BGH Beschluss v. - X ZB 20/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 148

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin nimmt den beklagten Landwirt mit Ermächtigung der Rechtsinhaber auf Auskunft darüber in Anspruch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte in der Vegetationsperiode 1998/99 Nachbau einer Vielzahl von teils nach Gemeinschaftsrecht, teils nach dem Sortenschutzgesetz geschützter Getreide-, Futterpflanzen- und Kartoffelsorten betrieben hat.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt.

Das Berufungsgericht hat die Verhandlung bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Verfahren vor dem Bundesgerichtshof mit den Aktenzeichen X ZR 149/03, X ZR 158/03, X ZR 191/03 und X ZR 70/04 ausgesetzt.

Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

1. Das Berufungsgericht hat die Aussetzung der Verhandlung, der der Beklagte, nicht aber die Klägerin zugestimmt hat, damit begründet, daß zur Reichweite und zum Umfang des Auskunftsanspruchs bei "Nachzuchten" zahlreiche stark abweichende, widerstreitende Urteile sowohl im OLG-Bezirk Koblenz wie auch in anderen OLG-Bezirken vorlägen. Der Bundesgerichtshof sei als Revisionsinstanz inzwischen mit zumindest vier Verfahren befaßt, in denen der Umfang des Auskunftsanspruchs der Klägerin zu klären sei, und möglicherweise würden dann "die Revisionsurteile noch europarechtlich überprüft werden". Bei dieser Sachlage erachte es der Senat gerade auch im Interesse der Parteien (u.a. im Kosteninteresse) für angemessen, die Verhandlung entsprechend § 148 ZPO auszusetzen, da in den vier beim Bundesgerichtshof anhängigen Verfahren abschließend über den geltendgemachten Auskunftsanspruch der Klägerin in gleichgelagerten Fällen entschieden werde.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 148 Rdn. 4; Musielak/Stadler, ZPO, 4. Aufl., § 148 Rdn. 5; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 26. Aufl., § 148 Rdn. 3; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 148 Rdn. 5; vgl. auch , NJW 2003, 3057). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt, da den beim Senat anhängigen anderen Verfahren, an denen der Beklagte nicht beteiligt ist, im Hinblick auf das Streitverfahren allenfalls die Bedeutung eines Musterprozesses zukommt.

Soweit in der Literatur eine Aussetzung bereits dann für möglich gehalten wird, wenn ein rein tatsächlicher Einfluß in Betracht kommt, den Vorgänge in einem anderen Prozeß, wie etwa eine Beweisaufnahme, oder die Entscheidung des anderen Verfahrens auf die Entscheidung in dem zweiten Verfahren ausüben könnten (in diesem Sinne etwa Peters in MünchKomm ZPO, 2. Aufl., § 148 Rdn. 10), kann dem nicht gefolgt werden. § 148 ZPO stellt nicht auf sachliche oder tatsächliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verfahren, sondern auf die Abhängigkeit vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab. Allein die tatsächliche Möglichkeit eines Einflusses genügt dieser gesetzlichen Voraussetzung nicht und wäre im übrigen auch ein konturenloses Kriterium, das das aus dem Justizgewährleistungsanspruch folgende grundsätzliche Recht der Prozeßparteien auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in seinem Kern beeinträchtigen würde.

b) Die Aussetzung der Verhandlung wird aber auch nicht durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 148 ZPO, wie sie das Berufungsgericht für möglich gehalten hat, gerechtfertigt.

aa) Daß in einem anderen Verfahren über einen gleich oder ähnlich gelagerten Fall nach Art eines Musterprozesses entschieden werden soll, rechtfertigt für sich genommen noch keine Analogie zu der in § 148 ZPO geregelten Fallkonstellation. Denn die Vorschrift dient zwar auch der Prozeßökonomie, indem sie die Gerichte vor der doppelten Befassung mit zumindest teilweise identischem Streitstoff bewahrt (Sen.Beschl. v. - X ZR 272/02 - GRUR 2004, 710 - Druckmaschinen-Temperierungssystem, für BGHZ 158, 372 vorgesehen; , NJW 1998, 1957; Beschl. v. - XII ARZ 32/97, FamRZ 1998, 1023). Darin erschöpft sich der Zweck der Norm jedoch nicht; § 148 ZPO enthält keine allgemeine Ermächtigung, die Verhandlung eines Rechtsstreits zur Abwendung einer vermeidbaren Mehrbelastung des Gerichts auszusetzen. Vielmehr ist die Aussetzung grundsätzlich nur dann eröffnet, wenn die Entscheidung in dem einen Rechtsstreit die Entscheidung des anderen rechtlich beeinflussen kann.

bb) Ist die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde oder Richtervorlage, ist es hiernach zulässig, die Verhandlung in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO auszusetzen, solange sich das erkennende Gericht nicht von der Verfassungswidrigkeit des entscheidungserheblichen Gesetzes überzeugt hat (, RdE 2001, 20; Beschl. v. aaO; s. auch BVerfG, NJW 2000, 1484). Denn wird das entscheidungserhebliche Gesetz für nichtig erklärt, wirkt dies erga omnes und beeinflußt damit notwendigerweise das ausgesetzte Verfahren rechtlich.

cc) Ob darüber hinaus Fälle denkbar sind, in denen der rechtlich erhebliche Einfluß des Verfahrens, bis zu dessen Entscheidung ausgesetzt wird, durch einen anderen, über bloße Prozeßwirtschaftlichkeit hinausreichenden Wertungsgesichtspunkt ersetzt werden kann, muß im Streitfall nicht abschließend entschieden werden. Es kann auch dahinstehen, ob bei "Massenverfahren" die Unmöglichkeit einer angemessenen Bewältigung der Gesamtheit der Verfahren das Gewicht verfahrenswirtschaftlicher Erwägungen gegebenenfalls so zu erhöhen vermag, daß hierin ein nicht nur quantitativ, sondern qualitativ anderer Wertungsgesichtspunkt als die "normale" Prozeßökonomie hervortritt (s. dazu Stürner, JZ 1978, 499, 501; Musielak/Stadler aaO, § 148 Rdn. 5; Peters aaO, § 148 Rdn. 9; LG Freiburg, NJW 2003, 3424; ablehnend Kähler, NJW 2004, 1132, 1136; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 148 Rdn. 16). Denn die angefochtene Entscheidung läßt keinen Wertungsgesichtspunkt erkennen, der die Aussetzung der Verhandlung rechtfertigen könnte.

Die Revisionsverfahren X ZR 158/03 und X ZR 191/03, bis zu deren "rechtskräftiger" Entscheidung das Berufungsgericht die Verhandlung (auch) ausgesetzt hat, betreffen nicht einmal Auskunftsansprüche gegen Landwirte wegen Nachbaus geschützter Sorten. Der Rechtsstreit X ZR 158/03, in dem der Senat zwischenzeitlich dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vier Fragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 2, 4 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission über die Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates über den gemeinschaftlichen Sortenschutz vom in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom zur Vorabentscheidung vorgelegt hat (Sen.Beschl. v. ; s. auch die Parallelentscheidung von demselben Tage in der Sache X ZR 156/03, GRUR 2005, 240 - Nachbauentschädigung) geht es vielmehr um die Angemessenheit der für den Nachbau sortenschutzrechtlich geschützten Saatguts zu zahlenden Entschädigung. Irgendein entscheidungserheblicher Zusammenhang mit dem Streitfall ist nicht zu erkennen. Das Revisionsverfahren X ZR 191/03 betrifft Auskunfts- und Unterlassungsansprüche gegenüber einem Aufbereiter und damit gleichfalls nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang der Landwirt von dem Sortenschutzinhaber auf Auskunft in Anspruch genommen werden kann. Schon deshalb kann die angefochtene Entscheidung nicht bestehen bleiben.

Aber auch die Verfahren X ZR 149/03 und X ZR 70/04 rechtfertigen die Aussetzung der Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht. Sie betreffen zwar Auskunftsansprüche wegen Nachbaus gegenüber Landwirten. Die bloße Übereinstimmung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage erlaubt jedoch die Aussetzung jedenfalls dann nicht, wenn sie nicht mit Zustimmung beider Parteien erfolgt, und nichts anderes gilt für die vom Berufungsgericht angeführten "zahlreichen" einander widerstreitenden Entscheidungen. Zwar spricht das Berufungsgericht abschließend bei der Begründung der Zulassung der Rechtsbeschwerde (in Anführungszeichen) auch von Massenverfahren. Daß das Berufungsgericht mit einer schlechthin nicht zu bewältigenden Vielzahl von gleichgelagerten Berufungsverfahren befaßt wäre, läßt seine Entscheidung jedoch nicht erkennen; andere gegebenenfalls relevante Gründe für eine Aussetzung führt es nicht an.

Fundstelle(n):
IAAAC-04754

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein