Oberfinanzdirektion Karlsruhe - S 3199/1/2 - St 435

Einheitsbewertung des Grundvermögens; Bewertungsverfahren bei Ein-/Zweifamilienhäusern, gerichtliches Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung

aufgehoben

Beigefügt übersendet die OFD eine neutralisierte Ablichtung des , mit dem der Bundesfinanzhof der Revision des Finanzamtes stattgegeben und die Entscheidung des Hessischen (veröffentlicht in EFG 2004, 964) aufgehoben hat, mit der Bitte um Kenntnisnahme.

Das Finanzamt hatte ein Zweifamilienhaus aufgrund der besonderen Gestaltung und Ausstattung (Wohnzimmer der Hauptwohnung 60 m2, Schwimmhalle 60 m2, Wasserfläche 25 m2, 2 offene Kamine, Fußboden in Naturstein, Wohnfläche der Hauptwohnung insgesamt 206 m2 u. a.) im Sachwertverfahren bewertet. Der durch die Summe der Merkmale abgeleitete Gesamteindruck des Hauses weiche wesentlich von den Zweifamilienhäusern ab, für die zum eine den Herstellungskosten angemessene Miete habe erzielt werden können.

Das FG Kassel hatte mit Urteil vom entschieden, dass die Gestaltung und Ausstattung nicht zu einer wesentlichen Unterscheidung von anderen im Ertragswertverfahren zu bewertenden Objekte führe. Es führt jedoch aus, dass dem Finanzamt zuzugeben sei, dass es sich bei dem Objekt um einen Grenzfall handele. Denn das Objekt gehöre nach seiner Größe und Ausstattung zweifelsfrei nicht zu den einfach ausgestatteten Wohngebäuden bzw. serienmäßig hergestellten Siedlungshäusern, die dem Gesetzgeber im Zeitpunkt der Hauptfeststellung für die Anwendung des Ertragswertverfahrens vor Augen gestanden haben dürften. Das Gericht neige daher der Auffassung des Finanzamts zu, dass das Objekt der Klägerin bei einer Gesamtbetrachtung über besondere Ausstattungsmerkmale verfügt, die im Zeitpunkt der Hauptfeststellung eine Bewertung im Sachwertverfahren gerechtfertigt hätte. Andererseits könne die Verbesserung der Bauqualität und der Wohnverhältnisse in der Zeit nach der Hauptfeststellung nicht unberücksichtigt bleiben. Das Gericht habe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das Objekt der Klägerin in seiner Gestaltung und/oder Ausstattung wesentlich von anderen vergleichbaren Objekte unterscheidet, die in der gleichen Gemeinde im Ertragswertverfahren bewertet worden seien. Die nach einer Ortsbesichtigung durch das Gericht erbetene Vorlage von Akten oder Angaben über ausgewählte Nachbargrundstücke als Vergleichsobjekte hatte das Finanzamt unter Hinweis auf das Steuergeheimnis abgelehnt. Ferner hat das Finanzamt betont, dass die Bewertung der Nachbargrundstücke gesetzmäßig durchgeführt worden sei, und dass die Klägerin selbst im Falle einer fehlerhaften Bewertung dieser Grundstücke keinen Anspruch auf eine ebenfalls fehlerhafte Wahl des Bewertungsverfahrens habe.

Der BFH hatte bereits mit Beschluss vom  – II B 163/02 die Revision zugelassen.

Anlage

BUNDESFINANZHOF

Az. II R 12/04

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Eigentümerin eines 867 qm großen Grundstücks, das in den Jahren 1978/1979 mit einem Zweifamilienhaus bebaut und dessen Einheitswert im Sachwertverfahren durch bestandskräftigen Einheitswertbescheid auf 338 600 DM festgestellt wurde. Die Wohnfläche der Hauptwohnung beträgt 206 qm, die der Wohnung im Obergeschoss 73 qm. Im Kellergeschoss des Hauses wurde ein Schwimmbad mit 26 qm Wasseroberfläche eingerichtet. Im Erdgeschoss befindet sich eine Diele, die ohne Wandabgrenzung zu einem erhöht liegenden ca. 60 qm großen Wohnraum führt. Dieser ist bis zum Dachfirst ausgebaut und an der Westseite vollständig verglast. Im Inneren des Wohnraums und auf gleicher Höhe an der Außenwand zur Terrasse befindet sich jeweils ein offener, mit Natursteinen verkleideter Kamin.

Den Antrag der Klägerin auf fehlerberichtigende Wertfortschreibung des Einheitswerts im Ertragswertverfahren lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) mit Bescheid vom ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 965 veröffentlichten Urteil im Wesentlichen statt und verpflichtete das FA, den Einheitswert unter Anwendung des Ertragswertverfahrens auf 101 900 DM herabzusetzen. Das Gebäude der Klägerin verfüge zwar über besondere Ausstattungsmerkmale, die nach den Verhältnissen im Hauptfeststellungszeitpunkt zur Bewertung im Sachwertverfahren führten. Unter Berücksichtigung der Verbesserung der Bauqualität und der Wohnverhältnisse in der Zeit nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt unterscheide sich das Gebäude der Klägerin aber nicht von zeitgleich gebauten Objekten, die in der gleichen Gemeinde im Ertragswertverfahren bewertet worden seien.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung der §§ 27 und 76 Abs. 3 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG). Das FG habe die Maßgeblichkeit der Verhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt nicht beachtet.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Das FG hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Wertfortschreibung im Ertragswertverfahren bejaht.

1. Nach § 76 Abs. 1 BewG ist der Wert eines Zweifamilienhausgrundstücks grundsätzlich im Ertragswertverfahren zu ermitteln. Abweichend davon ist jedoch nach § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG das Sachwertverfahren bei Zweifamilienhäusern anzuwenden, die sich durch besondere Gestaltung oder eine besondere Ausstattung wesentlich von den nach § 76 Abs. 1 BewG zu bewertenden Zweifamilienhäusern unterscheiden.

a) Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass über die Frage der „wesentlichen Unterscheidung” (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG) eines Objekts von den nach § 76 Abs. 1 BewG zu bewertenden Zweifamilienhäusern unter Berücksichtigung von zeitgleich gebauten und im Ertragswertverfahren bewerteten Objekten zu entscheiden ist.

Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG für die Bewertung im Sachwertverfahren vorliegen, ist eine Frage der Wertverhältnisse. Für diese ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – (Urteil vom II R 26/87, BFHE 151, 88, BStBl 1987 II S. 841; zuletzt , BFH/NV 2005, 1979) auf die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt () des § 27 BewG abzustellen. Auch das Merkmal der wesentlichen Unterscheidung i.S. des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG ist an den Wertverhältnissen des auszurichten. Allein die im Zeitraum nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt eingetretene Verbesserung der Wohnqualität und der Wohnverhältnisse rechtfertigt nicht den Übergang vom Sachwert- auf das Ertragswertverfahren im Wege einer fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung.

b) Ein Anspruch auf Wertfortschreibung ergibt sich auch nicht daraus, dass mit dem Zweifamilienhaus der Klägerin nach Meinung des FG im Wesentlichen vergleichbare Objekte vom FA im Ertragswertverfahren bewertet worden sind. Dabei kann offen bleiben, ob die von der Klägerin benannten Vergleichsobjekte tatsächlich im Ertragswertverfahren bewertet worden sind. Denn der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG –) gewährt keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis. Eine „Gleichheit im Unrecht” gibt es nicht (vgl. BFH-Entscheidungen vom VIII R 82/86, BFHE 156, 543, BStBl 1989 II S. 836; vom V B 112/01, BFHE 199, 77, BStBl 2003 II S. 675). Auch etwaige Ungleichmäßigkeiten bei der Feststellung der Einheitswerte im Ertragswertverfahren führen nicht zur Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit der maßgebenden Vorschriften über die Einheitsbewertung (, BFHE 209, 138, BStBl 2005 II S. 428). Die Vorentscheidung war wegen der vorstehend bezeichneten Rechtsfehler aufzuheben.

2. Die Sache ist spruchreif. Das FA hat zutreffend eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung abgelehnt. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt und der von ihm (nach den Verhältnissen zum ) vorgenommenen Gesamtwürdigung, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, liegen die Voraussetzungen einer Bewertung im Sachwertverfahren vor.

a) Zur Ausfüllung der in § 76 Abs. 3 Satz 1 BewG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe „besondere Gestaltung”, „besondere Ausstattung” und „wesentliche Unterscheidung” bedarf es zunächst der Feststellung, ob das zu beurteilende Objekt – gemessen an den Verhältnissen im Hauptfeststellungszeitpunkt – besondere Gestaltungs- oder Ausstattungsmerkmale aufweist, die es von der Mehrzahl der Zweifamilienhäuser unterscheidet. Sodann ist in einem weiteren gedanklichen Schritt abzuwägen, ob diese Merkmale zu einer wesentlichen Unterscheidung führen. Beide Subsumtionsschritte verlangen jeweils eine Wertung (, BFH/NV 1999, 593; vom II R 45/99, BFH/NV 2001, 583).

b) Das FG ist in Anwendung dieser Rechtsgrundsätze und auf der Grundlage der – von ihm zu Unrecht als letztlich nicht maßgeblich angesehenen – Verhältnisse zum Hauptfeststellungszeitpunkt ausdrücklich zum Ergebnis gelangt, der Wert des Objekts der Klägerin sei im Sachwertverfahren zu ermitteln. Dies ergebe sich aus den besonderen Ausstattungsmerkmalen des Objekts (Schwimmbad, Treppen in Naturstein, Isolierverglasung, teilweise eingebaute Wandschränke, Fußböden aus Solnhofer Platten und zwei offene Kamine in Naturstein) sowie aus der Größe und Gestaltung des Wohnzimmers.

Diese Gesamtwürdigung des FG und seine daraus gezogene Schlussfolgerung, dass die festgestellten Ausstattungs- und Gestaltungsmerkmale das streitbefangene Gebäude in ihrer Gesamtheit deutlich von der Masse der Zweifamilienhäuser abheben und den Wohnwert des Hauses in besonderem Maße erhöhen (vgl. , BFHE 125, 290, BStBl 1978 II S. 523), ist nach Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen möglich (vgl. , BFH/NV 2005, 73; vom IX R 97/00, BFHE 197, 151, BStBl 2002 II S. 726, m.w.N.). Sie steht – anders als die Klägerin meint – wegen der vom FG festgestellten besonderen Größe und Gestaltung des Wohnzimmers auch nicht im Widerspruch zu dem Urteil des BFH in BFH/NV 2001, 583, weil in dem dort entschiedenen Fall kein besonderes Gestaltungsmerkmal festgestellt war. Die Gesamtwürdigung des FG ist daher, da sie mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffen ist, für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 121 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO).

Oberfinanzdirektion Karlsruhe v. - S 3199/1/2 - St 435

Fundstelle(n):
NAAAB-90187