BFH Urteil v. - I R 41/07

Ergehen eines auf 0 € lautenden Körperschaftsteuerbescheids im Insolvenzverfahren; erstmalige gesonderte Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags

Leitsatz

1. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom darf das Finanzamt im laufenden Insolvenzverfahren einen auf 0 € lautenden Körperschaftsteuerbescheid erlassen, der einen Besteuerungszeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betrifft. § 251 Abs. 2 AO und § 87 InsO stehen dem nicht entgegen.
2. Eine Steuerfestsetzung auf 0 € ist nicht zugleich mit der Feststellung eines Ausschlusses eines Erstattungsanspruchs verbunden. Ein Erstattungsanspruch kann sich allein auf der Grundlage eines Abrechnungsverfahrens ergeben.
3. Das Interesse eines Insolvenzverwalters, im Rahmen seiner Amtsführung nicht mit steuerrechtlichen Prüfungsobliegenheiten konfrontiert zu werden, wird durch § 251 Abs. 2 Satz 1 AO, § 87 InsO nicht geschützt; es ist nicht spezifisch dem Insolvenzverfahren zuzuweisen.

Gesetze: AO § 251 Abs. 2, KStG § 47 Abs. 2, KStG § 8 Abs. 1, InsO § 87, EStG § 10d

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines während eines Insolvenzverfahrens erlassenen Steuerbescheides.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Insolvenzverwalterin in einem in 2006 eröffneten Insolvenzverfahren einer GmbH. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) setzte durch einen Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr 2005 nach einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gegenüber der GmbH in Insolvenz die Körperschaftsteuer auf 0 € fest (Gesamtbetrag der Einkünfte: 0 €, zu versteuerndes Einkommen: 0 €); der Abrechnungsteil weist einen verbleibenden Betrag von 0 € aus. Die gegen den Körperschaftsteuerbescheid erhobene Klage hatte Erfolg (Urteil des Sächsischen Finanzgerichts —FG— vom 3 K 2092/06).

Mit der Revision macht das FA eine Verletzung materiellen Rechts geltend. Es beantragt, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.

1. Die Klägerin war als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der GmbH zur Erhebung der Klage befugt (§ 40 Abs. 2 FGO). Die Verfügungsbefugnis eines Insolvenzverwalters (§ 80 Abs. 1 der InsolvenzordnungInsO—) umfasst auch die Wahrnehmung der Interessen der Insolvenzmasse gegenüber dem FA (z.B. , BFH/NV 2004, 1547; vom VIII R 14/02, BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246).

2. a) Aus § 251 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) und § 87 InsO wird in ständiger Rechtsprechung abgeleitet, dass Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen dürfen (Senatsurteil vom I R 33/01, BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; s. —zur Rechtslage nach der Konkursordnung (KO)— auch Senatsurteil vom I R 11/97, BFHE 183, 365, BStBl II 1998, 428; BFH-Urteil in BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246). Der Steuergläubiger ist gehalten, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach den Maßgaben des Insolvenzrechts zur Tabelle anzumelden (§ 38, § 174 Abs. 1 Satz 1 InsO; § 251 Abs. 3 AO), um an der gemeinschaftlichen Befriedigung im Insolvenzverfahren teilzunehmen. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam (z.B. Senatsurteil in BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; BFH-Urteil in BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246, zu II.3.c bb aaa; , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2006, 589; FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 3 K 2728/03, EFG 2007, 708; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 251 AO Rz 44; Neumann in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 251 AO Rz 50; Brockmeyer in Klein, AO, 9. Aufl., § 251 Rz 29; Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 251 AO Rz 405; Boochs/Dauernheim, Steuerrecht in der Insolvenz, 3. Aufl., Rz 82; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 7. Aufl., Rz 361 f.; Kling/Schüppen/Ruh in Münchener Kommentar Insolvenzordnung, 2. Aufl., Insolvenzsteuerrecht Rz 24b; Gundlach/Frenzel/Schirrmeister, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2004, 318, 319). Unwirksam sind dabei insbesondere mit einem Leistungsgebot versehene Festsetzungen, die nach Anrechnung z.B. bereits geleisteter Zahlungen zu einer —zur Eintragung in die Insolvenztabelle anzumeldenden— Rest- oder Nachforderung führen (Welzel, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 1999, 559; Waza/Uhländer/Schmittmann, a.a.O., Rz 363). Unwirksam ist aber auch eine Festsetzung, wenn nach der Anrechnung eine konkrete Zahlungsverpflichtung (zunächst) nicht mehr besteht, da ansonsten bei einem späteren Streit über die Höhe der Anrechnung eine durch diesen (evtl. bestandskräftigen) Steuerbescheid titulierte Insolvenzforderung entstehen könnte (Welzel, DStZ 1999, 559 f.).

b) Im Streitfall hat das FA mit der angefochtenen Körperschaftsteuer-Festsetzung, die einen Besteuerungszeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens betrifft, einen Vermögensanspruch gegen die Insolvenzmasse allerdings nicht geltend gemacht, da sich eine Steuerschuld nicht ergibt. Insoweit war daher auch kein Anspruch zur Tabelle anzumelden.

3. a) Die durch die Insolvenzeröffnung bewirkte Unterbrechung des Verfahrens (analog § 240 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO) bezieht sich nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht nur auf das eigentliche Steuerfestsetzungsverfahren, sondern auch auf andere Verfahren, die —wie insbesondere das gesonderte Feststellungsverfahren (§§ 179 ff. AO) auf der Grundlage des § 182 Abs. 1 AO— Auswirkungen auf die nach § 174 InsO zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen haben können. So dürfen nach dem Senatsurteil in BFHE 183, 365, BStBl II 1998, 428 (zur Rechtslage während der Geltung der Konkursordnung) nach Eröffnung des Konkursverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt werden, die die Höhe der zur Konkurstabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten. Denn andernfalls wäre es für die Finanzbehörden möglich, das in § 141 KO vorgeschriebene Verfahren zu unterlaufen. Dass Bescheide, durch die lediglich Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt werden, nicht unmittelbar auf eine Befriedigung der Steuergläubiger gerichtet sind, ist unerheblich. Es reicht aus, dass die festgestellten oder festgesetzten Besteuerungsgrundlagen für das Konkursverfahren insoweit präjudiziell sind, als sie Steuern betreffen, die Konkursforderungen sein können.

Der Senat hat an dieser Rechtspraxis auch für das Verhältnis des Insolvenzverfahrens zum Festsetzungs- und Feststellungsverfahren nach der Abgabenordnung festgehalten (Senatsurteil in BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; s. auch Waza/Uhländer/ Schmittmann, a.a.O., Rz 369 ff.). Der sich aus § 87 InsO ergebende Vorrang des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Festsetzungs- und Feststellungsverfahren nach der Abgabenordnung würde unterlaufen, wenn die Finanzbehörden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Abschluss der Prüfungen gemäß §§ 176, 177 InsO noch mit Bindungswirkung Bescheide über die Feststellung oder Festsetzung von Besteuerungsgrundlagen erlassen dürften, die sich auf die Höhe der als Insolvenzforderung zur Eintragung in die Tabelle anzumeldenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis auswirken könnten. Dabei ist gerade aus Gründen der Rechtssicherheit unerheblich, ob sich die festgestellten Besteuerungsgrundlagen tatsächlich auf anzumeldende Steuerforderungen auswirken oder nicht. Entscheidend ist, ob die festgestellten Besteuerungsgrundlagen abstrakt geeignet sind, sich auf möglicherweise als Insolvenzforderungen anzumeldende Steueransprüche auszuwirken. Nur in besonderen Konstellationen, z.B. wenn die Feststellung als Grundlage einer Erstattungsforderung ausdrücklich beantragt wurde, können Feststellungen erfolgen (Senatsurteil in BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; Hofmeister, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2003, 643). Dieser Auffassung hat sich der VIII. Senat des BFH angeschlossen (Urteile in BFHE 207, 10, BStBl II 2005, 246; vom VIII R 4/05, BFH/NV 2006, 12); auf Anfrage des erkennenden Senats (Beschluss vom I R 41/07, nicht veröffentlicht —n.v.—) hat der VIII. Senat mitgeteilt, dass er an dieser Rechtsprechung festhält (Beschluss vom VIII ER-S 1/08, n.v.).

b) Der angefochtenen Festsetzung fehlt eine so beschriebene abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Insbesondere sind mit dem Körperschaftsteuerbescheid des Streitjahres die aus der früheren Rechtslage (§ 47 Abs. 2 des KörperschaftsteuergesetzesKStG— vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom , BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) bekannten Feststellungswirkungen nicht verbunden.

aa) Das FG hat allerdings eine Wirkung auf den Bestand der Insolvenzmasse daraus abgeleitet, dass mit einer auf 0 € lautenden Steuerfestsetzung zugleich entschieden werde, dass Rückforderungsansprüche aus diesem Steuerschuldverhältnis, die die Insolvenzverwalterin zur Masse einziehen und an die Gläubiger auskehren könnte, nicht bestehen würden. Diese Auswirkungen seien zwar nicht in sich negativer Art, gleichwohl aber „nicht positiv”, da mit Regelungswirkung als Verwaltungsakt feststehe, dass derartige Ansprüche der Masse nicht gegeben seien. Hinzu komme, dass eine Festsetzung der Körperschaftsteuer auf 0 € mit Eintritt der Bestandskraft dem späteren Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d des EinkommensteuergesetzesEStG—) entgegenstehe, soweit nicht zugleich eine Änderungsvorschrift der Abgabenordnung für den Körperschaftsteuerbescheid eingreife. Damit werde die Insolvenzmasse in die Notwendigkeit gebracht, aus ihrer Sicht erforderliche Rechtsmittel gegen diesen Bescheid sogleich einzulegen, um sich bzw. (für die Zeit nach Beendigung der Insolvenz) die Gemeinschuldnerin davor zu schützen, einen etwa nachträglich als gegeben erkannten Verlustvortrag nur noch unter den schwer zu überwindenden Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO erreichen zu können.

bb) Entgegen der Ansicht des FG ist eine Steuerfestsetzung auf 0 € nicht zugleich mit der Feststellung eines Ausschlusses eines Erstattungsanspruchs verbunden; denn ein Erstattungsanspruch kann sich allein auf der Grundlage eines Abrechnungsverfahrens ergeben. Dass eine bestandskräftige Steuerfestsetzung eine Verlustfeststellung für denselben Zeitraum hindern kann, entspricht zwar der bisherigen Rechtsprechung des , BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3; vom XI R 25/99, BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817; vom XI R 33/03, BFHE 210, 235, BStBl II 2005, 825). Der nunmehr für die Entscheidung dieser Rechtsfrage zuständige IX. Senat des BFH hat allerdings die Rechtsprechung geändert mit der Folge, dass ein verbleibender Verlustvortrag auch dann erstmals gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG gesondert festzustellen ist, wenn der Steuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr zwar bestandskräftig ist, darin aber keine nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte berücksichtigt worden sind (Urteil vom IX R 70/06, DStR 2008, 2410). Da im streitgegenständlichen Steuerbescheid ein Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 € berücksichtigt ist (s. insoweit US, DStR 2008, 2412), ist eine (erstmalige) Verlustfeststellung zum auch bei einer Bestandskraft des Körperschaftsteuerbescheides nicht ausgeschlossen.

c) Eine Unterbrechung des Besteuerungsverfahrens lässt sich in der Konstellation des Streitfalls mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens —der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger— nicht begründen. Es mag zwar (möglicherweise auch aus Haftungsgesichtspunkten) ein Interesse eines Insolvenzverwalters daran bestehen, im Rahmen seiner Amtsführung nicht mit steuerrechtlichen Prüfungsobliegenheiten konfrontiert zu werden. Ein solches Interesse wird indes durch § 251 Abs. 2 Satz 1 AO, § 87 InsO nicht geschützt; es ist nicht spezifisch dem Insolvenzverfahren zuzuweisen.

Fundstelle(n):
AO-StB 2009 S. 163 Nr. 6
BFH/NV 2009 S. 719 Nr. 5
HFR 2009 S. 752 Nr. 8
NAAAD-15998