BFH Urteil v. - VIII R 11/08 BStBl 2011 II S. 72

Keine Anwendung des StraBEG auf ordnungsgemäß erklärte Einkünfte

Leitsatz

1. Eine einkommensteuerrechtliche Begünstigung durch das StraBEG wird nur denjenigen Steuerpflichtigen zuteil, die unter den Tatbestand des § 1 Abs. 1 StraBEG fallen.

2. Eine Erstreckung der Begünstigungen, insbesondere des Steuersatzes von 25 v.H., auf die ordnungsgemäß erklärten Einkünfte anderer Steuerpflichtiger ist ausgeschlossen.

Gesetze: EStG §§ 18, 32aStraBEG § 1 Abs. 1GG Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4

Instanzenzug: (EFG 2008, 1238) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

1Im Streit ist, ob die Einkommensteuer für das Streitjahr (2001) im Hinblick auf Bestimmungen des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung —StraBEG— (Art. 1 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom , BGBl I 2003, 2928) niedriger festzusetzen ist.

2Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Mitgesellschafter einer Rechtsanwaltssozietät sowie als Schriftsteller und aus Vortragstätigkeit, ferner aus Kapitalvermögen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) veranlagte den Kläger erklärungsgemäß.

3Mit der nach erfolglosem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid erhobenen Klage machte der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geltend. Seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit würden vollumfänglich der Besteuerung unterworfen, während hinterzogene Einnahmen nach den Bestimmungen des StraBEG nur zu 60 v.H. besteuert würden und bei einer Nacherklärung im Jahre 2004 einem Steuersatz von nur 25 v.H. unterlägen. Dieser partielle Steuerverzicht bei Steuerunehrlichen stehe in krassem Widerspruch zur Behandlung steuerehrlicher Bürger.

4Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2008, 1238).

5Mit seiner Revision trägt der Kläger vor, das FG habe die Anwendung der Bemessungsgrundlage in Höhe von 60 v.H. der Einnahmen und des Steuersatzes von 25 v.H. nach dem StraBEG auf die Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit zu Unrecht verweigert. Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei der Kläger so zu stellen, als könne er die Begünstigungen des StraBEG in Anspruch nehmen. Die Besteuerung gemäß § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) stelle im Vergleich zur Besteuerung steuerunehrlicher Bezieher von steuerpflichtigen Einkünften aus selbständiger Arbeit nach § 1 StraBEG eine Ungleichbehandlung i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG dar, da gleich leistungsfähige Steuerpflichtige ungleich belastet würden, obwohl hierfür kein sachlicher Differenzierungsgrund bestehe. Überdies sei die Ungleichbehandlung unverhältnismäßig, da weniger belastende und gleich effektive Möglichkeiten bestanden hätten, den Steuerhinterziehern eine Brücke in die Steuerehrlichkeit zu bieten, ohne die steuerehrlichen Bürger zu benachteiligen. Dem Kläger stehe ein unmittelbarer Anspruch auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG zu. Seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit seien unter Anwendung der Bemessungsgrundlage und des Steuersatzes des § 1 StraBEG zu besteuern. Die Einbeziehung des Klägers in den Anwendungsbereich des § 1 StraBEG könne darüber hinaus auch durch eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift beziehungsweise des § 18 EStG erfolgen.

6Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2001 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom unter Aufhebung des dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus selbständiger Arbeit unter Anwendung der Bemessungsgrundlage und des Steuersatzes von 25 v.H. des StraBEG der Einkommensteuer unterworfen werden,

hilfsweise, dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob § 18 EStG i.V.m. der Tarifvorschrift des § 32a EStG im Hinblick auf das StraBEG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

7Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8Es folgt im Wesentlichen der Argumentation des FG.

II.

9Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

101. Der Hauptantrag des Klägers, seine Einkünfte nach Maßgabe des § 1 StraBEG herabzusetzen, ist unbegründet.

11Die Einkünfte des Klägers im Streitjahr sind zu Recht der Besteuerung nach den Vorschriften des EStG unterworfen worden, also in Höhe der danach maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen (Gewinn aus selbständiger Arbeit nach § 18 EStG und Einnahmeüberschuss bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, § 20 EStG) und nach dem Steuertarif des § 32a EStG.

12Der Kläger hat keinen Anspruch auf Minderung der Einkommensteuer nach Maßgabe der Regelungen zur steuerlichen Bemessungsgrundlage und zum Steuersatz in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 StraBEG.

13a) Das StraBEG ist nach seinem eindeutigen Gesetzeswortlaut (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und § 6 StraBEG) nicht auf den Kläger anzuwenden, da er für das Streitjahr seine Einkünfte ordnungsgemäß erklärt und damit die Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung (§§ 370, 370a der Abgabenordnung) nicht erfüllt hat (vgl. dazu , BFHE 156, 543, BStBl II 1989, 836, unter C.II.2.; s. ferner Levedag, Finanz-Rundschau 2006, 491, 492, m.w.N.; Matthes, EFG 2010, 986).

14b) Weder das StraBEG noch § 18 EStG i.V.m. § 32a EStG sind verfassungskonform im Sinne der vom Kläger begehrten Rechtsfolge auszulegen.

15Die verfassungskonforme Auslegung obliegt den Gerichten (BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvL 22/93, BVerfGE 97, 186, unter B.I.; vom 1 BvR 2349/96, BVerfGE 99, 129, unter C.I.3.; , 1 BvR 2105/95, BVerfGE 100, 1, unter C.II.2.; Dreier, Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., Art. 1 III, Rz 84, m.w.N.) und besagt, dass bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten einer Norm diejenige zu wählen ist, die das Verdikt der Verfassungswidrigkeit vermeidet und eine Normverwerfung durch das BVerfG auf diese Weise entbehrlich macht. Auslegungsgrenzen bilden dabei einerseits der Wortlaut einer Vorschrift und andererseits der erkennbare Wille des Gesetzgebers und dessen Regelungsziel, das nicht durch Auslegung verfälscht werden darf (vgl. Dreier, a.a.O., Art. 1 III, Rz 84). Ein Normverständnis im Sinne der vom Kläger begehrten Rechtsfolge überschreitet diese Auslegungsgrenzen, weil es im Widerspruch zu dem eindeutigen Wortlaut sowohl des StraBEG wie auch der §§ 18 und 32a EStG wie auch den jeweiligen Gesetzeszwecken steht; ein Fachgericht würde mit einer solchen Gesetzesinterpretation die beim BVerfG konzentrierte Verwerfungskompetenz unterlaufen.

16c) Der Kläger kann eine niedrigere Steuerfestsetzung nach Maßgabe des § 1 StraBEG nicht —wie er meint— unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 oder Art. 19 Abs. 4 GG herleiten. Da, wie dargelegt, eine verfassungskonforme Auslegung nicht in Betracht kommt, könnte der BFH eine etwa gegebene Grundrechtsverletzung durch Vorschriften des StraBEG oder durch §§ 18, 32a EStG aufgrund der ausschließlichen Verwerfungskompetenz des BVerfG allein in Form einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG berücksichtigen.

172. Auch der Hilfsantrag des Klägers ist unbegründet. Die Voraussetzungen einer Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG liegen nicht vor.

18a) Ein Gericht kann die Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung überzeugt ist (vgl. , BVerfGE 124, 251, unter B.2.a). Eine solche Überzeugung vermochte sich der Senat im Streitfall nicht zu bilden.

19aa) Dass Steuerehrliche, die bereits ordnungsgemäß zur Steuer veranlagt worden sind und deshalb die Brücke zur Rückkehr in die Legalität nicht brauchen (s. , BVerfGE 84, 233, BStBl II 1991, 652), nicht in den Kreis der vom StraBEG erfassten Steuerpflichtigen einzubeziehen sind, hat der BFH bereits mehrfach entschieden (BFH-Beschlüsse vom II B 47/07, BFH/NV 2008, 1846; vom VIII B 167/07 und VIII B 168/07, juris, zu Einkünften aus Kapitalvermögen; vom VIII B 138/09, nicht veröffentlicht; vom VI B 87/08, BFH/NV 2010, 605, zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit).

20bb) Das StraBEG ist insbesondere damit begründet worden, dass der Gesetzesvollzug und damit die gleichmäßige Beteiligung aller Steuerpflichtigen an den allgemeinen Lasten in der Praxis an rechtliche und tatsächliche Grenzen stoße. Es sollte ein attraktiver Anreiz für eine freiwillige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit geboten werden (BTDrucks 15/1521, S. 1 und S. 11). Ziel des StraBEG war es hingegen nicht, die Steuerhinterziehung zu belohnen (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2008, 756, unter II.2.a bb). Vor diesem Hintergrund widerspräche es dem verfassungsrechtlichen Postulat der Besteuerungsgleichheit, einen besonderen Befreiungstatbestand auf ordnungsgemäß veranlagte Steuerpflichtige auszudehnen, wenn der Befreiungstatbestand lediglich dem bisher steuerverkürzenden Steuerpflichtigen den Weg zur Legalität ebnen will (BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 233, BStBl II 1991, 652, unter B.2.b).

21Vermögen danach die genannten Erwägungen des Gesetzgebers die „Steueramnestie” des StraBEG und den damit verbundenen partiellen Steuerverzicht gegenüber den nicht durch das Gesetz begünstigten Steuerpflichtigen hinreichend zu rechtfertigen (vgl. dazu BVerfG-Beschluss in HFR 2008, 756, unter II.2.a, m.w.N), so wird dadurch nicht die Verfassungswidrigkeit der regelmäßigen Besteuerung nach dem EStG —im Fall des Klägers gemäß §§ 18, 20 EStG— herbeigeführt. Denn die als Ausnahme konzipierte rechtliche Privilegierung eines bestimmten Personenkreises in Bezug auf bestimmte Sachverhalte hat, wenn sie als Ausnahme verfassungsmäßig ist, nicht die Verfassungswidrigkeit der allgemeinen Grundregeln zur Folge.

22cc) Dem Argument des Klägers, der Gesetzgeber habe durch die Aufnahme aller Einkunftsarten in die Regelung des StraBEG zu erkennen gegeben, dass auch für Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach § 18 EStG ein Vollzugsdefizit bestehe, was zur Verfassungswidrigkeit der Norm führe, ist nicht zu folgen. Ein strukturelles Vollzugsdefizit, das durch Erhebungsregeln gekennzeichnet ist, welche die Durchsetzung der materiellen Steuernorm verhindern oder erschweren (vgl. zuletzt BVerfG-Beschluss in HFR 2008, 756), besteht für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach § 18 EStG ersichtlich nicht.

23b) Jedenfalls wäre eine Vorlage des erkennenden Senats an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG im Streitfall unzulässig.

24Das Verfahren der Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG ist nur zulässig, wenn es für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit der für verfassungswidrig erachteten Norm ankommt (ständige Rechtsprechung, BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 233, BStBl II 1991, 652). Falls § 1 StraBEG durch die darin ausgesprochene partielle Steuerfreistellung den Steuerunehrlichen im Verhältnis zum Steuerehrlichen verfassungswidrig bevorzugen sollte, könnte sich die Beseitigung dieses Gleichheitsverstoßes durch eine gesetzliche Neuregelung auf die Besteuerung des Klägers nur dann auswirken, wenn die begünstigende Regelung des § 1 StraBEG auf alle ehrlichen Steuerpflichtigen erstreckt würde. Eine solche Neuregelung erscheint jedoch schlechthin ausgeschlossen, so dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1 StraBEG i.V.m. §§ 18, 32a EStG hier nicht entscheidungserheblich ist (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 233, BStBl II 1991, 652; BVerfG-Beschluss in HFR 2008, 756; BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2010, 1058).

Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 72
AO-StB 2010 S. 357 Nr. 12
BB 2010 S. 2789 Nr. 46
BB 2010 S. 3070 Nr. 50
BFH/NV 2010 S. 2343 Nr. 12
BFH/PR 2011 S. 33 Nr. 1
BStBl II 2011 S. 72 Nr. 1
DB 2010 S. 2427 Nr. 44
DStRE 2010 S. 1491 Nr. 24
EStB 2011 S. 54 Nr. 2
FR 2011 S. 132 Nr. 3
HFR 2011 S. 52 Nr. 1
KÖSDI 2010 S. 17235 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 46/2010 S. 3682
StB 2010 S. 418 Nr. 12
StBW 2010 S. 1059 Nr. 23
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2010 S. 886
WPg 2010 S. 1219 Nr. 24
EAAAD-54651