BFH Beschluss v. - III S 4/11 (PKH)

Darlegung einer Divergenz; keine Gehörsverletzung bei Nichtgewährung eines Schriftsatznachlasses; Zweifel an der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO; Abweisung einer Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig

Gesetze: AO § 122 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 47 Abs. 1, FGO § 76, FGO § 96, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 142, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3

Instanzenzug:

Gründe

1I. Die Klägerin, Beschwerdeführerin und Antragstellerin (Klägerin) begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung von Rechtsanwalt G für ihre Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des .

2Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) wies den gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die drei Töchter der Klägerin gerichteten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom zurück. Mit Schriftsatz vom erhob die Klägerin hiergegen Klage. Die per Telefax übermittelte Klageschrift ging am selben Tag —am — beim FG ein. Die Familienkasse wies in ihrer Klageerwiderung darauf hin, dass die Klage verfristet sei, da die Einspruchsentscheidung am zur Post aufgegeben worden sei und daher als am (Freitag) bekanntgegeben gelte. Im Verfahren berief sich die Klägerin u.a. auf den Eingangsstempel „” ihres Prozessbevollmächtigten und immer wieder vorkommende Verwechslungen der Briefkästen an dessen Kanzleisitz. Auch sei nicht ausgeschlossen, dass der Bescheid erst später von der Familienkasse zur Post aufgegeben worden sei.

3Das FG wies die Klage mit noch am Sitzungstag verkündetem Urteil wegen Versäumung der Klagefrist durch Prozessurteil ab. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung war es insbesondere davon überzeugt, dass die Einspruchsentscheidung der Familienkasse am erstellt und tatsächlich zur Post gegeben worden war. Das FG hatte weiter auch keine Zweifel an dem Zugang der Entscheidung beim Prozessbevollmächtigten innerhalb der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO).

4Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) sowie wegen Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

5II. Der Antrag auf PKH und Beiordnung eines Prozessvertreters ist unbegründet und wird abgelehnt.

61. Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) wird einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

72. Die von der Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine Aussicht auf Erfolg. Die Zulassungsgründe sind entweder schon nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt oder liegen jedenfalls nicht vor.

8a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

9Die Darlegung des Zulassungsgrundes des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar ist und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen. Insbesondere sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist. Liegt zu der vom Beschwerdeführer herausgestellten Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so gehört zu der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fundierte Stellungnahme dazu, weshalb diese Rechtsprechung noch nicht zu einer hinreichenden Klärung geführt habe oder aufgrund welcher neuen Entwicklungen sie nunmehr erneut in Frage gestellt werden müsse (z.B. , BFH/NV 2009, 125, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Klägerin nicht.

10aa) Die Klägerin sieht es als klärungsbedürftig an, inwieweit die „Fiktion” des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO tatsächlich greifen könne, wenn weder die Erstellung des Bescheides noch dessen Aufgabe zur Post konkret bewiesen worden sei. In diesem Zusammenhang sei zu klären, inwiefern ein substantiiertes Bestreiten bzw. Beweisen erforderlich sei, um das Datum der Erstellung des Bescheides und das Datum der Aufgabe zur Post wirksam zu bestreiten. Hieran schließe sich die Frage an, inwiefern ein substantiiertes Bestreiten bzw. Beweisen hinsichtlich des Briefzugangs zumutbar sei, wenn der Posteingang mit Posteingangsstempel versehen werde und der Prozessbevollmächtigte die tägliche Leerung des Briefkastens, insbesondere auch für den fiktiven Zeitpunkt bzw. den nachfolgenden Tag darstelle und auch andere plausible —von der Familienkasse nicht bestrittene— Zugangshindernisse anführe.

11bb) Es ist jedoch geklärt, dass die Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht anwendbar ist, wenn der Tag der Aufgabe des Verwaltungsakts nicht feststeht (, BFH/NV 2002, 1417), und dass der Tag der Bescheidaufgabe sich nicht zwingend aus dem Bescheiddatum ergibt (vgl. Senatsurteil vom III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365). Es ist ebenfalls geklärt, dass, wenn der Steuerpflichtige nicht den Zugang eines Verwaltungsakts überhaupt bestreitet, sondern lediglich behauptet, diesen nicht innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erhalten zu haben, er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren hat, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen (z.B. , BFH/NV 2003, 586). In diesem Zusammenhang ist weiter geklärt, dass zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist ein abweichender Eingangsvermerk allein nicht ausreicht (, BFH/NV 2010, 1115, m.w.N.). Schließlich ist geklärt, dass das FG den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Vorbringens des Steuerpflichtigen über den Zugang des Bescheides aufzuklären und die festgestellten oder unstreitigen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 FGO) gegeneinander abzuwägen hat (, BFH/NV 1993, 75). Mit der vorgenannten Rechtsprechung hat sich die Klägerin nicht auseinandergesetzt und nicht dargelegt, aus welchen Gründen die von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen noch klärungsbedürftig sein sollen.

12cc) Was der Empfänger genau vortragen muss, um die Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO zu erschüttern, ist —entgegen der Ansicht der Klägerin— weder klärungsbedürftig noch in einem Revisionsverfahren klärungsfähig, weil es insofern immer um die —dem FG als Tatsacheninstanz vorbehaltene— Würdigung des konkreten Einzelfalles geht.

13b) Auch die Divergenzrüge genügt weder den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO, noch kann sie in der Sache Erfolg haben.

14aa) Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenz i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidungen sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den vorgeblichen Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung erkennbar zu machen. Des Weiteren ist insbesondere auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (, BFH/NV 2008, 1158). Dabei reichen weder eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen noch die angeblich fehlerhafte Anwendung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles noch schlichte Subsumtionsfehler des FG aus. Erforderlich ist vielmehr die Darlegung der Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1158).

15bb) Im Streitfall ist die Klägerin der Ansicht, es seien „mindestens zwei Divergenzen” zur BFH-Rechtsprechung festzustellen.

16 (1) Eine Divergenz sieht sie zunächst darin, dass das FG aufgrund der —näher wiedergegebenen— BFH-Rechtsprechung in ihrem Fall nicht zu dem Ergebnis habe gelangen dürfen, dass die vom datierende Einspruchsentscheidung tatsächlich auch am zur Post aufgegeben worden sei.

17Damit legt sie aber keine Abweichung der Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar, sondern setzt vielmehr ihre eigene Tatsachen- und Beweiswürdigung sowie Rechtsansicht anstelle der des FG und rügt nach Art einer Revisionsbegründung dessen (vermeintlich) fehlerhafte Rechtsanwendung. Hiermit kann jedoch die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreicht werden (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1115, m.w.N.).

18Soweit die Klägerin zur weiteren Begründung in diesem Zusammenhang insbesondere ausführt, nach dem (BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229) sei auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet, liegt bereits kein vergleichbarer Sachverhalt vor. In dem dort entschiedenen Fall ging es um die Ausgangskontrolle der Behörde bei Erledigung eines fristwahrenden Schriftsatzes und konkret um die Frage, ob der Behörde Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsfrist gewährt werden konnte. Dies ist mit der hier relevanten Frage nach dem Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts jedoch von vornherein nicht vergleichbar. Soweit der von der Klägerin ebenfalls angeführte (juris) in einem dem Streitfall vergleichbaren Fall ebenfalls einleitend ausführt, auch eine Behörde sei zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet, ist eine Divergenz ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. So führt der IX. Senat in seinem Beschluss weiter aus, dass, wenn es an einem Absendevermerk der Poststelle fehle, das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beurteilen müsse, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen halte oder nicht. Nichts anderes hat das FG aber im vorliegenden Fall getan und dabei als Ergebnis seiner Würdigung den als Datum der Aufgabe der Post festgestellt. Somit liegt auch keine Abweichung von den BFH-Urteilen in BFH/NV 2002, 1417, und in BFH/NV 2001, 1365 vor, denn das FG hat weder allein aus dem Datum der Einspruchsentscheidung auf den Postaufgabetag geschlossen, noch ohne Feststellung des Postaufgabetags die Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO angewandt.

19Soweit die Klägerin der Ansicht ist, das FG habe in ihrem Fall nicht zu der Überzeugung gelangen dürfen, dass die Einspruchsentscheidung am versandt worden sei, da der diesbezügliche Vortrag der Familienkasse lediglich allgemein und gerade nicht konkret gewesen sei, rügt sie mithin keine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen, sondern wendet sich gegen die —ihrer Ansicht nach— unzutreffende Anwendung der Rechtsgrundsätze in ihrem Fall.

20 (2) Die weitere Divergenz sieht die Klägerin darin, dass das FG die Ausführungen ihres Prozessbevollmächtigten zum Zugang der Einspruchsentscheidung erst am für zu unsubstantiiert gehalten habe und sich damit in Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH gesetzt habe. Letztlich setzt die Klägerin jedoch auch insoweit lediglich ihre eigene Rechtsansicht anstelle der des FG, um in der Art einer Revisionsbegründung dessen (vermeintlich) fehlerhafte Rechtsanwendung zu rügen.

21Es liegen insoweit auch keine Anhaltspunkte für einen sog. schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler vor, der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO führen kann. Dies würde voraussetzen, dass das angefochtene Urteil des FG an offensichtlichen materiellen oder formellen Fehlern im Sinne einer willkürlichen Entscheidung leidet. Dazu reicht eine (vermeintlich) fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheit des Einzelfalles nicht aus (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2006, 799).

22Bestreitet der Empfänger nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er —wie die Klägerin selbst ausführt— sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische —Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post— ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Es genügt danach nicht schon ein einfaches Bestreiten, um die gesetzliche Vermutung über den Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstücks zu entkräften. Es müssen vielmehr Zweifel berechtigt sein, sei es nach den Umständen des Falles, sei es nach dem schlüssigen oder jedenfalls vernünftig begründeten Vorbringen des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 586).

23Von diesen Rechtsgrundsätzen ist das FG ausgegangen. Es hat den Sachverhalt zu seiner Überzeugung aufgeklärt und die tatsächlichen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO gegeneinander abgewogen und ist danach zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin die gesetzliche Dreitagesvermutung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht erschüttert habe.

24Dabei ist es nicht zu beanstanden, dass es die pauschalen Hinweise auf immer wieder vorkommende Briefkastenverwechslungen am Kanzleisitz des Prozessbevollmächtigten oder Bombenfunde am Sitz des Zustellers als nicht zur Begründung von Zweifeln ausreichendes einfaches Bestreiten gewertet und auch den abweichenden Eingangsvermerk ihres Prozessbevollmächtigten als nicht ausreichend angesehen hat (vgl. hierzu , BFH/NV 2007, 389). Soweit die Klägerin erstmals im Beschwerdeverfahren auf die „täglichen Briefkastenleerungen” in der Zeit vom 17. bis hinweist, handelt es sich zudem um einen neuen Vortrag, der vom BFH nicht berücksichtigt werden kann.

25Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das FG bei seiner Würdigung zum Nachteil der Klägerin berücksichtigt hat, dass der Prozessbevollmächtigte im Hinblick auf die von ihm behaupteten häufigeren Unregelmäßigkeiten keine erkennbare Beweisvorsorge (hierzu vgl. , BFH/NV 2007, 1454) getroffen hatte und dem Gericht z.B. schon nicht die Person benennen konnte, die in der fraglichen Zeit den Posteingang bearbeitete.

26Es ist auch nicht ersichtlich, dass das FG an die Substantiierungspflicht der Klägerin zu hohe Anforderungen gestellt hat. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber mit § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO generell einen Streit über den genauen Zeitpunkt des Zugangs eines Bescheides weitgehend ausschließen wollte, geht die Rechtsprechung vielmehr davon aus, dass eine Obliegenheit zur Beweisvorsorge besteht, wenn der Adressat einen atypisch langen Postlauf anhand des Poststempels oder des Bescheiddatums erkennen konnte (z.B. , BFH/NV 2011, 410). Sollte es —wie von der Klägerin behauptet— zugetroffen haben, dass die Einspruchsentscheidung ihrem Prozessbevollmächtigten tatsächlich erst am zugegangen ist, hätte es angesichts des Bescheiddatums vom daher insbesondere nahegelegen, den betreffenden Briefumschlag aufzubewahren und vorzulegen.

27c) Die Revision ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.

28 (1) Die Rüge, das FG habe durch die Nichtgewährung eines Schriftsatznachlasses ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) verletzt, geht fehl.

29Eine Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör erfordert nicht nur, dass der Beschwerdeführer darlegt, was er bei (ausreichender) Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte, sondern auch, inwieweit dieser Vortrag zu einer für ihn günstigeren Entscheidung des FG hätte führen können (vgl. , BFH/NV 2011, 291, m.w.N.). Zwar führt die Klägerin in ihrer Beschwerdeschrift aus, was sie im Falle der Gewährung der beantragten Frist noch hätte vortragen wollen. Dabei wiederholt sie indes ausschließlich die Ausführungen, die ihr Prozessbevollmächtigter nach eigenem Bekunden bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vorgebracht hatte. Da die Klägerin in einem nachgereichten Schriftsatz mithin keine neuen Aspekte vorgebracht hätte, ist nicht ersichtlich, inwiefern in der Nichtgewährung der beantragten Schriftsatzfrist eine Gehörsverletzung liegen soll. Dementsprechend fehlen auch Ausführungen der Klägerin dazu, inwieweit das Urteil des FG hierdurch hätte anders ausfallen können.

30Darüber hinaus war der Klägerin seit längerem bekannt, dass die Familienkasse von der Verfristung ihrer Klage ausging und sich für die Fristberechnung auf die Postaufgabe der Einspruchsentscheidung am berief. Damit lagen die Voraussetzungen für das Nachreichen eines Schriftsatzes gemäß § 155 FGO i.V.m. § 283 ZPO auch nicht vor. Denn die Ablehnung einer in der mündlichen Verhandlung beantragten Schriftsatzfrist verletzt nur dann den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des anderen Beteiligten nicht eingehen kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist ( (PKH), BFH/NV 2008, 1184, m.w.N.).

31 (2) Auch soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, weil es den —die Grundlage seiner Entscheidung bildenden— Sachverhalt nicht von Amts wegen unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel bis zur Grenze des Zumutbaren so vollständig wie möglich aufgeklärt habe, genügt die Rüge nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht des FG mit der Begründung geltend gemacht, das FG habe —auch ohne entsprechenden Beweisantritt— von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, muss der Beschwerdeführer u.a. nicht nur substantiiert vortragen, welche konkreten Tatsachen das FG hätte aufklären und welche Beweise es von Amts wegen hätte erheben müssen, sondern auch, warum er —jedenfalls sofern er, wie im Streitfall die Klägerin, durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war— nicht von sich aus entsprechende Beweisanträge gestellt hat und sich die Beweiserhebung dem FG auch ohne besonderen Antrag als erforderlich hätte aufdrängen müssen (z.B. , BFH/NV 2006, 118). Dies hat die Klägerin nicht getan.

32Soweit sie in diesem Zusammenhang der Auffassung ist, ihr einfaches Bestreiten der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post am mit Nichtwissen sei ausreichend gewesen, übersieht sie, dass das FG ihren Zweifeln durchaus nachgegangen ist und sich durch formlose „informatorische” Befragung des Vertreters der Familienkasse ein Bild über den dortigen Ablauf der Erstellung und Hingabe von Verwaltungsakten zur Post verschafft hat. Es wäre der Klägerin insoweit zuzumuten gewesen, sich mit der Darstellung des Beklagtenvertreters auseinanderzusetzen und greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die möglicherweise gegen dessen Sachdarstellung sprachen - insbesondere durch Aufbewahrung und Vorlage des Briefumschlags mit einem späteren Datum als dem . Wenn die Klägerin nun erstmals im Beschwerdeverfahren rügt, das FG hätte nicht das Verfahren zur Postabholung im Allgemeinen, sondern den individuellen Postlauf der Einspruchsentscheidung ermitteln müssen, so fehlt der Vortrag, welche Beweismittel zur Klärung dieser Frage zur Verfügung gestanden haben und weshalb ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung nicht von sich aus einen entsprechenden konkreten Beweisantrag gestellt hat (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1454).

33 (3) Auch soweit die Klägerin —ohne weitere Ausführungen— rügt, das FG habe erstmals in seinen Entscheidungsgründen mitgeteilt, dass es ihre Ausführungen zu dem Zugang außerhalb der Drei-Tages-Frist für zu unsubstantiiert halte, hat sie keinen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.

34 (4) Schließlich ist die Entscheidung des FG auch nicht deshalb verfahrensfehlerhaft, weil dieses —wie die Klägerin letztlich meint— durch Prozess- anstatt durch Sachurteil entschieden hat. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gegeben, wenn das FG zu Unrecht ein Prozessurteil erlässt und dadurch auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. BFH-Beschlüsse vom VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, und vom VII B 98/04, BFH/NV 2007, 1345). Ein solcher Verfahrensmangel ist im Streitfall jedoch nicht festzustellen, da die Entscheidung des FG, die Klage wegen Versäumung der einmonatigen Klagefrist nach § 47 Abs. 1 FGO als unzulässig abzuweisen, —wie ausgeführt— nicht zu beanstanden ist.

353. Kommt danach die Bewilligung von PKH nicht in Betracht, ist auch der Antrag der Klägerin abzulehnen, ihr gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 121 ZPO Rechtsanwalt G als Prozessvertreter beizuordnen.

364. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes in Verbindung mit dem Kostenverzeichnis).

Fundstelle(n):
FAAAD-88264