Erlass von Zinsen wegen der Rückforderung von Investitionszulage bei bloßer geänderter zeitlicher Zuordnung der Investitionszulage
Leitsatz
Ein Erlass von Zinsen im Sinne des § 8 InvZulG 1991 ist geboten, wenn feststeht dass der Steuerpflichtige durch die zurückgeforderte Investitionszulage keinen Vorteil erlangt hat.
Wird wegen falscher zeitlicher Zuordnung von Kosten Investitionszulage für ein Jahr zu hoch und für das Folgejahr in gleichem Umfang zu niedrig festgesetzt, sind nach entsprechender Korrektur der Investitionszulagebescheide die Zinsen gemäß § 227 AO zu erlassen, die nach dem Zeitpunkt der Auszahlung der erstmals festgesetzten (zu niedrigen) Zulage für das Folgejahr entstanden sind. Das gilt auch, wenn die falsche Zuordnung erst durch eine spätere Außenprüfung aufgedeckt wurde.
Die Zinsregelung in § 8 Satz 1 InvZulG 1991 hat keinen Strafcharakter, sondern dient der Abschöpfung eines typischerweise entstandenen wirtschaftlichen Vorteils aus der Nutzung des Kapitals, das zu Unrecht als Zulage ausgezahlt wurde.
Gesetze: AO § 227, AO § 238, InvZulG § 8, FGO § 101, FGO § 102
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der am gegründeten E-GmbH (GmbH).
2 Die Gesellschafterin der GmbH, die K-Aktiengesellschaft (AG), hatte im Jahr 1990 vor Gründung der GmbH zwei Kabinenschiffe bei einer Werft bestellt und hierauf . DM angezahlt. Durch Vereinbarungen mit der AG vom Januar und April 1991 trat die GmbH rückwirkend in die Verträge der AG über den Bau dieser Kabinenschiffe ein. Die im Jahr 1990 angefallenen Kosten erstattete die GmbH der AG im Jahr 1991.
3 Im September 1991 beantragte die GmbH für diese Kosten gemäß §§ 2 bis 5 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991 eine Investitionszulage von 12 % für im Wirtschaftsjahr 1990 geleistete Anzahlungen und entstandene Teilherstellungskosten. Mit Bescheid vom setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung —AO—) antragsgemäß Investitionszulage für das Jahr 1990 in Höhe von . DM zugunsten der GmbH fest und zahlte der GmbH diesen Betrag am aus.
4 Nach Fertigstellung der beiden Schiffe im Jahr 1991 stellte die GmbH mehrere Anträge auf Investitionszulage für das Jahr 1991, wobei sie die Bemessungsgrundlage um die bereits im Bescheid für 1990 berücksichtigten Anzahlungen kürzte. Mit Bescheid vom setzte das FA erstmals die Investitionszulage für 1991 auf . DM fest und erhöhte die Investitionszulage nach weiteren Anträgen der GmbH mit geändertem —weiterhin unter Nachprüfungsvorbehalt stehendem— Bescheid vom auf . DM.
5 Nach einer Außenprüfung änderte das FA die Investitionszulagenbescheide für 1990 und 1991, weil die GmbH die Anzahlungen für die Schiffe nicht im Jahr 1990, sondern —durch Erstattung der Kosten an die AG— erst im Jahr 1991 geleistet habe. Die Investitionszulage für 1990 wurde durch Änderungsbescheid vom auf 0 DM festgesetzt und der ausgezahlte Betrag von . DM zurückgefordert. Im Gegenzug erweiterte das FA die bisherige Bemessungsgrundlage für die Investitionszulage 1991 um die für 1990 geltend gemachten Anzahlungen und Teilherstellungskosten von . DM abzüglich der darin enthaltenen Aufwendungen für geringwertige Wirtschaftsgüter von . DM. Dadurch erhöhte sich in dem geänderten Investitionszulagenbescheid für 1991 vom die bisher festgesetzte Investitionszulage um . DM. Im Änderungsbescheid war vermerkt, dass eine Aufrechnung mit dem geänderten Bescheid für 1990 erfolge. Der Rückforderungsbetrag für 1990 wurde dementsprechend mit dem Erhöhungsbetrag für 1991 verrechnet (Umbuchungsmitteilung vom ), den verbleibenden Rückforderungsbetrag von . DM beglich die GmbH am .
6 Zugleich mit dem geänderten Investitionszulagenbescheid für 1990 setzte das FA gemäß § 8 InvZulG 1991 Zinsen für die Investitionszulage 1990 fest, die es in der Einspruchsentscheidung auf . DM ermäßigte. Die gegen die Zinsfestsetzung erhobene Klage blieb erfolglos.
7 Ohne Erfolg blieb auch der Antrag der Klägerin, wegen sachlicher Unbilligkeit einen Teil der Rückforderungszinsen zu erlassen, da ihr im April 1992, dem Zeitpunkt der erstmaligen Festsetzung der Investitionszulage 1991, bei richtiger zeitlicher Zuordnung die für die Anzahlungen und Teilherstellungskosten zustehende Investitionszulage von . DM zusammen mit der Investitionszulage für die übrigen Aufwendungen des Jahres 1991 ausgezahlt worden wäre. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
8 Das Finanzgericht (FG) wies die Verpflichtungsklage auf Erlass der Rückforderungszinsen in Höhe von . DM mit Urteil vom 3 K 474/04 ab. Es führte im Wesentlichen aus, sachliche Gründe für einen Billigkeitserlass lägen nicht vor. Die GmbH habe die zurückgeforderte Investitionszulage für das Jahr 1990 bis zur Verrechnung mit der geänderten Investitionszulage für 1991 geschuldet. Sie habe einen Liquiditätsvorteil erlangt, denn bevor die Investitionszulage 1991 um die ursprünglich für 1990 bewilligte Investitionszulage erhöht worden sei, habe sie mit Geldern gewirtschaftet, die ihr nicht zugestanden hätten. Der Umstand, dass dem FA bei ordnungsgemäßem Verhalten des Steuerpflichtigen kein Schaden und dem Steuerpflichtigen kein Liquiditätsvorteil entstanden wäre, rechtfertige keine Billigkeitsmaßnahme.
9 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 227 AO.
10 Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, den Ablehnungsbescheid vom sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Zinsen auf den Anspruch auf Rückforderung der Investitionszulage 1990 in Höhe von . DM zu erlassen.
11 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
12 II. Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des FG-Urteils, der Einspruchsentscheidung und des Ablehnungsbescheids zur Verpflichtung des FA, die Rückforderungszinsen in Höhe von . DM (. €) zu erlassen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
13 1. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
14 a) Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 AO (im Streitzeitraum Abs. 3) auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie Zinsen nach den §§ 233 bis 237 AO. Da für Investitionszulagen die für Steuervergütungen der AO geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, gilt § 227 AO auch für die nach § 8 InvZulG 1991 festzusetzenden Zinsen bei Rückforderung der Investitionszulage.
15 b) Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Behörde, die gemäß § 102 FGO gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Im Einzelfall kann der Ermessensspielraum aber so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Ist nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zum Erlass aussprechen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2006, 697; vom V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259, m.w.N.).
16 2. Entgegen der Auffassung des FG und des FA ist die Erhebung der Zinsen für den Anspruch auf Rückforderung der Investitionszulage für 1990 sachlich unbillig, soweit sie auf den Zeitraum nach der Auszahlung der erstmals festgesetzten Investitionszulage für 1991 am bis zur Verrechnung des Rückforderungsanspruchs mit der Erhöhung der Investitionszulage für 1991 im November 1994 entfallen.
17 a) Sachlich unbillig ist die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis vor allem dann, wenn sie im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (BFH-Urteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259). Bei der sachlichen Billigkeitsprüfung müssen grundsätzlich solche Erwägungen unbeachtet bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt. Die Billigkeitsprüfung darf nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen. Andererseits darf sich eine Billigkeitsprüfung nicht in Überlegungen zur richtigen Rechtsanwendung erschöpfen (BFH-Urteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259).
18 b) Wird ein Investitionszulagenbescheid aufgehoben oder zuungunsten des Anspruchsberechtigten geändert, ist der Rückzahlungsanspruch nach § 238 AO vom Tag der Auszahlung der Investitionszulage an zu verzinsen (§ 8 InvZulG 1991). Da der GmbH für das Jahr 1990 keine Investitionszulage zustand, war die Festsetzung aufzuheben und die zu Unrecht festgesetzte Investitionszulage zurückzufordern. Der Zinslauf begann mit der Auszahlung der für 1990 zu Unrecht festgesetzten Zulage am und endete am , als die Rückforderung mit dem Anspruch der GmbH auf die nachträglich erhöhte Investitionszulage für 1991 verrechnet wurde.
19 c) Die Festsetzung der Rückforderungszinsen entspricht für den Zeitraum bis nicht dem Gesetzeszweck, soweit die GmbH für die dieselben Aufwendungen, für welche die Investitionszulage für 1990 festgesetzt und zurückgefordert worden war —die Anzahlungen auf zwei Schiffe—, einen Anspruch auf Investitionszulage für 1991 hat. Denn die Zinsregelung in § 8 Satz 1 InvZulG 1991 hat keinen Strafcharakter, sondern dient der Abschöpfung eines typischerweise entstandenen wirtschaftlichen Vorteils aus der Nutzung des Kapitals, das zu Unrecht als Zulage ausgezahlt wurde (vgl. , BFH/NV 2009, 133; Rosarius in Jasper/Sönksen/Rosarius, Handbuch der Investitionsförderung, § 7 InvZulG 1999 Rz 2; Martin in Heß/Martin, Investitionszulagengesetz, § 12 InvZulG 2010 Rz 1, Rz 13).
20 d) Ein Erlass der Zinsen i.S. des § 8 InvZulG 1991 ist geboten, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige durch die zurückgeforderte Investitionszulage keinen Vorteil erlangt hat (vgl. , BFH/NV 2010, 5, zu § 233a AO). Im Streitfall hatte die GmbH von der erstmaligen Festsetzung und Auszahlung der Investitionszulage für 1991 an keinen Liquiditätsvorteil mehr aus der zu Unrecht am für das Jahr 1990 ausgezahlten Investitionszulage.
21 aa) Für die der AG erstatteten Kosten, soweit sie nicht geringwertige Wirtschaftsgüter betrafen, stand der GmbH eine Investitionszulage für 1991 in Höhe von 12 % zu. Denn die von der AG im Jahr 1990 geleisteten Anzahlungen auf ihre Verträge mit der Werft sind der GmbH trotz des zivilrechtlich rückwirkenden Eintritts zulagenrechtlich erst mit der Erstattung dieser Kosten zuzurechnen, ihr Anspruch auf Investitionszulage entstand mithin erst mit Ablauf des Jahres 1991. Bei zutreffender Antragstellung wäre der GmbH die Investitionszulage für diese Anzahlungen zusammen mit der Investitionszulage für die weiteren im Jahr 1991 entstandenen Kosten am festgesetzt und ausgezahlt worden; die auf der rechtsirrtümlichen Antragstellung beruhende Zulage für 1990 wäre zugleich auf Null herabgesetzt worden.
22 Nur weil trotz Einreichung der betreffenden Unterlagen mit dem Antrag auf Investitionszulage die falsche zeitliche Zuordnung der Kosten erst bei der Außenprüfung im Jahr 1994 auffiel, verzögerte sich die Änderung der Investitionszulagenbescheide für 1990 und 1991 und die Verrechnung des Erhöhungsbetrages für 1991 mit dem Rückforderungsbetrag für 1990 um mehr als zwei Jahre. Durch diese Verzögerung hat die GmbH aber keinen Liquiditätsvorteil erlangt, da ihr die Investitionszulage materiell-rechtlich mit Ablauf des Kalenderjahres 1991 zustand und im April 1992 alle Voraussetzungen für eine Festsetzung gegeben waren.
23 bb) Die Zinsen sind nach § 8 InvZulG 1991 dagegen so entstanden, als hätte die GmbH von April 1992 bis November 1994 einen Liquiditätsvorteil gehabt. Dies wäre aber nur dann der Fall gewesen, wenn sie nicht nur —wie geschehen— im Oktober 1991 zu Unrecht eine Investitionszulage für 1990 auf die Anzahlungen erhalten hätte, sondern außerdem noch im April 1992 die ihr materiell zustehende ungekürzte Zulage für 1991. Eine derartige „doppelte Zulagengewährung” auf die Anzahlungen hat aber nicht stattgefunden, sie hätte nach der Außenprüfung zu einer Rückforderung der Zulage für 1990 geführt, ohne dass die Möglichkeit einer Verrechnung mit der Erhöhung der Zulage für 1991 bestanden hätte.
24 cc) Bei der Prüfung, ob ein Erlass mangels Liquiditätsvorteils geboten ist, sind nach dem (BFH/NV 2005, 1220) grundsätzlich keine fiktiven Sachverhalte zu berücksichtigen. Dies betrifft aber nicht Fälle, in denen —wie im Streitfall— die Rückforderung der Investitionszulage und deren Gewährung für das Folgejahr zusammenhängen. Als das FA erkannte, dass die GmbH wegen der Zahlung erst im Jahr 1991 keinen Anspruch auf Investitionszulage für das Jahr 1990 hatte, stand bereits fest, dass für die geltend gemachten Aufwendungen eine Investitionszulage für das Jahr 1991 zu gewähren war. Mit Aufhebung der Festsetzung für 1990 war zugleich die Investitionszulage für 1991 zu erhöhen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AO-StB 2011 S. 72 Nr. 3
BFH/NV 2011 S. 401 Nr. 3
BFH/PR 2011 S. 114 Nr. 3
KÖSDI 2011 S. 17310 Nr. 2
ZAAAD-60628