BGH Beschluss v. - VI ZR 249/09

Streit über die Prozessfähigkeit des Klägers: Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde; Hinwirken auf ordnungsgemäße Vertretung des Klägers

Leitsatz

1. Die mögliche mangelnde Prozessfähigkeit des Klägers führt nicht zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde. Für den Streit über die Prozessfähigkeit ist die davon betroffene Partei als prozessfähig anzusehen .

2. Das Gericht muss dafür Sorge tragen, dass einem prozessunfähigen Kläger ermöglicht wird, für eine ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen (im Anschluss an , NJW 2009, 3051) .

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 52 ZPO, § 139 ZPO, § 104 BGB, § 1896 BGB

Instanzenzug: Az: I-8 U 132/07 Urteilvorgehend LG Wuppertal Az: 5 O 5/05 Urteil

Gründe

11. Der Kläger nimmt den Beklagten, einen niedergelassenen Arzt für Radiologie, wegen vermeintlicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit einer Angiographie in Anspruch. Der Beklagte ist den Vorwürfen entgegengetreten und hat unter anderem die Prozessfähigkeit des Klägers bestritten. Durch Zwischenurteil hat das Landgericht die Prozessfähigkeit des Klägers festgestellt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das Zwischenurteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen. Da es gegen sein Urteil die Revision nicht zugelassen hat, beantragt der Kläger mit der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision durch das Revisionsgericht, um sein Klagebegehren weiterzuverfolgen.

22. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es die Klage wegen mangelnder Prozessfähigkeit des Klägers als unzulässig abgewiesen hat, ohne ihm Gelegenheit zu geben, die Bestellung eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht nach § 1896 BGB zu erwirken und dadurch seine prozessualen Rechte wahrzunehmen.

3a) Die mögliche mangelnde Prozessfähigkeit des Klägers führt nicht zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde. Für den Streit über die Prozessfähigkeit ist die davon betroffene Partei als prozessfähig anzusehen (vgl. , BGHZ 110, 294, 295; , BAGE 93, 248, 251).

4b) Die Prozessfähigkeit ist zwingende Prozessvoraussetzung. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Partei prozessunfähig sein könnte, hat deshalb das jeweils mit der Sache befasste Gericht von Amts wegen zu ermitteln, ob Prozessunfähigkeit vorliegt. Dabei ist es nicht an die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses gebunden, vielmehr gilt der Grundsatz des Freibeweises. Verbleiben nach Erschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse hinreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit, so gehen nach ständiger Rechtsprechung etwa noch vorhandene Zweifel zu Lasten der betroffenen Partei (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059, 1060; , BGHZ 143, 122, 124; , BAGE 93, 248, 251 und , NJW 2009, 3051 Rn. 4).

5c) Das Berufungsgericht ist im Streitfall zwar zutreffend von den Grundsätzen des Senatsurteils vom - VI ZR 94/95, aaO ausgegangen. Es hatte aufgrund der realitätsfernen Angaben des Klägers zu seiner Lebensgeschichte und dessen Verhalten in der mündlichen Verhandlung begründeten Anlass, an der Prozessfähigkeit des Klägers zu zweifeln und hat daraufhin versucht, von Amts wegen die Prozessfähigkeit des Klägers durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären. Das in Auftrag gegebene Gutachten konnte jedoch nicht erstellt werden, weil der Kläger auf mehrfache Einladungen des Gutachters zu einem Explorationsgespräch nicht erschienen ist. Deshalb hat das Berufungsgericht schließlich "die zur Beurteilung der Prozessfähigkeit des Klägers erschließbaren Erkenntnisquellen als erschöpft angesehen" und die Klage als unzulässig abgewiesen.

6Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde war das Berufungsgericht im Rahmen des Freibeweises nicht verpflichtet, statt der Aufklärung der Prozessfähigkeit des Klägers mittels eines Sachverständigengutachtens jedes noch so unglaubhafte Detail aus dessen angeblicher Lebensgeschichte auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus gründeten sich die Zweifel des Berufungsgerichts an der Prozessfähigkeit des Klägers nicht lediglich auf dessen unglaubhaften Angaben zu seiner Lebensgeschichte, sondern auch auf seinem auffälligen Verhalten in der mündlichen Verhandlung vom .

7d) Die weitere Verfahrensgestaltung des Berufungsgerichts verletzt jedoch den Kläger in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Ist eine Partei prozessunfähig, kann sie sich nicht eigenverantwortlich äußern. Ihr kann rechtliches Gehör wirksam deshalb nur durch die Anhörung eines gesetzlichen Vertreters gewährt werden. Die Beteiligung allein des Prozessunfähigen reicht zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht aus. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt von den Gerichten, die unterlassene Gewährung rechtlichen Gehörs nachzuholen, sofern die Auslegung des Verfahrensrechts dies ermöglicht (vgl. , NJW 1998, 745; IVb ZR 707/80, BGHZ 84, 24, 29 f. und , aaO Rn. 5). Nachdem das Berufungsgericht aufgrund der objektiven Beweislage von einer Prozessunfähigkeit des Klägers ausging, hätte es durch die weitere Verfahrensgestaltung dafür Sorge tragen müssen, dass ihm das bisher fehlende rechtliche Gehör gewährt wird.

8Die Nichtzulassungsbeschwerde macht mit Recht geltend, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom hilfsweise beantragt hat, diesem einen Prozesspfleger zur Seite zu stellen. Dies ließ erkennen, dass der Kläger jedenfalls insoweit an seiner ordnungsgemäßen Vertretung im Rechtsstreit mitwirken wollte, sich aber im Rechtsirrtum darüber befand, wie und durch wen ein Vertreter zu bestellen war.

9Das Berufungsgericht hätte dem Kläger daraufhin einen Hinweis geben müssen, dass er für eine ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen habe und sich deshalb selbst um die Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB bemühen müsse, der nur vom Vormundschaftsgericht, nicht aber vom Prozessgericht bestellt werden könne. Es hätte ihm dafür vor Erlass des Prozessurteils die nötige Zeit einräumen müssen (vgl. , NJW 1990, 1734, 1736, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 110, 294 und , aaO Rn. 6).

10Das Berufungsgericht wird Gelegenheit haben, dies - falls sich der Kläger nicht doch noch einer Untersuchung durch den Gerichtssachverständigen stellt - im Rahmen einer neuen Verhandlung nachzuholen.

Galke                                   Zoll                             Wellner

                Diederichsen                          Stöhr

Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 10 Nr. 1
NJW-RR 2011 S. 284 Nr. 4
KAAAD-57964