BGH Beschluss v. - XI ZB 39/03

Leitsatz

[1] a) Ergibt sich eine Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr aus der rechtlichen Begründung des Berufungsgerichts, weil diese sich verallgemeinern und auf eine nicht unerhebliche Zahl künftiger Sachverhalte übertragen läßt, sind entsprechende Darlegungen in der Beschwerdebegründung entbehrlich (Abgrenzung zu BGHZ 152, 182, 187).

b) Beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts darauf, daß sie objektiv willkürlich ist oder Verfahrensgrundrechte einer Partei verletzt, ist ein Eingreifen des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Dieser Zulassungsgrund hängt nicht von dem zusätzlichen Erfordernis ab, daß der Verstoß gegen das Willkürverbot oder das Verfahrensgrundrecht offenkundig ist (Aufgabe von BGHZ 152, 182, 189 ff., 192 ff.).

Gesetze: ZPO (2002) § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1; ZPO (2002) § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2; ZPO (2002) § 544 Abs. 2 Satz 3; ZPO (2002) § 574 Abs. 2 Nr. 1; ZPO (2002) § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2; ZPO (2002) § 575 Abs. 3 Nr. 2

Instanzenzug: OLG Frankfurt am Main vom LG Frankfurt am Main

Gründe

I.

Der Beklagte zu 2) ist vom Landgericht zur Zahlung verurteilt worden. Sein Prozeßbevollmächtigter hat gegen das am zugestellte Urteil am Berufung eingelegt und am beantragt, die Begründungsfrist bis zum zu verlängern. Nach einem gerichtlichen Hinweis auf die fehlende Begründung des Antrages hat der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten zu 2) am mitgeteilt, er habe die Begründungsfrist aufgrund urlaubsbedingter Abwesenheit und einer Vielzahl fristgebundener Sachen nicht einhalten können. Ferner hat er die Verlängerung der Begründungsfrist bis zum mit der Begründung beantragt, daß er am eine unaufschiebbare Geschäftsreise antrete, von der er erst "Anfang kommender Woche" zurückkehre. Am hat der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats des Oberlandesgerichts die Begründungsfrist bis zum verlängert und den Antrag auf weitergehende Verlängerung abgelehnt, weil die gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO erforderliche Einwilligung des Gegners fehlte.

Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten zu 2) hat die Berufung am begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei erst am um 22.00 Uhr von der Geschäftsreise zurückgekehrt und habe das gerichtliche Schreiben vom erst am vorgefunden. Er habe nicht damit rechnen können, daß seinem Antrag auf Fristverlängerung nur modifiziert entsprochen werde.

Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu 2) zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten zu 2) habe nicht darauf vertrauen dürfen, daß die Begründungsfrist bis zum verlängert werde, weil für eine Verlängerung über den hinaus die gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO erforderliche Einwilligung des Klägers gefehlt habe. Er habe deshalb nicht die Mitteilung der Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag abwarten dürfen, sondern sich rechtzeitig beim Gericht nach dieser Entscheidung erkundigen müssen. Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten zu 2) habe auch nicht dargelegt, daß er nach der gebotenen Erkundigung nicht rechtzeitig von seiner Geschäftsreise hätte zurückkehren und die Berufung bis zum begründen können. Da er noch am mitgeteilt habe, er werde "Anfang kommender Woche" zurückkehren, sei bei Reiseantritt eine Rückkehr erst am offenbar noch gar nicht geplant gewesen. Zudem habe der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten zu 2) sein Vorbringen nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2).

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß gewahrt sein müssen (BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22 und , NJW 2003, 2991), sind nicht erfüllt.

1. Die Rechtssache hat entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann, oder wenn andere Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit deren Interessen in besonderem Maße berühren und ein Tätigwerden des Bundesgerichtshofs erforderlich machen (Senat, BGHZ 152, 182, 191 f.; BGHZ 153, 254, 256; 154, 288, 291 f.; jeweils zu dem gleichlautenden § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Um dies ordnungsgemäß darzutun, ist es grundsätzlich erforderlich, die durch die angefochtene Entscheidung aufgeworfene Rechtsfrage konkret zu benennen sowie ihre Klärungsbedürftigkeit und Bedeutung für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen im einzelnen aufzuzeigen bzw. die Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit und das sich daraus ergebende Bedürfnis für ein korrigierendes Eingreifen des Bundesgerichtshofs darzustellen (Senat, BGHZ 152, 182, 191 f. zu § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO). In bezug auf die aufgeworfene Rechtsfrage sind insbesondere auch Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite diese umstritten ist (Senat, BGHZ 152, 182, 191 und Beschluß vom - XI ZR 162/02, FamRZ 2003, 440, 441; BGHZ 154, 288, 291 und , VersR 2004, 225, 226; jeweils zu § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO). An die Darlegung sind aber dann keine besonderen Anforderungen zu stellen, wenn die zu beantwortende Rechtsfrage sowie ihre Entscheidungserheblichkeit sich unmittelbar aus dem Prozeßrechtsverhältnis ergeben; zur Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und der über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Sache ist ein Hinweis auf Streit in Rechtsprechung und Literatur entbehrlich, wenn der entscheidungserheblichen Rechtsfrage bereits wegen ihres Gewichts für die beteiligten Verkehrskreise grundsätzliche Bedeutung zukommt (, WM 2004, 491 f.).

b) Gemessen hieran ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt. Die Rechtsbeschwerde formuliert zwar die "Zulassungsfrage (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)", ob der "Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts den Rechtsmittelführer darauf hinweisen muß, ein von ihm gestellter Rechtsmittelbegründungsfristverlängerungsantrag reiche über die nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO mögliche Frist hinaus, wenn sich ein solcher Hinweis noch rechtzeitig vor Ablauf der bis zu der sich aus § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO ergebenden Höchstgrenze verlängerten Rechtsmittelbegründungsfrist telefonisch unschwer erteilen läßt". Sie begründet aber nicht ansatzweise, warum diese Frage klärungsbedürftig sein soll. Hierzu wären nähere Darlegungen erforderlich gewesen, weil der angefochtene Beschluß dem Grundsatz entspricht, daß ein berechtigtes Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Fristverlängerung zumindest voraussetzt, daß die Verlängerung gesetzlich zulässig ist. Dies war hinsichtlich einer Verlängerung bis zum , wie die Rechtsbeschwerde selbst einräumt, nicht der Fall.

2. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

a) Dieser Zulassungsgrund ist zum einen gegeben, wenn einem Gericht bei der Anwendung von Rechtsnormen Fehler unterlaufen sind, die die Wiederholung durch dasselbe Gericht oder die Nachahmung durch andere Gerichte erwarten lassen, und wenn dadurch so schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung zu entstehen oder fortzubestehen drohen, daß eine höchstrichterliche Leitentscheidung notwendig ist (BGHZ 151, 42, 46; BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 26/02, DAR 2003, 64 und vom - VI ZA 16/03, NJW 2003, 3781, 3782; jeweils zu § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; Senat, BGHZ 152, 182, 187; Beschluß vom - XI ZR 193/02, WM 2003, 1346, 1347; BGHZ 154, 288, 294; BGH, Beschlüsse vom - V ZR 100/02, WM 2003, 259, 260 und vom - VI ZR 355/02, NJW-RR 2003, 1074; jeweils zu dem gleichlautenden § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

Eine derartige Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr ist von der Rechtsbeschwerde nicht dargelegt worden (§ 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Sie ergibt sich auch nicht unabhängig von den Darlegungen in der Rechtsbeschwerde aus der rechtlichen Begründung des angefochtenen Beschlusses. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn die Begründung der angefochtenen Entscheidung sich verallgemeinern läßt und eine nicht unerhebliche Zahl künftiger Sachverhalte zu erwarten ist, auf welche die Argumentation übertragen werden kann (BGH, Beschlüsse vom - V ZR 100/02, WM 2003, 259, 260 und vom - V ZR 222/03, Umdruck S. 5 f., jeweils zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil die Begründung des angefochtenen Beschlusses von den besonderen Umständen des Einzelfalls geprägt ist und nicht verallgemeinert werden kann.

b) aa) Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert ein Eingreifen des Bundesgerichtshofs ferner dann, wenn die angefochtene Entscheidung sich als objektiv willkürlich darstellt oder Verfahrensgrundrechte einer Partei verletzt und die Entscheidung darauf beruht (BGHZ 154, 288, 296 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; vgl. auch BGHZ 151, 221, 226 f.; BGH, Beschlüsse vom - V ZB 31/02, WM 2003, 1397, 1399, vom - XII ZB 66/02, FamRZ 2003, 856, 857, vom - VI ZB 76/02, FamRZ 2003, 1271 und vom - III ZB 84/02, NJW 2003, 3782, 3783 zu § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; BGH, Beschlüsse vom - V ZR 75/02, WM 2002, 1811, 1812, vom - V ZR 118/02, WM 2002, 1899, 1900, vom - VII ZR 101/02, WM 2003, 992, 993 und vom - VI ZR 355/02, NJW-RR 2003, 1074 sowie Urteil vom - V ZR 187/02, WM 2004, 46, 47 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Soweit der erkennende Senat in diesen Fällen bislang das Erfordernis einer Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung verneint und statt dessen eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache angenommen hat (BGHZ 152, 182, 188 ff., 192 f. und Beschluß vom - XI ZR 162/02, FamRZ 2003, 440, 441, jeweils zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO), wird an dieser Auffassung, die lediglich in der Begründung von der Rechtsprechung anderer Senate abwich und nicht zu anderen Ergebnissen führte (BGHZ 154, 288, 299; Senat BGHZ 152, 182, 190), nicht festgehalten.

bb) Dieser Zulassungsgrund hängt nicht von dem zusätzlichen Erfordernis ab, daß der Verstoß gegen das Willkürverbot oder das Verfahrensgrundrecht offenkundig ist (BGHZ 154, 288, 297 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; vgl. auch BVerfGE 107, 395 ff.; BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 10/99, NJW 2003, 3687, 3688 und vom - 1 BvR 864/03, NJW 2004, 1371, 1372). Soweit der Senat vor diesen Entscheidungen eine andere Auffassung vertreten hat (BGHZ 152, 182, 193 f.), wird diese aufgegeben.

cc) Auch unter diesem Gesichtspunkt ist kein Zulassungsgrund gegeben. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist weder der Anspruch des Beklagten zu 2) auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG noch sein aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgender Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. hierzu BVerfGE 93, 99, 113) verletzt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Oberlandesgericht den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten zu 2) nicht schon vor der Bescheidung seines Antrages auf Fristverlängerung darauf hingewiesen hat, daß eine Verlängerung über den hinaus ohne die fehlende Einwilligung des Klägers gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO nicht zulässig sei.

Eine Verletzung der aus dem Gebot des fairen Verfahrens folgenden Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber den Parteien kann zwar dazu führen, daß einer Partei eine schuldhafte Fristversäumnis im Ergebnis nicht angelastet werden kann (vgl. Zöller/Greger, ZPO 24. Aufl. § 233 Rdn. 22 bis 22 b). Davon ist z.B. auszugehen, wenn einem Prozeßbevollmächtigten bei der Angabe des Datums der begehrten Fristverlängerung ein offensichtlicher Fehler unterläuft und das Gericht hierauf nicht hinweist, obwohl ihm dies ohne jede Mühe möglich wäre. Dies gilt insbesondere für den ersten, zu Beginn des gesetzlichen Laufs der Berufungsbegründungsfrist gestellten Antrag, weil dem Prozeßbevollmächtigten hier grundsätzlich keine eigene Erkundigungspflicht obliegt und dem Gericht noch die volle Frist zu einem Tätigwerden zur Verfügung steht (, NJW 1998, 2291, 2292).

So liegt es hier aber nicht. Der dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten zu 2) unterlaufene Fehler war nicht offensichtlich. Erst bei einer genaueren Prüfung seines Antrages anhand eines Kalenders war erkennbar, daß eine Fristverlängerung bis zum nur mit der Einwilligung des Klägers möglich war. Da diese Einwilligung nicht vorlag, durfte der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten zu 2) nicht darauf vertrauen, daß die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß verlängert würde. Er hätte sich vielmehr rechtzeitig vor Fristablauf beim Gericht vergewissern müssen (vgl. Zöller/Greger, aaO Rdn. 23 Stichwort: Fristverlängerung). Unter diesen Umständen würde die Annahme einer gerichtlichen Hinweispflicht nicht hinreichend berücksichtigen, daß die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muß (vgl. BVerfGE 93, 99, 114).

Fundstelle(n):
VAAAC-05350

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja