BFH Beschluss v. - X B 212/09

Differenzen zwischen dem Absendevermerk des Finanzamts einerseits und dem Poststempel eines privaten Postdienstleisters andererseits

Gesetze: AO § 122 Abs. 2, FGO § 118 Abs. 2, FGO § 116 Abs. 3

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet.

2 1. Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—) liegt nicht vor.

3 a) Der Senat legt die ursprüngliche Beschwerdebegründung der Kläger vom zu deren Gunsten dahingehend aus, dass bereits mit diesem Schriftsatz im Kern nicht die —wörtlich allein geltend gemachte— „fehlerhafte Fristberechnung durch das Finanzgericht” gerügt werden sollte, sondern der Verfahrensmangel der unberechtigten Entscheidung durch ein Prozess- statt durch ein Sachurteil.

4 b) Auch bei Zugrundelegung dieser Auslegung hat die Verfahrensrüge aber keinen Erfolg.

5 aa) Zwar stellt es nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung einen Verfahrensmangel dar, wenn über eine zulässige Klage nicht in der Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, unter II.3., und vom II B 140/03, BFH/NV 2005, 237, jeweils mit weiteren Nachweisen).

6 Vorliegend hat das Finanzgericht (FG) die Klage jedoch zu Recht als unzulässig verworfen, da die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage (§ 47 Abs. 1 FGO) bereits abgelaufen war.

7 bb) Nach den Feststellungen des FG hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die den Klägern mit einfachem Brief übermittelte Einspruchsentscheidung tatsächlich am (Dienstag) einem privaten Postdienstleister (P) übergeben (vgl. § 122 Abs. 2 Nr. 1 der AbgabenordnungAO—). Die Klage ist aber erst am (Montag) beim FG eingegangen. Ferner hat das FG festgestellt, dass P die durch ihn beförderten Postsendungen mit einem Stempel versieht, in dem nicht etwa das Datum der Übergabe der Postsendung an P, sondern der folgende Werktag, der im Regelfall zugleich den Tag der Zustellung an den Empfänger darstellt, ausgewiesen ist. Im Streitfall lautet dieser Stempelaufdruck auf den .

8 Diese Feststellungen des FG fallen zwar nicht unter die Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO, weil sie die Sachentscheidungsvoraussetzungen betreffen, die der BFH in einem künftigen Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen hätte (vgl. , BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980, unter II.1. vor a). Es ist jedoch auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Kläger —die mit Ausnahme des Verweises auf den Poststempel keinerlei konkrete Angaben zum Zeitpunkt der Absendung oder des Zugangs gemacht haben— angesichts der Erläuterungen des FA zu dem allgemein und im konkreten Fall praktizierten Absendeverfahren sowie der Erklärung des P zur Frage der Stempelung beförderter Postsendungen nicht ersichtlich, dass der Senat in einem künftigen Revisionsverfahren zu einer anderen Würdigung kommen könnte als derjenigen, dass die Einspruchsentscheidung das FA am verlassen hat.

9 Danach endete die Klagefrist gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs am (Freitag). Sie ist durch die erst am eingegangene Klageschrift nicht gewahrt worden.

10 cc) Die Kläger können sich nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung berufen, wonach bei einem Auseinanderfallen von Absendevermerk einerseits und Poststempel andererseits dem Poststempel der Vorrang gebühre (vgl. , BFHE 76, 70, BStBl III 1963, 25; vom I R 37/73, BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155; vom VI R 242/74, BFHE 121, 389, BStBl II 1977, 523, und vom III R 216/81, BFH/NV 1987, 12). Denn sämtliche dieser Entscheidungen betrafen Postbeförderungen durch die damalige Deutsche Bundespost, bei der die Anweisung galt, Sendungen mit einem Stempelaufdruck zu versehen, der Tag und Stunde der Einlieferung bei der Postdienststelle bzw. der Stempelung ausweist (vgl. die Nachweise auf Dienstvorschriften der damaligen Deutschen Bundespost in den BFH-Urteilen in BFHE 76, 70, BStBl III 1963, 25, und in BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155). Hingegen nimmt P eine Vordatierung vor, so dass der Stempelaufdruck im Regelfall den Tag des Eingangs der Postsendung bei deren Empfänger ausweist. Ein solcher Stempelaufdruck lässt aber gerade nicht den —von den Klägern begehrten— Schluss zu, der Absender habe die Sendung dem Postunternehmen erst an dem im Stempelaufdruck ausgewiesenen Tag übergeben.

11 Das von den Klägern darüber hinaus genannte (BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485) enthält von vornherein nicht den von den Klägern angeführten Rechtssatz, in Zweifelsfällen gebühre dem Poststempel der Vorrang.

12 dd) Die von den Klägern geltend gemachten Vertrauensschutzgesichtspunkte sind nicht geeignet, zu einer abweichenden Berechnung der Klagefrist zu führen. Sie hätten den Klägern allenfalls Anlass zur Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bieten können. Indes haben sich die Kläger erstmals in einem am beim FG eingegangenen Schriftsatz auf den Stempelaufdruck berufen, obwohl das FG sie bereits mit Schreiben vom —unter Setzung einer zweiwöchigen Frist— auf die Vorschrift des § 56 FGO hingewiesen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO aber bereits abgelaufen.

13 2. Soweit die Kläger erstmals in ihrem am eingegangenen Schriftsatz geltend machen, die Revision sei auch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, ist die Beschwerde unzulässig. Die —gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO zweimonatige— Frist zur Begründung der Beschwerde gegen das den Klägern am zugestellte Urteil des FG war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen. Nach Ablauf der Begründungsfrist können keine Zulassungsgründe mehr nachgeschoben werden (, BFH/NV 2006, 1299, unter II.2. mit weiteren Nachweisen).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 564 Nr. 4
SAAAD-60999