BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 1956/06

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1

Instanzenzug: BFH VII B 13/06 vom

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Widerruf seiner Bestellung als Steuerberater.

1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahre 2002 als Steuerberater bestellt. Neben seiner Tätigkeit als Steuerberater ist er bei einer Bank im Unternehmensbereich Steuern angestellt. Nachdem die zuständige Steuerberaterkammer hiervon Kenntnis erlangt hatte, widerrief sie die Bestellung des Beschwerdeführers zum Steuerberater gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1, § 57 Abs. 4 Nr. 2 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG). Die hiergegen gerichtete Klage des Beschwerdeführers hat das Finanzgericht abgewiesen. Seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Bundesfinanzhof zurückgewiesen. Die in § 57 Abs. 4 StBerG getroffene Inkompatibilitätsregelung sei mit der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Freiheit der Berufswahl vereinbar. Die entstehenden Einschränkungen seien für den Steuerberater nicht unzumutbar, weil dieser bei seiner Berufswahl die Inkompatibilität kenne und berücksichtigen könne. Nehme er die Vorteile in Anspruch, die das Gesetz allgemein für seinen Beruf mit sich bringe, müsse er auch die wirtschaftlichen Nachteile in Kauf nehmen, die sich daraus ergeben könnten, dass der Gesetzgeber Vorschriften erlassen habe, die gerade der Hebung der sozialen Stellung des Berufs durch Stärkung seiner Unparteilichkeit und Unabhängigkeit dienten. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht gegeben. Zwar bestehe bei den Rechtsanwälten gemäß § 7 Nr. 8 und insbesondere gemäß § 46 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) keine derart strenge Inkompatibilität einer Arbeitnehmertätigkeit. Im Allgemeinen seien aber zwischen der Berufsausübung eines Rechtsanwalts und der eines Steuerberaters wesentliche Unterschiede insoweit festzustellen, als der Steuerberater über einen gegebenen Einzelfall hinaus meist eingehende und umfassende Kenntnisse über die persönlichen Verhältnisse seiner Mandanten benötige, um sie richtig beraten und ihre Interessen in vollem Umfang wahrnehmen zu können. Hingegen seien derartige Kenntnisse für das Tätigwerden eines Rechtsanwalts in der Regel auch dann nicht erforderlich, wenn gemäß § 3 Nr. 1 StBerG Hilfe in Steuersachen geleistet werde. Solche Hilfe beziehe sich bei Rechtsanwälten regelmäßig auf die Beratung und Prozessvertretung in Einzelfragen, während sie bei Steuerberatern meist eine umfassende steuerliche Beratung, häufig im Sinne eines Dauermandats erfasse.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt er die Aussetzung des Vollzugs des Widerrufsbescheides der Steuerberaterkammer.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

1. Nach §§ 32, 93 d Abs. 2 BVerfGG kann die Kammer im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweise sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>). Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 <172>; BVerfGE 91, 328 <332>).

a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Da der Widerruf der Bestellung als Steuerberater einen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl bedeutet, muss diese Maßnahme strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen (vgl. BVerfGE 87, 287 <316>). Ob dies der Fall ist, ist einer Überprüfung im Rahmen der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde vorbehalten. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob angesichts der zwischenzeitlichen Veränderungen im gesellschaftlichen und berufsrechtlichen Umfeld an der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 21, 173 <182>; 22, 275 <276>) festgehalten werden kann.

b) Die nach § 32 BVerfGG gebotene Folgenabwägung rechtfertigt den Erlass der einstweiligen Anordnung. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, so entstünden dem Beschwerdeführer durch den Verlust der Zulassung als Steuerberater erhebliche und kaum wiedergutzumachende Nachteile. Aufgrund des Widerrufs der Bestellung ist der Beschwerdeführer nicht mehr befugt, die Tätigkeit als Steuerberater auszuüben. Die deshalb notwendige Abwicklung der Kanzlei kann bei seinen Mandanten berechtigte Zweifel daran wecken, ob der Beschwerdeführer angesichts des schwebenden Verfahrens noch in der Lage sein wird, die Mandate selbst zu einem Abschluss zu bringen. Auch wenn die Folgen im vorliegenden Fall - mit Blick auf das Arbeitseinkommen des Beschwerdeführers - wirtschaftlich nicht existenziell sein mögen, ließe doch der drohende Verlust der Mandate erhebliche Nachteile für seine berufliche Tätigkeit als Steuerberater befürchten. Erginge dagegen die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde später aber keinen Erfolg, könnte der Beschwerdeführer vorübergehend weiter als Steuerberater tätig sein. Die Folgen einer solchen zeitlichen Verzögerung des Widerrufs seiner Bestellung fallen - auch unter Berücksichtigung des zu wahrenden Vertrauens der Bevölkerung in die Steuerrechtspflege - weniger ins Gewicht als der zeitweilige Verlust der Bestellung. Die Bestellung als Steuerberater ist dem Beschwerdeführer allein deshalb entzogen worden, weil die Tätigkeiten als Arbeitnehmer und als Steuerberater grundsätzlich unvereinbar seien. Dass durch die weitere Tätigkeit des Beschwerdeführers unmittelbar erhebliche Interessen des Gemeinwohls berührt werden, ist weder im Widerrufsverfahren festgestellt noch sonst ersichtlich.

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG.

3. Wegen der besonderen Dringlichkeit ergeht diese Entscheidung unter Verzicht auf die Anhörung der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens (§ 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2007 S. 118 Nr. 1
HFR 2006 S. 1036 Nr. 10
HFR 2006 S. 1145 Nr. 11
HAAAC-15656