BGH Beschluss v. - VIII ZB 126/02

Leitsatz

[1] Zur Auslegung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bei Angabe eines falschen Aktenzeichens.

Gesetze: ZPO § 520 Abs. 2

Instanzenzug: LG Karlsruhe 9 S 222/02 vom AG Karlsruhe 4 C 597/01 vom

Gründe

I.

Der Kläger hat den Beklagten in dem Verfahren - 3 C 37/02 Amtsgericht Karlsruhe - auf Zahlung rückständiger Mietzinsen und Nebenkosten sowie in dem Verfahren - 4 C 597/01 Amtsgericht Karlsruhe - auf Räumung der Mietsache in Anspruch genommen. In dem Räumungsverfahren hat das Amtsgericht Karlsruhe die Klage durch das dem Kläger am zugestellte Urteil vom abgewiesen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom dagegen Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren wird beim Landgericht Karlsruhe unter dem Aktenzeichen 9 S 222/02 geführt.

In der Forderungssache hat das Amtsgericht Karlsruhe die Klage mit Urteil vom , das dem Kläger am zugestellt worden ist, abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger gleichfalls Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren wird beim Landgericht Karlsruhe unter dem Aktenzeichen 9 S 237/02 geführt.

Am hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers einen Fristverlängerungsantrag in dem Räumungsverfahren gestellt. Er enthält jedoch irrtümlich das Aktenzeichen 9 S 237/02 der Zahlungsklage. In dem Fristverlängerungsantrag heißt es:

"... bitte ich höflich darum, die heute ablaufende Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum zu verlängern."

Am ging dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers in dem Verfahren auf Zahlung rückständiger Mietzinsen - 9 S 237/02 - eine Fristverlängerungsverfügung vom mit dem Vermerk zu, daß die Berufungsbegründungsfrist erst am abgelaufen wäre. Daraufhin beantragte der Kläger in dem vorliegenden Räumungsverfahren mit Schriftsatz vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Den Antrag verband er mit einem erneuten Fristverlängerungsantrag und wies darauf hin, daß sein Antrag vom das Verfahren - 9 S 222/02 - betreffe.

Mit Verfügung vom wies das Landgericht den Kläger darauf hin, daß es beabsichtige, die Berufung in dem Räumungsverfahren - 9 S 222/02 - mangels fristgerechtem Eingang der Begründung als unzulässig zu verwerfen. In der Verfügung heißt es zudem:

"Im Zusammenhang mit der Vorlage dieser Akten wurde festgestellt, daß die in dem weiteren Verfahren derselben Parteien - 9 S 237/02 - beantragte und mit Verfügung vom gewährte Fristverlängerung möglicherweise das vorliegende Verfahren hätte betreffen sollen."

Der Kammervorsitzende hat nunmehr in dem Räumungsverfahren durch Verfügung vom die Berufungsbegründungsfrist bis zum vorbehaltlich der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag verlängert. Die Berufungsbegründung des Klägers ist am beim Landgericht eingegangen.

Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), form- und fristgerecht eingelegt (§ 575 ZPO) und auch begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Berufung des Klägers sei als unzulässig zu verwerfen, da er das Rechtsmittel nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet habe. Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist sei am abgelaufen. Die Frist sei auch nicht durch das vom Prozeßbevollmächtigten unter dem falschen Aktenzeichen des ebenfalls bei der Kammer anhängigen Parallelverfahrens der Parteien eingereichte Gesuch auf Fristverlängerung gewahrt. Für die Fristwahrung durch das Fristverlängerungsgesuch sei ebenso wie bei Berufungsschrift und Berufungsbegründung eine hinreichend klare Zuordnung des Schriftsatzes zum konkreten Verfahren erforderlich. Der Schriftsatz vom sei aber angesichts des angegebenen Aktenzeichens eines anderen anhängigen Verfahrens weder eindeutig noch hinreichend sicher der Berufung zuzuordnen.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die Berufung ist fristgerecht am begründet worden, so daß es auf den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers nicht ankommt. Der Annahme des Berufungsgerichts, der Antrag des Klägers auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom betreffe die Forderungssachen der Parteien und nicht das vorliegende Räumungsverfahren, kann nicht gefolgt werden.

Die Auslegung von Prozeßhandlungen unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs freier revisionsrechtlicher Nachprüfung. Sie orientiert sich an dem Grundsatz, daß im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (, NJW-RR 2000, 1446; Senatsurteil vom - VIII ZR 210/99, NJW 2000, 3216 unter II 1). Die Anwendung dieses Grundsatzes führt vorliegend zu dem Ergebnis, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers am einen Fristverlängerungsantrag in dem vorliegenden Räumungsverfahren gestellt hat. Das in diesem Antrag angegebene Aktenzeichen 9 S 237/02 wies zwar auf das unter diesem Aktenzeichen geführte Forderungsverfahren derselben Parteien vor derselben Berufungskammer hin. Da aber in dem Schriftsatz um Verlängerung der "heute ablaufenden Berufungsbegründungsfrist" gebeten wurde, wobei das Wort "heute" und das Enddatum, bis zu dem die "um einen Monat" zu verlängernde Frist erstreckt werden sollte, der , fettgedruckt wiedergegeben sind, bezog sich dieser Antrag objektiv auf das Räumungsverfahren. Nur in dem vorliegenden Räumungsverfahren derselben Parteien vor diesem Gericht endete ohne Verlängerung die Berufungsbegründungsfrist am .

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war nicht allein auf das Aktenzeichen des Berufungsverfahrens abzustellen. Für den Eingang einer Berufungsbegründungsschrift ist allein entscheidend, daß diese vor Ablauf der Frist an das zur Entscheidung berufene Gericht gelangt war. Das Gesetz schreibt in den §§ 129 Abs. 1, 130 ZPO - die gemäß § 520 Abs. 5 ZPO auf die Berufungsbegründung anzuwenden sind - die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist ( IVb ZB 60/82, VersR 1982, 673 unter II). Das gilt grundsätzlich auch für den Antrag auf Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung. Auch wenn durch die Angabe des falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit darüber herbeigeführt wurde, in welcher Sache um Fristverlängerung gebeten wurde, ist der Antrag, wie dargetan, nach dem Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen des Anwalts dem Räumungsverfahren zuzuordnen.

Der Kläger hat mithin die Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist durch seinen am bei Gericht eingegangenen Schriftsatz rechtzeitig beantragt. Da die Frist zur Berufungsbegründung durch Verfügung des Vorsitzenden der Berufungskammer am bis verlängert worden ist, ist diese Verlängerung auch wirksam. Voraussetzung für eine wirksame Verlängerung ist nämlich, daß der Verlängerungsantrag bis zum Ablauf des letzten Tages der Frist bei Gericht eingegangen ist (BGHZ 83, 217, 221/222). Der Kläger hat deshalb mit seinem am bei der Berufungskammer eingegangenen Schriftsatz die Berufung in dem vorliegenden Räumungsverfahren rechtzeitig begründet.

Fundstelle(n):
GAAAC-03722

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein