BSG Urteil v. - B 4 RS 31/07 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: AAÜG § 5; AAÜG § 8; VO-AVItech § 1; 2. DB § 1 Abs 1 Satz 1

Instanzenzug: LSG Berlin-Brandenburg, L 12 RA 110/04 vom SG Berlin, S 6 RA 5198/00 vom 24.0.2004

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beschäftigungszeiten des Klägers in der DDR vom bis sowie vom bis und die Arbeitsverdienste hieraus für die Rentenversicherung als Tatbestände von gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten bzw als versichert geltende Arbeitsentgelte vorzumerken. Der Kläger meint, es habe sich um Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) gehandelt, die Beklagte hält dies für unzutreffend.

Der Kläger hatte in der Zeit vom bis zum als Soldat, später Berufssoldat der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR angehört. Am wurde ihm das Recht verliehen, den akademischen Grad eines Diplomingenieurs zu führen. Ab Oktober 1970 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim VEB Kombinat A. B. und ab als Produktionsbereichsleiter beim VEB K. B. im VEB Kombinat A. B. beschäftigt. Mit Ausnahme der Zeit vom bis , in der er beim K. Werk B. als Direktor für Technik angestellt war, war er beim VEB K. B. beschäftigt, wo er ab dem als Ingenieur für Grundsatzfragen, ab dem als Ausbildungsleiter, ab dem als Produktionsdirektor und ab dem als Mitarbeiter spezielle Produktion eingesetzt war. Am erwarb er zudem die Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Ingenieurpädagoge" zu führen.

Die Bundesrepublik Deutschland, Bundesverteidigungsministerium, Wehrbereichsverwaltung VII, gab als Sonderversorgungsträger dem Kläger mit Bescheid vom bekannt, dass sie der Beklagten (Rentenversicherungsträger) auf Grundlage des § 8 Abs 2 AAÜG die Zeiten der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem der NVA und die in diesen Zeiten hieraus tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte mitgeteilt habe.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten, seine Beschäftigungszeiten ua vom bis als solche der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) festzustellen. Die Beklagte lehnte - ohne über die Beschäftigungszeiten vom bis zu entscheiden - die Feststellung der geltend gemachten Beschäftigungszeiten als solche der AVItech ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

Auf die Klage hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) erklärt, sie erkenne an, dass das AAÜG auf Grund der Zugehörigkeit des Klägers zu dem Sonderversorgungssystem der NVA auf diesen anwendbar sei. Der Kläger hat erklärt, er nehme dieses "Teilanerkenntnis" an und hat sein Feststellungsbegehren - im Berufungsverfahren - auf die Beschäftigungszeiten vom bis und vom bis zum beschränkt. Das SG hat die Klagen nach Vernehmung von Zeugen zur Tätigkeit der Beschäftigungsbetriebe mit Urteil vom abgewiesen. Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom zurückgewiesen, die Revision hat es zugleich wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) zugelassen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt,

die ihrer Art nach die Zugehörigkeit zu einem System der zusätzlichen Altersversorgung begründe. Der Kläger sei nicht in einem volkseigenen Betrieb der Industrie oder des Bauwesens beschäftigt gewesen. Der Betriebszweck, der der Tätigkeit des VEB K. B. das Gepräge gegeben habe, sei die Fertigung von Baugruppen für Kraftfahrzeuge (insbesondere Motoren) unter Verwendung von Altteilen gewesen. Die Fertigung von Gütern unter weitgehender Verwendung von Altteilen stelle keine Produktion iS der §§ 1, 5 der Verordnung über die AVItech in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom (VO-AVItech; GBl S 844) iVm § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (2. DB) vom (GBl S 487) dar. Zwar entspreche die betriebliche Tätigkeit des VEB K.

B. nach den vom Kläger geschilderten und durch Zeugen bestätigten Arbeitsabläufen einer Fertigung unter den Bedingungen industrieller Produktion. Gegenstand der betrieblichen Tätigkeit sei aber auch die an dem Erhaltungszustand demontierter Bauteile orientierte Beurteilung der Weiterverwendbarkeit gewesen. Eine solche Instandsetzung von Bauteilen sei nicht als Produktion im versorgungsrechtlichen Sinne anzusehen, selbst wenn sie unter den Bedingungen industrieller Fertigung erfolge. Durch die betriebliche Tätigkeit sei lediglich die Gebrauchsfähigkeit eines schon vorhandenen Wirtschaftsgutes so weit wieder hergestellt worden, dass es seiner bisherigen Funktion entsprechend wieder verwendbar sei. Zweck der betrieblichen Tätigkeit sei es nicht gewesen, ein (anderes) Wirtschaftsgut von höherer Qualität entstehen zu lassen, was nach dem Produktionsbegriff zu fordern sei. Der VEB K. B. sei kein den Produktionsbetrieben gleichgestellter Betrieb iS des § 1 Abs 2 der 2. DB. Die Tätigkeit beim VEB Kombinat A. B. erfülle die Voraussetzungen ebenfalls nicht, da der Kläger dort ebenfalls in einem Kraftfahrzeuginstandsetzungsbetrieb (KIB) als Kombinatsbetrieb tätig gewesen sei, der aus den genannten Gründen nicht als Produktionsbetrieb anzusehen sei. Der Kläger erfülle schließlich mit seiner Tätigkeit als Ausbildungsleiter in der Lehrwerkstatt ( bis ) nicht die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die zusätzliche Versorgung der Pädagogen (Anlage 1 Nr 18 zum AAÜG). Die zusätzliche Versorgung der Pädagogen erfasse Lehrkräfte in der berufspraktischen Ausbildung nicht.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 5, 8 AAÜG iVm § 1 VO-AVItech und § 1 Abs 1 Satz 1 der 2. DB. Er führt an, das LSG hätte aufgrund seiner Feststellungen zur betrieblichen Tätigkeit des VEB Kfz-Instandsetzungsbetrieb Berlin dazu kommen müssen, dass er in einem Produktionsbetrieb beschäftigt gewesen sei. Hauptzweck dieses Betriebs sei nicht nur die Erhaltung bestehender Sachgüter durch Reparatur oder Instandsetzung sondern auch die Zerlegung und Verwertung nicht mehr funktionsfähiger Baugruppen gewesen. Dadurch hätten diese ihre Identität verloren und seien anschließend zu neuen Wirtschaftsgütern höherer Qualität, nämlich zu funktionsfähigen Baugruppen, zusammengefügt worden. Dadurch sei die Zahl gebrauchsfähiger Baugruppen in der DDR-Volkswirtschaft erhöht worden. Die Wiederverwertung aufbereiteter Altteile stehe nicht im Widerspruch zum Produktionsbegriff. Vielmehr sei die Produktion von Sachgütern angesichts endlicher Rohstoffreserven mittels aufbereiteten Materials unter industriellen Bedingungen erfolgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom , das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten vom bis und vom bis zum als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 zum AAÜG sowie die in diesen Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Im Sprachgebrauch der DDR sei zwischen der Herstellung industrieller Erzeugnisse und der Durchführung materieller Leistungen industrieller Art unterschieden worden. Im VEB K.

B. seien keine Sachgüter produziert, sondern lediglich bestehende Sachgüter erhalten worden. In dem Betrieb seien zwar materielle Leistungen industrieller Art erbracht, nicht aber industrielle Erzeugnisse gefertigt worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

II

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet, denn das Urteil des LSG beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG).

1. Der Kläger wird zwar gemäß § 1 Abs 1 AAÜG von dem persönlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes erfasst. Er war aufgrund seiner Tätigkeit als Berufssoldat in das Sonderversorgungssystem für Angehörige der NVA (Anlage 2 Nummer 1 zum AAÜG) einbezogen worden. Darauf weisen nicht nur die in Kopie in den Gerichtsakten des LSG enthaltenen Bescheide der Wehrbereichsverwaltung VII vom hin. Vielmehr haben die Beteiligten vor dem SG zu dessen Niederschrift übereinstimmend geregelt, dass das AAÜG allein schon auf Grund der anwartschaftsbegründenden Zugehörigkeit des Klägers zu dem Sonderversorgungssystem der NVA auf diesen anwendbar ist. Damit steht zwischen den Beteiligten materiell-rechtlich fest, dass der Kläger dem persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG unterfällt (, SozR 4-8570 § 5 Nr 1 RdNr 28; , SozR 4-8570 § 5 Nr 5 RdNr 7).

2. Der Kläger erfüllt aber in den geltend gemachten Zeiträumen die Voraussetzungen für die Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem der AVItech und der dabei erzielten Arbeitsentgelte nicht.

Das Urteil des LSG, nach dem die streitigen Beschäftigungszeiten keine Zeiten iS des § 5 Abs 1 AAÜG und damit keine Tatbestände von gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten iS des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch sind, ist nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG rechtlich nicht zu beanstanden.

Maßstabsnorm ist § 5 Abs 1 Satz 1 AAÜG. Diese Norm ordnet die Gleichstellung von Zeiten mit Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung an ("gelten als"), in denen der "Versorgungsberechtigte" eine entgeltliche Beschäftigung zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem ausgeübt hat, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 und 2 zum AAÜG aufgelistet ist (vgl ; , Juris-Dokument RdNr 18). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Berechtigte nach den tatsächlichen Gegebenheiten (1) eine "Beschäftigung" ausgeübt hat, die (2) "entgeltlich" war und die (3) ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war. In das Versorgungssystem der AVItech waren nach §§ 1, 5 VO-AVItech, § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 der 2. DB Beschäftigungen unter folgenden Voraussetzungen einbezogen: Der Beschäftigte musste die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), eine dementsprechende Tätigkeit ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung) und in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung) beschäftigt gewesen sein (vgl , Juris-Dokument RdNr 16 f).

Nach den Feststellungen des LSG im angegriffenen Urteil ist der Kläger während der Zeiten vom bis und vom bis nicht in einem Produktionsbetrieb der Industrie beschäftigt gewesen. Das LSG hat zu dem insoweit maßgeblichen tatsächlich verfolgten Betriebszweck festgestellt, die Fertigung von Baugruppen für Kraftfahrzeuge (insbesondere Motoren) unter Verwendung von Altteilen habe der betrieblichen Tätigkeit des VEB K. B. das Gepräge gegeben. Eine betriebliche Tätigkeit, die auf Fertigung von Gütern aus Gebrauchtteilen gerichtet sei, stelle keine Produktion im Sinne der VO-AVItech dar. Der VEB K. B. sei weder ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs 1 der 2. DB) noch ein gleichgestellter Betrieb (§ 1 Abs 2 der 2. DB). Zum VEB Kombinat A. B. hat das LSG festgestellt, dieser habe aus mehreren Kombinatsbetrieben, nämlich den Betrieben Güterkraftverkehr und Spedition (GKS), Berliner Hafen-, Lagerhaus- und Anschlussbahnbetrieb (Behala), Kfz-Instandsetzungsbetrieb (KIB) und Auto-Service Berlin (ASB) bestanden. Der KIB, der später aus dem Kombinat A. B. ausgegliedert und zum eigenständigen VEB geworden sei, habe denselben Betriebszweck verfolgt wie der spätere VEB K. . Auch dieser Betrieb sei aus den genannten Gründen nicht als Produktionsbetrieb zu qualifizieren.

Damit steht für den Senat in tatsächlicher Hinsicht bindend fest, dass der Arbeitgeber des Klägers in den streitgegenständlichen Zeiten in seinem Betriebsschwerpunkt keine industrielle Güterproduktion durchgeführt, sondern Baugruppen für Kraftfahrzeuge unter Verwendung von Altteilen gefertigt hat. Das Verständnis des LSG, damit habe es sich am tatsächlich nicht um einen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder um einen diesen gleichgestellten Betrieb gehandelt, ist bundesrechtlich nach dem Maßstab des § 5 Abs 1 AAÜG nicht zu beanstanden. Die ausgeübte Beschäftigung war daher ihrer Art nach nicht in den Anwendungsbereich der AVItech einbezogen.

3. Auch die in der Zeit vom bis ausgeübte Beschäftigung erfüllt diese Voraussetzungen für eine Einbeziehung in ein System der zusätzlichen Altersversorgung, hier dasjenige der Pädagogen, nicht (vgl Verordnung über die zusätzliche Versorgung der Pädagogen vom ; GBl I S 253). Das LSG hat in Bezug auf dieses Zusatzversorgungssystem für das Bundessozialgericht ebenfalls bindend festgestellt, dass der Kläger mit seiner Tätigkeit als Ausbildungsleiter in einer betrieblichen Lehrwerkstatt nicht in einer pädagogischen Einrichtung beschäftigt gewesen ist.

Die Revision des Klägers konnte keinen Erfolg haben (§ 170 Abs 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
FAAAC-81336