BFH Urteil v. - I R 81, 82/06

Voraussetzungen einer "ähnlichen" Darbietung i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe d, § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG; Abzugssteuer auf Vergütung ausländischer Tänzerinnen

Gesetze: EStG § 49 Abs. 1 Nr. 2d, EStG § 49 Abs. 1 Nr. 3, EStG § 50a Abs. 4

Instanzenzug: , 11 K 6823/02

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) geleistete Vergütungen bei den Empfängern zu inländischen Einkünften gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d des Einkommensteuergesetzes (EStG 1990/1997) führen, für die die Klägerin gemäß § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG 1990/1997 zum Steuerabzug verpflichtet ist.

Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist der Handel mit . Die Klägerin wurde als GmbH gegründet und im Juli 1996 formwechselnd in eine GmbH & Co. KG umgewandelt.

Von 1995 bis 1999 (Streitjahre) engagierte die Klägerin für Messeauftritte sowie für eine jährlich stattfindende hauseigene Vertriebsveranstaltung verschiedene Tänzerinnen aus den USA, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten. Die auf den Veranstaltungen als „.” bezeichneten Tänzerinnen hatten die Aufgabe, sich auf einer Bühne nach Art eines erhöhten Laufstegs mit heller Beleuchtung zu präsentieren. Hierbei sollten sie jeweils den Laufsteg auf und ab gehen und sich zu Musik bis auf einen Bikini oder Badeanzug entkleiden. Jede Tänzerin trat in der Regel pro Tag viermal für jeweils drei bis fünf Minuten auf. Für die Auftritte wurden eine Gage sowie die Übernahme der Aufwendungen für Flug, Hotel und Verpflegung durch die Klägerin vereinbart. Einen Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 und 5 EStG 1990/1997 nahm die Klägerin nicht vor.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erließ gestützt auf § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 5 EStG 1990/1997 i.V.m. § 73g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) Haftungsbescheide gegen die Klägerin, mit denen er diese für die Streitjahre wegen nicht einbehaltener und abgeführter Abzugsbeträge in Anspruch nahm. Hierbei legte er die Gage sowie die übernommenen Aufwendungen zugrunde, wobei diese zum Teil im Schätzungswege ermittelt wurden.

Den hiergegen erhobenen Klagen gab das Finanzgericht (FG) statt ( und 11 K 6823/02). Die Vorentscheidung zu dem Verfahren I R 82/06 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1166 veröffentlicht.

Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt sinngemäß, die Urteile des FG aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) Revisionen sind begründet. Sie führen gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung der erstinstanzlichen Urteile und zur Abweisung der Klagen.

Die gegenüber der Klägerin erlassenen Haftungsbescheide sind rechtmäßig.

1. Die Klägerin war hinsichtlich der von ihr für die Auftritte geleisteten Vergütungen gemäß § 50a Abs. 5 EStG 1990/1997 zum Steuerabzug verpflichtet. Zwar handelt es sich bei den Auftritten weder um eine Tätigkeit als Künstler i.S. von § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990/1997 noch um künstlerische Darbietungen i.S. von § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1990/1997 (vgl. zur fehlenden künstlerischen Tätigkeit von Fotomodellen , BFHE 89, 219, BStBl III 1967, 618). Jedoch erfüllen die Auftritte die Voraussetzungen einer ähnlichen Darbietung i.S. des § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1990/1997.

a) Der Streitfall gibt keine Veranlassung, zum Begriff „ähnliche Darbietungen” abschließend Stellung zu nehmen (vgl. hierzu bisher Senatsurteil vom I R 20/04, BFH/NV 2005, 892 betr. eine konzeptionelle Bühnenshow; lediglich implizit Senatsbeschluss vom I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254 betr. Interviewpartner in Talkshows; zu Letzteren auch , EFG 1998, 1013). Eine ähnliche Darbietung liegt jedenfalls dann vor, wenn es sich einerseits um eine Aufführung oder Vorführung vor Publikum handelt und andererseits die erbrachten Leistungen zum Grenzbereich der ausdrücklich genannten künstlerischen, sportlichen und artistischen Darbietungen gehören (vgl. Maßbaum in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 536; Frotscher, EStG, § 49 Rz 23; Hidien in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 49 Rz E 337), sich lediglich graduell von diesen unterscheiden (vgl. Lüdicke in Lademann, EStG, § 49 Rz 474) und Schnittstellen zu diesen aufweisen, die der Darbietung als solcher ihrerseits einen gewissen eigenschöpferischen Charakter verleihen (vgl. Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 49 Rz 42; in diese Richtung auch , EFG 1998, 951 betr. die Tätigkeit von Fotomodellen; weiter gehend , EFG 2001, 74 betr. Ritterschauspiele und Vorführung handwerklicher Tätigkeiten des Mittelalters).

So verstandene Berührungspunkte zu einer künstlerischen Darbietung wiesen die Auftritte der Tänzerinnen im Streitfall auf. Nach den Feststellungen des FG bestanden die Auftritte in der Präsentation bestimmter Bewegungsabläufe im Einklang mit Musik, wobei zu den zu präsentierenden Bewegungsabläufen auch das weitgehende Entkleiden gehörte. Hieraus ergibt sich eine hinreichende Nähe zu einer als künstlerische Darbietung anzusehenden tänzerischen Aufführung. Ob darüber hinaus und unabhängig von einem derartigen qualitativen Kriterium sämtliche Darbietungen mit vergleichbarem Unterhaltungscharakter oder das gesamte Show- und Unterhaltungsgeschäft unter den Begriff der ähnlichen Darbietungen fallen (so wohl , BStBl I 1996, 89, unter Tz 2.2.1; Krabbe, Finanz-Rundschau —FR— 1986, 425, 426; Kempermann, FR 1999, 857, 858), kann im Streitfall offenbleiben.

b) Der Senat teilt nicht die gegen das Tatbestandsmerkmal der ähnlichen Darbietungen geäußerten Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 26. Aufl., § 49 Rz 28). Aus den ausdrücklich genannten Tätigkeiten ergeben sich genügend Anhaltspunkte für eine wertende Ausfüllung des Begriffs (vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Rz 5.200; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 42).

2. Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall von der Verpflichtung zum Steuerabzug befreiende Freistellungsbescheinigungen gemäß § 50d Abs. 3 EStG erteilt wurden, sind nicht ersichtlich. Den ihr mithin obliegenden Steuerabzug hat die Klägerin nicht vorgenommen. Das FA war daher gemäß § 73g EStDV berechtigt, die Klägerin in Haftung zu nehmen. Besonderer Darlegungen zur Ausübung des Auswahlermessens bedurfte es aufgrund der beschränkten Steuerpflicht der Steuerschuldnerinnen und mangels ersichtlicher Zugriffsmöglichkeit im Inland nicht (vgl. Senatsurteil vom I R 41/92, BFHE 170, 204, BStBl II 1993, 407; Senatsbeschlüsse vom I B 44/96, BFHE 181, 562, BStBl II 1997, 306; vom I B 59/00, BFH/NV 2001, 448). Die Haftungsbescheide sind auch der Höhe nach rechtmäßig. Soweit die Höhe der gezahlten Vergütungen nicht feststand, durfte das FA einen Betrag schätzen (§ 162 Abs. 1 der Abgabenordnung). Anhaltspunkte dafür, dass die teilweise vorgenommene Schätzung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, sind nicht ersichtlich.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 356 Nr. 3
FR 2008 S. 434 Nr. 9
HFR 2008 S. 454 Nr. 5
KÖSDI 2008 S. 15934 Nr. 3
OAAAC-67505