers als Geschäftsführer der Organgesellschaft tätig sind (, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863, Leitsatz 2). Demgegenüber reicht es nicht aus, dass ein leitender Mitarbeiter des Mehrheitsgesellschafters —wie ggf. im Streitfall— nur Prokurist bei der möglichen Organgesellschaft ist, während es sich beim einzigen Geschäftsführer der GmbH um eine Person handelt, die weder Mitglied der Geschäftsführung noch leitender Angehöriger des Mehrheitsgesellschafters war.

24Eine organisatorische Eingliederung kann sich im Übrigen nicht daraus ergeben, dass eine nicht geschäftsführende Gesellschafterversammlung und ein gleichfalls nicht geschäftsführender Beirat ausschließlich mit Mitgliedern des Mehrheitsgesellschafters besetzt sind, vertragliche Bedingungen dem Mehrheitsgesellschafter „umfangreiche Beherrschungsmöglichkeiten” sichern und darüber hinaus dieselben Büroräume benutzt und das komplette Rechnungswesen durch gemeinsames Personal erledigt werden. Wie der Senat bereits mit BFH-Urteil in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.4. entschieden hat, reicht weder das mit der finanziellen Eingliederung einhergehende Weisungsrecht durch Gesellschafterbeschluss noch eine vertragliche Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung über die Geschäftsführung zur Begründung der organisatorischen Eingliederung aus. Gleiches gilt für die Tätigkeit eines nicht geschäftsführenden Beirats, die Nutzung gemeinsamer Büroräume oder die Erledigung des Rechnungswesens durch gemeinsames Personal von GmbH und Mehrheitsgesellschafter. Im Hinblick auf das Erfordernis, anhand der Eingliederungsvoraussetzungen das Bestehen einer Organschaft rechtssicher feststellen zu können (, BFHE 229, 433, BFH/NV 2010, 1581, unter II.3.b bb (1)), kann es auf derartige Umstände nicht ankommen.

253. Auf die von der Klägerin geltend gemachte Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs hinsichtlich der Frage der organisatorischen Eingliederung kam es nicht mehr an.

Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 391
BB 2011 S. 405 Nr. 7
BBK-KN Nr. 62/2011 (Organgesellschaften schulden bei Innenumsätzen keine Umsatzsteuer nach § 14c UStG )
BFH/NV 2011 S. 543 Nr. 3
BFH/PR 2011 S. 191 Nr. 5
BStBl II 2011 S. 391 Nr. 6
DB 2011 S. 338 Nr. 6
DStR 2011 S. 308 Nr. 7
DStRE 2011 S. 325 Nr. 5
DStZ 2011 S. 218 Nr. 7
GStB 2011 S. 115 Nr. 4
GStB 2011 S. 18 Nr. 5
GmbHR 2011 S. 333 Nr. 6
GmbHR 2011 S. 72 Nr. 5
HFR 2011 S. 457 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 7/2011 S. 501
StB 2011 S. 61 Nr. 3
StBW 2011 S. 209 Nr. 5
StuB-Bilanzreport Nr. 4/2011 S. 156
UR 2011 S. 256 Nr. 7
UStB 2011 S. 104 Nr. 4
WPg 2011 S. 338 Nr. 7
NAAAD-61014