BFH Beschluss v. - III B 28/05

Ausgestaltung des Jahresgrenzbetrags als Freigrenze ist verfassungskonform; Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung; Vorlage zum BverfG nur wenn FG ein Gesetz für verfassungswidrig hält; Fehlen der Entscheidungsgründe

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 100

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat zwei Söhne. Für den im Jahr 1977 geborenen Sohn setzte die Beklagte und Beschwerdeführerin (Familienkasse) mit Bescheid vom ab dem Kindergeld fest. Mit Bescheid vom hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2002 nach § 70 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr 2002 geltenden Fassung (EStG) wieder auf, weil die Einkünfte und Bezüge des Sohnes den Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7 188 € überschritten (§ 32 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG). Der hiergegen gerichtete Einspruch und die Klage des Klägers blieben erfolglos.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger sinngemäß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) geltend. Die Beschränkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf die Einkünfte bzw. Bezüge des einzelnen Kindes führe zu einer übermäßigen Belastung der Familien und verstoße daher gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG). Bei mehreren Kindern seien deren Einkünfte gemeinsam zu betrachten und der Gesamtfreibetrag anzusetzen, bei zwei Kindern also (2 x 7 188 € =) 14 376 €. Auch verstoße „die Vorschrift wegen Fehlens einer Gleitregelung” gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG. Weiter rügt der Kläger Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das Finanzgericht (FG) hätte das Verfahren aussetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einholen müssen. Das FG habe auch nicht begründet, weshalb es die Zulassung der Revision ablehne. Ferner hätte das FG das Verfahren nach § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG zu der Frage, ob Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen von den Einkünften des Kindes abzuziehen seien, aussetzen müssen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 FGO).

1. Soweit sich der Kläger sinngemäß auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), hat er diesen Zulassungsgrund schon nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit gegebenenfalls veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinander setzen. Handelt es sich, wie im Streitfall, auch um verfassungsrechtliche Fragen, ist überdies auch auf die Rechtsprechung des BVerfG einzugehen. Ist über die Rechtsfrage bereits entschieden worden, ist zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann zum Beispiel geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzt hat (vgl. , BFH/NV 2005, 46, m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers nicht. Der BFH hat in mehreren Entscheidungen § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, insbesondere auch die Ausgestaltung des Jahresgrenzbetrags als Freigrenze, als verfassungskonform beurteilt (, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566; vom VIII R 66/99, BFH/NV 2005, 24; vom VIII R 20/02, BFH/NV 2005, 36, m.w.N.). Auch im Schrifttum sind hiergegen keine Bedenken erhoben worden (vgl. Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32 Rdnr. C 42, m.w.N.; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32 EStG Rn. 531; Greite in Korn, EStG, § 32 EStG Rz. 73; Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rz. 103).

Der Kläger hat sich weder mit dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung näher auseinander gesetzt noch anhand der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Familienleistungsausgleich (vgl. Beschlüsse vom 1 BvL 20, 26/84 und 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; vom 1 BvL 72/86, BVerfGE 82, 198, BStBl II 1990, 664; vom 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413, und vom 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174, 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, 2 BvR 1220/93, BVerfGE 99, 268, BStBl II 1999, 193, 2 BvR 1852, 1853/97, BVerfGE 99, 273, BStBl II 1999, 194) die von ihm als maßgebend erachteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe für eine Prüfung der Verfassungskonformität des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bzw. für die Notwendigkeit einer ggf. vorzunehmenden verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift dargestellt.

Im Kern hält der Kläger die angefochtene Entscheidung für sachlich unzutreffend. Dies allein rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Die Rügen des Klägers betreffen auch keinen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung (vgl. z.B. , BFH/NV 2003, 1445, m.w.N.), der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO führt. Auch die Ausführungen des Klägers, mit denen er sich gegen die Berechnung der Werbungskosten durch die Familienkasse wendet, lassen keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO erkennen.

2. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen, da kein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Es stellt keinen Verfahrensmangel dar, dass das FG die Möglichkeit der Vorlage zum BVerfG nicht in Anspruch genommen hat. Der Kläger hat zwar nicht ausgeführt, gegen welche Vorschrift insoweit verstoßen worden sein soll. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG) ist allerdings nicht gegeben. Das FG ist nach Art. 100 Abs. 1 GG nur verpflichtet, eine Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält (, BFH/NV 2002, 1499). Im Streitfall hielt das FG § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG indes nicht für verfassungswidrig.

Auch die Rüge des Klägers, es fehlten Entscheidungsgründe (§ 119 Nr. 6 FGO), weil das FG nicht begründet hat, weshalb es die Zulassung der Revision ablehnt, hat keinen Erfolg. Enthält —wie im Streitfall— die Entscheidung des FG keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision, dann ist sie versagt (, BFH/NV 2006, 135). Die Nichtbegründung dieser Entscheidung ist kein Mangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO, weil es sich bei der Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision nur um eine Nebenentscheidung zum Urteil handelt. Nur das Fehlen der Begründung des Urteils selbst ist ein Mangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO (, BFH/NV 1987, 115, der zu § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F. ergangen ist, sowie Beermann in Beermann/ Gosch, FGO § 115 Rz. 51).

Schließlich kam eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO durch das FG im Streitfall schon deshalb nicht in Betracht, weil das vom Kläger als vorgreiflich erachtete Verfahren im Zeitpunkt der Entscheidung durch das FG am nicht mehr „anhängig” i.S. des § 74 FGO war (vgl. Senatsbeschluss vom III B 41/00, BFH/NV 2001, 321, m.w.N.). Die Frage, ob Sozialversicherungsbeiträge des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen sind, hat das BVerfG bereits durch Beschluss vom 2 BvR 167/02 (BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) entschieden. Im Übrigen ist dieser Beschluss des BVerfG auch nicht entscheidungserheblich, da die Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge nach den tatsächlichen Feststellungen des FG im Streitfall nicht zur Unterschreitung des Jahresgrenzbetrages des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG führt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2273 Nr. 12
GAAAC-17982