BGH Beschluss v. - 5 StR 203/02

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 4; StPO § 349 Abs. 2

Instanzenzug: LG Cottbus

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im übrigen - wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen und mit Beischlaf zwischen Verwandten in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes, wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen in vier Fällen, davon in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit sexueller Nötigung, sowie wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in 15 Fällen, davon in zehn Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, zu sechs Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt in sieben Fällen zur Schuldspruchänderung - Wegfall des jeweils tateinheitlich abgeurteilten sexuellen Gewaltverbrechens - und zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung hat sich das Landgericht davon überzeugt, daß der Angeklagte in der Zeit von 1994 bis 1997 die Nebenklägerin, seine leibliche Tochter, 24mal sexuell mißbraucht hat: 15mal vollzog der Angeklagte den Beischlaf mit der Nebenklägerin, davon zweimal vor Vollendung ihres 14. Lebensjahres, neunmal nahm er sexuelle Manipulationen an seiner Tochter vor, davon viermal vor Vollendung ihres 14. Lebensjahres.

In den beiden ersten auch als tateinheitliche sexuelle Nötigung abgeurteilten Fällen manuellen Mißbrauchs und in den fünf auch als tateinheitliche Vergewaltigung abgeurteilten Fällen des Beischlafs hat das Landgericht aufgrund der Zeugenaussage der Nebenklägerin jeweils rechtsfehlerfrei festgestellt, daß das Mädchen, das mit den sexuellen Handlungen des Angeklagten nicht einverstanden war, weglaufen wollte oder Gegenwehr auszuüben suchte, indem es den Angeklagten wegzuschieben oder wegzustoßen versuchte. Soweit der Angeklagte ihre Gegenwehr durch Festhalten oder den Einsatz überlegener Körperkraft im Rahmen der von ihm vorgenommenen Sexualhandlungen überwand, ist - jedenfalls in der Mehrzahl der sieben Fälle - der Einsatz körperlichen Zwanges in Form von Gewaltanwendung "in einem unterdurchschnittlichen Bereich" zur Überwindung "nur geringer Gegenwehr" (UA S. 29) bei Durchsetzung der sexuellen Handlungen objektiv noch ausreichend festgestellt. Angesichts des sonst ausgesprochen guten Verhältnisses des Angeklagten zu seiner mißbrauchten Tochter, des vom Landgericht selbst hervorgehobenen durchweg geringen Ausmaßes des eingesetzten Kraftaufwandes, der alsbald und insgesamt bei der Mehrzahl der Fälle gänzlich ausgebliebenen Gegenwehr und hier festgestellter Bemerkungen des Angeklagten während der Tatausführung (UA S. 7, 10) kann der Senat letztlich in sämtlichen auch als tateinheitliche sexuelle Gewaltverbrechen abgeurteilten Fällen durchgreifende Bedenken dagegen nicht überwinden, ob die bewußte Ausübung von Gewalt zur Durchsetzung der unerlaubten Sexualhandlungen durch den sämtliche Taten umfassend bestreitenden Angeklagten ausreichend belegt ist. Eine weitergehende hinreichende Aufklärung vorsätzlicher Gewaltausübung erscheint wenig aussichtsreich; sie ist insbesondere der Nebenklägerin, die zu Details nochmals eingehend zu befragen wäre, nicht zuzumuten. Mithin entscheidet der Senat zum Schuldspruch abschließend in der Weise, daß er die Verurteilung wegen tateinheitlicher sexueller Gewaltverbrechen entfallen läßt.

Dies führt, da jeweils die Verurteilung wegen des strafrahmenbestimmenden Strafgesetzes (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB) betroffen ist, unmittelbar zur Aufhebung der zugehörigen Einzelstrafen und zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich; da die höchsten Einzelstrafen betroffen sind, müssen aber auch die übrigen, bei ihrer Bemessung möglicherweise von der insgesamt etwas zu schweren Gewichtung der gesamten Tatserie mitbestimmten Einzelstrafen mitaufgehoben werden.

Der Aufhebung von Urteilsfeststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es nicht. Der neue Tatrichter wird über die Bestrafung des Angeklagten unter Berücksichtigung des reduzierten Schuldumfanges und im übrigen auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, die lediglich durch widerspruchsfreie Feststellungen ergänzt werden dürfen, zu entscheiden haben. Dabei wird er allerdings den außergewöhnlich großen Abstand von über vier Jahren von der Anzeigeerstattung und Verhaftung und Haftverschonung des Angeklagten bis zu seiner erstinstanzlichen Aburteilung sowie von etwa drei Jahren zwischen Anklage bzw. Eröffnungsbeschluß und erstinstanzlicher Aburteilung besonders zu beachten, die Ursachen hierfür zu prüfen und hierüber Feststellungen zu treffen haben. Bislang ist den gegebenen zeitlichen Besonderheiten mit einer eher beiläufigen strafmildernden Erwähnung (UA S. 28) kaum hinreichend Rechnung getragen worden. Da für die immense Verfahrensdauer kein sachlich vertretbarer Grund erkennbar ist, wird der neue Tatrichter insbesondere zu prüfen haben, ob es im vorliegenden Fall zu einer gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verstoßenden Verfahrensverzögerung gekommen ist. Diese wird gegebenenfalls genau festzustellen sein; ihr müßte dann insbesondere durch eine - regelmäßig unerläßliche - spezielle Strafzumessung Rechnung getragen werden, in der das Maß der hierfür zugebilligten Kompensation genau bestimmt wird (vgl. BGHSt 45, 308, 309; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13; jeweils m. w. N.; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 201/02 und 5 StR 237/02).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
JAAAC-06929

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