Leitsatz
[1] § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG setzt voraus, dass der Täter das Kind dazu bestimmt, dass es an seinem eigenen Körper sexuelle Handlungen vornimmt; es reicht nicht aus, dass der Täter das Kind lediglich dazu bestimmt, vor ihm in sexuell aufreizender Weise zu posieren.
Gesetze: StGB § 176 Abs. 3 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG; StGB § 176 Abs. 4 Nr. 2 n.F.
Instanzenzug: LG Hagen vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung des Dia-Projektors des Angeklagten angeordnet und den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.000 Euro an den Nebenkläger verurteilt.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Soweit der Angeklagte wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in fünf Fällen (II. 4 bis 8 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist, hält das Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen veranlasste der Angeklagte den am geborenen Nebenkläger an drei nicht näher bestimmbaren Tagen im Jahre 2004, jedoch vor dem 17. März, sich vollständig zu entkleiden und Stellungen einzunehmen, die es ermöglichten, Penis und Gesäß des Jungen zu fotografieren (Fälle II. 4 und 6 der Urteilsgründe); in einem weiteren Fall (II. 5 der Urteilsgründe) veranlasste er den Jungen, die Unterhose herunter zu ziehen, und fotografierte Gesäß und Penis des Jungen. An zwei nicht näher bestimmbaren Tagen in den Jahren 2002 oder 2003 veranlasste der Angeklagte ein am geborenes Mädchen, sich teilweise zu entblößen, und fotografierte Gesäß und Genitalbereich des Kindes (Fälle II. 7 und 8).
b) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht gemäß § 2 Abs. 1 und 3 StGB von der Anwendbarkeit der §§ 176 Abs. 3 Nr. 2 und 184 Abs. 5 StGB in den zur Zeit der Taten geltenden Fassungen des Sechsten Strafrechtsreformgesetzes (6. StrRG) ausgegangen, denn die diesen Vorschriften im Übrigen entsprechenden §§ 176 Abs. 4 Nr. 2 und 184 b Abs. 4 StGB i.d.F. des am in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom (BGBl I 3007) sehen jeweils höhere Strafandrohungen vor. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegen nach den bisher getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen der §§ 176 Abs. 3 Nr. 2 und 184 Abs. 5 StGB i.d.F. des 6. StrRG in keinem der fünf Fälle vor:
aa) Der Angeklagte hat die Kinder danach zwar dazu bestimmt, vor ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen, denn das Posieren der Kinder, um Genitalien und Gesäß unbedeckt zur Schau zu stellen, ist eine - nicht unerhebliche (§ 184 f Nr. 1 StGB) - sexuelle Handlung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll (vgl. BGHSt 43, 366, 368 m.N.). Das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme einer nicht mit Manipulationen an seinem Körper verbundenen sexuellen Handlung wird aber von dem Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG nicht erfasst. Im Gegensatz zu § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB i.d.F. des 4. StrRG, der das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme sexueller Handlungen "vor" dem Täter "oder einem Dritten" unter Strafe stellte und demgemäß auch solche sexuellen Handlungen erfasste (vgl. BGHSt 43, 366, 368; BGHR StGB § 176 Abs. 5 sexuelle Handlungen 1 und § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 5), setzt § 176 Abs. 3 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG - ebenso wie § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB n.F. - voraus, dass der Täter ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an sich vornimmt.
Diese Neufassung des Tatbestands durch das 6. StrRG, die den Anwendungsbereich über die bis dahin geregelten Fälle (Vornahme sexueller Handlungen vor dem Täter oder einem Dritten) hinaus "allgemein" auf sexuelle Handlungen erstrecken sollte, die das Kind "an sich selbst" vornimmt, und damit auch auf den von § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB a.F. nicht erfassten Fall (vgl. BGHSt 41, 285), dass sog. Verbalerotiker Kinder durch Telefonanrufe zu "derartigen Manipulationen" veranlassen (BTDrucks. 13/9064 S. 10 f.), hat zugleich zu einer Einschränkung des bisherigen Anwendungsbereichs geführt. Erfasst werden nach dem eindeutigen Wortlaut des § 176 Abs. 3 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG nur sexuelle Handlungen, die ein Kind an, also nicht lediglich mit seinem Körper (zu dieser Differenzierung vgl. Laufhütte in LK 11. Aufl. § 184 c Rdn. 5; Wolters/Horn SK § 184 f Rdn. 8) vornimmt. Nur wer mit Berührungen verbundene Manipulationen am eigenen Körper vornimmt, nimmt nach allgemeinem Sprachverständnis Handlungen an sich selbst vor. Auch der Sinnzusammenhang der Tatbestandsvarianten des § 176 StGB und der anderen Straftatbestände zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung spricht für diese Auslegung. Soweit diese Tatbestände auf die Vornahme sexueller Handlungen an einem anderen, nämlich des Täters an dem Tatopfer (vgl. §§ 174 Abs. 1, 176 Abs. 1 StGB), eines Dritten an dem Tatopfer (vgl. § 176 Abs. 2 StGB), des Tatopfers an dem Täter (vgl. §§ 174 Abs. 1, 176 Abs. 1 StGB) oder an einem Dritten (vgl. § 176 Abs. 2 StGB), abstellen, setzen sie stets Manipulationen am Körper, d.h. ein Berühren des Körpers voraus (vgl. Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 184 f Rdn. 8; Wolters/Horn SK § 184 f Rdn. 6 jew. m.w.N.).
Ob die mit der Neufassung des § 176 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz erfolgte Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB rechtspolitisch gewollt war, kann dahinstehen. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf die Vornahme auch solcher Handlungen, bei denen es nicht zu Manipulationen am eigenen Körper kommt, ist mit dem Wortsinn der Vorschrift, wie er sich aus den genannten Gründen aus dem Sinnzusammenhang des Gesetzes ergibt (vgl. dazu BGHSt 41, 285, 286; 48, 354, 357), nicht zu vereinbaren. Der mögliche Wortsinn eines Gesetzes markiert die äußerste Grenze der Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen zum Nachteil des Angeklagten (BVerfGE 105, 135, 152 ff., jew. m.w.N.).
bb) Damit sind auch die Schuldsprüche wegen jeweils tateinheitlich begangenen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften i. S. des § 184 Abs. 5 StGB i.d.F. des 6. StrRG nicht belegt, weil diese Vorschrift nur solche Schriften erfasst, die den sexuellen Missbrauch eines Kindes i. S. der §§ 176 bis 176 b StGB zum Gegenstand haben (vgl. BGHSt 43, 366, 368; 45, 41, 42 f.; vgl. auch § 184 b Abs. 1 n.F.).
cc) Da nach den bisherigen Feststellungen nicht auszuschließen ist, dass zum Tathergang ergänzende Feststellungen zu den sexuellen Handlungen getroffen werden können, die ein tatbestandsmäßiges Verhalten im aufgezeigten Sinne des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG belegen, bedarf die Sache insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob der Angeklagte auf eines der Kinder bei der Fertigung der Aufnahmen im Sinne des § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB, der § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB n.F. entspricht, durch Reden pornographischen Inhalts eingewirkt hat.
2. Die Aufhebung der Verurteilung in den vorgenannten fünf Fällen und der damit verbundene Wegfall der jeweils verhängten Einzelstrafen nötigt zur Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe.
3. Die Anordnung der Einziehung des Dia-Projektors des Angeklagten gemäß § 74 StGB kann wegen der Aufhebung der Verurteilung in den vorgenannten Fällen ebenfalls nicht bestehen bleiben. Der Senat weist für den Fall, dass es erneut zu einer Verurteilung des Angeklagten wegen einer Straftat gemäß § 184 Abs. 5 StGB i.d.F. des 6. StrRG kommt, vorsorglich darauf hin, dass ein Dia-Projektor kein Beziehungsgegenstand im Sinne des Abs. 7 Satz 2 dieser Vorschrift ist. Eine Einziehung gemäß § 74 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Dia-Projektor zur Begehung oder Vorbereitung der Straftat gebraucht worden ist.
4. Der Adhäsionsausspruch, der von der Revision ersichtlich nicht angegriffen wird, kann bestehen bleiben, obwohl die Verurteilung auf die Revision des Angeklagten wegen der Taten zum Nachteil des Nebenklägers teilweise aufgehoben wird. Ein nicht angefochtener Adhäsionsausspruch bleibt grundsätzlich unberührt, wenn das zum strafrechtlichen Teil eingelegte Rechtsmittel - wie hier - nur eine (teilweise) Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zur Folge hat (vgl. BGHSt 3, 210, 211). Der Adhäsionsausspruch hat hier im Übrigen auch deshalb Bestand, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung den vom Nebenkläger geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 3.000 Euro anerkannt (§ 406 Abs. 2 StPO) und die Wirksamkeit des Anerkenntnisses auch nicht in Frage gestellt hat. Zudem hat der Nebenkläger auf die Geltendmachung seiner darüber hinausgehender Ansprüche gegen den Angeklagten verzichtet.
5. Zur Abfassung der Urteilsgründe bemerkt der Senat ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom , dass es sich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verbietet, Kopien von Lichtbildern pornographischen Inhalts in die Urteilsgründe aufzunehmen. Darüber hinaus begegnet ein solches Vorgehen auch deshalb Bedenken, weil der Angeklagte notwendigerweise in den Besitz zumindest einer Abschrift des Urteils einschließlich der darin wiedergegebenen Aufnahmen gelangt. Sollte es auf Einzelheiten der Abbildungen ankommen, sieht § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO die Möglichkeit vor, auf bei den Akten befindliche Lichtbilder zu verweisen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1890 Nr. 26
TAAAB-95658
1Nachschlagewerk: ja