BFH Beschluss v. - II R 8/08

Unentgeltliche Übertragung von Naturschutzflächen ist keine Schenkung; Aufforderung des Bundesministeriums der Finanzen, dem Verfahren, ob die in § 8 Abs. 2 GrEStG angeordnete Heranziehung der Grundbesitzwerte i.S. des § 138 BewG als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist, beizutreten

Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1, GrEStG § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, BewG § 138, FGO § 122 Abs. 2, AusglLeistG § 3 Abs. 12, AusglLeistG § 3 Abs. 13

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf)

Gründe

A. Verfahrensstand

Bei dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) handelt es sich in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins um einen Naturschutzverband in Mecklenburg-Vorpommern. Er ist mittels Freistellungsbescheid für die Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer als gemeinnützig anerkannt worden. Aufgrund notariell beurkundeten Kaufvertrages vom . September 2005 erwarb er von der X, einer Tochter der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, unentgeltlich 116,3103 ha forstwirtschaftlicher Flächen. Die unentgeltliche Abgabe der Flächen erfolgte im Rahmen der in § 3 Abs. 12 und 13 des Ausgleichsleistungsgesetzes (AusglLeistG) vorgesehenen unentgeltlichen Übertragungsmöglichkeit von Naturschutzflächen auf die Länder oder von ihnen benannte Naturschutzverbände (vgl. dazu Hauer in Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Vermögensgesetz, Kommentar, Band 2, § 3 AusglLeistG Rz 185 ff.). Die Einzelheiten des Übertragungsverfahrens waren in einer „Rahmenvereinbarung” zwischen der X und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom . Juni 2001 geregelt worden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) nahm an, dass es an einer Gegenleistung fehle und deshalb § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) anwendbar sei. Er stellte den Grundbesitzwert für eine Einheit des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens auf 26 000 € fest und setzte auf dieser Bemessungsgrundlage gegen den Kläger mit Bescheid vom Grunderwerbsteuer in Höhe von 910 € fest. Der Kläger vertrat demgegenüber die Ansicht, es liege eine freigebige Zuwendung mit der Folge einer Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 GrEStG vor. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) verneinte eine freigebige Zuwendung unter Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Schenkung durch Träger der öffentlichen Verwaltung vom II R 68/04 (BFHE 213, 235, BStBl II 2006, 632) sowie II R 15/04 (BFHE 213, 232, BStBl II 2006, 557).

Mit der Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung des § 3 Nr. 2 GrEStG sowie des § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) und macht geltend, ihm habe kein Anspruch auf Übertragung der Grundstücke zugestanden. Außerdem sei er kein Träger der öffentlichen Verwaltung.

B. Rechtliche Erwägungen

Die Aufforderung zum Beitritt beruht auf § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil das Revisionsverfahren II R 8/08 eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe und eine Rechtsstreitigkeit über Bundesrecht, nämlich Vorschriften des GrEStG und des Bewertungsgesetzes (BewG) betrifft.

In dem Revisionsverfahren ist in grunderwerbsteuerrechtlicher Hinsicht darüber zu entscheiden, ob für den Erwerb des Grundbesitzes Grunderwerbsteuer festzusetzen ist. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Vorschriften des GrEStG und BewG, insbesondere die Tarifvorschrift des § 11 GrEStG, einer am Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) orientierten verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten.

I. Eine Schenkung liegt nicht vor. Daher ist die Revision einfachrechtlich unbegründet. Das Fehlen eines Anspruchs auf Grundstücksübertragung ist unerheblich (BFH-Urteil in BFHE 213, 235, BStBl II 2006, 632, unter II.1.). Die fehlende Eigenschaft des Klägers, Träger öffentlicher Verwaltung zu sein, ist ebenso unbeachtlich. Es reicht aus, dass ein Träger der öffentlichen Verwaltung, wozu die X als Anstalt des öffentlichen Rechts gehört, in Wahrnehmung entweder eigener öffentlicher Aufgaben oder der öffentlichen Aufgaben des Bundes (Art. 20a GG) die Grundstücke übertragen hat (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 213, 235, BStBl II 2006, 632, unter II.3.). Auch die X hatte nichts zu verschenken. Der Streitfall wäre daher entscheidungsreif, sofern nicht § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GrEStG verfassungswidrig ist.

II. Es bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, ob der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Ansatz der gesondert festgestellten Grundstückswerte (§ 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG) als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist (vgl. , Deutsches Steuerrecht 2009, 1474).

Sollten die rechtlichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Erbschaft- und Schenkungsteuer in dem Beschluss vom 1 BvL 10/02 (BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192) auf § 8 Abs. 2 GrEStG übertragbar sein, müssten auch in diesem Rahmen für die einzelnen Einheiten und Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen gefunden werden, die deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden. Dazu müsste sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientieren. Bei Wirtschaftsgütern, deren Wert typischerweise durch ihren regelmäßig anfallenden Ertrag realisiert wird, ist nicht notwendig der Ertragswert der einzig reale Wert (so BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, 203).

Zivilrechtlich gesehen betrifft die Grunderwerbsteuer stets nur Grundstücke oder diesen nach § 2 Abs. 2 GrEStG gleichstehende Wirtschaftsgüter. Bewertungsrechtlich können diese Erwerbsgegenstände jedoch unterschiedlichen Vermögensarten zugehören, und zwar dem Grundvermögen, dem Betriebsvermögen und dem land- und forstwirtschaftlichen Vermögen. Indem § 8 Abs. 2 GrEStG zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage in Sonderfällen auf die Grundbesitzwerte gemäß den §§ 138 f. BewG verweist, erhält die Zugehörigkeit der Erwerbsgegenstände zu unterschiedlichen Vermögensarten auch Bedeutung für die Grunderwerbsteuer.

Von besonderer Bedeutung ist dabei die Abgrenzung des Grundvermögens von dem land- und forstwirtschaftlichen Vermögen, da die Bewertung des tatsächlich land- und forstwirtschaftlich genutzten Bodens, also des Betriebsteils i.S. des § 141 Abs. 1 Nr. 1 BewG, nach gänzlich anderen Regeln erfolgt als die Bewertung des Grundvermögens. Die Bewertung des Betriebsteils ist an standardisierten Ertragswerten ausgerichtet, die weit hinter den Werten zurückbleiben, die sich bei der Bewertung des Grundvermögens ergeben, soweit dort eine Ertragsbewertung vorgeschrieben ist. Es wird zu prüfen sein, ob darin wie bei der Erbschaftsteuer eine Ungleichbehandlung wegen fehlender Belastungsgleichheit und mangelnder Folgerichtigkeit bei der Umsetzung der gesetzgeberischen Belastungsentscheidung zu sehen ist, die einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellen würde (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, 213).

Die Betriebswohnungen und der Wohnteil werden nach denselben Regeln bewertet wie das Grundvermögen (§ 143 BewG). Soweit der Grunderwerb auch Betriebswohnungen und den Wohnteil betrifft, leidet die Anwendung des § 8 Abs. 2 GrEStG daher unter all den Wertverzerrungen innerhalb der §§ 145 ff. BewG, die in dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, 207 ff. bei Geltung eines einheitlichen Steuertarifs für unvereinbar mit Art. 3 GG gehalten worden sind.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 60 Nr. 1
MAAAD-31886