BGH Urteil v. - IX ZR 206/08

Leitsatz

[1] Auf der Grundlage eines Insolvenzplans kann der Insolvenzverwalter nur einen bereits rechtshängigen Anfechtungsrechtsstreit fortsetzen, aber nicht einen neuen einleiten. Eine solche Befugnis kann dem Insolvenzverwalter nicht durch eine Entscheidung des Insolvenzgerichts eingeräumt werden.

Gesetze: InsO § 259 Abs. 3

Instanzenzug: LG Erfurt, 3 O 1801/07 vom

Tatbestand

Der Kläger wurde in dem auf den Eigenantrag vom durch das Amtsgericht Dresden am über das Vermögen der B. GmbH eröffneten Insolvenzverfahren zum Verwalter bestellt. In der Gläubigerversammlung vom bestätigten die Gläubiger einen Insolvenzplan, der keine Regelung zu den Befugnissen des Insolvenzverwalters enthält. Das Amtsgericht Dresden hob durch Beschluss vom das Insolvenzverfahren auf; zugleich wurde der Kläger ermächtigt, Anfechtungsansprüche im eigenen Namen gerichtlich und außergerichtlich geltend zu machen.

Mit der am eingereichten und am zugestellten Klage verlangt der Kläger im Wege der Insolvenzanfechtung von der Beklagten Zahlung in Höhe von 15.000 EUR. Das Landgericht hat die Klage unter Berufung auf eine fehlende Prozessführungsbefugnis des Klägers als unzulässig abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Sprungrevision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Gründe

Die Sprungrevision bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat ausgeführt, die Klage sei als unzulässig abzuweisen, weil dem Kläger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Prozessführungsbefugnis fehle, eine Anfechtungsklage zu erheben. § 259 Abs. 3 InsO eröffne die Möglichkeit einer fortgesetzten Prozessstandschaft des Insolvenzverwalters lediglich für den Fall, dass bereits ein Rechtsstreit über die Insolvenzanfechtung anhängig und die Prozessführungsbefugnis im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen sei. Beide Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Die durch den Beschluss des Amtsgerichts ausgesprochene Ermächtigung verleihe keine weiterführenden Rechte. Die Anordnung sei unwirksam, weil die Prozessführungsbefugnis nicht ohne Rechtsgrundlage verliehen werden könne. In die gesetzlichen Vorgaben des § 259 Abs. 1, 3 Satz 1 InsO könnten die Gerichte nicht eingreifen, weil die Befugnisse der Parteien kraft Amtes nach der Systematik des Zivilverfahrensrechts durch die objektive materielle und formelle Rechtsordnung vorgegeben seien.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

1. Dem Kläger fehlte nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens mangels Anwendbarkeit des § 259 Abs. 3 InsO die Prozessführungsbefugnis, einen neuen Anfechtungsprozess rechtshängig zu machen.

a) Die Ausübung des Anfechtungsrechts ist im Regelinsolvenzverfahren ausschließlich dem Insolvenzverwalter überantwortet, weil der Erfolg der Anfechtung der seiner Verwaltung und Verfügung unterliegenden (§ 80 InsO) Insolvenzmasse zugute kommt. Die Anfechtungsbefugnis des Verwalters geht als Bestandteil seiner allgemeinen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis mit der rechtskräftigen Beendigung des Insolvenzverfahrens, gleich ob sie auf einer Aufhebung (§§ 200, 258 InsO) oder Einstellung (§ 215 InsO) beruht, unter (BGHZ 83, 102 f; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 129 Rn. 210). Darum entfällt mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens neben der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zugleich die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters (, ZIP 1992, 1152 f). Eine von dem Insolvenzverwalter noch in Ausübung seines Amts rechtshängig gemachte Anfechtungsklage erledigt sich mit der Beendigung des Verfahrens (Münch-Komm/Kirchhof, a.a.O. § 129 Rn. 225; Ehricke in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 129 Rn. 6; ebenso BT-Drucks. 12/2443 S. 214).

b) Wird das Insolvenzverfahren nach der Schlussverteilung aufgehoben (§ 200 Abs. 1 InsO), jedoch eine Nachtragsverteilung angeordnet (§ 203 Abs. 1, 2 InsO), bleibt der Insolvenzverwalter ausnahmsweise befugt, anhängige Prozesse fortzusetzen und neue einzuleiten, mit denen die der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Masseaktiva realisiert werden sollen. Da der Anfechtungsanspruch ein Masseaktivum darstellt, kommt auch insoweit die Anordnung einer Nachtragsverteilung in Betracht. Gegebenenfalls ist der Insolvenzverwalter legitimiert, einen Anfechtungsprozess erst nach vollzogener Schlussverteilung einzuleiten (MünchKomm-InsO/Kirchhof, a.a.O. § 129 Rn. 211; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 129 Rn. 85; Uhlenbruck/Hirte, InsO 12. Aufl. § 129 Rn. 25; vgl. ferner BGHZ 83, 102, 103; a.a.O.).

Die Ermächtigung des Insolvenzgerichts, der Insolvenzverwalter dürfe nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Anfechtungsansprüche gerichtlich oder außergerichtlich geltend machen, bedeutet nicht die Anordnung einer Nachtragsverteilung. Eine solche ist im Insolvenzplanverfahren nicht vorgesehen. Für den Fall, dass ein Konkursverfahren nicht durch eine Schlussverteilung mit möglicher Nachtragsverteilung (§§ 149 ff KO), sondern durch einen Zwangsvergleich (§§ 173 ff KO) beendet worden ist, hat der Bundesgerichtshof lediglich ein Recht des Insolvenzverwalters zur Fortführung eines anhängigen Anfechtungsprozesses in Betracht gezogen und dies auch nur dann, wenn der Zwangsvergleich den Anfechtungsprozess erwähnt (BGHZ 83, 102, 104). Diesen Rechtsgedanken hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung für das Insolvenzplanverfahren mit der Vorschrift des § 259 Abs. 3 InsO aufgenommen. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift kann nicht auf den Rechtsgedanken einer "Nachtragsverteilung" zurückgegriffen werden.

c) § 259 Abs. 3 InsO verleiht dem Insolvenzverwalter nach Bestätigung des Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, einen anhängigen Anfechtungsrechtsstreit fortzuführen, wenn dies im gestaltenden Teil des Planes vorgesehen ist. Mit Hilfe dieser Regelung soll abweichend vom früheren Rechtszustand vermieden werden, dass sich der Anfechtungsprozess mit der Aufhebung des Verfahrens erledigt und der Anfechtungsgegner aus diesem Grund den gegen ihn eingeleiteten Rechtsstreit zu verschleppen sucht (BT-Drucks. 12/2443 S. 214). Zwar kann die Insolvenzanfechtung als spezifisches Instrument des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nur während der Dauer des Verfahrens von dem Insolvenzverwalter kraft seines Amtes ausgeübt werden. In Durchbrechung dieses Grundsatzes wird ausnahmsweise durch § 259 Abs. 3 InsO auf Grund einer Entscheidung der Gläubiger in dem Plan die Prozessführungsbefugnis des Verwalters für schwebende Verfahren über die Dauer des Insolvenzverfahrens hinaus aufrechterhalten (Otte in Kübler/ Prütting/Bork, a.a.O. § 259 Rn. 11). Der Vorbehalt nach § 259 Abs. 3 InsO ermöglicht dem Verwalter, noch im Zeitraum zwischen der Abstimmung über den Insolvenzplan und der Verfahrensaufhebung auf der Grundlage erst jetzt bekannt gewordener Tatsachen Anfechtungsklage zu erheben (, ZIP 2006, 39, 40 f Rn. 11). Die auf einen noch nicht beendeten (BT-Drucks. 12/2443 S. 214), "anhängigen Rechtsstreit" zugeschnittene Regelung erlaubt aber nicht, eine Anfechtungsklage erst nach Aufhebung des Verfahrens zu erheben (HK-InsO/Kreft, a.a.O. § 129 Rn. 85 a.E.; FK-InsO/Jaffé, 5. Aufl. § 259 Rn. 19 ff; MünchKomm-InsO/Huber, a.a.O. § 259 Rn. 21; Otte in Kübler/Prütting/Bork, a.a.O. § 259 Rn. 11). Ist das Insolvenzverfahren aufgehoben worden, schließt das Gesetz eine Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters für neue, erst anhängig zu machende Anfechtungsklagen schlechthin aus (vgl. BGHZ 175, 86, 89 f Rn. 10). Angesichts ihres Ausnahmecharakters kann die Vorschrift auf andere als schwebende Verfahren nicht analog angewendet werden (FK-InsO/Jaffé InsO 5. Aufl. § 259 Rn. 21; Uhlenbruck/Lüer, a.a.O. § 259 Rn. 20).

d) Mit Rücksicht auf dieses eindeutige Auslegungsergebnis kommt die Regelung des § 259 Abs. 3 InsO auf den von dem Kläger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtshängig gemachten Anfechtungsprozess bereits im Ansatz nicht zur Anwendung. Neben dem unabdingbaren Merkmal eines anhängigen Rechtsstreits (vgl. BGHZ 175, 86, 90 Rn. 10) fehlt es auch an dem von § 259 Abs. 3 InsO vorausgesetzten Vorbehalt im Insolvenzplan (vgl. a.a.O. S. 40 ff). Das Landgericht hat im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausdrücklich ausgeführt, dass der Plan zu den Befugnissen des Insolvenzverwalters keine Regelung enthält. Diese tatbestandliche Feststellung (§ 314 ZPO) ist mangels eines von dem Kläger gestellten Tatbestandberichtigungsantrags für das Revisionsverfahren bindend (, WM 2009, 662, 663 Rn. 13). Soweit der Kläger geltend macht, der Erlös aus Anfechtungsprozessen sei bereits in die Insolvenzquote eingeflossen, wird damit nicht vorgetragen, dass die Notwendigkeit, weitere Anfechtungsprozesse zu führen, in dem Insolvenzplan offen gelegt wurde.

2. Die Prozessführungsbefugnis des Klägers kann nicht aus dem - nach dem Klägervorbringen einer ständigen Praxis entsprechenden - Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom hergeleitet werden.

a) Zwar ist der Kläger nach dem Inhalt dieses Beschlusses zur gerichtlichen Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen ermächtigt worden. Diese Entscheidung ist jedoch insoweit nichtig und darum nicht geeignet, für die Beurteilung der Prozessführungsbefugnis des Klägers in vorliegendem Rechtsstreit eine Bindungswirkung zu entfalten. Eine Anordnung, welche eine Behörde innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises trifft, darf aus Gründen der Rechtssicherheit in ihrer Wirksamkeit nicht allein deshalb in Frage gestellt werden, weil sie mit dem materiellen Recht nicht im Einklang steht. Jedoch ist ihr wegen Nichtigkeit jede Rechtswirkung zu versagen, wenn die getroffene Maßnahme jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGHZ 33, 195, 201; 41, 303, 309; 121, 98, 101; 142, 51, 57 f; 172, 278, 282 Rn. 15; , WM 2008, 838, 839 Rn. 8; Stein/Jonas/Bork, ZPO 22. Aufl. § 51 Rn. 29; MünchKomm-ZPO/Lindacher Rn. 21 vor §§ 51, 52; Musielak/ Weth, ZPO 7. Aufl. § 51 Rn. 12; Gehrlein in Prütting/Gehrlein, ZPO 2009 § 53 Rn. 3).

b) Materiellrechtliche Fehler bei der gerichtlichen Anordnung einer Pflegschaft führen nicht ohne weiteres zur Nichtigkeit der Maßnahme (BGHZ 33, 195, 201; 41, 303, 309). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Gericht kraft gesetzlicher Regelung grundsätzlich zur Bestellung eines Pflegers berufen ist und mithin ein bloßer Rechtsanwendungsfehler nicht ohne weiteres über die Rechtswidrigkeit hinaus zur Nichtigkeit der Maßnahme führt. Demgegenüber wird die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach Verfahrensaufhebung an zwei nicht in die gerichtliche Zuständigkeit fallende Voraussetzungen geknüpft, nämlich die Anhängigkeit eines Anfechtungsprozesses und eine von den Gläubigern beschlossene Klausel in dem Insolvenzplan über die Fortführung des Prozesses. Wenn die Ermächtigung im Insolvenzplan für die Fortsetzung eines Rechtsstreits über eine Insolvenzanfechtung (§ 259 Abs. 3 InsO) nicht besteht oder den konkreten Anfechtungsprozess nicht erfasst, entfällt das Anfechtungsrecht (vgl. , WM 2008, 1615, 1617 Rn. 15). Dem Insolvenzverwalter ist die Fortsetzung eines anhängigen Verfahrens also nur auf der Grundlage eines Beschlusses der Gläubiger gestattet. Danach ist das Gericht in die Entscheidung, ob ein anhängiger, eine Insolvenzanfechtung betreffender Rechtsstreit fortgeführt werden darf, nach dem im Wortlaut des § 259 Abs. 3 InsO zum Ausdruck gekommenen eindeutigen Willen des Gesetzgebers gar nicht eingebunden. Räumt das Gericht dem Insolvenzverwalter gleichwohl die Befugnis zur Geltendmachung von Anfechtungsklagen ein, handelt es sich, weil das Gericht unter keinen wie auch immer gearteten Umständen mit der Sache befasst sein kann, um einen Fall der absoluten Unzuständigkeit, der zur Nichtigkeit der Anordnung führt (vgl. BVerwG NJW 1974, 1961, 1963; BSGE 24, 162, 168; Kopp/Ramsauer, VwVfG 10. Aufl. § 44 Rn. 14; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 7. Aufl. § 44 Rn. 170). Bei dieser Sachlage geht eine gerichtliche Anordnung über die Geltendmachung von - überdies noch gar nicht anhängigen - Anfechtungsansprüchen durch den Insolvenzverwalter mangels Eingreifens einer jeglichen Rechtsgrundlage von vornherein als nichtig ins Leere.

3. Die Nichtigkeit der Ermächtigung über die Verfahrensfortsetzung berührt nicht die Wirksamkeit des zugleich ergangenen Beschlusses über die Verfahrensaufhebung.

Da ein Hoheitsakt die Vermutung der Richtigkeit und Gültigkeit für sich hat, ordnet § 44 Abs. 4 VwVfG abweichend von § 139 BGB an, dass die teilweise Nichtigkeit einen Hoheitsakt nicht im Ganzen ergreift, sondern vielmehr Teilnichtigkeit die Regel ist. Die Nichtigkeit des gesamten Hoheitsakts ist damit die Ausnahme und tritt nur ein, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Hoheitsakt ohne ihn nicht erlassen hätte (BT-Drucks. 7/910 S. 65). Maßgeblich für diese Bewertung ist nicht der hypothetische Wille der Behörde oder der für sie handelnden Amtsträger, sondern der mutmaßliche Wille einer sachgemäß entscheidenden Behörde (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 44 Rn. 61; Knack, VwVfG 8. Aufl. Rn. 55). Diese Grundsätze sind auf den hier zu beurteilenden Fall einer Anordnung des Insolvenzgerichts zu übertragen. Hatte das Insolvenzgericht nach der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans gemäß § 258 Abs. 1 InsO das Insolvenzverfahren aufzuheben, so wird die Gültigkeit dieser Anordnung durch die Erteilung einer nichtigen Ermächtigung, von der bei ordnungsgemäßem Vorgehen aus Rechtsgründen abzusehen war, nicht beeinträchtigt.

Fundstelle(n):
WM 2010 S. 136 Nr. 3
ZIP 2010 S. 102 Nr. 2
BAAAD-34768

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja