BFH Beschluss v. - III R 1/06

Negative Einkünfte aus einer Beteiligung als Kommanditist als Einkünfte i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG

Leitsatz

Der Begriff der "Einkünfte" in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG. Er ist nicht als "zu versteuerndes Einkommen" i. S. des § 2 Abs. 5 EStG oder als "Einkommen" i. S. des § 2 Abs. 4 EStG zu verstehen. Negative Einkünfte sind grundsätzlich mit positiven Einkünften zu verrechnen und mindern darüber hinaus auch die anrechenbaren Bezüge. Allerdings gelten die gesetzlichen Beschränkungen des Verlustausgleichs (z. B. § 2a, § 15 Abs. 4, § 15a EStG) bei einer Einkunftsart auch im Kindergeldrecht. Da der Begriff der Einkünfte in § 2 Abs. 2 EStG eindeutig definiert ist und der Gesetzgeber die Gewährung des Kindergelds von der Höhe der "Einkünfte" des Kinds abhängig gemacht hat, sollten alle Einkünfte des Kinds i. S. des § 2 Abs. 1, 2 EStG und damit auch dessen negative Einkünfte zu berücksichtigen sein. Deshalb ist § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass bewusst herbeigeführte Verluste durch eine Beteiligung als Kommanditist an einer Publikumsgesellschaft nicht mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden können.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4, EStG § 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Vater eines im Jahre 1981 geborenen Sohnes. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob mit Bescheid vom die Festsetzung des Kindergeldes für den Sohn ab Januar 2004 auf, da dieser nach der Prognose der Familienkasse im Jahr 2004 Einkünfte und Bezüge in Höhe von insgesamt 9 478 € haben und damit den Grenzbetrag von 7 680 € (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des EinkommensteuergesetzesEStG— in der im Streitjahr 2004 geltenden Fassung) überschreiten würde. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

Im Klageverfahren machte der Kläger geltend, sein Sohn habe sich im Jahr 2004 als Kommanditist an einer Kommanditgesellschaft beteiligt. Aus dieser Beteiligung würde er negative Einkünfte erzielen, die mit den positiven Einkünften zu verrechnen seien, so dass der Grenzbetrag unterschritten werde.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte im Wesentlichen aus, die Einkünfte und Bezüge des Kindes überstiegen im Streitjahr 2004 den Grenzbetrag von 7 680 €. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sei dahin gehend teleologisch zu reduzieren, dass bewusst herbeigeführte Verluste durch eine Beteiligung als Kommanditist an einer Publikumsgesellschaft bei der Berechnung des Grenzbetrages außer Betracht bleiben müssten. Der Zweck dieser Vorschrift bestehe darin, Eltern von Freibeträgen und Kindergeld auszuschließen, deren Kinder über eigene Einkünfte und Bezüge in einer das Existenzminimum übersteigenden Höhe verfügten, so dass zugleich die Unterhaltspflicht der Eltern entfalle oder sich mindere. Durch die Verrechnung mit bewusst herbeigeführten Verlusten im Rahmen der Beteiligung an einer Publikumsgesellschaft mit positiven anderen Einkünften werde jedoch nicht die Leistungsfähigkeit des Kindes vermindert, seine eigene Existenz zu sichern. Die Eltern seien daher auch nicht mehr durch das Kind belastet.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung sowie den Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG bleiben negative Einkünfte des Kindes aus einer Beteiligung als Kommanditist bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht außer Betracht.

1. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein volljähriges Kind nur dann für das Kindergeld berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7 680 € hat. Der Begriff der „Einkünfte” in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG. Er ist nicht als „zu versteuerndes Einkommen” i.S. des § 2 Abs. 5 EStG oder als „Einkommen” i.S. des § 2 Abs. 4 EStG (Gesamtbetrag der Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen) zu verstehen (, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566; vgl. auch , BFH/NV 2005, Beilage 3, 260, unter B.II.2.).

Einkünfte sind bei Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit der Gewinn (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) und bei den anderen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Negative Einkünfte sind grundsätzlich mit positiven Einkünften zu verrechnen und mindern darüber hinaus auch die anrechenbaren Bezüge (vgl. , BFHE 192, 480, BStBl II 2001, 107; Blümich/Heuermann, § 32 EStG Rz. 115; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG Anm. 134; Greite in Korn, § 32 Rz. 67; DA-FamEStG 63.4.2.1 Abs. 1 Satz 3). Allerdings gelten die gesetzlichen Beschränkungen des Verlustausgleichs (z.B. §§ 2a, 15 Abs. 4, 15a EStG) bei einer Einkunftsart auch im Kindergeldrecht (, BFH/NV 2004, 1252; so auch DA-FamEStG 63.4.2.1 Abs. 1 Satz 3). Ein Verlustabzug nach § 10d EStG ist hingegen nicht zu berücksichtigen, da er nicht die Einkünfteermittlung betrifft (, BFHE 196, 504, BStBl II 2002, 250).

2. Nach diesen Grundsätzen sind im Streitfall auch (negative) gewerbliche Einkünfte des Sohnes aus seiner Beteiligung als Kommanditist (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) mit seinen positiven Einkünften zu verrechnen, soweit ein Verlustausgleich nicht nach §§ 2b, 15a EStG ausgeschlossen ist.

Entgegen der Auffassung des FG ist § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht dahin gehend teleologisch zu reduzieren, dass bewusst herbeigeführte Verluste durch eine Beteiligung als Kommanditist an einer Publikumsgesellschaft nicht mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden können.

Der Gesetzeswortlaut kann nur dann entsprechend dem Zweck des Gesetzes eingeschränkt werden (sog. teleologische Reduktion), wenn sich der Wortlaut —gemessen an dem mit dem Gesetz verfolgten Zweck— als planwidrig zu weitgehend erweist. Eine teleologische Reduktion kommt hingegen nicht in Betracht, wenn der weite Wortlaut der Vorschrift Folge einer bewussten rechtspolitischen Entscheidung des Gesetzgebers ist (z.B. , BFHE 197, 233, BStBl II 2002, 195, und vom IV R 42/00, BFHE 202, 438, BStBl II 2003, 798, jew. m.w.N.).

Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG eindeutig definiert. Ein Abweichen von dieser „tradierten steuerrechtlichen Terminologie” (vgl. BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2005, Beilage 3, 260, unter B.II.2.) würde dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers widersprechen. Da er die Gewährung des Kindergeldes von der Höhe der „Einkünfte” des Kindes abhängig gemacht hat, sollten alle Einkünfte des Kindes i.S. des § 2 Abs. 1, 2 EStG und damit auch dessen negative Einkünfte zu berücksichtigen sein.

Dass es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelte, ergibt sich auch aus dem Vergleich mit anderen Fördertatbeständen, welche die Förderung teils vom Gesamtbetrag der Einkünfte teils von „positiven Einkünften” abhängig machen. So wird z.B. das Einkommen im Sinne des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) definiert als die Summe der positiven Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1 und 2 EStG und ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten ausdrücklich ausgeschlossen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 BAföG). Für den Abzugsbetrag nach § 10e EStG und zunächst auch für die Eigenheimzulage war dagegen der Gesamtbetrag der Einkünfte maßgebend. Erst durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom (BStBl I 2004, 120) wurde der Gesamtbetrag der Einkünfte in § 5 des Eigenheimzulagengesetzes durch die Summe der positiven Einkünfte ersetzt, um Mitnahmeeffekte und missbräuchliche Gestaltungen auszuschließen.

Für die vom FG vorgenommene teleologische Reduktion besteht zudem kein Bedürfnis. Nach § 15a EStG können Verlustanteile im Grundsatz ohnehin nur bis zur Höhe der Einlage des beschränkt haftenden Gesellschafters mit anderen positiven Einkünften ausgeglichen werden. Die Beteiligung an einer „Verlustzuweisungsgesellschaft” zur „Verlustproduktion” ist mithin bereits beschränkt. Auch soweit das FG mit seiner Auslegung die Verrechnung bewusst herbeigeführter Verluste verhindern wollte —wozu das FG im Streitfall indessen keine Feststellungen getroffen hat—, ist zu berücksichtigen, dass keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen, wenn die Gewinnerzielungsabsicht (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG) fehlt. Überdies könnte im Streitjahr 2004 auch § 2b EStG einem Verlustausgleich entgegenstehen. Ein darüber hinausgehendes Korrektiv ist im Rahmen der Grenzbetragsregelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht erforderlich.

3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermöglichen keine Beurteilung, ob und in welcher Höhe der Sohn ausgleichsfähige negative Einkünfte aus seiner Beteiligung an der Kommanditgesellschaft erzielt hat. Das FG wird diese Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen und insbesondere zu prüfen haben, ob etwaige negative Einkünfte des Sohnes nach §§ 2b und 15a EStG mit seinen positiven Einkünften ausgeglichen werden dürfen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1825 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2006 S. 3270
WAAAB-91840