Frist für Anhörungsrüge und Antrag auf Protokollberichtigung; Hinweispflicht des Gerichts; Kenntnisnahme des Parteivorbringens
Gesetze: FGO § 133a; FGO § 94; FGO § 108
Instanzenzug:
Gründe
1. Die Anhörungsrüge ist unbegründet.
Die geltend gemachten Gründe ergeben nicht, dass das Gericht den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 133a der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
a) Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens das Recht, vor Gericht Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, sofern das Vorbringen nicht nach den Prozessvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder bleiben kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— vom 2 BvR 96/60, BVerfGE 11, 218, 220; vom 2 BvR 578/69, BVerfGE 28, 378, 384, und vom 2 BvR 558/75, BVerfGE 42, 364, 367 f.).
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (, BVerfGE 54, 43), zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen (Entscheidungen des BVerfG in BVerfGE 28, 378, 384; vom 2 BvR 1086/74, BVerfGE 40, 101, 104 f.; in BVerfGE 42, 364, 368, und vom 2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86). Der Umstand allein, dass sich die Entscheidungsgründe mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinander setzen, rechtfertigt grundsätzlich nicht die Annahme, das Gericht habe den Gesichtspunkt unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör übergangen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom X S 18/05, BFH/NV 2006, 595, m.w.N., und vom IV S 10/06, nicht veröffentlicht —n.v.—).
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nur dann vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (Entscheidungen des , BVerfGE 27, 248, 252; in BVerfGE 28, 378, 384 f., und vom 1 BvR 426/77, BVerfGE 47, 182, 187 f.).
b) Diese Voraussetzungen liegen entgegen der Auffassung der Klägerin, Revisionsklägerin und Rügeführerin (Klägerin) im Streitfall nicht vor:
aa) Der erkennende Senat hat die Ausführungen der Klägerin hinsichtlich der Frage der erstinstanzlichen Richterablehnung voll zur Kenntnis genommen, zum Ablehnungsantrag I (wie sich aus der Urteilsbegründung ergibt) aber die Auffassung vertreten, dass eine Voreingenommenheit der Vorderrichter hier schon deshalb nicht vorliege, weil diese der Klägerin wegen der streitigen Rechtsfragen eine Schriftsatzfrist eingeräumt und damit zum Ausdruck gebracht haben, sich mit dieser Frage noch einmal befassen zu wollen. Der Klägerin, die diesen zum objektiven Geschehen gehörenden Gesichtspunkt bei ihrer Betrachtung nicht beachtet hatte, war deshalb entgegenzuhalten, dass sie die Voreingenommenheit der abgelehnten Richter nicht darzulegen vermocht hat.
Die Ausführungen der Klägerin zu den Ablehnungsanträgen II und III ergeben ebenfalls keine Verletzung des Rechts auf Gehör. Der BFH hat bei seiner Entscheidung den Vortrag der Klägerin nicht „systematisch” ausgeblendet, wie diese meint, sondern ist lediglich der Bewertung der Klägerin, die geltend gemachten Verfahrens- und Rechtsverstöße des Finanzgerichts (FG) rechtfertigten die beantragte Richterablehnung, nicht gefolgt. Die Anhörungsrüge nach § 133a FGO kann nicht dazu dienen, das Gericht zu einer erneuten Rechtsüberprüfung zu veranlassen.
Auch die Ausführungen der Klägerin zu § 48 der Zivilprozessordnung (ZPO) ergeben keine Gehörsverletzung, die entscheidungserheblich wäre. Der erkennende Senat stützt nämlich seine Auffassung, der betreffende Richter sei nicht zur Anzeige verpflichtet gewesen, zum einen auf eine restriktive Auslegung des Begriffs „Verhältnisse” und zum anderen darauf, dass die von der Klägerin dargelegten Umstände nicht notwendig auf die Befangenheit des betreffenden Richters schließen ließen. Selbst wenn die restriktive Auslegung für die Klägerin überraschend gewesen sein mochte, wäre die Wertung des BFH, die Gründe rechtfertigten keine Befangenheit und erforderten damit auch keine Anzeige, für sich tragfähig. Der Auffassung der Klägerin, es liege auch hinsichtlich dieser Wertung eine Überraschungsentscheidung vor, kann nicht gefolgt werden. Sie musste damit rechnen, dass der erkennende Senat bei der Frage der Anzeigepflicht auch würde prüfen müssen, ob mit der erforderlichen Gewissheit eine Befangenheit des betreffenden Richters angenommen werden konnte. Das Gericht war deshalb nicht verpflichtet, die Klägerin auf die mögliche fehlende Befangenheit des Richters hinzuweisen.
Dasselbe gilt auch hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob die erstinstanzlichen Richter sich für die Entscheidung über die Befangenheitsanträge ausreichend Zeit genommen haben. Der erkennende Senat war auch insoweit nicht verpflichtet, der Klägerin das Ergebnis seiner Beurteilung und die Gründe hierfür im Vorhinein mitzuteilen. Die Klägerin musste damit rechnen, dass der Senat die behauptete Zeitspanne für ausreichend erachtet.
bb) Auch die behauptete Gehörsverletzung im Zusammenhang mit dem Feststellungsverfahren bei doppelstöckigen Personengesellschaften ist nicht gegeben. Der erkennende Senat ist in diesem Punkt lediglich der von der Klägerin geltend gemachten, der ständigen Rechtsprechung des BFH indes widersprechenden Rechtsmeinung nicht gefolgt. Hieraus ergibt sich nicht, dass der Senat die Ausführungen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen hat.
cc) Die Ausführungen der Klägerin unter B. II. 3. a ihrer Rechtsmittelbegründung ergeben ebenfalls keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Auf die von der Klägerin herausgestellten Sachverhaltsunterschiede kommt es nicht an. Denn selbst wenn im Streitfall noch eine verfahrensrechtliche Änderungsmöglichkeit bestanden hätte, bliebe es bei der in Bezug genommenen Aussage in dem Urteil II R 24/05, dass die Klägerin keinen Anspruch haben kann auf den Ansatz eines Werts, der „materiell noch unrichtiger” würde, als er durch die Nichtberücksichtigung der nachträglich festgestellten Werte bereits ist.
dd) Die Ausführungen der Klägerin unter B. II. 3. b, mit denen sie lediglich der Rechtsauffassung des erkennenden Senats entgegentritt, ergeben ebenfalls keine schlüssige Begründung der erhobenen Gehörsrüge. Dasselbe gilt auch für die Darlegungen unter B. II. 3. c und d. Die Fragen hinsichtlich des Zusammenspiels zwischen § 164 der Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit dem differenzierten System der Ablaufhemmungen des § 171 AO waren Gegenstand der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom . Der erkennende Senat ist auch in diesem Punkt der Rechtsmeinung der Klägerin nicht gefolgt. Es entspricht nicht der Funktion der Gehörsrüge nach § 133a FGO, im abgeschlossenen Verfahren bereits erörterte, nicht im Sinne des Rechtsmittelführers entschiedene Rechtsfragen einer nochmaligen gerichtlichen Überprüfung zuzuführen.
ee) Auch hinsichtlich des Änderungsrahmens nach § 177 AO liegt keine Gehörsverletzung vor (B. II. 4.). Aus dem Umstand, dass der erkennende Senat den verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht gefolgt ist, ergibt sich nicht, dass er die diesbezüglichen Ausführungen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen hat. Im Übrigen waren die hiermit zusammenhängenden Fragestellungen Gegenstand der vorbereitenden Schriftsätze wie auch der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom . Von einer Überraschungsentscheidung kann keine Rede sein. Die Klägerin selbst beschäftigte sich in ihrem Schriftsatz vom auf den Seiten 14/15 mit der Frage der Einbeziehung teilverjährter Steuern in den Änderungsrahmen nach § 177 AO. In der mündlichen Verhandlung wurde zudem die zahlenmäßige Gesamtauswirkung aus der verspäteten Auswertung von Grundlagenbescheiden betreffend die Beteiligung der Klägerin an Untergesellschaften erörtert. Unter diesen Umständen bedurfte es keines weiteren Hinweises des erkennenden Senats.
ff) Auch die Ausführungen der Klägerin zur Behandlung der Forderungen gegen ausländische Personengesellschaften (B. II. 5.) ergeben keine Gehörsverletzung. Es ging im Streitfall nicht um die Beurteilung des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) Österreich, sondern ausschließlich um das DBA Frankreich 1959/1969. Die Gründe, die für die Subsidiarität des Artikels über Unternehmensgewinne zugunsten des Zinsartikels im DBA Frankreich 1959/1969 sprechen, hat der erkennende Senat in seinem Urteil auf den Seiten 21. ff. im Einzelnen dargelegt. Soweit auf den Seiten 26 unten/27 oben auch Ausführungen zum DBA Österreich gemacht werden, wird auf den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin eingegangen. Der Vortrag der Klägerin wurde somit gerade nicht übergangen, der Bewertung der Klägerin lediglich nicht gefolgt.
gg) Die Rechtsausführungen der Klägerin zur Niederlassungsfreiheit, mit denen sie der Rechtsauffassung des erkennenden Senats lediglich widerspricht, ergeben ebenfalls keine Gehörsverletzung. Die Klägerin musste damit rechnen, dass der Senat ihren Bedenken nicht folgen werde, und hatte hinreichend Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
2. Die Ausführungen des weiteren Prozessbevollmächtigten, des Steuerberaters S, in seinem Schriftsatz vom konnten, soweit sie über dasjenige hinausgehen, was bereits zuvor vorgetragen worden war, als verspätet nicht berücksichtigt werden. § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmt, dass die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben ist. Aus § 133a Abs. 2 Satz 6 FGO folgt, dass Bestandteil einer ordnungsgemäßen Rüge die Darlegung der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist. Im Zusammenspiel der Sätze 6 und 2 des § 133a Abs. 2 FGO ergibt sich, dass die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Rüge innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erfüllt sein müssen ( n.v.; Rüsken in Beermann/Gosch, FGO, § 133a Rz 50, 52).
3. Der Antrag der Klägerin auf Ergänzung des Protokolls ist unzulässig.
Die Klägerin beantragt in ihrem Schriftsatz vom „rein vorsorglich, nämlich für den Fall, dass der Senat nur dasjenige aus der mündlichen Verhandlung verwerten möchte, was auch im Protokoll vermerkt ist,…eine Ergänzung des Protokolls…um die Ausführungen von Herrn Dr. A”, die das (BFHE 188, 315, BStBl II 2000, 399), die Auslegung des DBA Deutschland-Österreich und die Behandlung von Sondervergütungen und Sonderbetriebsvermögen im österreichischen Steuerrecht betreffen. Die Klägerin bezeichnet ihren Antrag in der Überschrift ihres Schriftsatzes zwar als Antrag auf Protokollberichtigung (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 164 Abs. 1 ZPO), an anderer Stelle jedoch als Protokollergänzungsantrag. Da sie die Unrichtigkeit des Protokolls nicht geltend macht und inhaltlich ausschließlich Ergänzung des Protokolls begehrt, ist der Antrag der Klägerin als ein auf Protokollergänzung gerichteter Antrag zu beurteilen.
Die Klägerin hat ihren Antrag „rein vorsorglich” und unter einer Bedingung oder einem Vorbehalt gestellt. Die Einschränkung ist zwar in der Sache unverständlich, denn das Gericht entscheidet gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nach seiner aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Wörtlich genommen steht aber der Antrag unter der genannten Bedingung oder dem Vorbehalt. Ebenso wie Klage oder Rechtsmittel darf auch ein Antrag auf Ergänzung des Protokolls nicht unter einer Bedingung oder einem Vorbehalt gestellt werden. Der Antrag ist Prozesshandlung. Über das Schweben eines solchen Antrags darf keine Unklarheit bestehen. Er ist deshalb unzulässig.
Darüber hinaus ist der Antrag der Klägerin auf Ergänzung des Protokolls auch aus zeitlichen Gründen unzulässig. Gemäß § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4 Satz 1 ZPO können die Beteiligten beantragen, dass bestimmte Vorgänge oder Äußerungen in das Protokoll aufgenommen werden. Ein solcher Antrag auf Ergänzung des Protokolls kann nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden. Ein später gestellter Antrag ist unzulässig (, BFH/NV 1989, 24).
Wie sich aus § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4 Satz 2 ZPO ergibt, entscheidet über einen Antrag auf Ergänzung des Protokolls nicht der Vorsitzende, sondern das Gericht.
4. Für die Entscheidung über die Anhörungsrüge wird eine Gebühr in Höhe von 50 € erhoben (vgl. Anlage 1 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz i.d.F. von Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom , BGBl I 2004, 718, Teil 6 Gebühr Nr. 6400 i.d.F. von Art. 11 Nr. 7 Buchst. h des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vom ; vgl. , BFH/NV 2006, 1483). Die Entscheidung über den Protokollergänzungsantrag ergeht als Teil des Hauptsacheverfahrens gerichtskostenfrei (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 108 FGO Rz 25).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AAAAC-39287