Verfassungswidrigkeit der Mindeststeuerregelung des § 2 Abs. 3 EStG
Leitsatz
Es wird die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8, § 10d Abs. 1 Sätze 2 bis 4, Abs. 2 Sätze 2 bis 4, Satz 5 Halbsatz 2 soweit auf Sätze 2 bis 4 verweisend, und Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG) verfassungswidrig sind.
Gesetze: EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff.EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 10d Abs. 1 Sätze 2 ff., Abs. 2 Sätze 2 ff., Abs. 3
Instanzenzug: (EFG 2004, 996), ,
Gründe
A. Gegenstand der Vorlage
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zusammenveranlagte Eheleute, erzielten im Streitjahr 1999 Einkünfte aus Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit, nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ermittelte die Einkünfte lt. Bescheid vom wie folgt:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Kläger | Klägerin | |
1 368 052 DM | - | |
26 520 DM | - | |
95 338 DM | 110 994 DM | |
89 195 DM | 9 560 DM | |
./. 2 056 493 DM | - |
Die (gesondert festgestellten) Verluste aus Vermietung und Verpachtung erzielte der Kläger als Gesellschafter einer GbR, die ein Gebäude errichtet hat, in dem u.a. ein Altenheim betrieben wurde. Die Planungen hierfür hatten bereits im Jahr 1995 begonnen. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) entfielen auf den Kläger Einnahmen von 646 261 DM, Schuldzinsen von 1 522 456 DM und (degressive) Absetzung für Abnutzung (AfA) von 1 231 600 DM.
Das FA ermittelte eine Einkommensteuer nach der Splittingtabelle von 337 448 DM. Bei Anwendung des § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/ 2000/2002 (EStG) ging es von Summen der positiven Einkünfte von 1 579 105 DM (Kläger) bzw. 120 554 DM (Klägerin), einer Summe der negativen Einkünfte von 2 056 493 DM und ausgleichsfähigen negativen Einkünften von 839 552 DM bzw. 110 277 DM aus.
Der Einspruch der Kläger, mit dem sie vortrugen, der beschränkte Verlustausgleich nach § 2 Abs. 3 EStG verletze den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und den Vertrauensschutz für die bereits im Jahr 1995 getroffene Vermögensdisposition, blieb erfolglos.
Das FG wies die Klage, mit der die Kläger eine Festsetzung der Einkommensteuer auf 0 DM bzw. eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beantragt hatten, ab (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2004, 996). Der begrenzte Verlustausgleich nach § 2 Abs. 3 EStG sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 3 EStG. Wenn der Gesetzgeber sich zur Steuererhöhung gezwungen sehe, müsse er die Gesetze so gestalten, dass die zur Steuerzahlung verpflichteten Bürger wirtschaftlich nicht überfordert oder sogar enteignet würden. Zumindest sei durch Übergangsregelungen Vertrauensschutz für frühere Dispositionen zu gewähren. Es sei willkürlich, Einkommensteuer unter Missachtung der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Veranlagungszeitraum festzusetzen. Steuern auf einen Gesamtbetrag der Einkünfte zu erheben, der tatsächlich nicht erzielt werde, sei ein enteignungsgleicher, letztlich die Existenz gefährdender Eingriff. Dies sei mit dem Hinweis auf die künftige Verrechenbarkeit der Verluste nicht zu rechtfertigen, denn diese sei keineswegs gesichert (vgl. z.B. mangels Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, Krankheit, Tod). Auch hinter Abschreibungen stehe wirtschaftlich ein Abfluss an Liquidität.
Die Kläger beantragen, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 3 EStG einzuholen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Eine Streckung der Verlustverrechnung sei verfassungsrechtlich zulässig. Die Existenz der Kläger sei nicht gefährdet, eine unterschiedliche Behandlung von echten und unechten Verlusten gerechtfertigt (BRDrucks 560/03, S. 13). Der sog. Halbteilungsgrundsatz gelte nicht für die Einkommensteuer. Die unechte Rückwirkung sei unter Berücksichtigung des Rückgangs des Einkommensteueraufkommens verfassungsrechtlich zulässig.
Während des Revisionsverfahrens sind Änderungsbescheide ergangen. Dem zuletzt am ergangenen liegen folgende Einkünfte zugrunde:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Kläger | Klägerin | |
1 362 954 DM | 1 093 DM | |
26 520 DM | - | |
95 338 DM | 110 994 DM | |
189 932 DM | 9 574 DM | |
./. 1 282 120 DM | - |
Das FA ermittelte die Einkommensteuer nach der Splittingtabelle mit 364 073 DM. Dabei geht es nunmehr von einer Summe der positiven Einkünfte von 1 674 744 DM (Kläger) bzw. 121 661 DM (Klägerin), einer Summe der negativen Einkünfte in Höhe von 1 282 120 DM und einem ausgleichsfähigen Verlust von 887 372 DM bzw. 110 831 DM aus.
Auf Anfrage hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mitgeteilt, dass es dem Verfahren nicht beitritt.
B. Entscheidungsgründe
Das Verfahren ist nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auszusetzen. Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 und § 10d Abs. 1 Sätze 2 bis 4 und Abs. 2 Sätze 2 bis 4, Satz 5 Halbsatz 2 und Abs. 3 EStG wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit verfassungswidrig sind.
I. Gesetzeswortlaut
§ 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG hat folgenden Wortlaut:
„Bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte sind zunächst jeweils die Summen der Einkünfte aus jeder Einkunftsart, dann die Summe der positiven Einkünfte zu ermitteln. Die Summe der positiven Einkünfte ist, soweit sie den Betrag von 100 000 Deutsche Mark übersteigt, durch negative Summen der Einkünfte aus anderen Einkunftsarten nur bis zur Hälfte zu mindern. Die Minderung ist in dem Verhältnis vorzunehmen, in dem die positiven Summen der Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten zur Summe der positiven Einkünfte stehen. Übersteigt die Summe der negativen Einkünfte den nach Satz 3 ausgleichsfähigen Betrag, sind die negativen Summen der Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten in dem Verhältnis zu berücksichtigen, in dem sie zur Summe der negativen Einkünfte stehen. Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen veranlagt werden, sind nicht nach den Sätzen 2 bis 5 ausgeglichene negative Einkünfte des einen Ehegatten dem anderen Ehegatten zuzurechnen, soweit sie bei diesem nach den Sätzen 2 bis 5 ausgeglichen werden können; können negative Einkünfte des einen Ehegatten bei dem anderen Ehegatten zu weniger als 100 000 Deutsche Mark ausgeglichen werden, sind die positiven Einkünfte des einen Ehegatten über die Sätze 2 bis 5 hinaus um den Unterschiedsbetrag bis zu einem Höchstbetrag von 100 000 Deutsche Mark durch die noch nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte dieses Ehegatten zu mindern, soweit der Betrag der Minderungen bei beiden Ehegatten nach den Sätzen 3 bis 6 den Betrag von 200 000 Deutsche Mark zuzüglich der Hälfte des den Betrag von 200 000 Deutsche Mark übersteigenden Teils der zusammengefaßten Summe der positiven Einkünfte beider Ehegatten nicht übersteigt. Können negative Einkünfte des einen Ehegatten bei ihm nach Satz 3 zu weniger als 100 000 Deutsche Mark ausgeglichen werden, sind die positiven Einkünfte des anderen Ehegatten über die Sätze 2 bis 6 hinaus um den Unterschiedsbetrag bis zu einem Höchstbetrag von 100 000 Deutsche Mark durch die noch nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte des einen Ehegatten zu mindern, soweit der Betrag der Minderungen bei beiden Ehegatten nach den Sätzen 3 bis 7 den Betrag von 200 000 Deutsche Mark zuzüglich der Hälfte des den Betrag von 200 000 Deutsche Mark übersteigenden Teils der zusammengefaßten Summe der positiven Einkünfte beider Ehegatten nicht übersteigt. Die Sätze 4 und 5 geltend entsprechend.”
Der sich auf diese Regelung beziehende § 10d Abs. 1 und 2, jeweils Sätze 2 ff., Abs. 3 EStG lautet:
„Die negativen Einkünfte sind zunächst jeweils von den positiven Einkünften derselben Einkunftsart abzuziehen, die nach der Anwendung des § 2 Abs. 3 verbleiben. Soweit in diesem Veranlagungszeitraum durch einen Ausgleich nach § 2 Abs. 3 Satz 3 oder einen Abzug nach Absatz 2 Satz 3 die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft sind, mindern die nach der Anwendung des Satzes 2 verbleibenden negativen Einkünfte die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten bis zu einem Betrag von 100 000 Deutsche Mark, darüber hinaus bis zur Hälfte des 100 000 Deutsche Mark übersteigenden Teils der Summe der positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten. Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen veranlagt werden, gilt § 2 Abs. 3 Satz 6 bis 8 sinngemäß, soweit in diesem Veranlagungszeitraum durch einen Ausgleich nach § 2 Abs. 3 Satz 6 und 7 oder einen Abzug nach Absatz 2 Satz 4 die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft sind.…
In jedem folgenden Veranlagungszeitraum sind die negativen Einkünfte zunächst jeweils von den positiven Einkünften derselben Einkunftsart abzuziehen, die nach der Anwendung des § 2 Abs. 3 verbleiben. Soweit in diesem Veranlagungszeitraum durch einen Ausgleich nach § 2 Abs. 3 die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft sind, mindern die nach der Anwendung des Satzes 2 verbleibenden negativen Einkünfte die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten bis zu einem Betrag von 100 000 Deutsche Mark, darüber hinaus bis zur Hälfte des 100 000 Deutsche Mark übersteigenden Teils der Summe der positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten. Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen veranlagt werden, gilt § 2 Abs. 3 Satz 6 bis 8 sinngemäß, soweit in diesem Veranlagungszeitraum durch einen Ausgleich nach § 2 Abs. 3 Satz 6 und 7 die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft sind. Der Abzug ist nur insoweit zulässig, als die Verluste nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind und in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht nach den Sätzen 1 bis 4 abgezogen werden konnten. ...
Für die Anwendung von Absatz 1 Satz 1 und 3 sowie Absatz 2 Satz 3 gilt § 2 Abs. 3 Satz 4 und 5 sinngemäß.”
II. Rechtsprechung des BVerfG
Das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG) folgende Bestimmtheitsgebot verlangt vom Gesetzgeber, Vorschriften so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Der Betroffene muss die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung so erkennen können, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag. Soweit die praktische Bedeutung einer Regelung vom Zusammenspiel der Normen unterschiedlicher Regelungsbereiche abhängt, müssen die Klarheit des Normeninhalts und die Vorhersehbarkeit der Ergebnisse der Normanwendung auch im Hinblick auf dieses Zusammenwirken gesichert sein. Die Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Norm dienen zugleich dazu, die Verwaltung zu binden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen und haben demokratische Funktion. Schließlich sollen sie die Gerichte in die Lage versetzen, die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren, und dienen zugleich demokratischen Prinzipien. Die verfassungsrechtlich sichergestellte Gewähr von Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) vermag einer unbestimmten oder unklaren Norm nicht zur Bestimmtheit oder Klarheit zu verhelfen. Die Anforderungen im Einzelfall richten sich nach Art (unten III.) und Schwere (unten IV.) des jeweiligen Eingriffs. Sie erhöhen sich, wenn die Unsicherheit bei der Beurteilung der Gesetzeslage die Betätigung von Grundrechten erschwert. Je schwerwiegendere Auswirkungen ein Gesetz hat, desto höher sind die an die Gesetzesbestimmtheit und -klarheit zu stellenden Anforderungen (z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvF 3/92, BVerfGE 110, 33, 53 ff.; vom 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01, BVerfGE 108, 52, 75; Urteil vom 2 BvL 9-12/98, BVerfGE 108, 1, 20, m.w.N.; Beschluss vom 2 BvL 3, 9/77, BVerfGE 56, 1, 13).
Für den Bereich des Steuerrechts müssen nach der Rechtsprechung des BVerfG die steuerbegründenden Tatbestände so bestimmt sein, dass der Steuerpflichtige (unten V.) die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann (z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 2 BvL 7, 8/84, BVerfGE 73, 388, 400; vom 2 BvR 154/74, BVerfGE 49, 343, 362, jeweils m.w.N.). An dem rechtsstaatlichen Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der Steuerlasten hat das BVerfG —entgegen im Schrifttum geäußerter Zweifel (vgl. z.B. Holdorf, Betriebs-Berater —BB— 2001, 2085; Werner, Die Mindestbesteuerung im deutschen und US-amerikanischen Einkommensteuerrecht, 2000, S. 75 f.)— stets festgehalten und seine Beachtung in jüngerer Zeit zunehmend häufiger angemahnt (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss des Zweiten Senats vom 2 BvR 1057/91 u.a., BVerfGE 99, 216, 243, BStBl II 1999, 182, 191; Urteil in BVerfGE 108, 1, 20; Beschluss in BVerfGE 110, 33, 53; vgl. auch zum Zusammenwirken von Sozial- und Steuernorm in BVerfGE 108, 52, 75; vgl. auch Papier/Möller, Archiv des öffentlichen Rechts —AöR— 122, S. 177, 185, 197; Heintzen, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft —DStJG— 28 (2005), S. 163, 177).
III. Art des Eingriffs
1. § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG und der hierauf Bezug nehmende § 10d Abs. 1 bis 3 EStG sind als Fiskalzwecknormen —wie das Polizeirecht— Eingriffsnormen (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2006, 507, BFH/NV 2006, Beilage 3, 368), für die besondere Anforderungen an Klarheit, Verständlichkeit, Praktikabilität und Justiziabilität zu stellen sind (vgl. z.B. Birk, DStJG 27 (2004), S. 9, 14; Benda, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 1984, 159, 162). Sie bezwecken eine Mindestbesteuerung durch eine Begrenzung der Verrechnung der positiven und negativen Einkünfte verschiedener Einkunftsarten, d.h. der sog. vertikalen Verlustverrechnung (BTDrucks 14/442, S. 2; 14/443, S. 15). Geregelt wird die Verrechnung im Jahr des Erzielens von negativen Einkünften, der sog. Verlustausgleich, und ihre Verrechnung in früheren und späteren Veranlagungszeiträumen, der sog. Verlustabzug (Verlustrück- und -vortrag). Letztlich nicht betroffen sind die Steuerpflichtigen, die in keiner Einkunftsart Einkünfte von mehr als 100 000 DM (ab 2002: 51 500 €) erzielen.
Diese sog. Mindeststeuer bewirkt eine Verluststreckung über mehrere Veranlagungszeiträume und erhöht jeweils bis zur vollständigen Verrechnung der negativen Einkünfte die Steuerlast. Sie ist rechtssystematisch keine Einschränkung einer Steuerbegünstigung (vgl. hierzu , BVerfGE 48, 210, 222), sondern eine (weitere) Abkehr von dem dem deutschen Ertragsteuerrecht zugrunde liegenden Prinzip der synthetischen Gesamteinkommensteuer (vgl. § 2 Abs. 3 EStG in der bis einschließlich 1998 geltenden Fassung z.B. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., § 9 Rz. 1; Hey Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 488; Werner, a.a.O., S. 61). Die gestreckte Verlustverrechnung kann zwar im Einzelfall durch zusätzliche Ausnutzung von Freibeträgen und erhöhte Progressionsauswirkung im Rahmen des Verlustabzugs auch die Steuerlast senken. Diese indirekten Rechtsfolgen des begrenzten Verlustausgleichs waren aber ebenso wenig Zweck der sog. Mindeststeuer wie z.B. die mittelbare Einschränkung abziehbarer außergewöhnlicher Belastungen (vgl. § 33 Abs. 3 EStG).
2. Die „Mindeststeuer"-Regelung dient —im Gegensatz zum ursprünglichen Gesetzesplan (BTDrucks 14/23, S. 167)— nicht der Abwehr sog. Abschreibungsmodelle o.Ä. und ist keine Reaktion auf komplexe Sachverhaltsgestaltungen der Steuerpflichtigen, die spiegelbildlich regelmäßig eine vergleichbare komplexe Gesetzesantwort verlangen (vgl. Birk, DStJG 27 (2004), S. 9, 14; Hey, a.a.O., S. 556; Heintzen, DStJG 28 (2005), S. 163, 187). Sie beruht auf der Dritten Beschlussempfehlung des Finanzausschusses und führt zu einer allgemeinen Begrenzung der Verlustverrechungsmöglichkeiten (BTDrucks 14/442, S. 2; Dritter Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 14/443, S. 15).Anlass für die rechnerische Beschränkung der Verrechnung tatsächlich entstandener Verluste war ein rapider Rückgang des Aufkommens aus der Einkommensteuer, insbesondere veranlasst durch die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz —FördG— (vgl. , BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552, m.w.N.; vgl. auch BTDrucks 15/1518, S. 13).
V. Schwere des Eingriffs
Die Mindeststeuer berührt den Schutzbereich der Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14, Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG.
1. Nach überwiegender Auffassung im Schrifttum verletzt die Beschränkung des Verlustausgleichs in § 2 Abs. 3 EStG die durch Art. 3 Abs. 1 GG garantierte Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, das sog. Nettoprinzip und das Gebot der Folgerichtigkeit und führt letztlich aufgrund der Differenzierung nach Einkunftsarten zu einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft” (Eckhoff, DStJG 28 (2005), S. 11, 36; vgl. z.B. Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 363; Herzig/ Briesemeister, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1999, 1377, 1382; Offerhaus, DStZ 2000, 9, 11; Raupach/Böckstiegel, Finanz-Rundschau —FR— 1999, 617, 621; Wendt, DStJG 28 (2005), S. 41, 71 ff.; Schmidt/Seeger, EStG, 22. Aufl., § 2 Rz 78; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, Steuerreform I, § 2 EStG Anm. R 9; Holdorf, BB 2001, 2085; Lang in Tipke/Lang, a.a.O., § 9 Rz. 67; Kirchhof in Kirchhof, EStG, 3. Aufl., § 2 Rn 129; Kirchhof/Geserich, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 Rdnr. D 250, 257; Blümich/Stuhrmann, § 2 EStG Rz. 20; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 2 Rn 210; Lehner, in: Lehner, Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, S. 20; Nolte, Mindestbesteuerung - Verlustrechnung in der Praxis, S. 22 f.; Palm, DStR 2002, 152; Arndt/Jenzen, DStR 1998, 1818, 1820; Ritzer, Die Mindestbesteuerung nach dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, S. 18 f.; vgl. auch Beschlüsse des , EFG 2001, 77, und des , EFG 2005, 175).
Dem ist der erkennende Senat zwar in mehreren summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen der die Veranlagungszeiträume übergreifenden Wirkung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gefolgt (vgl. Beschluss in BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552; Beschlüsse vom XI B 7/02, BFHE 202, 141, BStBl II 2003, 516, und XI B 76/02, BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523; vgl. zum abschnittsübergreifenden Nettoprinzip auch , HFR 1992, 423; zustimmend Werner, Der Steuerberater 2001, 379; krit. Hergarten, DStR 2001, 1876; Holdorf, BB 2001, 2085; Hallerbach, FR 2001, 780). Gleichwohl verkennt er nicht, dass die Begrenzung des vertikalen Verlustausgleichs trotz der Streckung der Verlustverrechnung nicht nur bei einer kleinen Zahl von Steuerpflichtigen (vgl. hierzu BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93, und vom 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348) mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu nennenswerten Belastungsunterschieden führen kann. Auch besteht naturgemäß keine Gewissheit, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können (vgl. auch Vorlage des erkennenden Senats an den Großen Senat des , BFHE 207, 404, BStBl II 2005, 262, zur Frage der Nichtvererbbarkeit von Verlusten). Bei konstanter Einkünftestruktur bleibt zudem die Verlustverrechnung rechtssystematisch in Zukunft ausgeschlossen (vgl. Ritzer, a.a.O., S. 21). Da der sog. horizontale Verlustausgleich zwischen den Einkünften derselben Einkunftsart nach wie vor unbegrenzt zulässig ist, sind ferner Bezieher gleichartiger Einkünfte bessergestellt als Steuerpflichtige mit Einkünften aus verschiedenen Einkunftsarten, obgleich die systematische Zuordnung zu verschiedenen Einkunftsarten grundsätzlich noch keine steuerliche Schlechterstellung rechtfertigt (, BVerfGE 99, 88); so sind z.B. „unechte” Verluste innerhalb großer Immobilienvermögen unbegrenzt, „echte” Verluste eines Start-up-Unternehmers mit positiven Einkünften aus einer Immobilie nur begrenzt auszugleichen (z.B. Sachverhalt in BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523; Nolte, a.a.O., S. 23).
2. Die begrenzte Verlustverrechung berührt zudem Art. 14 GG. Wie der 2. Senat des BVerfG mit Beschluss in HFR 2006, 507, BFH/NV 2006, Beilage 3, 368 entschieden hat, fällt die Steuerbelastung in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers wird durch die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BVerfG ist das Eigentumsgrundrecht zumindest dann verletzt, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen, dass sie erdrosselnde Wirkung haben (Urteil vom 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, 300). Da nach der Systematik der Mindeststeuer, eine Einkommensteuer auch dann zu erheben ist, wenn nach Saldierung der tatsächlich erzielten Einkünfte keine Einkünfte verbleiben, die rechnerisch verbleibenden Einkünfte nicht mehr die Steuerlast decken oder nach Saldierung und Abzug der Steuerlast dem Steuerpflichtigen nur noch ein geringer Betrag vom Hinzuerworbenen verbleibt, kann die Mindeststeuer je nach Sachlage erdrosselnd oder unverhältnismäßig sein. Auch bei hohem Einkommen muss dem Steuerpflichtigen ein —absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet— hohes, frei verfügbares Einkommen bleiben, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht (BVerfG-Beschluss in HFR 2006, 507, 511, BFH/NV 2006, Beilage 3, 368, 374). Zur Veranschaulichung der Problematik wird auf den im Streitfall ergangenen Bescheid vom verwiesen, in dem sich bei positiven Einkünften von 1 699 659 DM und negativen Einkünften von 2 056 493 DM, also einem Saldo von minus 356 834 DM nach der Splittingtabelle eine Einkommensteuer von 337 448 DM errechnete.
3. Diese Begrenzung des Verlustausgleichs berührt zudem den aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG abzuleitenden Schutz des Existenzminimums. Der Staat muss dem Steuerpflichtigen sein Einkommen mindestens insoweit steuerfrei belassen, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Der existenznotwendige Aufwand ist in angemessener und realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freizustellen (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 2 BvL 5/91 u.a., BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413; vom 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174). Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben wird infolge der Mindestbesteuerungsregelung nur noch entsprochen, wenn die positiven Einkünfte die negativen Einkünfte anderer Einkunftsarten in einem Ausmaß übersteigen, dass dem Steuerpflichtigen von seinem Erworbenen nach Erfüllung der Einkommensteuerpflicht noch ausreichende Mittel zur Existenzsicherung verbleiben. Steuerpflichtigen, deren negative bzw. positive Einkünfte verschiedener Einkunftsarten den sog. Bagatellbetrag von 100 000 DM bzw. 51 500 € und deren echte Verluste zugleich die positiven Einkünfte übersteigen, verbleibt von ihrem Erworbenen nichts mehr. Dasselbe Ergebnis kann auch bei Steuerpflichtigen eintreten, deren positive Einkünfte zwar die Verluste übersteigen, bei denen die wegen der Mindeststeuer festzusetzende Steuer aber den Überschuss aufzehrt.
Für diese Fälle hat der erkennende Senat, obgleich die Einkommensteuer nicht aufgrund einer Liquiditäts- oder Verbrauchsrechnung festgesetzt wird, eine Veranlagungszeitraum übergreifende Betrachtung abgelehnt und wiederholt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Einkommensteuerbescheide angeordnet, weil das Existenzminimum im aktuellen Veranlagungszeitraum verfügbar sein muss und mit der Fiktion eines verbliebenen Ertrags faktisch die Vorgaben der Rechtsprechung des BVerfG zum Verbleiben des Existenzminimums unterlaufen werden. Auch die Finanzverwaltung gewährt in diesen Fällen nunmehr AdV (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523; in BFHE 202, 141, BStBl II 2003, 516; vom XI B 78/02, BFH/NV 2005, 1279; vom XI B 231/02, BFH/NV 2005, 178; vom XI B 20/03, BFH/NV 2005, 176; , Steuererlasse in Karteiform, AO 1977, § 361 Nr. 268; z.B. Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 365; Herzig/Briesemeister, DStR 1999, 1377, 1381).
4. Die Unsicherheit in der Beurteilung der Mindestbesteuerungsregeln erschwert ferner unmittelbar die Betätigung der Freiheitsgrundrechte (Art. 2, 12 GG; zum Aspekt der Rechtssicherheit vgl. auch Papier/Möller, AöR 122, S. 177, 179). Begünstigt ist letztlich jene kleine Zahl von Steuerpflichtigen, die eine „Spitzenberatung” zur Quantifizierung und Vermeidung der stets individuellen Folgen der Mindestbesteuerung in Anspruch nehmen können. Schließlich eröffnet das EStG zur Vermeidung oder Minimierung der Mindeststeuer vielfältige —keineswegs des Missbrauchs verdächtige— Handlungsspielräume (für den Streitfall vgl. z.B. zur Umqualifizierung von negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb: Werner, a.a.O., S. 164; im Übrigen siehe z.B. Ritzer, a.a.O., S. 9, 20, 36; Altfelder, FR 2000, 18, 23; Raupach/ Böckstiegel, FR 1999, 487, 492; Herzig/Briesemeister, DStR 1999, 1377, 1381; HHR/Hallerbach, § 2 EStG Anm. R 37; Günkel/ Hörger/Thömmes, DStR 1999, 1873, 1877). Bei jeder Investition mit vorhersehbaren Verlustphasen sind die Verlustverrechnungsmöglichkeiten integraler Bestandteil wirtschaftlichen Kalkulierens (vgl. Hey, a.a.O., S. 489; zur Rückwirkung siehe z.B. , BVerfGE 105, 17).
Auch die Ausübung steuerlicher Wahlrechte (vgl. § 10d Abs. 1 Sätze 7, 8, §§ 26 ff. EStG) beeinflusst aufgrund der Mindeststeuerregelung die Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte und setzt folglich ein vollumfängliches Verständnis vom —gleichzeitigen und späteren— Ineinandergreifen von § 10d Abs. 1, 2 und § 2 Abs. 3 EStG voraus (vgl. insbesondere Ritzer, a.a.O., S. 103 ff.; zur günstigen Verlagerung von Einkunftsquellen zwischen zusammenveranlagten Ehegatten z.B. HHR/Hallerbach, § 2 EStG Anm. R 37; aber auch Ritzer, a.a.O., S. 48 ff.).
5. Die Mindeststeuerregelung besitzt zudem in Verbindung mit der Blankettnorm des § 370 der Abgabenordnung (AO 1977) strafrechtliche Relevanz (vgl. z.B. , BFH/NV 2005, Beilage 2, 122; Klein/Gast-de Haan, AO, 9. Aufl., § 370 Rz. 5). § 370 AO 1977 stellt zusammen mit der jeweils auszufüllenden Steuernorm (hier: § 2 Abs. 3, § 10d Abs. 1, 2 EStG) die Vorschrift dar, die der strengen Fassung der Gesetzesbestimmtheit in Art. 103 Abs. 2 GG genügen muss (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201, 208; vom 2 BvR 2334/96, Neue Zeitschrift für Strafrecht 1998, 103). Konnte nach der bis 1998 geltenden Gesetzeslage —von Ausnahmevorschriften abgesehen— die Erklärung tatsächlich erzielter negativer oder positiver Einkünfte gleich welcher Einkunftsart mangels Steuerverkürzung nicht den Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllen, kommt nunmehr der Erklärung, welcher Einkunftsart diese zuzuordnen sind, ggf. erhebliche steuerrelevante Bedeutung zu.
V. Normadressat
Der Inhalt von Steuerrechtsnormen muss sich in Tatbestand und Rechtsfolge aus der —objektivierten— Sicht der Steuerpflichtigen erschließen.
1. Der von einer Vorschrift des EStG „Betroffene” (vgl. z.B. Beschluss in BVerfGE 110, 33, 53; Urteile in BVerfGE 108, 1, 20; vom 1 BvR 668/04, BVerfGE 113, 348, und vom 2 BvR 581/01, BVerfGE 112, 304) ist der Steuerpflichtige, nicht sein Steuerberater (Hey, a.a.O., S. 559 ff.). Es reicht nicht aus, dass sich die Rechtsfolgen einer Norm allenfalls Experten erschließen (BVerfGE 110, 33, 64). Ebenso wie sich der Steuerpflichtige persönlich durch unrichtige oder unvollständige Angaben strafbar macht, muss er grundsätzlich anhand des ihm zugehenden Steuerbescheids dessen Rechtmäßigkeit beurteilen können. Der Schluss, bei Steuergesetzen könne die Feststellung, ob eine Vorschrift noch dem Gebot der Klarheit entspreche, nicht mehr aus der Sicht des Steuerpflichtigen getroffen werden (Werner, a.a.O., S. 74; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 2. Aufl., Bd. 1, S. 136), steht mit der Rechtsprechung des BVerfG nicht im Einklang. Diese fordert für die Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der Steuerlasten eine Einfachheit und Klarheit der gesetzlichen Regelung, die es dem „nicht steuerrechtskundigen Pflichtigen” (Beschluss in BVerfGE 99, 216, 243) erlaubt, seinen Erklärungspflichten nachzukommen. Der Betroffene muss anhand der gesetzlichen Regelung die Rechtslage so erkennen können, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag (Beschlüsse in BVerfGE 113, 348, und BVerfGE 112, 304, m.w.N.), denn die einmal entstandene Steuer ist unumkehrbar. Auch Rechtsanwendungsgleichheit und Sozialstaatsprinzip stehen der Annahme entgegen, von Verfassungs wegen reiche es aus, wenn der Inhalt eines Gesetzes für den Fachmann unter Aufbietung aller juristischen Interpretationsmöglichkeiten irgendwie verständlich ist (vgl. Hey, a.a.O., S. 559 ff.; Herzog, Neue Juristische Wochenschrift 1999, 25, 26). Ausnahmen sind möglicherweise zu machen, wenn der Normadressat typischerweise steuerlich beraten ist (vgl. z.B. §§ 27 ff. des Körperschaftsteuergesetzes —KStG—; Missbrauchsbekämpfungsnormen). Hierzu gehören § 2 Abs. 3, § 10d EStG nicht (vgl. z.B. Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 355; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, 487, 488; Böckstiegel/Betz, FR 2000, 793, 795; HHR/Hallerbach, § 10d EStG Anm. R 9; Hüsing, Der Betrieb 2000, 1149 f.; a.A. Werner, a.a.O., S. 76). Die Mindeststeuer differenziert allein nach der Höhe der Einkünfte, nicht nach dem betroffenen Personenkreis. Inländische Kapitalgesellschaften, die nach § 8 Abs. 2 KStG nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen, sind von der Verrechnungsbeschränkung ohnehin nicht betroffen.
Im Übrigen ist der vorlegende Senat nach eingehender Auseinandersetzung mit Wortlaut und Systematik des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff., § 10d Abs. 1 Sätze 2 ff. und Abs. 2 Satz 2 ff. EStG zu der Überzeugung gelangt, dass die Gesetzeslage selbst für den Fachmann nicht mehr hinreichend verständlich ist (ebenso z.B. Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 371; Nolte, a.a.O., S. 109; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, 487, 495; Günkel/Hörger/Thömmes, DStR 1999, 1873, 1877; Leis, FR 2004, 53, 54; Holdorf, BB 2001, 2085, 2092). Zu den typischerweise berufsmäßig abverlangten Pflichten eines steuerlichen Beraters gehört die Beachtung geltenden Rechts, nicht aber die —hier notwendige— wissenschaftliche Aufarbeitung, teilweise Verwerfung und „Rekonstruktion” (Altfelder, FR 2000, 18, 19) des Gesetzeswortlauts, mit dem —in Anbetracht der hohen Fehleranfälligkeit nicht zu vernachlässigenden— Risiko, für eine unvollständige und/oder unzutreffende Beratung persönlich zu haften (vgl. , HFR 1998, 763). Mit der Regelung der Mindestbesteuerung wird der Höhepunkt einer Entwicklung erreicht, die die beratenden Berufe zunehmend veranlasst, nicht mehr unmittelbar die Gesetze, sondern nur noch die Erlasse der Finanzverwaltung zu beachten.
2. Nicht „Betroffener” im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG ist die die Steuergesetze vollziehende Finanzverwaltung (vgl. , BVerfGE 78, 214, 216). Der Annahme, der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erkannten Kompliziertheit der gesetzlichen Regelung (dokumentiert z.B. in BRDrucks 475/4/99, S. 3; Nolte, a.a.O., S. 110) könne mit der Möglichkeit einer EDV-technischen Umsetzung durch die Verwaltung begegnet werden, liegt ein grundlegender Irrtum über den Normadressaten zugrunde.
VI. Verletzung des Gebots der Normenklarheit
Gemessen an Art und Schwere der durch die Mindeststeuerregelung betroffenen Grundrechte entsprechen § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff., § 10d Abs. 1 Sätze 2 bis 4, Abs. 2 Sätze 2 bis 4, Satz 5 Halbsatz 2 und Abs. 3 EStG nicht mehr dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit. Inhalt und Systematik der Vorschrift erschließen sich bei hoher Fehleranfälligkeit allenfalls „mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust zum Lösen von Denksport-Aufgaben” (Erkenntnis des Österreichischen Verfassungsgerichts vom G 81/82/90 u.a., Sammlung 12420/1990; wiedergegeben z.B. bei Kanzler, FR 2003, 665).
1. Im Schrifttum wird ausnahmslos die Auffassung vertreten, dass die Mindeststeuerregelung unverständlich, widersprüchlich, unpraktikabel und nicht mehr justiziabel ist. Der „chaotische” Wortlaut sei ein „Paradebeispiel” für die Verletzung des Gebots der Normenklarheit, eine „Meisterleistung an Verschleierungskunst” (Handzik in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 2 Rn 205, bzw. Altfelder, FR 2000, 18; vgl. z.B. Kirchhof, AöR 128, S. 1, 39; Kirchhof/Geserich, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 2 Rdnr. D 281; Kirchhof in Kirchhof, a.a.O., § 2 Rn 130; Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 371; Böckstiegel/Betz, FR 2000, 793, 795; Werner, a.a.O., S. 37; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, 487, 492, 494; dies., FR 1999, 617, 621; Schmidt/Seeger, a.a.O., § 2 Rz 79; HHR/Hallerbach, § 2 EStG Anm. R 9; Blümich/ Stuhrmann, § 2 EStG Rz. 20; Lang in Tipke/Lang, a.a.O., § 9 Rz. 66; Birk, DStJG 27 (2004), S. 9, 14; Ritzer/Stangl, DStR 1999, 1, 8; Heintzen, DStJG 28 (2005), S. 163, 167 ff., 176; Herzig/Briesemeister, DStR 1999, 1377, 1382; Eckhoff, DStJG 28 (2005), S. 11, 25; vgl. auch , EFG 2002, 597).
Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an und hält in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der genannten Autoren und abweichend von der Auffassung des , EFG 2006, 1253; anders z.B. aber FG Berlin, Beschluss in EFG 2002, 597) die Gesamtregelung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Normenklarheit für verfassungswidrig. Gesetzestechnisch stand einer klaren Anleitung zur Berechnung verrechenbarer Verluste im Prinzip nichts entgegen; ggf. hätte der Gesetzgeber im Interesse der Normenklarheit ein einfacheres Konzept entwickeln müssen.
2. Zum Zweck der begrifflichen Abgrenzung schickt der vorlegende Senat voraus, dass er die Forderung des BVerfG nach „Gesetzesbestimmtheit” als eine solche nach begrifflicher Präzision bei der Abfassung von Normen, die Forderung nach „Normenklarheit” als eine solche nach möglichst übersichtlichem, widerspruchsfreiem und verständlichem Recht versteht (zur Abgrenzung vgl. z.B. Jehke, Bestimmtheit und Klarheit im Steuerrecht, 2005, S. 28 ff., 180 ff.; Sandrock, in Festschrift für Knut Ipsen, S. 781, 795). Dementsprechend geht er in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG davon aus, dass die Auslegungsbedürftigkeit der in einer Norm verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe allein dem rechtsstaatlichen Erfordernis nach Normenbestimmtheit grundsätzlich nicht entgegensteht (z.B. , BVerfGE 21, 209, 215). Die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe entbindet aber den Gesetzgeber nicht davon, die Vorschriften so zu fassen, dass sie verständlich, d.h. insbesondere ohne innere Widersprüche und nicht fehleranfällig und redaktionell genau sind (Beschlüsse in BVerfGE 110, 33, 64, 72, 73; vom 1 BvR 775/66, BVerfGE 31, 255, 264; in BVerfGE 78, 214, 226). Der Anspruch des Betroffenen an die Informationsfunktion der Norm wird umso größer je mehr Begriffe zur Beschreibung der Regelung nötig werden, je komplexer die Begriffe sind und je mehr Verknüpfungen zwischen ihnen bestehen (Kreppel, in Festschrift für Werner von Simson, 1983, S. 119).
3. Der vorlegende Senat hält es in Anbetracht der sachlichen Zusammenhänge für zwingend, die Regelung der Verlustverrechnung insgesamt unter dem Gesichtspunkt der Normenklarheit zu beurteilen. Die §§ 2 Abs. 3, 10d EStG sind aufgrund der mit der Mindestbesteuerung beabsichtigten Verluststreckung und des durch die Verweisungen dokumentierten Zusammenspiels ein „untrennbares Ganzes” (Beschluss in BVerfGE 110, 33, 76; s.o. unter B. IV.; Senat in BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552). Die Vorschriften über den Verlustausgleich und -abzug sind zudem rechtssystematisch —anders als nach alter Rechtslage— bis zum Verbrauch der einzelnen negativen Einkunftsarten in einem Veranlagungszeitraum nebeneinander anzuwenden.
4. Gemessen an den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen verletzen die streitgegenständlichen Vorschriften den Grundsatz der Normenklarheit, denn sie sind sprachlich unverständlich, widersprüchlich, irreführend, unsystematisch aufgebaut und damit in höchstem Maße fehleranfällig.
a) Die sprachliche Unverständlichkeit der streitgegenständlichen Normen ist evident. Auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts unter B. I. wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Allein in § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG kumulieren sämtliche Merkmale einer dem Gebot der Klarheit widersprechenden Norm: Eine gehäufte Verwendung sprachlich kaum abgrenzbarer unbestimmter Rechtsbegriffe, eine umfangreiche Textlänge, ein unübersichtlicher Gesetzesaufbau, ein unklarer Satzbau, eine Häufung und Stufung von Regel-Ausnahme-Techniken, Mehrfachverweisungen und widersprüchliche Rechtsfolgenanordnungen (Handzik in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 2 Rn 204). Die Komplexität dieser Vorschriften kann sich zudem noch durch die zusätzliche absolute Begrenzung des Verlustrücktrags in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG, durch § 2b (heute § 15b) EStG i.V.m. § 2 Abs. 3 EStG, die einen besonderen mehrstufigen Verrechnungskreis bilden, und andere Verlustverrechnungsbeschränkungen i.V.m. § 10d EStG (§ 2a, § 15 Abs. 4, § 15a, § 22 Nr. 3 Sätze 3 und 4, § 23 Abs. 3 Sätze 6 und 7 EStG) erhöhen.
aa) § 2 Abs. 3 EStG verwendet sprachlich ungenaue bzw. unzutreffende, selbst vom Fachmann kaum noch zu differenzierende Begriffe bzw. Wortkombinationen für unterschiedliche Berechnungsgrößen, so: „Summe der Einkünfte”, „die Summen der Einkünfte aus jeder Einkunftsart”, „Summe der positiven Einkünfte”, „negative Summen der Einkünfte aus anderen Einkunftsarten”, „negativen Summen der Einkünfte”, „Summe der negativen Einkünfte”, „positiven Summen der Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten”, „zusammengefassten Summe der positiven Einkünfte”. Dabei treffen einige dieser Formulierungen nicht den Wortsinn, so „negative Summen der Einkünfte aus anderen Einkunftsarten” statt „Summe der negativen Einkünfte aus anderen Einkunftsarten” oder „negativen Summen der Einkünfte” statt „Summe der negativen Einkünfte” (vgl. Altfelder, FR 2000, 18, 40). Teil und Ganzes verschwimmen, so bei „Summe der Einkünfte” und „Summen der Einkünfte” (Werner, a.a.O., S. 51). Hinzu kommt, dass bereits der Kernbegriff „Einkünfte” keineswegs eindeutig ist. Er kann in entscheidungsrelevanter Weise als Ergebnis einer Einkunftsquelle oder als Summe oder Saldo der Ergebnisse einer Einkunftsart verstanden werden. Diese Unschärfe wirkt sich schon auf verständlich erscheinende Begriffe wie „Summe der positiven Einkünfte” steuerwirksam aus (vgl. hierzu z.B. Ritzer, a.a.O., S. 25 ff., m.w.N.; Werner, a.a.O., S. 51 f.). Soweit das EStG an anderer Stelle einzelne dieser Begriffe verwendet (§§ 24a, 39a Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b EStG), haben sie einen anderen Sinngehalt (Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 353). Der Mangel an verständlicher sprachlicher Abgrenzung hat zudem in Steuerbescheiden, wie dem Senat aus anhängigen Parallelverfahren bekannt ist, zu sprachlichen Neuschöpfungen wie „Summen der positiven Einkünfte aus jeder Einkunftsart” oder „ausgleichsfähige negative Summen der Einkünfte” geführt.
bb) Der Gesetzesaufbau ist unvollständig, unübersichtlich und unsystematisch. Inhaltlich ist die Regelung unvollständig. Es fehlt bereits eine Anleitung, welche der vielfältig zu ermittelnden Größen den letztlich maßgeblichen „Gesamtbetrag der Einkünfte” i.S. des § 2 Abs. 3 Satz 1 EStG ergeben. In Anlehnung an die herkömmliche Ermittlung wäre der Gesamtbetrag der Einkünfte als Saldo der positiven Einkünfte abzüglich des ausgleichsfähigen Verlustes zu verstehen. Da § 2 Abs. 3 Satz 4 EStG eine Minderung bei jeder positiven Einkunftsart vorschreibt, kann der Gesamtbetrag auch —höchst fehleranfällig— als Summe dieser verhältnismäßig geminderten positiven Einkünfte verstanden werden. Dieser Regelung liegt letztlich ein Fehler in der gewählten Gesetzessystematik zugrunde: Die Sätze 4 und 5 betreffen nicht die Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte, wie es nach dem Gesetzesaufbau zu erwarten wäre, sondern den rechtssystematisch erst nach Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte anschließenden Verlustabzug (vgl. § 10d Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG). Soweit sie den erst ab § 2 Abs. 3 Satz 6 ff. EStG geregelten Ehegattenausgleich betreffen, sind sie rechtssystematisch ebenfalls „verfrüht” (vgl. auch Satz 8).
Auch die Anknüpfung des Satzes 4 an Satz 3 ist unverständlich; nach Satz 3 ist die Summe der positiven Einkünfte zu mindern, Satz 4 schreibt hingegen eine verhältnismäßige Minderung bei den einzelnen Einkunftsarten vor (Altfelder, FR 2000, 18, 20). Satz 4 regelt zudem mit einer äußerst schwerfälligen, daher auch von der Finanzverwaltung nicht angewandten Methode (vgl. z.B. zu Richtlinie 3 der Einkommensteuer-Richtlinien 1999, Hinweis 3, Beispiel 1, Zeilen 27 ff.; Werner, a.a.O., S. 52) die Ermittlung der für einen Verlustvortrag aus vorangegangenen Veranlagungszeiträumen (§ 10d Abs. 2 EStG) oder einen Verlustrücktrag aus dem folgenden Veranlagungszeitraum (§ 10d Abs. 1 EStG) wesentlichen verbleibenden positiven Einkünfte, Satz 5 die Ermittlung der für einen Verlustrücktrag in das dem Veranlagungszeitraum vorangegangene und/oder einen Verlustvortrag in die folgenden Veranlagungszeiträume verbleibenden negativen Einkünfte der verschiedenen Einkunftsarten (vgl. Altfelder, FR 2000, 18, 20; Ritzer, a.a.O., S. 32; Blümich/Stuhrmann, § 2 EStG Rz. 18; Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 334).
Abgesehen von dieser durch die fehlende Gesetzessystematik verstärkten Verwirrung, ist Satz 5 unvollständig. Zum einen fehlt eine Satz 2 vergleichbare und daher gebotene Anordnung, die Summe der negativen Einkünfte zu berechnen, zum anderen eine Regelung für den Fall, dass die Summe der negativen Einkünfte mangels positiver Einkünfte nicht ausgeglichen werden kann (Ritzer, a.a.O., S. 31 f.). Auch erschließt sich der Sinn der Berechnungen nach den Sätzen 4 und 5 nur schwer, denn entgegen ihrer zwingend erscheinenden Anordnungen können sie gänzlich überflüssig sein (z.B. für den Verlustausgleich einzeln Veranlagter; für § 10d EStG bei positiven und negativen Einkünften von jeweils unter 100 000 DM oder positiven und negativen Einkünften jeweils nur einer Einkunftsart; Satz 4 bei voll ausgeglichenen positiven Einkünften von weniger als 100 000 DM; Satz 5 bei voll ausgeglichenen negativen Einkünften von unter 100 000 DM; vgl. Ritzer, a.a.O., S. 32; vgl. auch die umfangreichen, aber letztlich für den Verlustausgleich unnötigen Berechnungen bei Schmidt/Seeger, a.a.O., § 2 Rz 70 bis 72). Nur wenn positive und negative Einkünfte über 100 000 DM bzw. 51 500 € vorliegen, machen die beiden Verhältnismäßigkeitsrechnungen letztlich Sinn.
cc) Ab § 2 Abs. 3 Satz 6 EStG bedient sich die Vorschrift einer unübersichtlichen Verweisungstechnik. Die Sätze 6 und 7 erschließen sich aufgrund der vielfältigen Verweisungen auf mehrgliedrige Sätze, der verschiedenartigen Verfahren zur Verlustberücksichtigung und der unterschiedlichen sprachlichen Ausgestaltung (vgl. „Zurechnung” von negativen Einkünften; „Ausgleich” von negativen Einkünften; „Minderung…durch negative Einkünfte”) selbst dem ausgewiesenen Fachmann „erst nach stundenlangen Überlegungen in Umrissen” (so Raupach/Böckstiegel, FR 1999, 487, 495; vgl. auch Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 354). Die Sätze 6 und 7 bedienen sich zudem einer das Gesetzesverständnis erschwerenden Selbstbezüglichkeit: Satz 6 verweist —in Halbsatz 6— auf Satz 6 und Satz 7 verweist —in Halbsatz 3— auf Satz 7.
Zur Ermittlung der Auswirkungen eines horizontalen Verlustausgleichs, d.h. der Verrechnung von negativen und positiven Einkünften der selben Einkunftsart zwischen den Ehegatten, der nach überwiegender Meinung im Schrifttum aufgrund des § 2 Abs. 3 Satz 6 i.V.m. Satz 2 EStG als weiterhin zulässig angesehen wird (vgl. aber auch Raupach/Böckstiegel, FR 1999, 487, 496; Günkel/Hörger/Thömmes, DStR 1999, 1873, 1877), auf das vertikale Verlustausgleichsvolumen stehen aufgrund der gesetzlichen Verweisungstechnik zwei sich denkgesetzlich ausschließende sprachliche Alternativen zur Verfügung. Die Formulierung in Satz 6 Halbsatz 2 „sind nicht nach den Sätzen 2 bis 5 ausgeglichene negative Einkünfte des einen Ehegatten dem anderen Ehegatten zuzurechnen” spricht dafür, dass bei dem „einen” Ehegatten die Sätze 2 bis 5 abschließend durchlaufen wurden, bevor eine Übertragung der Verluste des anderen Ehegatten stattfindet. Der Wortlaut des Satzes 6 Halbsatz 3 hingegen „soweit sie bei diesem nach den Sätzen 2 bis 5 ausgeglichen werden können” spricht für eine originäre Berücksichtigung des horizontalen Ausgleichs beim jeweils anderen Ehegatten im ersten Durchgang (vgl. z.B. HHR/Hallerbach, § 2 EStG Anm. R 37, und Ritzer, a.a.O., S. 48 f.; Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 336 f.).
dd) In den Sätzen 6 und 7 bedient sich das Gesetz zudem ständiger Regel-Ausnahme-Techniken. Davon ausgehend, dass der Verlustausgleich für jeden Ehegatten zunächst gesondert zu ermitteln ist, regelt Satz 6 eine Ausnahme hiervon, wobei er sich anschließend erneuter Regel-Ausnahme-Techniken bedient. Ab Satz 6 setzen praktisch ständige „Pendelbewegungen” zwischen den Einkünften von zusammenveranlagten Ehegatten ein, sei es gleicher oder unterschiedlicher Art (vgl. Darstellungen z.B. bei Altfeder, FR 2000, 18 ff.; Ritzer, a.a.O., S. 45 ff.; Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 336). Jeweils neue Obergrenzen für die Ermittlung des vertikalen Verlustausgleichspotenzials entstehen, deren Berechnung sich wiederum nicht dem Gesetz mit der in Anbetracht der Komplexität zu erwartenden Klarheit ergibt. Zur Diskussion stehen folgende Berechnungsformeln: verbliebener „Bagatellbetrag” + 1/2 (Summe der positiven Einkünfte ./. verbliebener „Bagatellbetrag”) oder „Bagatellbetrag” + 1/2 (Summe der positiven Einkünfte ./. „Bagatellbetrag”) ./. eigener vertikaler Verlustausgleich (vgl. Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 338 f., m.w.N.). Den einfacheren Weg, bei zusammenveranlagten Ehegatten den „Bagatellbetrag” zu verdoppeln und darüber hinaus die Hälfte der Summe der diesen Betrag übersteigenden positiven gemeinsamen Einkünfte durch Verluste vertikal auszugleichen, beschreitet § 2 Abs. 3 Sätze 6 ff. EStG nicht. Die Komplexität der gesetzlichen Regelung bei Ehegatten entsprach dem ursprünglichen Gesetzesplan, die steuerentlastenden Auswirkungen des Ehegattensplittings zu verringern (siehe BTDrucks 14/23, S. 126). Offensichtlich wurde nach Aufgabe dieser Absicht —wohl aus zeitlichen Gründen (vgl. Nolte, a.a.O., S. 29)— eine sachgerechte Umformulierung unterlassen. Im Übrigen bleibt auch der in § 2 Abs. 3 Satz 7 EStG bezeichnete „Unterschiedsbetrag” mangels deutlicher Angabe der Ausgangsgrößen inhaltlich vage (vgl. hierzu z.B. Altfelder, FR 2000, 18, 28 f.).
ee) § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG ist zudem in ein Umfeld von rechtssystematischen Brüchen eingebettet, was den intellektuellen Zugang zur gesetzlichen Mindestbesteuerung zusätzlich erschwert. System- und Folgewidrigkeit sind die schlechtesten Voraussetzungen für das Normverständnis (Hey, a.a.O., S. 564; zu widersprüchlichen Regelungen so schon , BVerfGE 1, 14, 16).
Die Mindeststeuerregelung, auch soweit sie aufgrund der Veranlagungszeitraum übergreifenden Wirkung der Grundrechte nach Art. 3 Abs. 1, Art. 14 GG verfassungsrechtlich zulässig sein sollte, enthält Ansätze einer Schedulensteuer, mithin eine Abkehr von dem dem Einkommensteuerrecht zugrunde liegenden Prinzip einer synthetischen Steuer (siehe oben B. III.).
Es fehlt zudem an einer Abstimmung des § 2 Abs. 3 EStG mit der gesetzlichen Regelung der Zusammenveranlagung (§ 26b EStG; vgl. hierzu z.B. Ritzer, a.a.O., S. 48 ff.). Nach § 26b EStG werden „die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet” (vgl. z.B. für beschränkt verrechenbare Einkünfte , BFH/NV 1990, 231, m.w.N.). „Erzielt” werden die in § 2 Abs. 1 und 2 EStG genannten Einkünfte, mithin auch solche negativen Einkünfte, die nach § 2 Abs. 3 EStG letztlich nur begrenzt ausgeglichen werden. Auch bilden Eheleute nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft (vgl. z.B. u.a., BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717, 726; Beschluss des Großen Senats des , BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164), was die unbeschränkte Saldierung der Ehegatteneinkünfte nahelegt. Dem wiederum widerspricht § 2 Abs. 3 Satz 6 Halbsatz 3 EStG.
ff) Mit zunehmender Verweisungsdistanz wird die Gesetzesformulierung ungenauer. Es fehlt an sprachlicher und rechtssystematischer Abstimmung. So sind z.B. nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG negative Einkünfte einerseits „vom Gesamtbetrag der Einkünfte” abzuziehen, nach Satz 2 andererseits (zunächst) „von den positiven Einkünften derselben Einkunftsart” (ähnlich § 10d Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG). Auf der Ebene des Gesamtbetrags der Einkünfte, d.h. nach Abzug des Altersentlastungsbetrags und des Betrags nach § 13 Abs. 3 EStG (§ 2 Abs. 3 Satz 1 EStG) gibt es nach der Systematik der Einkommensermittlung die maßgeblichen einzelnen Einkunftsarten aber nicht mehr (vgl. z.B. Raupach/ Böckstiegel, FR 1999, 487, 496; dies., FR 1999, 617, 622; Werner, a.a.O., S. 52 f.; HHR/Hallerbach, § 10d EStG Anm. R 37 ff.; Altfelder, FR 2000, 18). Bei zusammenveranlagten Ehegatten hat zudem spätestens auf dieser Ebene die Zusammenrechnung und die Behandlung als ein Steuerpflichtiger nach § 26b EStG stattgefunden.
Die Verweisung in § 10d Abs. 2 Satz 3 EStG auf § 2 Abs. 3 EStG ist insgesamt verwirrend. Danach mindern die nach Anwendung des § 10d Abs. 2 Satz 2 EStG verbleibenden negativen Einkünfte die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten bis zu einem Betrag von 100 000 DM (51 500 €), darüber hinaus bis zur Hälfte des 100 000 DM (51 500 €) übersteigenden Teils der Summe der positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten, soweit in diesem Veranlagungszeitraum durch einen Ausgleich nach § 2 Abs. 3 EStG die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft sind. Unklar bleibt z.B., ob eine eigene Abzugsgrenze entsteht oder in welcher Reihenfolge der Verlustabzug vorzunehmen ist (Verlustrücktrag vor Verlustvortrag oder umgekehrt; horizontaler Verlustabzug insgesamt vor vertikalem Verlustausgleich oder insgesamt erst Verlustvortrag). Die Autoren, die sich diesen Fragen stellen, sind sich zwar nicht im Ergebnis, aber darin einig, dass das Gesetz (auch) hierzu keine klare Antwort gibt (z.B. Altfelder, FR 2000, 18, 33 ff. Fn. 64; HHR/Hallerbach, § 10d EStG Anm. R 21).
Im Übrigen steigern sich die zu § 2 Abs. 3 EStG beschriebenen Verständnisschwierigkeiten innerhalb des Verlustabzugs zunehmend. Spätestens hier wird die Gesamtregelung auch für den einzeln veranlagten Steuerpflichtigen gleichermaßen undurchschaubar wie bei den Ehegatten im Zusammenhang mit dem Verlustausgleich. Dies gilt insbesondere durch die gebotene Anpassung des vertikalen Ausgleichsvolumens in den häufig anzutreffenden Fällen, in denen eine Einkunftsquelle im Wechsel positive und negative Einkünfte abwirft. Ständig schließen sich gleichzeitig neue Verhältnismäßigkeitsrechnungen nach § 10d Abs. 3 EStG für jede Einkunftsart an. So halten z.B. Raupach/Böckstiegel in FR 1999, 487, 496 die Regelung für praktisch unanwendbar, obgleich sie bei Ehegatten den die Sachlage zusätzlich verkomplizierenden horizontalen Verlustabzug nicht vornehmen (vgl. auch Stapperfend, DStJG 24 (2001), S. 329, 377; HHR/Hallerbach, § 10d EStG Anm. R 9; Lambrecht in Kirchhof, a.a.O., § 10d Rn 4) Diese Verständnisschwierigkeiten und damit die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verlustabzugs und der Feststellungsbescheide nach § 10d Abs. 3 EStG werden erhöht durch die Notwendigkeit, Verluste aus unterschiedlichen Einkunftsarten —unter gesondertem Ausweis der nur beschränkt verrechenbaren Einkünfte nach § 2a, § 2b, § 15 Abs. 4, § 15a, § 22 Nr. 3 Sätze 3 und 4, § 23 Abs. 3 Sätze 6 und 7 EStG— ggf. über Jahre und unter ständiger Neuberechnung des Verhältnisses nach § 10d Abs. 3 EStG auszuweisen.
gg) Der vorlegende Senat ist der Auffassung, dass eine Gesetzesbegründung einer unverständlichen Norm bei einer derart komplexen Materie nicht zur gebotenen Klarheit verhelfen kann. Im Übrigen erhellt die Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 3 und § 10d EStG (BTDrucks 14/443, S. 19 f. und 26) nicht den Normeninhalt. Zum einen befasst sie sich vorwiegend mit den unproblematischen Fällen, in denen die Summe der positiven und/oder negativen Einkünfte unter 100 000 DM liegen, also Verluste ohnehin vertikal voll auszugleichen sind. Zum anderen verdeutlicht sie nur, dass ein Teil der in § 2 Abs. 3 EStG enthaltenen Regelungen den Verlustabzug betreffen und daher rechtssystematisch verfehlt platziert sind. Für den Fall des tatsächlich begrenzten Verlustausgleichs ist die Erläuterung unter 4.a (BTDrucks 14/443, S. 19) wiederum —zumindest— auslegungsbedürftig. Beträgt die Summe der negativen Einkünfte und die Summe der positiven Einkünfte mehr als 100 000 DM und ergeben sich die negativen Einkünfte sowie die positiven Einkünfte aus jeweils einer Einkunftsart, sind nach der Gesetzesbegründung die positiven Einkünfte um 100 000 DM, darüber hinaus bis zur Hälfte der verbleibenden positiven Einkünfte zu mindern. „Einkünfte aus jeweils einer Einkunftsart” wären allerdings nach § 2 Abs. 3 Satz 2 EStG unbeschränkt verrechenbar. Zur Mindestbesteuerung zusammenveranlagter Ehegatten (§ 2 Abs. 3 Sätze 6 ff. EStG) und zum Verlustabzug (§ 10d EStG) enthält die Gesetzesbegründung auf S. 20 und 26 (BTDrucks 14/443) keine klärenden Erläuterungen. Zudem ist die Annahme (S. 20), durch die Regelung in § 2 Abs. 3 Sätze 6 und 7 EStG werde sichergestellt, „dass zusammen veranlagte Ehegatten insgesamt bis zu 200 000 DM ausnutzen können, unabhängig davon, welcher Ehegatte die negativen Einkünfte erzielt”, zumindest unvollständig, denn das Verlustausgleichspotential kann sich um die Hälfte der den Bagatellbetrag übersteigenden gemeinsamen Einkünfte erhöhen. Dies spricht dafür, dass in den gesetzgebenden Organen nur eine grobe Idee der Mindestbesteuerung, letztlich aber nicht, wie es von Verfassungs wegen geboten gewesen wäre, eine klare Vorstellung über den zu gebenden Normbefehl bestanden hat.
hh) Den Mangel an Normenklarheit in dem oben dargestellten Sinn (B. II.) belegen anschaulich Zahl und Umfang der von der Finanzverwaltung —Ende 1999— im Einkommensteuerhandbuch 1999 erarbeiteten, allerdings ohne nähere Erklärung dargestellten Berechnungsbeispiele, die zudem keineswegs vollständig sind (vgl. Nolte, a.a.O., S. 33 ff.). Zu § 2 Abs. 3 EStG werden sieben Beispielsfälle auf 12 Seiten, zu § 10d EStG zehn Beispiele auf fast 30 Seiten dargestellt. Die Beispiele zu § 2 Abs. 3 EStG beanspruchen für einen einzeln Veranlagten 32 bis 35 Zeilen und 3 Spalten, bei Zusammenveranlagten 58 bis 78 Zeilen bei 5 Spalten. Die Beispiele für den Verlustabzug benötigen —trotz teilweisen Rückgriffs auf die Berechnungen zu § 2 Abs. 3 EStG, teilweise als bekannt unterstellter Größen und ohne Darstellung der verhältnismäßigen Aufteilung— beim einzeln Veranlagten dreispaltig zwischen 72 und 117 Zeilen, bei Zusammenveranlagten (ohne den Sonderfall in Beispiel 5) fünfspaltig zwischen 52 bis 205 Zeilen (anschaulich auch die Darstellung der Unverständlichkeit bei Böckstiegel/Betz, FR 2000, 793).
b) Der Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit kann aus rechtsstaatlichen Gründen weder durch Außerachtlassung des misslungenen Wortlauts und Rekonstruktion des „gemeinten Gesamtrechenwerks” (so Altfelder, FR 2000, 18, 19; ähnlich Werner, a.a.O., S. 37; vgl. auch Bauer/Eggers, Steuern und Bilanzen 1999, 397; dagegen zu Recht Stapperfend, FR 2000, 1207, 1209) noch „durch pragmatische Gesetzesverstöße der Verwaltung” (Papier/Möller, AöR 122, S. 177, 181, 189), noch durch eine verfassungskonforme Auslegung bereinigt werden. Weder der Steuerpflichtige als Normadressat noch die Exekutive oder die Rechtsprechung können von Verfassungs wegen (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) Tatbestand und/oder Rechtsfolge einer Norm grundlegend „rekonstruieren”. Dies ist allein Aufgabe der Legislative. Anderenfalls liefe das an den Gesetzgeber gerichtete Gebot der Normenklarheit ins Leere, denn eine Idee lässt sich hinter jedem unklaren Gesetz erkennen.
c) Die Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit ist nicht zu rechtfertigen (Hey, a.a.O., S. 554; Jehke, a.a.O., S. 210). Weder Zeitnot noch die vom Gesetzgeber selbst gewählte Komplexität der Mindestbesteuerung noch die für den Gesetzesvollzug einsetzbare Datenverarbeitungstechnik heilen die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Raupach/Böckstiegel, FR 1999, 617, 621; Kirchhof in Kirchhof, a.a.O., § 2 Rn 130; ders., AöR 128, S. 1, 39; Birk, DStJG 27 (2004), S. 9, 14 f.).
Letztlich hat sich die Mindeststeuerregelung auch für die Finanzverwaltung trotz des Einsatzes elektronischer Datenverarbeitung als „sehr kompliziert” erwiesen (vgl. Protokollerklärung der Bundesregierung vom zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz, nicht veröffentlicht; abgedruckt bei Rödder/Schumacher, DStR 2003, 805, 819). Dabei bleibt zugunsten der Normadressaten zu berücksichtigen, dass das BMF seinerzeit Gelegenheit hatte, die Gesetzesformulierung zu beeinflussen (vgl. Raupach/Böckstiegel, FR 1999, 487, 489). Die schwere Handhabbarkeit der Norm trotz Einsatzes elektronischer Datenverarbeitung war letztlich auch einer der beiden Gründe, die zur Aufhebung der Mindeststeuerregelungen ab dem Veranlagungszeitraum 2004 führten (BTDrucks 15/1518, S. 13).
C. Die Gültigkeit des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG ist im Streitfall entscheidungserheblich (§ 80 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht —BVerfGG—)
1. § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG sind im Streitfall, der den Veranlagungszeitraum 1999 betrifft, anzuwenden. Er wurde erst mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2004 aufgehoben (§ 52 Abs. 2a EStG, Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom , BGBl I 2003, 2840). Auch ausgelaufenes, aber noch anwendbares Gesetz ist nach Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 80 Rdnr. 68a, m.w.N.). Eine zeitweilige Fortgeltung eines dem Gebot der Normenklarheit widersprechenden Gesetzes ist denklogisch ausgeschlossen. Sollte daher das BVerfG auf die Vorlage des Senats die zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegten Bestimmungen mangels Normenklarheit gemäß § 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 BVerfGG für nichtig erklären, wären die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Klägers —wie in den Veranlagungszeiträumen bis 1998 und ab 2004— mit den positiven Einkünften beider Kläger voll auszugleichen; die Revision der Kläger hätte Erfolg.
2. Der vorlegende Senat ist der Auffassung, dass gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normenklarheit verstoßende und im Einzelfall anzuwendende Normen als solche nichtig sind und es daher im Ausgangsfall, anders als bei der Prüfung von Verletzungen von Grundrechten, nicht darauf ankommt, ob die Kläger, sei es aufgrund der Struktur ihrer Einkünfte, ihrer Vorbildung oder einer besonders qualifizierten Steuerberatung den Norminhalt noch erfassen können müssten. Die Normenklarheit ist hier zudem schon deswegen notwendigerweise an objektiven Maßstäben zu messen, weil in Anbetracht der nahezu unübersehbaren Sachverhaltsgestaltungen eine Abgrenzung zwischen einem klaren, unklaren bzw. noch gerade klaren Normbefehl nicht mehr zu treffen ist.
Ebenso wenig ist entscheidend, ob der aufgrund unverständlicher Normen ergangene Steuerbescheid im Einzelfall vom Steuerpflichtigen noch nachvollzogen werden kann, denn der rechtsstaatliche Grundsatz der Normenklarheit soll den Normbetroffenen in die Lage versetzen, die Rechtslage so zu erkennen, dass er sein Verhalten daran auszurichten vermag (siehe Rechtsprechung des BVerfG oben unter B. II.). Derartige —im Übrigen auch im Ausgangsfall mögliche— Dispositionen müssen zwangsläufig lange vor Ergehen des Steuerbescheids getroffen werden.
3. Aufgrund der nach Überzeugung des vorlegenden Senats fehlenden Verständlichkeit der Norm ist die Frage, ob die Vorschriften auch Art. 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 14, Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG verletzen, für die Vorlage nicht entscheidungserheblich. Dasselbe gilt für die Frage, ob das gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoßende Gesetz ordnungsgemäß verkündet wurde (vgl. hierzu Kirchhof, AöR 128, S. 1, 39).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 167
BB 2006 S. 2506 Nr. 46
BFH/NV 2006 S. 2351 Nr. 12
BStBl II 2007 S. 167 Nr. 5
DStR 2006 S. 2019 Nr. 45
DStRE 2006 S. 1487 Nr. 23
DStZ 2006 S. 785 Nr. 23
EStB 2006 S. 438 Nr. 12
FR 2007 S. 188 Nr. 4
HFR 2007 S. 209 Nr. 3
INF 2007 S. 2 Nr. 1
KÖSDI 2006 S. 15343 Nr. 12
NJW 2006 S. 3808 Nr. 52
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2008 S. 1321
NWB-Eilnachricht Nr. 45/2006 S. 3786
SJ 2006 S. 4 Nr. 25
StB 2006 S. 442 Nr. 12
StBW 2006 S. 5 Nr. 23
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2006 S. 885
HAAAC-18582