BFH Urteil v. - III R 18/02 BStBl 2004 II S. 980

Verfahrensrechtliche Voraussetzungen einer abweichenden Ausübung des Veranlagungswahlrechts

Leitsatz

1. Das Veranlagungswahlrecht darf zwar bis zur Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerfestsetzung auch während eines Einspruchs- und Klageverfahrens abweichend ausgeübt werden. Wegen der Verschiedenartigkeit der Veranlagungsarten hat das FA jedoch stets ein eigenständiges Veranlagungsverfahren durchzuführen.

2. Wird eine Klage auf Anfechtung eines Zusammenveranlagungsbescheids geändert in eine Klage auf Verpflichtung des FA zur Durchführung einer getrennten Veranlagung, ist die Klageänderung nur zulässig, wenn neben den Voraussetzungen des § 67 FGO die Sachentscheidungsvoraussetzungen für das Verpflichtungsbegehren erfüllt sind. Dazu gehört insbesondere, dass die Verwaltung zuvor die beantragte Veranlagung durch Bescheid abgelehnt hat oder der Kläger bei Untätigkeit der Behörde einen sog. Untätigkeitseinspruch eingelegt hat.

Gesetze: AO 1977 § 42AO 1977 § 118 Satz 1AO 1977 § 347 Abs. 1 Sätze 1 und 2BGB § 242EStG § 26EStG 26a und § 26bFGO § 44 Abs. 1FGO § 45 Abs. 1FGO § 46 Abs. 1FGO § 67

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf)

Gründe

I.

Die —seit 1997 geschiedenen— Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) beantragten mit ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 1988 die Zusammenveranlagung. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erließ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung antragsgemäß einen Zusammenveranlagungsbescheid. Den Einspruch der Kläger gegen diesen und einen weiteren geänderten Einkommensteuerbescheid vom , mit dem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben worden war, wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.

Mit ihrer am erhobenen Klage machten die Kläger geltend, der Änderungsbescheid habe wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr ergehen dürfen. Im Übrigen sei die Steuerfestsetzung materiell fehlerhaft. Im Rahmen der Zusammenveranlagung werde getrennte Berechnung und Auszahlung beantragt.

Mit Schreiben vom 14. und beantragten die Kläger beim FA die getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer 1988 bis 1993 mit der Begründung, sie hätten bereits seit Jahren dauernd getrennt gelebt. Mit Schreiben vom nahm das FA gegenüber dem Bevollmächtigten des Klägers zu diesem Antrag sowie dem gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide wie folgt Stellung:

„Entgegen den Angaben in den Einkommensteuererklärungen 1988 - 1993 erklären Sie nunmehr, seit Jahren dauernd getrennt zu leben. Bitte erläutern Sie diese widersprüchliche Erklärung und legen Sie schriftliche Erklärungen beider Ehegatten vor, aus denen sich ergibt, seit wann sie dauernd getrennt leben. Ihren o.a. Anträgen kann ich leider nicht entsprechen.”

Der Bevollmächtigte des Klägers teilte daraufhin mit Schreiben vom dem FA u.a. mit, sowohl die Klägerin als auch der Kläger hätten schriftlich gegenüber dem FA die bisherige Form der Zusammenveranlagung für die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1993 widerrufen. Stattdessen sei die getrennte Veranlagung gewählt worden, unabhängig davon, ab wann die „Ex-Eheleute” dauernd getrennt gelebt hätten. Die Anträge und Unterlagen lägen insoweit vollständig dem FA zur Entscheidung vor.

Schließlich forderte der Bevollmächtigte das FA mit Schreiben vom auf, innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Schreibens, die getrennten Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1988 bis 1993 durchzuführen. Anderenfalls werde eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben. Ggf. werde um umgehende Zustimmung zur Sprungklage gemäß § 45 FGO gebeten.

Nachdem das Finanzgericht (FG) im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide die Anträge auf getrennte Veranlagung als rechtsmissbräuchlich beurteilt hatte, beantragten die Kläger zunächst Einzelveranlagungen, stellten aber schließlich wieder den Antrag auf getrennte Veranlagung, weil zwischen ihnen mindestens noch bis 1993 eine Wirtschaftsgemeinschaft bestanden habe. Hilfsweise beantragten sie eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1988 unter Berücksichtigung zusätzlicher Betriebsausgaben der Klägerin in Höhe von 14 300 DM sowie eines Verlustes des Klägers aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 1 042 DM.

Das FG gab der Klage im Hauptantrag statt und verpflichtete das FA, die Kläger für das Streitjahr 1988 getrennt zur Einkommensteuer zu veranlagen. Es führte im Wesentlichen aus:

Die Änderung der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage in eine Verpflichtungsklage sei wegen Sachdienlichkeit zulässig. Die Verpflichtungsklage sei ebenfalls zulässig, auch wenn die Kläger erst während des Klageverfahrens —erstmalig— die getrennte Veranlagung begehrt hätten. Das Veranlagungswahlrecht nach § 26 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei nicht befristet und dürfe bis zur Unanfechtbarkeit der Einkommensteuerfestsetzung, im finanzgerichtlichen Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, ausgeübt werden.

Die Klage sei auch begründet, weil die Voraussetzungen für eine getrennte Veranlagung nach den §§ 26 Abs. 2 Satz 1, 26a EStG erfüllt seien. Die übereinstimmend erklärte Wahl der getrennten Veranlagung sei nicht willkürlich, weil die Kläger persönliche und wirtschaftlich verständliche sowie vernünftige Gründe hierfür vorgetragen hätten (Verlustvor- und -rücktrag). Nach bisheriger Rechtsprechung könne ein Missbrauch nur bei einseitiger Ausübung des Wahlrechts in Betracht kommen. Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen liege auch nicht deshalb vor, weil mit einer getrennten Veranlagung die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen verbunden wäre. Soweit das FA das Vollstreckungsverfahren gegen die Klägerin gemäß § 278 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) erfolgreich betrieben habe, sei in einem eigenständigen Verfahren zu prüfen, ob einem zu erwartenden Erstattungsbegehren mit Hilfe des Anfechtungsgesetzes (AnfG) zu begegnen sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Die geänderte Ausübung des Veranlagungswahlrechts sei rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich. Mit der Durchführung einer getrennten Veranlagung gemäß § 26a EStG könnten die Kläger keine wirtschaftlichen und steuerlichen Vorteile erlangen. Alleiniger Grund sei der Versuch, die Voraussetzungen des § 278 Abs. 2 AO 1977 zu beseitigen, um eine Vollstreckung in das vom Kläger auf die Klägerin übertragene Vermögen zu vereiteln. Indes sei ihrem berechtigten Interesse, ihre Haftung zu beschränken, durch den bestandskräftigen Aufteilungsbescheid vom gemäß §§ 268 ff. AO 1977 hinreichend Rechnung getragen worden.

Als sachlicher Grund für die Ausübung des Wahlrechts werde grundsätzlich auch anerkannt, nicht verbrauchte —eigene— Verluste im Rahmen des Verlustvor- und -rücktrags zu erhalten. Im Streitfall seien jedoch nach Aktenlage keine entsprechenden vor- oder rücktragbaren Verluste vorhanden.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Verpflichtungsklage auf Durchführung der getrennten Veranlagung zur Einkommensteuer 1988 ist als unzulässig durch Prozessurteil abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Hinsichtlich der hilfsweise erhobenen Anfechtungsklage gegen die Einkommensteuerfestsetzung für 1988 ist die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

1. Verfahrensfehlerhaft hat das FG über das geänderte Klagebegehren, das FA zur Durchführung der getrennten Veranlagung zur Einkommensteuer 1988 zu verpflichten, in der Sache entschieden. Die Verpflichtungsklage der Kläger ist bereits mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig (§ 44 Abs. 1 FGO).

Das FG hat zwar insoweit keine Feststellungen getroffen, weil es die Klageänderung allein wegen ihrer Sachdienlichkeit als zulässig angesehen hat. Jedoch hat der Bundesfinanzhof (BFH) von Amts wegen auch noch im Revisionsverfahren in jeder Verfahrenslage das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen im finanzgerichtlichen Klageverfahren zu prüfen (, BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266).

a) Nach § 67 Abs. 1 FGO ist eine Klageänderung zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Darüber hinaus müssen bei fristgebundenen verwaltungsaktbezogenen Klagen für jeden Klageantrag die einschlägigen Sachentscheidungsvoraussetzungen sowohl für das ursprüngliche als auch für das geänderte Klagebegehren vorliegen (, BFHE 106, 8, BStBl II 1972, 703; vom II R 145/86, BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981). Bei einer Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage ist deshalb eine Klageänderung nur innerhalb der Klagefrist zulässig.

Eine objektive Klageänderung liegt vor, wenn während der Rechtshängigkeit das Klagebegehren geändert, d.h. anstelle des ursprünglichen Begehrens oder auch neben ihm ein weiterer Klageantrag gestellt wird (BFH-Urteile in BFHE 106, 8, BStBl II 1972, 703, und vom VIII R 3-5/95, BFH/NV 1996, 481).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann das Veranlagungswahlrecht zwar bis zur Unanfechtbarkeit eines Änderungsbescheides ausgeübt und eine einmal getroffene Wahl hinsichtlich der Veranlagungsart —vorbehaltlich rechtsmissbräuchlicher oder willkürlicher Antragstellung— bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem FG widerrufen werden (, BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408, m.w.N.). Die bis zum Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung unbefristet zulässige Ausübung des Wahlrechts besagt indes nichts darüber, unter welchen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen ein solches Begehren zulässig verfolgt werden kann.

Wird eine Änderung der Veranlagungsart beantragt, so ist das Begehren nicht als Anfechtung der Steuerfestsetzung zu verstehen, sondern als ein auf Durchführung einer erneuten Veranlagung in einer bestimmten Veranlagungsart gerichtetes Verpflichtungsbegehren.

Die im Zusammenhang mit der Änderung eines Steuerbescheides erneut ausgeübte Wahl der Veranlagungsart löst nur die Rechtsfolgen der §§ 26a bis 26c EStG aus, lässt jedoch im Übrigen die Besteuerungsgrundlagen unberührt (, BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824, und in BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408).

Einzelveranlagung (§ 25 EStG), Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) und getrennte Veranlagung (§ 26a EStG) stellen jeweils wesensverschiedene Veranlagungsverfahren dar. Es handelt sich nicht um eine Änderung eines bereits ergangenen Veranlagungsbescheides. Vielmehr bedarf es eines neuen Veranlagungsverfahrens (, BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487; Senatsbeschluss vom III ER -S- 4/97, BFH/NV 1999, 160).

c) Auch bei Änderung einer Anfechtungsklage gegen einen Zusammenveranlagungsbescheid in eine Verpflichtungsklage auf Durchführung einer getrennten Veranlagung darf das FG daher über das Verpflichtungsbegehren nur sachlich entscheiden, wenn neben den Voraussetzungen des § 67 FGO die Sachentscheidungsvoraussetzungen für eine Verpflichtungsklage gegeben sind.

Nach § 44 Abs. 1 FGO ist eine Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO) —vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO— nur zulässig, wenn das Vorverfahren über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt, weil die Kläger erst nach Ergehen der Einspruchsentscheidung vom die Anträge auf getrennte Veranlagung gestellt haben und ein weiteres Einspruchsverfahren nicht durchgeführt worden ist.

2. Ein Vorverfahren ist im Streitfall auch nicht ausnahmsweise unter den Voraussetzungen einer sog. Sprungverpflichtungsklage nach § 45 Abs. 1 FGO entbehrlich.

a) Eine Sprungklage setzt voraus, dass das FA zuvor einen Antrag auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes mindestens durch einen Verwaltungsakt abgelehnt hat (BFH-Urteile in BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981, und vom II R 83/88, BFH/NV 1992, 267). Eine ablehnende Stellungnahme des FA im finanzgerichtlichen Verfahren reicht nicht aus (vgl. BFH-Urteil in BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981).

b) Das FA hat über den Antrag der Kläger auf getrennte Veranlagung bisher nicht verbindlich entschieden. Das Schreiben des FA vom kann nicht als Verwaltungsakt ausgelegt werden.

Bei der Auslegung einer Erklärung kommt es nicht darauf an, was die Finanzbehörde damit gewollt hat. Vielmehr ist ausschlaggebend, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (, BFH/NV 1999, 1446, m.w.N.). Maßgebend ist die Sicht eines objektiven Betrachters, ob einer Erklärung Regelungscharakter zukommt (, BFHE 199, 6, BStBl II 2002, 842). Bedeutsam sind der Wortlaut und die Begründung. Auch kann dem Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung indizielle Bedeutung gegen das Vorliegen eines Verwaltungsaktes zukommen, ohne dass allerdings bereits allein dadurch der Regelungscharakter genommen wird.

Die Kläger haben erstmals mit Schreiben vom 14. und beim FA die getrennte Veranlagung für die Jahre 1988 bis 1993 beantragt und gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer des Klägers für die Jahre 1988 bis 1993 begehrt. Das FA hat in seinem Antwortschreiben an den Bevollmächtigten des Klägers, dem nach Aktenlage auch keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, lediglich dazu aufgefordert, die widersprüchlichen Erklärungen zu erläutern und schriftliche Erklärungen der Eheleute hinsichtlich getrennter Veranlagungen vorzulegen. Diese Aufforderung ergibt keinen Sinn, wenn das FA bereits definitiv, d.h. im Sinne einer endgültigen verbindlichen Regelung, einen Ablehnungsbescheid hätte erlassen wollen. Auch aus der Sicht eines objektiven Betrachters kann dieser Inhalt nur so verstanden werden, dass derzeit noch nicht abschließend über den Antrag auf getrennte Veranlagung entschieden werden könne.

Tatsächlich haben auch die Kläger das Schreiben des FA nicht anders verstanden. Am teilte der Bevollmächtigte der Kläger dem FA mit, beide Kläger hätten mit Schreiben vom 14. und unter Widerruf der bisher beantragten Zusammenveranlagung nunmehr die getrennte Veranlagung beantragt. Bereits diese Erklärung macht deutlich, dass der Bevollmächtigte und die Kläger das Schreiben des FA vom nicht als endgültigen Bescheid über die Ablehnung ihres Antrags angesehen haben; anderenfalls hätten sie vorsorglich Einspruch einlegen müssen. Gleiches ergibt sich aus dem weiteren Schreiben vom , mit welchem der Bevollmächtigte eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 2 FGO androhte. Denn diese Vorschrift betrifft den Fall, dass die Behörde nicht in angemessener Frist sachlich über einen Antrag entschieden hat.

Auch in den nachfolgenden Schriftsätzen vom Januar und März 1998 weisen die Kläger stets auf die Untätigkeit des FA hin, das sich beharrlich weigere, über die Anträge auf getrennte Veranlagung überhaupt zu entscheiden.

c) Außerdem hat das FA einer Verpflichtungsklage ohne Vorverfahren nicht gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift zugestimmt. Die Zustimmung bedarf einer prozessualen Erklärung gegenüber dem Gericht. Das bloße Unterlassen einer Erklärung reicht ebenso wenig aus wie die rügelose Einlassung zur Sache (BFH-Urteil in BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266).

d) Eine Untätigkeitssprungklage wird durch die Sonderregelung in § 46 FGO ausgeschlossen. Eine vor Erlass eines ablehnenden Verwaltungsaktes erhobene Sprungklage in der Form der sog. Vornahmeklage ist vielmehr unheilbar unzulässig (, BFH/NV 2002, 1053; Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 45 FGO Rz. 13, m.w.N.). Auch der nachträgliche Erlass des Verwaltungsaktes oder der Ablehnung des Antrages heilt die Unzulässigkeit der Klage nicht (, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1999, 126, rechtskräftig; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 45 FGO Rz. 13).

3. Die Voraussetzungen für eine —von Amts wegen zu prüfende— Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Verpflichtungsklage abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.

Ist kein Einspruch möglich, weil das FA über den Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts nicht entscheidet, muss vor Erhebung der Klage ein sog. Untätigkeitseinspruch gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 eingelegt werden. Nach dieser Vorschrift ist ein Einspruch auch dann statthaft, wenn geltend gemacht wird, dass über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.

Ist —wie im Streitfall— der Einspruch als Rechtsbehelf nicht nach § 348 AO 1977 ausgeschlossen, so ist eine Verpflichtungsklage wegen Unterlassens eines beantragten Verwaltungsaktes (§ 40 Abs. 1 Alternative 2 FGO) grundsätzlich erst nach erfolglosem Untätigkeitseinspruch zulässig (vgl. auch , BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150).

Die Kläger haben indes weder gegen einen ablehnenden Verwaltungsakt Einspruch einlegen können noch haben sie einen Untätigkeitseinspruch erhoben.

4. Da die mit dem Hauptantrag verfolgte Verpflichtungsklage unzulässig ist, muss über den auf Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1988 gerichteten Hilfsantrag entschieden werden.

Hilfsweise haben die Kläger beantragt, weitere Betriebsausgaben in Höhe von 14 300 DM aus einem Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Mutter sowie einen Verlust des Klägers aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 1 042 DM zu berücksichtigen. Hierzu hat das FG entsprechend seiner Rechtsauffassung noch keine Feststellungen getroffen. Das Fehlen ausreichender Feststellungen stellt einen materiell-rechtlichen Mangel des Urteils dar, der zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache führt (, BFHE 189, 255, BStBl II 1999, 670).

Vor einer erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das FG zu prüfen haben, ob es das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzt, bis über den Antrag auf getrennte Veranlagung bestandskräftig entschieden worden ist. Den Klägern bleibt es unbenommen, wegen der bislang noch nicht beschiedenen Anträge auf getrennte Veranlagung nunmehr einen —gemäß § 355 Abs. 2 AO 1977 nicht befristeten— Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 einzulegen.

5. Aus prozessökonomischen Gründen (dazu , BFHE 174, 103, BStBl II 1994, 569, unter Ziff. 2. d der Gründe) weist der Senat darauf hin, dass das FG im Ergebnis zutreffend die Wahl der getrennten Veranlagung durch die Kläger als wirksam beurteilt hat.

a) Bei dem Veranlagungswahlrecht nach § 26 EStG handelt es sich um ein echtes Wahlrecht, nicht um ein bloßes Antragsrecht, weil zwischen mehreren gleichwertigen Rechtsfolgen gewählt werden kann.

Die Wahl der Zusammenveranlagung nach § 26b EStG führt zur vollen Berücksichtigung des Transfers steuerlicher Leistungsfähigkeit im Rahmen der Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft der Ehegatten, die Wahl der getrennten Veranlagung nach § 26a EStG dagegen nur zu einer Teilberücksichtigung dieses Transfers.

Bei dem eingeräumten Wahlrecht handelt es sich nicht um eine Steuervergünstigung zur Minimierung der Steuer. Es stellt vielmehr einen sachgerechten Kompromiss zwischen dem Schutz der ehelichen Privatsphäre und der Individualbesteuerung der Eheleute dar (vgl. Pfeifer-Engelbach, Die Veranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer, 1995, S. 48 f.; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer: Rechtssystematische Grundlagen steuerlicher Leistungsfähigkeit im deutschen Einkommensteuerrecht, Köln, 1981, S. 635 f.).

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits im Beschluss vom 1 BvL 4/54 (BStBl I 1957, 193) ausgeführt, die Zusammenveranlagung durchbreche den Grundsatz der Individualbesteuerung. Die Wahl der Zusammenveranlagung wird primär —unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen— als Ausübung eines aus dem Institut der Ehe (Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes) abgeleiteten Rechts beurteilt.

b) Die Rechtsprechung hat dieses Wahlrecht allerdings insoweit eingeschränkt, als sich ein Ehegatte nicht einseitig von der bisherigen Zusammenveranlagung lösen dürfe, sofern dafür keine wirtschaftlich verständlichen und vernünftigen Gründe vorlägen, sondern der Antrag als willkürlich motiviert erscheine. Diese Einschränkung wird aus dem auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitet (, BFHE 109, 317, BStBl II 1973, 625, ständige Rechtsprechung).

Der einseitige Antrag eines Ehegatten auf getrennte Veranlagung ist rechtsmissbräuchlich und deshalb unwirksam, wenn der antragstellende Ehegatte keine eigenen positiven oder negativen Einkünfte hat oder wenn diese so gering sind, dass sie weder einem Steuerabzug unterlegen haben noch zur Einkommensteuerveranlagung führen könnten (vgl. , BFHE 163, 341, BStBl II 1991, 451; vom III R 103/87, BFHE 166, 295, BStBl II 1992, 297; ferner zur freien Widerrufbarkeit einer zunächst getroffenen Veranlagungswahl, , BFHE 189, 63, BStBl II 1999, 762, und vom XI R 31/96, BFH/NV 1999, 1333, 1334). Den berechtigten Interessen des einkunftslosen Ehegatten wird durch das Aufteilungsverfahren nach §§ 268 ff. AO 1977 hinreichend Rechnung getragen (Senatsurteil in BFHE 166, 295, BStBl II 1992, 297).

Diese Rechtsprechung bezieht sich indes auf das Verhältnis zwischen den Ehegatten, nicht auf das davon zu unterscheidende öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis zwischen den Steuerpflichtigen und dem FA.

c) Liegen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG vor, so können die Eheleute grundsätzlich zwischen Zusammenveranlagung und getrennter Veranlagung frei wählen. Dieses Wahlrecht wird weder durch den Wortlaut des § 26 EStG noch durch die Regelung in §§ 26a und 26b EStG eingeschränkt. Seine Ausübung ist nicht an eine Frist gebunden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 163, 341, BStBl II 1991, 451). Die Wahl kann daher —wie unter II. 1.b dargelegt— bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im finanzgerichtlichen Verfahren ausgeübt bzw. geändert werden.

Eheleute sind somit an eine einmal getroffene Wahl nicht gebunden. Auch verfahrensökonomische Belange der Finanzbehörde im Hinblick auf eine wiederholte Änderung schränken die Ausübung des Wahlrechts nicht ein (, BFHE 134, 412, BStBl II 1982, 156).

Der VII. Senat des BFH hat allerdings im Urteil vom VII R 56/99 (BFHE 197, 19, BStBl II 2002, 214, unter Ziff. II. 3. b aa und Ziff. 4. der Gründe) offen gelassen, ob ein gemeinsamer Antrag auf getrennte Veranlagung, der erst nach Aufteilung der Gesamtschuld und Einleitung der Vollstreckung nach § 278 Abs. 2 AO 1977 gestellt werde, rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich sein könne, weil er keine wirtschaftlichen oder steuerlichen Vorteile bringe, sondern nur zur Beseitigung der Voraussetzungen des § 278 Abs. 2 AO 1977 diene, um die Vollstreckung in das auf den einkunftslosen Ehegatten übertragene Vermögen zu verhindern. Der VII. Senat brauchte hierüber nicht zu entscheiden, da nach seiner Auffassung —unabhängig davon, ob eine getrennte Veranlagung eine Aufhebung bzw. Änderung des zuvor ergangenen Bescheides über die Zusammenveranlagung bewirke— dieser Umstand jedenfalls nicht zur Aufhebung des zu vollstreckenden Verwaltungsaktes i.S. des § 257 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 führe.

d) Eine Einschränkung in Fällen einer übereinstimmend geänderten Ausübung des Veranlagungswahlrechts kommt im Streitfall nach Auffassung des Senats weder unter dem Gesichtspunkt des § 42 AO 1977 noch nach Treu und Glauben in Betracht.

aa) § 42 AO 1977 setzt voraus, dass die gewählte Gestaltung nach den der jeweiligen steuerrechtlichen Vorschrift zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertungen der Steuerumgehung dienen soll. Hingegen ist für § 42 AO 1977 grundsätzlich kein Raum, wenn der Steuerpflichtige einen vom Steuergesetz vorgezeichneten Weg wählt (, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; vom V R 90/92, BFHE 170, 299, BStBl II 1993, 700; vom VI R 32/89, BFHE 167, 49, BStBl II 1992, 695; vom I R 124/91, BFHE 172, 37, BStBl II 1993, 889, 890).

Der Antrag auf getrennte Veranlagung ist schon deshalb nicht rechtsmissbräuchlich, weil der Fiskus hierdurch voraussichtlich keinen Schaden erleidet, weil die vom FA bereits durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen unbeschadet der Ausübung des Veranlagungswahlrechts bestehen bleiben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 197, 19, BStBl II 2002, 214, unter Ziff. II.4. der Gründe).

bb) Auch im Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörde gilt der Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben. Die an einem konkreten Steuerrechts-(Schuld-)Verhältnis Beteiligten haben Rücksicht auf die berechtigten Interessen des anderen zu nehmen und dürfen sich nicht mit ihrem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch setzen, auf welches der andere vertraut hat (, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990, 991; vom X R 47/88, BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174; , BFH/NV 2003, 1142, m.w.N.; ferner von Groll, Treu und Glauben im Steuerrecht, Finanz-Rundschau 1995, 814).

Allein dadurch, dass die Klägerin einen Aufteilungsbescheid beantragt hat und dieser mangels Anfechtung bestandskräftig geworden ist, ist aber kein Vertrauenstatbestand zugunsten der Finanzbehörde geschaffen worden. Im Hinblick auf die Vollstreckungsmaßnahmen kann die beantragte Änderung der Veranlagungsart nicht treuwidrig sein, weil die bereits vorgenommenen Vollstreckungsakte bestehen bleiben (BFH-Urteil in BFHE 197, 19, BStBl II 2002, 214).

Im Streitfall liegen im Verhältnis zum beklagten FA auch keine derart schwerwiegenden besonderen Umstände vor, die die übereinstimmende Beantragung der getrennten Veranlagung durch die früheren Eheleute als eine illoyale Rechtsausübung erscheinen ließen. Auf die steuerliche Sinnhaftigkeit kann es im Verhältnis zur Finanzbehörde nicht ankommen. Steuerliche Erklärungen von Steuerpflichtigen sind auch im Übrigen nicht deshalb unbeachtlich, weil sie sich für diese nachteilig auswirken (können).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO (dazu , BStBl II 1998, 613, unter Ziff. II. 4. der Gründe, m.w.N.).

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 980
BB 2004 S. 2173 Nr. 40
BFH/NV 2004 S. 1597
BFH/NV 2004 S. 1597 Nr. 11
DB 2004 S. 2196 Nr. 41
DStRE 2004 S. 1309 Nr. 21
INF 2004 S. 805 Nr. 21
KÖSDI 2004 S. 14441 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 42/2005 S. 4453
StB 2004 S. 404 Nr. 11
JAAAB-26722