BFH Urteil v. - III R 88/07

Verlängerung des Kindergeldes wegen gesetzlichen Grundwehrdienst

Leitsatz

Ein in Berufsausbildung befindliches Kind, das den gesetzlichen Grund-wehrdienst geleistet hat, wird gem. § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG über die Vollendung des 27. (ab 2007: 25.) Lebensjahres hinaus auch dann für die gesamte Dauer des geleisteten Dienstes berücksichtigt, wenn der Dienst wegen des davor liegenden Wochenendes erst am Dritten des Monats angetreten und daher im ersten Monat des Wehrdienstes noch Kindergeld bezogen wurde.

Gesetze: EStG § 62, EStG § 63 Abs. 1, EStG § 32 Abs. 4, EStG § 32 Abs. 5

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der im Mai 1976 geborene Sohn des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) hatte im Mai 1995 die Abiturprüfung bestanden und leistete vom bis zum seinen Grundwehrdienst. Vom bis zum wurde er zum Steuerfachgehilfen ausgebildet, von Oktober 1999 bis März 2004 studierte er. Im Mai 2003 hatte er sein 27. Lebensjahr vollendet.

Mit Bescheid vom hob die Beklagte und Revisionsklägerin (die Familienkasse) die Festsetzung von Kindergeld ab März 2004 auf, weil die Höchstbezugsdauer abgelaufen sei. Diese habe sich zwar für die Dauer des Grundwehrdienstes über das vollendete 27. Lebensjahr hinaus verlängert. Zu berücksichtigen seien jedoch nur die Monate des Wehrdienstes, für die der Kläger keinen Anspruch auf Kindergeld gehabt habe. Da der Wehrdienst erst am begonnen habe, sei der Sohn jedoch für den Monat Juli 1995 bei der Kindergeldfestsetzung noch berücksichtigt worden. Folglich sei nur noch wegen des Wehrdienstes von August 1995 bis April 1996 Kindergeld zu gewähren, d.h. für neun Monate nach Vollendung des 27. Lebensjahres. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der auf Kindergeld für den Monat März 2004 gerichteten Klage mit Urteil vom 10 K 224/04 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1961) statt. Es entschied, dass der Verlängerungszeitraum nicht zu begrenzen sei, wenn während des Grundwehr- oder Ersatzdienstes Kindergeld gewährt worden sei, weil wenigstens an einem Tage die Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen hätten.

Mit ihrer auf die Verletzung des § 32 Abs. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. für das Streitjahr 2004 (EStG) gestützten Revision verweist die Familienkasse auf die Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) 63.5 Abs. 3. Eine Verlängerung des Kindergeldbezuges komme nur für die Monate in Betracht, für die wegen des Grundwehrdienstes kein Kindergeldanspruch bestanden habe. Denn der Zweck des Verlängerungstatbestandes in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG bestehe darin, eine Benachteiligung wegen der Monate zu vermeiden, um die sich der Ausbildungsabschluss hinausschiebe und der Kindergeldanspruch deshalb nicht bestanden habe. Soweit während des Wehr- oder Zivildienstes bereits Kindergeld rechtmäßig bezogen worden sei, fehle es an einer Benachteiligung. Eine Einbeziehung dieser Monate würde zu einem „Doppelbezug” einzelner Monate führen und damit zu einer ungerechtfertigten Begünstigung gegenüber anderen Kindergeldberechtigten.

Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Nach §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 27. —seit 2007: des 25.— Lebensjahres gewährt. Über diesen Zeitraum hinaus wird ein Kind gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ausnahmsweise dann berücksichtigt, wenn es den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst geleistet hat. Der Endzeitpunkt für die Gewährung des Kindergeldes wird dann um einen der Dauer des geleisteten Dienstes entsprechenden Zeitraum hinausgeschoben.

Dieser Verlängerungstatbestand ist eingefügt worden, weil die bis 1995 geltende Regelung, wonach über 18 Jahre alte Kinder berücksichtigt werden konnten, wenn sie den gesetzlichen Grundwehrdienst leisteten, sofern dadurch eine Berufsausbildung unterbrochen worden war (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 EStG in der bis 1995 geltenden Fassung), durch das Jahressteuergesetz 1996 beseitigt wurde (vgl. , BFHE 196, 98, BStBl II 2001, 675). Nach dem Bundeskindergeldgesetz in der bis zum geltenden Fassung (BKGG a.F.) wurden Wehrdienst leistende Kinder nicht berücksichtigt; der Zeitraum für die Berücksichtigung von Kindern, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befanden, verlängerte sich aber gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 BKGG a.F. um die Dauer der Dienstzeit.

2. Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Kindergeld auch im Monat März 2004, da sein im Mai 2003 27 Jahre alt gewordener Sohn im März 2004 studierte und zehn Monate Wehrdienst geleistet hatte.

3. Eine einschränkende Auslegung des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ist nicht geboten. Der Verlängerungszeitraum ist nicht zu kürzen, wenn der Wehrdienst nicht am Monatsersten angetreten und deshalb im Monat des Dienstantritts noch Kindergeld bezogen wurde.

a) Die Verwaltung vertritt die Auffassung, dass sich die Kindergeldzahlung um die in dem jeweiligen Verpflichtungsgesetz geforderte Dauer des Dienstes verlängere (DA-FamEStG 63.5 Abs. 4). Als Verlängerungstatbestand seien aber nur diejenigen Monate des Grundwehrdienstes zu berücksichtigen, in denen nicht bereits nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG ein Kindergeldanspruch bestanden habe (DA-FamEStG 63.5 Abs. 3; R 32.11 der Einkommensteuer-Richtlinien 2007).

Die Verwaltungsauffassung kann sich indessen nicht auf den Wortlaut des § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG berufen, der eine Verlängerung um die Dauer des Dienstes anordnet, ohne dies auf Monate zu beschränken, in denen die Berücksichtigung als Kind bzw. die Zahlung von Kindergeld unterblieben ist. Sie berücksichtigt auch nicht, dass der durch § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG auszugleichende Nachteil der Eltern (Kindergeldberechtigten) auch darin liegt, dass sich der Ausbildungsabschluss des Kindes und die —typisierend zu unterstellende— Belastung mit Unterhaltsansprüchen um die Dauer des gesamten Wehrdienstes verzögert und dieser Nachteil nicht durch die Gewährung von Kindergeld im Monat des Dienstantritts ausgeglichen wird.

b) Der (BFH/NV 2003, 460) entschieden, dass der nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG verlängerte Bezugszeitraum zu begrenzen ist, wenn ein Teil des Verlängerungstatbestandes bereits nach Vollendung des 21. Lebensjahres berücksichtigt wurde; dann könne nur noch die Differenz zum gesetzlichen Grundwehr- oder Zivildienst als Verlängerungstatbestand berücksichtigt werden. Anderenfalls käme es zu einer doppelten Berücksichtigung der bereits „verbrauchten” Monate des Verlängerungstatbestandes. Steuerpflichtige, deren Kinder unmittelbar nach der Vollendung des 18. Lebensjahres den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet und anschließend eine Berufsausbildung begonnen haben, würden dann willkürlich benachteiligt.

Eine derartige „doppelte” Berücksichtigung der Wehrdienstzeit tritt aber nicht ein, wenn für den Monat des Dienstantritts noch Kindergeld gewährt wird.

c) Im Streitfall ist nicht zu entscheiden, ob der Verlängerungszeitraum des § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG zu begrenzen wäre, wenn ein Kind während der Dienstzeit weiterhin berücksichtigt wird, weil es gleichzeitig den Dienst leistet und eine Ausbildung betreibt (ebenfalls offen gelassen im , BFHE 199, 210, BStBl II 2002, 807). Vorliegend beruhte die Kindergeldgewährung im Juli 1995 nicht darauf, dass der Sohn des Klägers seine Ausbildung während des Wehrdienstes fortsetzte, sondern darauf, dass er den Wehrdienst wegen des davorliegenden Wochenendes erst am antreten konnte und sich deshalb am 1. und formal noch in der Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Leistung des Wehrdienstes befand, die der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 5 BKGG a.F. gleichgestellt wurde (vgl. 8/12 RKg 2/77, BSGE 44, 197) und einen Anspruch auf Kindergeld begründete.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 133 Nr. 2
EStB 2009 S. 61 Nr. 2
RAAAD-00208