BGH Beschluss v. - 3 StR 79/10

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: LG Kleve vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Seine auf die fehlerhafte Anwendung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat die gegen den Angeklagten verhängte Strafe dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG entnommen und bei deren konkreter Bemessung seine Angaben zu weiteren Tatbeteiligten und Taten als "Aufklärungsbemühen" strafmildernd berücksichtigt. Dagegen hat es die Anwendung von § 31 BtMG nicht für möglich gehalten. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Nach den Urteilsfeststellungen wurden der Angeklagte und der nicht revidierende Mitangeklagte am nach der Einfuhr von etwa 7 kg Kokain aus den Niederlanden in die Bundesrepublik festgenommen. Bei ihren polizeilichen Vernehmungen vom machte zunächst nur der Nichtrevident geständige Angaben zur Tat. Der Angeklagte äußerte sich erstmals am - nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Landgericht Kleve mit Beschluss vom (§ 207 StPO) - zu dem Hintermann der Tat sowie zu weiteren Taten und Tatbeteiligten.

Das Landgericht ist der Ansicht, dass eine Strafmilderung nach § 31 BtMG aufgrund dieser Angaben nicht möglich sei, da der späte Zeitpunkt der Aussage erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 31 Satz 2 BtMG, § 46 b Abs. 3 StGB (jeweils in der Fassung des 43. StrÄndG vom , BGBl I 2288, in Kraft seit ) dazu führe, dass § 31 Satz 1 BtMG keine Anwendung finde.

b) Dem kann nicht gefolgt werden. Auf die Angaben des Angeklagten vom zu Betäubungsmitteleinfuhren im Zeitraum Juni/Juli 2009 ist § 31 BtMG in der zur Tatzeit geltenden Fassung, d. h. ohne Präklusionsregelung, anwendbar ().

Art. 316 d EGStGB bestimmt, dass § 46 b StGB und § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG nicht auf Verfahren anzuwenden sind, in denen vor dem die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Diese negativ formulierte Überleitungsvorschrift stellt eine - verfassungsrechtlich unbedenkliche (BVerfGE 81, 132, 136 f.; BGHSt 42, 112, 120; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 2 Rdn. 16) - Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) dar, die die Gerichte in bereits rechtshängigen Verfahren von der gegebenenfalls schwierigen Bewertung entbinden soll, ob die alte oder neue Fassung des § 31 BtMG nach den Umständen des konkreten Einzelfalls das mildere Gesetz sei (BTDrucks. 16/6268 S. 17: etwa im Hinblick auf die Frage einer Milderung nach § 49 Abs. 1 oder 2 StGB oder eines Absehens von Strafe).

Sie bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften - und damit auch die Präklusionsvorschrift des § 46 b Abs. 3 StGB - ohne weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem beschlossen worden ist. Für die Frage des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts gelten vielmehr die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB).

Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung, nach der § 46 b Abs. 3 StGB i. V. m. § 31 Satz 2 BtMG nF auch dann Anwendung finden soll, wenn dies zur Versagung einer nach alter Rechtslage gegebenen Milderungsmöglichkeit nach § 31 BtMG führt und damit eine für den Angeklagten nachteilige Änderung des zur Tatzeit geltenden materiellen Rechts darstellt, findet in der Gesetzesbegründung keine Stütze. Diese geht erkennbar nur von der Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) aus. Auch die dortige Formulierung, dass § 46 b StGB in Strafverfahren "anwendbar" sei, in denen bei Inkrafttreten der Neuregelung am noch kein Eröffnungsbeschluss ergangen ist (BTDrucks. aaO), kann keinen Anwendungsautomatismus in Bezug auf die neuen Vorschriften begründen. Zwar wird die mit dem 43. StrÄndG eingeführte Kronzeugenregelung in Kriminalitätsbereichen, in denen es bislang keine entsprechenden bereichsspezifischen Vorschriften gab, die mildere Regelung darstellen und daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB in nach dem eröffneten Verfahren regelmäßig Anwendung finden. Dies ist jedoch in Bereichen, in denen schon bisher sog. "kleine Kronzeugenregelungen" galten (§ 31 BtMG aF, § 261 Abs. 10 StGB aF), nicht der Fall. Hier ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die neue oder die alte Regelung der Rechtsfolgen einer Aufklärungs- bzw. Präventionshilfe in ihrer Gesamtheit die für den Angeklagten günstigere Gesetzeslage darstellt.

Einer Auslegung des Art. 316 d EGStGB dahin, dass in den ab dem eröffneten Verfahren stets § 31 BtMG nF anzuwenden ist, kann auch deshalb nicht gefolgt werden, weil dies eine Änderung der mit Verfassungsrang (Fischer, StGB 57. Aufl. § 2 Rdn. 2; Eser aaO Rdn. 1) versehenen Vorschrift des § 2 Abs. 1 StGB und damit einen Verstoß gegen das im Strafrecht absolut geltende Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) darstellen würde. Zu den vom Rückwirkungsverbot erfassten Normen gehören auch jene Regeln, die über die Art und Weise der Rechtsfolgen der Erfüllung eines Straftatbestandes entscheiden und damit auch die Vorschriften über die Strafzumessung (vgl. BVerfGE 105, 135, 156 f.; Schulze-Fielitz in H. Dreier, Grundgesetz-Kommentar 2. Aufl. Art. 103 Abs. 2 Rdn. 24). Dass § 31 BtMG tatbestandlich an das Nachtatverhalten und einen etwaigen Aufklärungserfolg anknüpft, mithin an Sachverhalte, die (teilweise) in die Zeit nach Inkrafttreten des 43. StrÄndG fallen, ändert daran nichts. Mit der gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit ist der gesamte sachliche Rechtszustand gemeint, von dem die Zulässigkeit und die Modalitäten der Ahndung einer Straftat abhängen (Fischer aaO § 1 Rdn. 15; Eser aaO § 2 Rdn. 20; Rudolphi in SK-StGB § 2 Rdn. 8; Schmitz in MünchKomm-StGB § 2 Rdn. 10; Schulze-Fielitz aaO Rdn. 23 ff., 50).

2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Rahmen der neuen Strafzumessung sind ergänzende Feststellungen, insbesondere zur Frage eines Aufklärungserfolges, möglich, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.

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Fundstelle(n):
SAAAD-45288