BFH Beschluss v. - VIII B 123/10

Behauptung des abweichenden Zugangszeitpunkts eines Verwaltungsakts begründet keine Zweifel an der gesetzlichen Vermutung des Zugangs binnen drei Tagen nach Aufgabe zur Post

Gesetze: AO § 122 Abs. 2 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist nicht begründet. Die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) liegen nicht vor.

2 1. Die Rechtssache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil sie rechtssystematisch bedeutsam ist und ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Entwicklung und Handhabung des Rechts betrifft (ständige Rechtsprechung, s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 23 ff., m.w.N.; , BFH/NV 2007, 1675). Die Frage muss zudem im Revisionsverfahren auch klärungsbedürftig und -fähig sein.

3 a) Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) werfen die Rechtsfrage auf,

ob im Falle, dass objektive Anhaltspunkte fehlen, die Erklärung über den konkreten Zugangszeitpunkt ausreicht, um die gesetzliche Vermutung zu widerlegen, dass der Verwaltungsakt innerhalb von drei Tagen nach Aufgabe zur Post zugegangen ist.

4 Das Finanzgericht (FG) hat seine Entscheidung tatsächlich aber nicht auf das Fehlen objektiver Anhaltspunkte für einen verspäteten Zugang des Bescheides gegründet, sondern darauf, dass die Kläger als Empfänger des Bescheides im Klageverfahren keine auf den konkreten Fall bezogenen Hinweise gegeben haben, die Zweifel an einem späteren Zugang aufkommen ließen; durch die bloße Behauptung, die Bescheide seien erst zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Briefkasten gewesen, ergäben sich keine Zweifel an der Dreitagesvermutung des § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Der fehlende Hinweis auf einen Anhaltspunkt ist nicht mit dem —im vorliegenden Beschwerdeverfahren vorgetragenen— objektiven Fehlen eines Anhaltspunktes gleichzusetzen.

5 b) Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage ist insoweit nicht ersichtlich. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a. dann, wenn die in Rede stehende Rechtsfrage bereits durch die BFH-Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, welche eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erfordern (, BFH/NV 2008, 1874, m.w.N.). So liegt es im Streitfall. Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass § 122 Abs. 2 AO eine an den Tag der Aufgabe des Verwaltungsaktes zur Post anknüpfende Zugangsvermutung —und darüber hinaus eine Zugangsfiktion— enthält (s. , BFH/NV 2010, 824; , BFH/NV 2010, 1081). Dabei genügt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH nicht jedes einfache Bestreiten des Zugangszeitpunkts, um die Zugangsvermutung außer Kraft zu setzen. Dies gilt vielmehr nur dann, wenn der Empfänger substantiiert Tatsachen vorträgt, die schlüssig auf den verspäteten Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen (BFH-Beschlüsse vom IV B 28/98, BFH/NV 1999, 905; vom XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389; vom V B 169/06, BFH/NV 2007, 1454; vom IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115, m.w.N.). Nach den Feststellungen des FG im angefochtenen Urteil fehlte es im Streitfall an einem derartigen substantiierten Tatsachenvortrag. Die allgemein gehaltenen Erwägungen des Klägers dazu, wie es zu Verzögerungen in der Postbeförderung kommen kann, genügen dem nicht. Sie sind nach Aktenlage zudem erstmals im Beschwerdeverfahren vorgetragen worden.

6 c) Zu einem substantiierten, auf einen verspäteten Zugang hindeutenden Tatsachenvortrag hätte etwa die Vorlage des betreffenden Briefumschlags dienen können (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 1454 und in BFH/NV 2010, 1115). Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber mit § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO generell einen Streit über den genauen Zeitpunkt des Zugangs eines Bescheides weitgehend ausschließen wollte (BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1081, m.w.N.), geht die Rechtsprechung zudem davon aus, dass eine Obliegenheit zur Beweisvorsorge besteht, wenn der Adressat einen atypisch langen Postlauf anhand des Poststempels oder des Bescheiddatums erkennen konnte (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1454, m.w.N.).

7 d) Da es an einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage fehlt, kann dahinstehen, warum die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung (unter 4.) von einem Zugang mit dem vierten Tag nach Aufgabe zur Post ausgehen (was den Entscheidungsgründen im angefochtenen Urteil entspricht), während das behauptete Zugangsdatum dem sechsten Tag nach Postaufgabe entspricht.

8 2. Im Hinblick auf die unter 1. dieses Beschlusses zitierte Rechtsprechung ist die Revision auch nicht zur Fortbildung des Rechts erforderlich.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 410 Nr. 3
VAAAD-60304