BAG Beschluss v. - 3 AZB 25/09

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 148; ZPO § 252; "Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen" (Postmindestlohnverordnung)

Instanzenzug: LAG Hamm, 1 Ta 702/08 vom ArbG Iserlohn, 4 Ca 1945/08 vom Veröffentlichungen: Für die Amtliche Sammlung: Nein

Gründe

I. Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist die Frage, ob der zwischen den Parteien anhängige Entgeltrechtsstreit Arbeitsgericht Iserlohn - 4 Ca 1945/08 - im Hinblick auf ein verwaltungsgerichtliches Verfahren, in dem verschiedene Kläger die Unwirksamkeit der "Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen" (BAnz. Nr. 242 vom S. 8410; im Folgenden: Postmindestlohnverordnung) des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom geltend machen, auszusetzen ist.

Die Klägerin war bei der Beklagten als Briefzustellerin beschäftigt. Die Beklagte hat sie auf der Basis eines Haustarifvertrages vergütet, der zwischen ihr und der "Christlichen Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation" abgeschlossen ist. Die Klägerin stützt ihre Entgeltklage auf den "Tarifvertrag über Mindestlöhne für die Branche Briefdienstleistungen", abgeschlossen am zwischen dem Arbeitgeberverband Postdienste e.V. und der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, dessen Geltungsbereich sie durch die Postmindestlohnverordnung auf ihr Arbeitsverhältnis erstreckt sieht.

Die Postmindestlohnverordnung wurde vom Bundesminister für Arbeit und Soziales auf der Basis des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vom (BGBl. I S. 227) in der zuletzt geänderten Fassung durch Gesetz vom (BGBl. I S. 3140) erlassen, das zwischenzeitlich durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz vom , verkündet am (BGBl. I S. 799), mit Wirkung vom abgelöst wurde (§ 25 des Gesetzes).

In einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren machen mehrere Briefdienstleistungsunternehmen sowie der Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste e.V. als Arbeitgeberverband geltend, dass die Rechtsverordnung sie in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt. Sie berufen sich im dortigen Verfahren auf eine mangelnde Ermächtigungsgrundlage sowie Formfehler. Das Verfahren ist beim Verwaltungsgericht Berlin unter dem Aktenzeichen - VG 4 A 439.07 - (LAGE GG Art. 9 Nr. 16) und beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen - OVG 1 B 13.08 - (SAE 2009, 167) geführt worden. Es ist derzeit beim Bundesverwaltungsgericht unter dem Aktenzeichen BVerwG - 8 C 19.09 - anhängig.

Das Arbeitsgericht hat das Verfahren - 4 Ca 1945/08 - mit Beschluss vom bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens beim Verwaltungsgericht Berlin - VG 4 A 439.07 - von Amts wegen ausgesetzt. Es hat angenommen, dass im anhängigen arbeitsgerichtlichen Verfahren die Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin geltend gemachte Vergütung entfalle und die Beklagte keinen entsprechenden Zahlungsverpflichtungen ausgesetzt sei, wenn die Postmindestlohnverordnung nicht mehr angewendet würde. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Beschluss auf die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin hin aufgehoben. Es hat die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.

II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aussetzung der Entgeltklage im Hinblick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren sind nicht gegeben.

1. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 148 ZPO liegen nicht vor.

a) Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei. Diese Regelung stellt nicht auf sachliche oder tatsächliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verfahren ab, sondern verlangt eine Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit zu treffenden Entscheidung im Sinne einer - zumindest teilweisen - präjudiziellen Bedeutung. Allein die tatsächliche Möglichkeit eines Einflusses genügt demgegenüber nicht. Eine andere Ansicht würde das aus dem Justizgewährleistungsanspruch folgende grundsätzliche Recht der Prozessparteien auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in seinem Kern beeinträchtigen ( - zu II 2 a der Gründe). Maßgeblich für die Aussetzung ist deshalb nicht allein, ob das im anderen Rechtsstreit zur Entscheidung stehende streitbefangene "Rechtsverhältnis" präjudiziell ist, sondern auch, ob eine zumindest teilweise rechtliche Präjudizialität des anderen "Verfahrens" gegeben ist.

b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Beschwerdeverfahren voll überprüfbar.

Zwar ist die Ansicht des aussetzenden Gerichts hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit eines anderweitigen Rechtsverhältnisses für die bei ihm zugrunde zu legende Rechtsfrage nur begrenzt nachzuprüfen. Andernfalls würden Fragen, deren Klärung nach der Systematik der Zivilprozessordnung den Rechtsmitteln der Berufung und ggf. der Revision vorbehalten ist, in das anders ausgestaltete Beschwerdeverfahren, das beispielsweise keine Pflicht zur mündlichen Verhandlung kennt, verschoben. Insoweit ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Ansicht der Vorinstanz über die im ausgesetzten Rechtsstreit maßgeblichen Rechtsfragen solange zugrunde zu legen, wie der Mangel der Entscheidungserheblichkeit nicht offensichtlich ist (vgl. zum Verfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG: - Rn. 12, AP ArbGG 1979 § 97 Nr. 17 = EzA ArbGG 1979 § 97 Nr. 9). Ob auf der Grundlage dieser materiell-rechtlichen Beurteilung ein Aussetzungsgrund vorliegt, ist allerdings eine davon zu unterscheidende Frage. Deren Überprüfung ist im von § 252 ZPO eröffneten Beschwerdeverfahren vorzunehmen ( - zu III 1 der Gründe, NJW-RR 2006, 1289).

c) Auch auf der Basis der - nur auf offensichtliche Fehlerhaftigkeit zu überprüfenden und hier jedenfalls nicht offensichtlich fehlsamen - Rechtsansicht des Arbeitsgerichts, wonach der Anspruch der Klägerin von der Wirksamkeit der Postmindestlohnverordnung abhängt, liegen keine Aussetzungsgründe vor. Dabei lässt der Senat es offen, ob im verwaltungsgerichtlichen Verfahren tatsächlich ein Rechtsverhältnis iSd. § 148 ZPO streitbefangen ist, ob also die angebliche Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte ein Rechtsverhältnis ist. Jedenfalls hat der verwaltungsgerichtliche Rechtsstreit keine, auch keine teilweise präjudizielle Bedeutung für die Entgeltklage.

aa) Eine Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entfaltet keine Rechtskraftwirkung im arbeitsgerichtlichen Verfahren - 4 Ca 1945/08 -. Rechtskräftige Urteile der Verwaltungsgerichte binden die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger; beteiligt sind neben Vertretern des öffentlichen Interesses nur der jeweilige Kläger, der jeweilige Beklagte und die Beigeladenen (§ 121 Nr. 1, § 63 VwGO). Zu diesem Personenkreis gehören die Klägerin und die Beklagte des arbeitsgerichtlichen Verfahrens nicht. Die Rechtskraft erstreckt sich weiter für den Fall, dass das Gericht bei einer notwendigen Beiladung von dem Verfahren nach § 65 Abs. 3 VwGO Gebrauch macht, auch auf die Personen, die keinen fristgemäßen Antrag auf Beiladung gestellt haben (§ 121 Nr. 2 VwGO). Auch diese Voraussetzungen einer Rechtskrafterstreckung auf die Klägerin und die Beklagte liegen nicht vor.

bb) Das verwaltungsgerichtliche Verfahren hat auch keine sonstige, zumindest teilweise präjudizielle Bedeutung für das zwischen den Parteien geführte Entgeltverfahren.

Die Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren haben einen Antrag auf Feststellung gestellt, sie seien durch den Erlass der Postmindestlohnverordnung in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt (vgl. zu derartigen Verfahren: -, - 1 BvR 542/02 - Rn. 50 ff., BVerfGE 115, 81), nicht jedoch auf Feststellung der Unwirksamkeit der Verordnung. Insoweit wird die Frage nach der Rechtmäßigkeit lediglich als - wenn auch streitentscheidende - Vorfrage aufgeworfen. Inwieweit auf der Basis der von den dortigen Klägern vertretenen Rechtsauffassung die Verordnung nicht nur mit höherrangigem Recht unvereinbar, sondern auch ohne weiteres unwirksam ist, muss deshalb nicht zwingend im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entschieden werden; zumindest wäre sie nicht Teil des Entscheidungsausspruchs.

Der von den Klägern im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstrebte Entscheidungsausspruch würde zudem zwar eine Aussage zur Rechtslage treffen, diese jedoch nicht gestalten. Er hätte also keinerlei konstitutive Wirkung. Die Gültigkeit der Rechtsverordnung hängt nicht vom Entscheidungsausspruch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ab, sondern ist ohne weiteres als Vorfrage im jeden weiteren gerichtlichen Verfahren zu prüfen.

Es kommt hinzu, dass Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht einmal konkrete Verpflichtungen des Verordnungsgebers sind, die sich auf den Bestand der Postmindestlohnverordnung auswirken könnten. Zwar kann die materielle Rechtslage - etwa unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung - tatsächlich den Erlass oder die Änderung einer Rechtsverordnung gebieten. Dann kann eine auf die Feststellung einer dahingehenden Verpflichtung gerichtete verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage zulässig sein, zumal zu erwarten ist, dass öffentliche Stellen - hier der Verordnungsgeber - einem Feststellungsurteil, das eine derartige Verpflichtung ausspricht, auch ohne Vollstreckungsdruck Folge leisten (vgl. -, - 1 BvR 542/02 - Rn. 51 und 53, BVerfGE 115, 81). Eine derartige Verpflichtung der Beklagten ist aber - auf der Basis der Rechtsansicht der Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren konsequenterweise - nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Ein Antrag auf Aufhebung einer schon unwirksamen Norm ginge ins Leere ( 11 C 13.99 - zu 2 b der Gründe, BVerwGE 111, 276). Ein Entscheidungsausspruch zugunsten der Kläger würde deshalb auch keine entsprechende Verpflichtung des Verordnungsgebers zur Aufhebung der Postmindestlohnverordnung begründen.

Damit entfällt aber jegliche rechtliche Wirkung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für die vorliegende Entgeltklage (im Ergebnis wie hier: - zu II 2 b bb der Gründe). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob einem Verfahren präjudizielle Wirkung zuzumessen wäre, das tatsächlich auf Feststellung einer Verpflichtung zur Aufhebung einer Rechtsverordnung gerichtet wäre, oder ob die notwendige Zwischenschaltung des Verordnungsgebers als Organ der materiellen Rechtsetzung eine derartige Wirkung ausschlösse, etwa weil seine Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht eingeschränkt sind (vgl. zu diesem Aspekt: -, - 1 BvR 542/02 - Rn. 53 mwN, BVerfGE 115, 81).

Im Ergebnis sind die klagenden Parteien im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dadurch nicht rechtlos gestellt. Soweit sie selber Arbeitgeber sind, ergibt sich dies schon daraus, dass es ihnen freisteht, sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren zu verteidigen. Es ist nicht rechtsstaatswidrig, sondern dient im Gegenteil dem effektiven Rechtsschutz der Arbeitnehmer, die Rechte aus den auf die Postmindestlohnverordnung erstreckten Tarifverträgen geltend machen wollen, dass insoweit der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist. Dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren klagenden Arbeitgeberverband bleibt zumindest die Möglichkeit, seine Mitglieder in der Abwehr solcher Klagen zu unterstützen und selber seine Rechtsposition im Wege der Nebenintervention nach § 66 ZPO in das arbeitsgerichtliche Verfahren einzubringen. Die Möglichkeit zur Nebenintervention stünde auch einer Vereinigung auf Arbeitnehmerseite offen, die durch einen Tarifschluss Gewerkschaftsrechte für sich in Anspruch nimmt.

2. Eine Aussetzung kommt auch nicht in entsprechender - analoger - Anwendung von § 148 ZPO in Betracht.

Auch eine analoge Anwendung von § 148 ZPO setzt voraus, dass die Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit geeignet ist, den Rechtsstreit, dessen Aussetzung in Betracht kommt, rechtlich zu beeinflussen ( - zu II 2 b aa der Gründe). Solche Fälle sind denkbar, wenn im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Rechtswirksamkeit einer Rechtsnorm überprüft wird, da Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für die Gerichte bindend sind und im Falle, dass eine Norm mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt wird, Gesetzeskraft haben (§ 31 BVerfGG; vgl. - RdE 2001, 20). Gleiches gilt bei einem laufenden Vorlageverfahren zum EuGH nach Art. 234 EG, weil wegen des Gebots der einheitlichen Anwendung von Gemeinschaftsrecht (vgl. hierzu - Rn. 51, AP TzBfG § 14 Nr. 48 = EzA TzBfG § 14 Nr. 49) die Entscheidung für andere Verfahren unmittelbare rechtliche Bedeutung hat ( - zu II 2 der Gründe, NJW 2004, 501) und im - hier nicht einschlägigen - Verfahren nach § 47 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht nach dieser Regelung konstitutiv und allgemeinverbindlich über die Wirksamkeit der dort streitbefangenen Norm entscheidet (§ 47 Abs. 5 VwGO). Eine hiermit vergleichbare, konstitutive Wirkung kommt aber der Entscheidung im hier maßgeblichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren gerade nicht zu. Aus dem Beschluss des Senats vom (- 3 AZB 27/97 -) ist nichts Gegenteiliges herzuleiten. Der Senat hat dort nicht die Aussetzung wegen eines Musterprozesses nach § 148 ZPO gebilligt, sondern lediglich angenommen, es liege keine "greifbare" Gesetzwidrigkeit iSd. früheren Rechts der außerordentlichen Beschwerde vor. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich entschieden, dass die Aussetzung wegen eines Musterprozesses nicht in Betracht kommt ( - X ZB 20/04 -).

3. Eine Aussetzung nach § 97 ArbGG im Hinblick auf Zweifel über die Tariffähigkeit der "Christlichen Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation" ist weder Gegenstand der vorinstanzlichen Entscheidungen noch des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO in Verbindung mit dem Rechtsgedanken des § 96 ZPO.

Fundstelle(n):
GAAAD-38057