Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGB IV § 18d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1
Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen, L 13 R 221/05 vom SG Köln, S 6 RA 247/04 vom
Gründe
I
Die Klägerin begehrt eine höhere Witwenrente für den Zeitraum von Juli 2004 bis zum Juni 2005 mit der Begründung, dass sich die Minderung ihres anzurechnenden Einkommens ab dem nicht erst zum auf die Rentenhöhe auswirken dürfe.
Die Klägerin bezieht seit 1995 eine große Witwenrente und seit März 2003 eine Altersrente für Frauen; daneben war sie ab März 2003 gegen ein Arbeitsentgelt von € 100/Monat geringfügig beschäftigt. Ab Juli 2003 betrug der Auszahlungsbetrag der Witwenrente € 413,22/Monat; hierbei berücksichtigte die Beklagte die Altersrente für Frauen in Höhe von € 1.364,02 brutto/€ 1.250,81 netto und das Arbeitsentgelt. Im Februar 2004 zeigte die Klägerin der Beklagten an, sie habe die Beschäftigung ab aufgegeben und bat um Neufestsetzung ihrer Witwenrente. Mit Bescheid vom setzte die Beklagte mit Wirkung ab Mai 2004 einen geringfügig niedrigeren Auszahlungsbetrag fest, weil sich der Beitragssatz für die Pflegeversicherung erhöht habe; eine Erhöhung der Rente wegen Wegfall des anzurechnenden Arbeitsentgelts lehnte sie jedoch ab, weil das im Januar 2004 erzielte Einkommen nicht um wenigstens 10 % geringer gewesen sei als zuvor. Im Widerspruchsbescheid vom wies die Beklagte darauf hin, dass eine Einkommensminderung bis zu dieser Höhe erst bei der nächsten Rentenanpassung zum berücksichtigt werden könne; die Rentenanpassung zum sei durch Gesetz ausgeschlossen worden. Ab dem zahlte die Beklagte einen entsprechend höheren Rentenbetrag an die Klägerin aus.
Das Sozialgericht Köln (SG) hat mit Urteil vom die Beklagte verurteilt, für den Zeitraum von Juli 2004 bis Juni 2005 einen höheren Auszahlungsbetrag der Witwenrente festzusetzen und die Minderung des anzurechnenden Einkommens zu berücksichtigen. Zwar habe das, als Art 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom (BGBl I 3013) verkündete, Gesetz über die Aussetzung der Anpassung der Renten zum (RAAG) angeordnet, dass zum der aktuelle Rentenwert nicht verändert werde. Dies bewirke jedoch nicht, dass Einkommensänderungen iS des § 18d Abs 1 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV), die im Zeitraum von Juli 2003 bis Juni 2004 eingetreten seien, erst zum zu berücksichtigen seien. Wenn § 18d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV auf den "Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung" abstelle, ohne diesen selbst zu bestimmen, so verweise er lediglich auf die allgemeinen Regelungen über den Zeitpunkt der Rentenanpassungen in den einzelnen Bereichen der Sozialversicherung (für die gesetzliche Rentenversicherung: § 65 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch), nicht jedoch auf die genannte Ausnahmeregelung. Der Gesetzgeber des § 18d SGB IV sei offensichtlich davon ausgegangen, dass eine Rentenanpassung mindestens einmal im Jahr stattfinden würde. Mit der Regelung des § 18d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV sei in erster Linie eine Verwaltungsvereinfachung bezweckt; hingegen sei nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber des RAAG die Verwaltung (weiter) entlasten und ihr eine Prüfung von Einkommensänderungen zum ersparen wollte. Soweit es sich um Einkommensminderungen handele, ergebe sich die Pflicht der Beklagten, diese zum zu berücksichtigen, auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Die Kürzung des Anspruchs auf Witwenrente durch die Regelungen über die Einkommensanrechnungen stelle einen Eingriff in Art 2 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) dar, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen müsse. Unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung lasse sich eine Aussetzung der Berücksichtigung von Einkommensminderungen jedoch nicht rechtfertigen; der Gesetzgeber habe es den Versicherungsträgern stets zugemutet, zumindest einmal im Jahr eine Prüfung der Rentenhöhe vorzunehmen.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung mit Urteil vom unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen. Es hat ergänzend darauf hingewiesen, dass, wie der entsprechende Gesetzentwurf ausweise, im "Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab " (RWWgG) die Vorschrift des § 18d Abs 1 SGB IV dahingehend gefasst werden solle, dass Einkommensänderungen erst "vom nächstfolgenden 1. Juli" an zu berücksichtigen seien und nicht mehr, wie nach der bisherigen Fassung, "vom Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung an".
Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt die Beklagte vor, die Vorinstanzen seien vom eindeutigen Wortlaut des § 18d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV abgewichen. Die gesetzliche Neuregelung auf Grund des RWWgG (vom , BGBl I 1304) sei erst am Tag nach seiner Verkündung () und nicht etwa rückwirkend in Kraft getreten. Entsprechend heiße es in der Begründung des Gesetzentwurfs, es solle sichergestellt werden, dass "künftig" Einkommensänderungen zeitnah zu einem bestimmten regelmäßigen Zeitpunkt zu berücksichtigen seien.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Beide Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) einverstanden erklärt.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Wie von den Vorinstanzen zutreffend entschieden, steht der Klägerin bereits ab dem eine höhere Rente unter Berücksichtigung ihres bereits ab geminderten zu berücksichtigenden Einkommens zu.
Der Senat stimmt dem auch vom LSG bestätigten Auslegungsergebnis des SG zu, wonach bei Fallkonstellationen wie der der Klägerin in § 18d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV in der im vorliegenden Fall maßgebenden Fassung (letztmalig geändert durch das Altersvermögensergänzungsgesetz vom <AVmEG>, BGBl I 403) die Wendung "vom Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung an" als "vom nächstfolgenden 1. Juli an" zu lesen ist. Dies ergibt sich, wie bereits von den Vorinstanzen zu Recht ausgeführt, aus der erforderlichen verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift.
§ 18d SGB IV (idF des AVmEG) sah als Grundnorm für Einkommensänderungen vor, dass solche erst vom Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung zu berücksichtigen waren (Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1). Bei Änderungen des laufenden Einkommens galt eine Ausnahme nur für den Fall, dass dieses im Durchschnitt voraussichtlich um wenigstens zehn von Hundert geringer war als das berücksichtigte Einkommen (Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1); hingegen waren Erhöhungen des berücksichtigten Einkommens - die zu einer niedrigen Rentenzahlung führten - stets erst ab dem Zeitpunkt nach Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 zu berücksichtigen. Abs 1 Satz 2 enthielt eine Regelung für den Fall, dass mehrere Rentenanpassungen in einem Jahr stattfanden (wie in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung für das Beitrittsgebiet); dann waren Änderungen des Erwerbseinkommens nur vom Zeitpunkt der Rentenanpassung zum 1.7. an zu berücksichtigen. Wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgeht (BT-Drucks 10/2677, 47), sollte der Grundsatz, dass Einkommensänderungen erst vom Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung an zu berücksichtigen sind, eine gleichbleibende Zahlung der Rente bis zum nächsten Anpassungstermin sicherstellen und verwaltungsmäßigen Gesichtspunkten Rechnung tragen.
Die Regelung führte im Ergebnis weitaus eher zu einer Begünstigung als zu einer Belastung der Rentenbezieher. Denn in jedem Fall einer Erhöhung des zu berücksichtigenden Einkommens wurde die tatsächliche Anrechnung - und damit die Absenkung der Rente - bis zum Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung hinausgeschoben, während bei einer Minderung des laufenden Einkommens - die zu einer Erhöhung der Rentenzahlungen führte - die Berücksichtigung lediglich in Fällen von geringfügigen Änderungen (unter 10 %) aufgeschoben wurde. Hierin lag freilich, wie bereits vom SG herausgearbeitet, für Bezieher von Hinterbliebenenrenten mit einer (geringen) Änderung ihres laufenden Einkommens, die ihnen an sich durch Erhöhung der Rente hätte zugutekommen müssen, ein Eingriff in den ansonsten bestehenden und durch Art 2 Abs 1 GG geschützten Anspruch auf diese Rente.
Dieser Eingriff ließ sich allenfalls durch Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung rechtfertigen. Zwar ist auch dies ein legitimer Gesetzeszweck. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt ausgesprochen, dass der Gesetzgeber den praktischen Erfordernissen der Verwaltung Rechnung tragen darf und dieser Gesichtspunkt insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen gewisse Benachteiligungen rechtfertigen kann, wenn die damit verbundenen Härten nicht besonders schwer wiegen und nur unter erheblichen verwaltungstechnischen Schwierigkeiten vermieden werden könnten (vgl BVerfGE 82, 60, 101 f; BVerfGE 84, 348, 359 f, 364; BVerfGE 100, 195, 205; stRspr).
Verwaltungstechnische Schwierigkeiten in diesem Ausmaß stehen dem Begehren der Klägerin jedoch nicht entgegen. Denn der Gesetzgeber des § 18d Abs 1 Satz 1 SGB IV (idF des AVmEG) hat der Verwaltung zugemutet, auch kleinere Minderungen des laufenden Einkommens spätestens einmal im Jahr zu berücksichtigen. Das SG hat ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass die Aussetzung der Rentenanpassung im Jahre 2004 keine (noch weitergehende) Vereinfachung der Verwaltungsabläufe bei den Rentenversicherungsträgern bezweckt hat. Hieraus ist abzuleiten, dass die Aussetzung der Rentenanpassung im Jahre 2004 nicht aus Zwecken der Verwaltungsvereinfachung auch die Aussetzung der Berücksichtigung der Minderung des zu berücksichtigenden laufenden Einkommens bei Hinterbliebenenrenten erforderte.
Im Aufschub der Berücksichtigung geringer Einkommensminderungen liegt überdies, legt man den Vortrag der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom zugrunde, von vornherein keine bedeutsame Verwaltungsvereinfachung. Hiernach beantragt im Regelfall der Berechtigte die Berücksichtigung seines geminderten Einkommens. Die Prüfung, ob die Minderung des Einkommens wenigstens 10 % beträgt, erfolge dann einfachheitshalber in der Weise, dass durch manuelle Eingabe maschinell geprüft werde, ob die Voraussetzung der 10 %igen Minderung erfüllt ist. Über diese Prüfung erhalte der Berechtigte einen Bescheid (§ 8 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch). Sei die Voraussetzung der mindestens 10 %igen Minderung erfüllt, erhalte der Berechtigte ab dem Zeitpunkt der Minderung eine höhere Hinterbliebenenrente; sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, erhalte er die höhere Hinterbliebenenrente frühestens ab der nächsten Rentenanpassung. Eine solche Vorgehensweise erfolge auch in den Fällen, in denen der Berechtigte eine Erhöhung seines Einkommens mitteile. Ihm werde mittels Bescheid erläutert, dass sich die Erhöhung des Einkommens nicht ab dem Zeitpunkt der Erhöhung, sondern frühestens ab der nächsten Rentenanpassung auswirke.
Auf dieser Grundlage kann kaum nachvollzogen werden, welche Verwaltungsvereinfachung in der Anbindung der Änderung des Zahlbetrags an die nächste Rentenanpassung liegen soll. Wenn aber im Ergebnis die Regelung des § 18d Abs 2 Satz 1 SGB IV für Einkommensminderungen unter 10 % lediglich fiskalische Vorteile für den Rentenversicherungsträger bringt, überwiegen die Interessen der Klägerin an der überfälligen Erhöhung ihrer Hinterbliebenenrente (in Höhe von - wie vom LSG festgestellt - immerhin netto € 29,07/Monat). Dies gilt umso mehr, als angesichts der Preisentwicklung gerade die Aussetzung der Rentenanpassung für die Rentner eine (wenn auch gerechtfertigte: Senatsurteil vom - B 13 R 37/06 R, NZS 2007, 663; SozR 4-2600 § 65 Nr 1, zur Veröffentlichung auch in BSGE bestimmt; bestätigend , FamRZ 2007, 1957; ferner , zur Veröffentlichung in BSGE und SozR bestimmt) Belastung darstellte. Vor diesem Hintergrund würde die Auslegung der Beklagten einen doppelten Eingriff in die Rechte der Klägerin bedeuten.
Außer dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung kann kein anderer Zweck der zeitlichen Einschränkung der Berücksichtigung kleinerer Einkommensminderungen in § 18d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV angenommen werden. Nach alledem erweist sich die von der Beklagten vertretene Auslegung der Vorschrift als verfassungswidrig, weil unverhältnismäßig, weil wiederum durch den Zweck dieser Regelung nicht erfordert. Hieran kann auch ihr Hinweis nichts ändern, dass die Neufassung des § 18d Abs 1 SGB IV durch das RWWgG, die den Zeitpunkt für die Berücksichtigung von Einkommensänderungen nunmehr ab dem "nächstfolgenden 1. Juli" (statt ab dem "Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung") festlegt, erst zum in Kraft getreten ist. Auch dann, wenn der Gesetzgeber eine verfassungswidrige Rechtslage erkennt und ab einem bestimmten Zeitpunkt behebt, besteht die Pflicht zur verfassungskonformen Auslegung für den vorhergehenden Zeitraum.
Da Gesichtspunkte des Grundrechtsschutzes bei der Entscheidung darüber, ob rentenmindernde Einkommenserhöhungen ebenfalls bereits zum hätten berücksichtigt werden müssen, keine Rolle spielen, kann der Senat offen lassen, ob, wie vom SG vertreten, seine Gesetzesauslegung auch zu Ungunsten der Versicherten hätte angewandt werden müssen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstelle(n):
DStR 2008 S. 1740 Nr. 36
VAAAC-80684