BFH Urteil v. - V R 58, 59/04 BStBl 2007 II S. 487

Leitsatz

1. Die Abgabe von fertig zubereiteten Speisen aus einem Imbisswagen unterliegt als Dienstleistung dem Regelsteuersatz, wenn aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers das Dienstleistungselement der Speisenabgabe überwiegt; dagegen ist die bloße Abgabe von fertig zubereiteten Speisen aus einem Imbisswagen „zum Mitnehmen” eine nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993 ermäßigt zu besteuernde Lieferung.

2. Bei der Beurteilung, ob das Dienstleistungselement der Abgabe von fertig zubereiteten Speisen überwiegt, sind nur solche Dienstleistungen zu berücksichtigen, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung der Speisen verbunden sind.

3. Der Wortlaut des § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG 1993 in der seit geltenden Fassung ist nicht in vollem Umfang gemeinschaftsrechtskonform.

Gesetze: UStG 1993 § 3 Abs. 1UStG 1993 § 3 Abs. 4UStG 1993 § 3 Abs. 9 Satz 1, 4 und 5UStG 1993 § 12 Abs. 2 Nr. 1, Anlage 2 Nr. 28, 31, 32, 33UStG 1993 a.F. § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und 3UStGemAntG Art. 4 Nrn. 1 und 4UStGemAntG Art. 9 Abs. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 5 Abs. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3, Anhang H Nr. 1

Instanzenzug: (EFG 2005, 150) und 8 K 4439/02 (DStRE 2005, 661)

Gründe

I.

Streitig ist die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) auf Umsätze aus dem Betrieb eines Imbisswagens.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb in den Jahren 1997 und 1998 (Streitjahre) einen Imbisswagen, den er auf Karnevals- und Kirmesveranstaltungen, Jahrmärkten und Weihnachtsmärkten einsetzte. Der Wagen hatte auf den beiden kurzen Seiten und auf einer langen Seite eine Theke (Höhe: 85 cm). Die Theke war mit einer etwa 30 cm hohen Glasumrandung vom Inneren des Imbisswagens abgetrennt. Der Wagen war mit einem Dach versehen, das etwa einen Meter über die Theke hinausragte.

Der Kläger gab folgende zubereitete Speisen ab: Backfisch und Bratwurst in Brötchen mit Papierserviette, Pommes Frites, Currywurst in einer Einwegschale mit Kleingabeln sowie Reibekuchen —auf Wunsch mit Apfelmus— auf einem kleinen Plastikteller ohne Besteck. Für den Kunden zugänglich war Senf in kleinen Gläsern mit Löffel. Ketchup und Mayonnaise befanden sich hinter der Glasumrandung.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG), auf deren Protokoll das FG Bezug genommen hat, gab der Kläger an, dass sich in etwa 95 v.H. der Fälle neben seinem Stand ein Getränkestand befinde, an dem Tische und Stühle aufgestellt seien. Nach der Abgabe der Speisen entfernten sich einige Kunden gänzlich von seinem Stand; der andere Teil der Kunden, der auch etwas trinken wolle, gehe zum benachbarten Getränkestand und setze sich mit den Speisen dort hin. Dies werde von den Betreibern geduldet, u.a. weil man sich auf den Veranstaltungen kenne. Die Kunden entsorgten nach dem Essen ihre Abfälle selbständig. Wenn dies nicht geschehe, habe er mit der Entsorgung nichts zu tun. Er reinige auch nicht die Getränketische.

Nachdem der Kläger keine Steuererklärungen für die Streitjahre eingereicht hatte, erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) zunächst am einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1997 und schätzte die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 der Abgabenordnung (AO 1977). Die Festsetzung erging nach § 164 Abs. 1 AO 1977 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Das FA wandte im Rahmen seiner Schätzung —wie in den Vorjahren— auf sämtliche Umsätze aus dem Betrieb des Imbisswagens den ermäßigten Umsatzsteuersatz an. Gegen den Bescheid erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage.

In der Folgezeit erließ das FA am einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1998 und schätzte auch insoweit die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO 1977. Gegen diesen Bescheid, der keinen Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO 1977 enthielt, legte der Kläger Einspruch ein.

Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, die Umsätze des Klägers unterlägen zu 85 v.H. dem allgemeinen Steuersatz und lediglich zu 15 v.H. dem ermäßigten Steuersatz. Dies ergebe sich für die Umsätze des Klägers ab dem aus den durch Art. 4 Nr. 1, Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Datenermittlung für den Verteilungsschlüssel des Gemeindeanteils am Umsatzsteueraufkommen und zur Änderung steuerlicher Vorschriften (UStGemAntG) vom (BGBl I 1998, 1496) mit Wirkung vom eingefügten § 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG 1993. Für die Umsätze des Klägers im Jahr 1997 und bis zum folge dies aus § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und 3 UStG 1993 i.d.F. vor In-Kraft-Treten des UStGemAntG (UStG a.F.). Denn bei den vom Kläger verkauften Speisen handele es sich überwiegend um nicht verpackte, verzehrfertige Lebensmittel, die dem Abnehmer in einer Form dargereicht würden, dass er sie an Ort und Stelle (am Imbisswagen) verzehren könne. Der Kläger biete seinen Kunden mit der Theke Ablagebretter rund um den Imbisswagen an. Außerdem seien Stehtische in der Form eines Fasses vorhanden, die in der Mitte eine Öffnung für Abfall hätten.

Das FA erließ deshalb am einen nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1997 und am einen unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1998, in denen es —abweichend von den zwischenzeitlich eingereichten Umsatzsteuererklärungen des Klägers— die Umsätze aus dem Betrieb des Imbisswagens zu 85 v.H. mit dem allgemeinen Steuersatz und nur zu 15 v.H. mit dem ermäßigten Steuersatz besteuerte. Diese Bescheide wurden Gegenstand des Klage- bzw. Einspruchsverfahrens. Sodann wies das FA den Einspruch des Klägers gegen den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1998 als unbegründet zurück. Auch hiergegen erhob der Kläger Klage.

Im Rahmen beider Klageverfahren beantragte der Kläger sinngemäß, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidungen und unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre die Umsatzsteuer erklärungsgemäß festzusetzen. Lediglich hilfsweise für den Fall, dass seine Umsätze zu 85 v.H. dem normalen Steuersatz und lediglich zu 15 v.H. dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, hatte der Kläger auch gegen den geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für das Jahr 1997 und die geänderten Gewerbesteuermessbetragsbescheide für die Streitjahre Klage erhoben und beantragt, die sich aus der Umsatzsteuermehrbelastung resultierenden Gewinnminderungen zu berücksichtigen.

Das FG gab den Klagen im Hauptantrag (Umsatzsteuer) statt. Es vertrat in seinen in „Entscheidungen der Finanzgerichte” (EFG) 2005, 150 und „Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst” (DStRE) 2005, 661 veröffentlichten Urteilen die Auffassung, dass bei Umsätzen eines Imbisswagens die mit der Lieferung der Speisen zusammenhängenden Dienstleistungen der Gesamtleistung nur dann das Gepräge gäben, wenn besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten würden. Die Umsätze des Klägers seien mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern, weil das FG nicht die Überzeugung habe gewinnen können, dass der Kläger solche Vorrichtungen bereitgehalten habe. Soweit auf den zur Akte gereichten Lichtbildern „Bierzeltgarnituren” von Standnachbarn zu sehen seien, seien diese dem Kläger nicht zuzurechnen.

Über die Hilfsanträge des Klägers (zur gesonderten Feststellung 1997 und zum Gewerbesteuermessbetrag 1997 und 1998) entschied das FG deshalb nicht.

Mit seinen Revisionen hinsichtlich Umsatzsteuer für die Streitjahre rügt das FA Verletzung der § 3 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und 3 UStG a.F., § 3 Abs. 9 Satz 1, 4 und 5, § 12 Abs. 1 UStG 1993.

Es macht erstens geltend, das FG habe zu Unrecht darauf abgestellt, dass allein mangels Vorhandenseins besonderer Verzehrvorrichtungen die Lieferung des eigentlichen Nahrungsmittels im Vordergrund gestanden habe. Allein daraus folge noch nicht, dass eine Lieferung vorliege. Vielmehr könnten auch andere Dienstleistungselemente für die Annahme einer sonstigen Leistung ausreichen. Die Leistungen des Klägers reichten für eine Dienstleistung aus. Außerdem fielen fertig zubereitete Lebensmittel generell nicht unter die Ermäßigungsvorschrift.

Das FA trägt zweitens vor, im Streitfall habe der Kläger entgegen der Auffassung des FG die Theke, umbaute Ölfässer und die Tische und Bänke der Standnachbarn als besondere Verzehrvorrichtungen bereitgehalten.

Allerdings sei zugunsten des Klägers eine Reduzierung der festgesetzten Umsatzsteuer geboten, weil es, das FA, bei der Ermittlung der Umsätze zu 7 v.H. und 15 v.H. irrtümlich von den in der Umsatzsteuererklärung angegebenen „Netto-Erlösen” ausgegangen sei.

Daneben hat das FA auch wegen gesonderter Feststellung des Gewinns 1997 und Gewerbesteuermessbetrag 1997 sowie wegen Gewerbesteuermessbetrag 1998 Revision eingelegt und sinngemäß beantragt, die Vorentscheidungen aufzuheben sowie

- hinsichtlich des Jahres 1997 unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids 1997 vom die Umsatzsteuer auf 53 020,60 DM festzusetzen, unter Änderung des Gewerbesteuermessbetragsbescheids 1997 und des Gewinnfeststellungsbescheids 1997 vom eine aus der Umsatzsteuermehrbelastung resultierende Gewinnminderung in Höhe von 36 575,63 DM zu berücksichtigen und im Übrigen die Klage abzuweisen;

- hinsichtlich des Jahres 1998 unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids 1998 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom die Umsatzsteuer auf 55 655,70 DM festzusetzen, unter Änderung des Gewerbesteuermessbetragsbescheids 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom die aus der Umsatzsteuermehrbelastung resultierende Gewinnminderung in Höhe von 37 757,06 DM zu berücksichtigen und im Übrigen die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.

Der erkennende Senat hat am einen Gerichtsbescheid erlassen und darin die verbundenen Revisionen des FA wegen Gewerbesteuermessbetrag 1997 und 1998 sowie gesonderter Feststellung des Gewinns 1997 als unzulässig verworfen; wegen Umsatzsteuer 1997 und 1998 hat der Senat die Vorentscheidungen aufgehoben und die Sachen an das FG zurückverwiesen. Daraufhin hat der Kläger lediglich wegen Umsatzsteuer 1997 und 1998 gemäß § 90a Abs. 2 Satz 1, § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mündliche Verhandlung beantragt. In der mündlichen Verhandlung hat das FA deshalb keine Anträge wegen Gewerbesteuermessbetrag 1997 und 1998 sowie gesonderter Feststellung des Gewinns 1997 gestellt. Im Übrigen halten beide Beteiligte ihre Anträge unverändert aufrecht.

II.

Soweit der Senat die Revisionen wegen Gewerbesteuermessbetrag 1997 und 1998 sowie gesonderter Feststellung des Gewinns 1997 durch Gerichtsbescheid vom als unzulässig verworfen hat, darf hierüber im vorliegenden Urteil nicht entschieden werden; denn der Kläger hat seinen rechtzeitigen Antrag auf mündliche Verhandlung auf Umsatzsteuer 1997 und 1998 beschränkt. Eine solche Beschränkung ist zulässig und wirksam (vgl. , BFHE 202, 507, BStBl II 2003, 822, m.w.N.). Hinsichtlich Gewerbesteuermessbetrag 1997 und 1998 sowie gesonderter Feststellung des Gewinns 1997 wirkt deshalb der Gerichtsbescheid vom gemäß § 90a Abs. 3  1. Halbsatz, § 121 Satz 1 FGO als Urteil.

III.

Die zulässigen Revisionen wegen Umsatzsteuer 1997 und 1998, die der Senat gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbindet, sind begründet; sie führten zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Rechtsstreite an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die Vorentscheidungen entsprechen nicht in vollem Umfang den Grundsätzen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des BFH zur Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen (Dienst-)Leistungen. Der Senat kann jedoch nicht selbst entscheiden; es sind noch weitere Feststellungen zu treffen.

1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993 ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für die Lieferung der in der Anlage (jetzt: Anlage 2) bezeichneten Gegenstände.

Nach § 3 Abs. 1 UStG 1993 sind Lieferungen eines Unternehmers u.a. Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG 1993).

Dementsprechend gilt nach Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, als Lieferung eines Gegenstandes. Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstandes ist (Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG).

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG a.F., der auf die Umsätze des Klägers im Jahr 1997 und bis zum anzuwenden ist, galt die Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993 nicht für die Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle. Mit gleicher Zielsetzung regelt § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG 1993, der auf die seit dem ausgeführten Umsätze des Klägers anzuwenden ist, dass die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Leistung ist. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle im Sinne dieser Vorschriften abgegeben/geliefert, wenn sie nach den Umständen der Abgabe/Lieferung dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Abgabe/Lieferung in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden (§ 3 Abs. 9 Satz 5 UStG 1993, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 UStG a.F.).

2. Zur Abgrenzung von Lieferungen und Dienstleistungen i.S. der Art. 5 und 6 der Richtlinie 77/388/EWG hat der EuGH in seinem Urteil vom C-231/94 —Faaborg-Gelting Linien A/S— (Slg. 1996, I-2395) wörtlich ausgeführt:

"12 Ob bestimmte Umsätze Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen sind, richtet sich nach ihrem Wesen. Dieses ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln.

13 Die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr ist das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen. Dabei wird dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt, die sowohl einen Speisesaal mit Nebenräumen (Garderoben u.a.) als auch das Mobiliar und das Geschirr umfasst. Gegebenenfalls werden Kellner das Gedeck auflegen, den Gast beraten, die angebotenen Speisen oder Getränke erläutern, diese auftragen und schließlich nach dem Verzehr die Tische abräumen.

14 Somit ist der Restaurationsumsatz durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen bei weitem überwiegen. Er ist daher als Dienstleistung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie zu betrachten. Etwas anderes gilt hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel 'zum Mitnehmen' bezieht und daneben keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen.”

Hieran anschließend hat er im Urteil vom Rs. C-491/03 —Hermann— (Slg. 2005, I-2025, BFH/NV Beilage 2005, 210) zur Frage, ob die Frankfurter Getränkesteuersatzung (GetrStS) verbrauchsteuerpflichtige Waren (i.S. von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren —Richtlinie 92/12/EWG—) oder Dienstleistungen betrifft, die im Zusammenhang mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren erbracht werden, Folgendes ausgeführt:

"21 Um zu bestimmen, ob die mit der GetrStS erhobene Steuer verbrauchsteuerpflichtige Waren im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12 oder eher die Dienstleistungen betrifft, die im Zusammenhang mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Richtlinie erbracht werden, ist das überwiegende Element des besteuerten Umsatzes zu berücksichtigen (vgl. analog Urteil Faaborg-Gelting Linien, Randnrn. 12 bis 14).

22 Da die Vermarktung eines Gegenstands immer mit einer minimalen Dienstleistung, wie dem Darbieten der Waren in Regalen, dem Ausstellen einer Rechnung usw., verbunden ist, können bei der Beurteilung des Dienstleistungsanteils an der Gesamtheit eines komplexen Geschäftes, zu dem auch die Lieferung eines Gegenstands gehört, nur die Dienstleistungen berücksichtigt werden, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung eines Gegenstands verbunden sind.

23 Auch wenn die aufgrund der GetrStS erhobene Steuer an den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle und damit an ein dienstleistungsbezogenes Element anknüpft, das sich von den Vorgängen unterscheidet, die notwendig mit der Vermarktung alkoholhaltiger Getränke verbunden sind, so lässt sich doch nicht allgemein sagen, dass bei allen in den Anwendungsbereich dieser Steuer fallenden Vorgängen das Dienstleistungselement immer überwiegen wird.

24 Demnach ist für jeden besteuerten Umsatz festzustellen, welches das überwiegende Element ist.

25 Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass die Volkswirt Weinschänken GmbH eine Gaststätte betreibt, in der sie Speisen und Getränke serviert.

26 Die Abgabe alkoholhaltiger Getränke an Kunden im Rahmen einer Bewirtungstätigkeit geht mit einer Reihe von Dienstleistungen einher, die sich von den Vorgängen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung solcher Waren verbunden sind. Es handelt sich um die Zurverfügungstellung einer Infrastruktur, die einen möblierten Speisesaal mit Nebenräumen (Garderobe, Toiletten usw.) umfasst, um die Beratung und Information der Kunden hinsichtlich der servierten Getränke, um die Darbietung der Getränke in einem geeigneten Gefäß, um die Bedienung bei Tisch und schließlich um das Abdecken der Tische und die Reinigung nach dem Verzehr (vgl. in diesem Sinne Urteil Faaborg-Gelting Linien A/S, RandNr. 13).

27 Die Abgabe alkoholhaltiger Getränke im Rahmen einer Bewirtungstätigkeit ist durch ein Bündel von Elementen und Handlungen gekennzeichnet, von denen die Lieferung des Gegenstands selbst nur einen Bestandteil darstellt und bei denen die Dienstleistungen überwiegen.”

Nach diesen Grundsätzen ist auch im Streitfall für jeden besteuerten Umsatz zu entscheiden, ob eine —dem ermäßigten Steuersatz unterliegende— Lieferung von Speisen oder eine —dem Regelsteuersatz unterliegende— Dienstleistung vorliegt (vgl. BFH-Beschlüsse vom V B 26/05, BFH/NV 2006, 140; vom V B 156/05, BFH/NV 2006, 1527).

Es kommt nicht auf ein quantitatives Überwiegen des Dienstleistungselements der Bewirtung gegenüber der Speisenlieferung an, sondern darauf, ob das Dienstleistungselement qualitativ überwiegt (vgl. , BFH/NV 2006, 2221).

3. Die Vorentscheidung war nach diesen Grundsätzen aufzuheben. Das FG hätte die von ihm so genannten „Bierzeltgarnituren” berücksichtigen müssen, weil die Kunden des Klägers diese mit Duldung der Standnachbarn des Klägers zum Verzehr an Ort und Stelle nutzen durften.

Das FG hat zu Unrecht angenommen, die Tische, Bänke und Stühle der Standnachbarn könnten keine „Vorrichtungen” sein, die dem Kläger zuzurechnen seien. Nach der Rechtsprechung des Senats sind vielmehr auch Verzehrvorrichtungen, die einem Dritten gehören, in die Würdigung einzubeziehen, wenn sie zumindest auch im Interesse des leistenden Unternehmers zur Verfügung gestellt werden (vgl. , BFHE 116, 294, BStBl II 1975, 796, unter 2.; vom V R 20/98, BFHE 187, 340, BStBl II 1999, 326, unter II.2.b; in BFH/NV 2006, 2221, unter II.3.a; ebenso Abschn. 161 Abs. 4 Satz 1 der Umsatzsteuer-RichtlinienUStR— 1996).

4. Der Senat kann aufgrund der Feststellungen des FG selbst entscheiden, dass der Kläger bei einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers teilweise Dienstleistungen erbringt und teilweise Lieferungen ausführt.

a) Nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung, dessen Inhalt das FG durch Bezugnahme festgestellt hat, hatten bei 95 v.H. der Veranstaltungen Standnachbarn neben dem Imbisswagen des Klägers Tische und Stühle aufgestellt. Nach der Abgabe der Speisen entfernten sich einige Kunden gänzlich vom Imbisswagen des Klägers. Hingegen gingen andere Kunden, die auch etwas trinken wollten, zum benachbarten Getränkestand und setzten sich mit den Speisen dort hin. Dies wurde von den Standnachbarn geduldet, u.a. weil man sich auf den Veranstaltungen kannte.

b) Aufgrund dieser Feststellungen des FG erbrachte der Kläger insoweit Dienstleistungen i.S. des § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG 1993, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, als er seinen Kunden mit Hilfe seiner Standnachbarn eine „Infrastruktur” i.S. der RandNr. 26 ff. des EuGH-Urteils Hermann (in Slg. 2005, I-2025, BFH/NV Beilage 2005, 210) bereitstellte, die nicht notwendig mit der Vermarktung zubereiteter Speisen zusammenhing. Aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers gab der Kläger nicht nur zubereitete Speisen ab, sondern er stellte auch unmittelbar neben seinem Imbisswagen Tische, Bänke oder Stühle bereit, an denen die gekauften Speisen sitzend verzehrt werden konnten. Auf welcher Rechtsgrundlage (hier: Duldung) und von wem (hier: von Standnachbarn) die Sitzplätze dem Kläger zur Bereitstellung an seine Kunden überlassen wurden, in wessen Eigentum sie standen und wer sie anschließend reinigte, ist unter Umständen wie denen des Streitfalls aus der Sicht eines Kunden unerheblich.

c) Der Kläger erbrachte —entgegen der Auffassung des FA— nicht schon deshalb Dienstleistungen, weil sich an seinem Imbissstand in den Streitjahren eine Theke und in der Umgebung möglicherweise mehrere Ölfässer befanden.

aa) Das FG hat den Streitfall insoweit dahin gehend gewürdigt, dass nach dem glaubhaften Vortrag des Klägers an der Theke tatsächlich niemand Speisen zu sich nehme, weil an dem seitlichen Teil der Umrandung die durch Bratvorgänge entstehenden Fettspritzer und im Hauptteil der Umrandung der Kundenandrang dies nicht ermöglichten. Auch die Fässer mit Holzplatte seien keine Verzehreinrichtung. Die Ölfässer seien keine Stehtische, sondern Mülleimer, an denen der durchschnittliche Kirmesbesucher nicht gewillt sei, Speisen zu sich zu nehmen.

bb) Diese tatsächliche Würdigung des FG ist aufgrund der festgestellten Tatsachen und der in Bezug genommenen Lichtbilder möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze; sie bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO). Auf die Frage, ob in den Streitjahren überhaupt Fässer vorhanden wären, kommt es deshalb nicht mehr an.

d) Soweit der Kläger lediglich Speisen „zum Mitnehmen” abgegeben hat, unterliegen diese Umsätze als Lieferungen (vgl. EuGH-Urteil Faaborg-Gelting Linien A/S in Slg. 1996, I-2395 RandNr. 14) der Besteuerung mit dem ermäßigten Steuersatz (vgl. , BFHE 191, 429, BStBl II 2000, 482, unter II.2.b aa), weil der Kläger insoweit keine Dienstleistungen erbrachte, die den Verzehr in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalteten.

aa) Entgegen der Auffassung der Revision führt die Zubereitung der Speisen durch den Kläger als Dienstleistungselement (vgl. EuGH-Urteil Faaborg-Gelting Linien A/S in Slg. 1996, I-2395 RandNr. 13) nicht generell zur Annahme einer Dienstleistung. Die Zubereitung der Speisen ist nämlich im Streitfall im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen; denn bei der Beurteilung des Dienstleistungsanteils an der Gesamtheit eines komplexen Geschäftes, zu dem auch die Abgabe einer fertig zubereiteten Speise gehört, dürfen nur solche Dienstleistungen berücksichtigt werden, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung eines Gegenstands verbunden sind (vgl. EuGH-Urteil Hermann in Slg. 2005, I-2025, BFH/NV Beilage 2005, 210, RandNr. 22, 26 ff.). Die notwendige Vorstufe der Vermarktung einer zubereiteten Speise ist jedoch ihre Zubereitung.

Diese Beurteilung wird durch § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Nr. 28, 31, 32 und 33 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG 1993 bestätigt: Danach ist nämlich die Lieferung der dort genannten Lebensmittelzubereitungen ermäßigt zu besteuern, was voraussetzt, dass Lebensmittelzubereitungen „geliefert” werden können; die Vorschrift wäre sonst gegenstandslos. Der vom FA angeführten Auffassung des FG des Saarlands (Beschluss vom   1 V 176/03, EFG 2003, 1742), verzehrfertige Speisen seien generell nicht begünstigt, vermag der Senat deshalb nicht zu folgen.

bb) Auch dass der Kläger die Speisen „zum Mitnehmen” in Papierservietten oder Einwegschälchen und mit Einweggabeln abgegeben sowie auf Wunsch Senf, Ketchup, Mayonnaise oder Apfelmus beigefügt hat, ist insoweit unschädlich. Dies gilt auch für die Bereitstellung von Abfalleimern, da die Rücknahme von Verkaufsverpackungen notwendig mit der Vermarktung von Lebensmitteln verbunden ist. Dies ergibt sich aus § 6 Abs. 1 und 5 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 9 der Verpackungsverordnung 1998 (BGBl I 1998, 2379) i.V.m. Art. 3 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 11, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 der Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Verpackungen und Verpackungsabfälle —Richtlinie 94/62/EG— (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 365 vom , S. 10), wonach Verkaufsverpackungen vom Vertreiber (hier: dem Kläger) zurückzunehmen und beigefügte Einwegartikel (z.B. Einwegbesteck) als Verpackungen zu betrachten sind.

Das (BFHE 140, 324, BStBl II 1984, 349, unter 7.) steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Das Urteil erging noch zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1967. Die Rechtslage hat sich durch die danach ergangene Richtlinie 77/388/EWG und die oben wiedergegebene EuGH-Rechtsprechung zur Beurteilung der sog. Restaurationsumsätze geändert.

cc) Auch aus § 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG 1993, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und 3 UStG a.F. folgt nichts anderes. Der Senat geht insoweit zwar davon aus, dass das Vorhandensein von „Verzehrvorrichtungen” ein Indiz dafür ist, dass der Unternehmer eine „Infrastruktur” i.S. der RandNr. 26 des EuGH-Urteils Hermann (in Slg. 2005, I-2025, BFH/NV Beilage 2005, 210) bereithält, die nicht notwendigerweise mit der Vermarktung von zubereiteten Speisen zusammenhängt. Allerdings ergibt sich umgekehrt aus RandNr. 23 des Urteils, dass der EuGH davon ausgeht, dass gemeinschaftsrechtlich nicht jede Abgabe von Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle eine Dienstleistung ist. Daraus folgt, dass der Wortlaut des § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG 1993 nicht in vollem Umfang richtlinienkonform ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 2221): Der deutsche Gesetzgeber darf insoweit nicht durch § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG 1993 eine Lieferung i.S. des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG in eine sonstige Leistung (Dienstleistung) umqualifizieren.

5. Die Sache ist nicht spruchreif.

a) Das FG hat —ausgehend von seiner Rechtsauffassung konsequenterweise— nicht festgestellt, welchen Anteil die unter III.4.b und III.4.d genannten Umsätze am Gesamtumsatz des Klägers haben und inwieweit das FA —wie es selbst einräumt— bei der Festsetzung von unzutreffenden Entgelten ausgegangen ist. Dies muss das FG nachholen. Dabei kann das FG auch der vom FA im Revisionsverfahren erstmals aufgeworfenen Frage nachgehen, ob und inwieweit der Kläger Getränke abgegeben hat.

b) Hinsichtlich des Umsatzsteuer-Änderungsbescheids des FA für das Streitjahr 1998 vom wird das FG allerdings zunächst zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 vorgelegen haben.

aa) Die Änderung eines Steuerbescheids nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt geworden sind, die zu einer höheren Steuer führen. Eine geänderte Schlussfolgerung des FA aufgrund anderer rechtlicher Beurteilung oder Beweiswürdigung reicht nicht aus (zur Abgrenzung vgl. u.a. , BFH/NV 1988, 342; vom V R 99/83, BFH/NV 1986, 589; vom V R 58/81, nicht veröffentlicht, unter 3. zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und 3 UStG a.F.).

bb) Im Streitfall ist anhand der vom FG in Bezug genommenen Umsatzsteuerbescheide lediglich erkennbar, dass das FA im ursprünglichen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1998 vom von Umsätzen mit einer geschätzten Bemessungsgrundlage von 612 000 DM ausgegangen ist, während es im Änderungsbescheid vom nur noch Umsätze mit einer Bemessungsgrundlage von 597 611 DM angesetzt hat. Die höhere Umsatzsteuer beruht demnach allein darauf, dass das FA —anders als in den Vorjahren— angenommen hat, die Umsätze des Klägers unterlägen zu 85 v.H. dem allgemeinen Steuersatz. Ob dies auf einer geänderten rechtlichen Beurteilung oder Beweiswürdigung durch das FA oder auf neuen Tatsachen oder Beweismitteln beruht, musste das FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nicht feststellen. Für Ersteres spricht der Umstand, dass das FA nur die Umsatzsteuerbescheide für Jahre nach Ergehen des EuGH-Urteils Faaborg-Gelting Linien A/S (in Slg. 1996, I-2395) geändert hat und deshalb nicht den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1996.

c) Soweit die Klagen gegen die Umsatzsteuerbescheide abzuweisen sind, wird das FG über die Hilfsanträge des Klägers entscheiden und die dazu noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen müssen.

Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 487
BFH/NV 2007 S. 374 Nr. 2
DStRE 2007 S. 565 Nr. 9
HFR 2007 S. 267 Nr. 3
INF 2007 S. 91 Nr. 3
KÖSDI 2007 S. 15389 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 2/2007 S. 84
StB 2007 S. 44 Nr. 2
StBW 2007 S. 4 Nr. 1
StuB-Bilanzreport Nr. 4/2007 S. 156
UR 2007 S. 183 Nr. 5
UStB 2007 S. 35 Nr. 2
PAAAC-33456