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Briefkastengesellschaft
I. Definition der Briefkastengesellschaft
Unter einer Briefkastengesellschaft - auch Basisgesellschaft genannt - im weiteren Sinne versteht man eine Gesellschaft, die an ihrem satzungsmäßigen Sitz nur eine postalische Anschrift unterhält, während die Geschäftsführung an einem davon verschiedenen Ort, dem Verwaltungssitz, ausgeübt wird. Briefkastengesellschaften existieren vornehmlich in Ländern mit englischer Rechtsordnung, sind aber auch in den Niederlanden, der Schweiz und in Liechtenstein anzutreffen.
Sie dienen regelmäßig der Steuerhinterziehung durch Vorspiegelung von Leistungsbeziehungen oder der Verschleierung von Geldströmen.
Daneben ermöglicht die Gründung einer Briefkastengesellschaft den sie beherrschenden Personen oder Gesellschaften, die kontinentalen Rechtsformen zu umgehen, die vor allem innerhalb der EU regelmäßig eingehend normiert sind. So kann z.B. das Mindestkapital, das nach dem Recht dieser Staaten zur Gründung einer Kapitalgesellschaft erforderlich ist, deutlich reduziert oder fast gänzlich eingespart werden.
Im engeren Sinne bezeichnet man als Briefkastengesellschaften Gesellschaften, die entweder nur zum Schein gegründet werden oder aber solche, denen jedwede eigene wirtschaftliche Betätigung im Geschäftsleben, eigene Geschäftsräume sowie eigenes Personal – mit Ausnahme des notwendigen Verwaltungsrats und/oder des Geschäftsführers – fehlen.
Als Reaktion auf die Veröffentlichung der sog. „Panama Papers“ wurde das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG) verabschiedet, das am in Kraft getreten ist (BGBl 2017 I S. 1682) und das u.a. eine Modifizierung bereits bestehender sowie die Schaffung neuer Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten vorsieht.
Am hat der Bundesrat dem Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen in der vom Bundestag am beschlossenen Fassung zugestimmt. Mit diesem Gesetz wurde die sog. EU-Amtshilferichtlinie (2011/16/EU), ergänzt durch die Richtlinie des Europäischen Rates der Europäischen Union (EU) 2018/822, durch Schaffung der §§ 138d - 138k AO in nationales Recht umgesetzt . Zu den Mitteilungspflichten hat die Finanzverwaltung in einem BMF-Schreiben Stellung bezogen.
Ferner stellt nunmehr eine Steuerhinterziehung unter Nutzung einer Briefkastenfirma zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen ein neues Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung dar (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 6 AO).
Die EU-Kommission hat am einen Richtlinienentwurf veröffentlicht, der zum Ziel hat, die Einschaltung von Briefkastengesellschaften zur Erzielung von unberechtigten Steuervorteilen zu verhindern („Unshell-Richtlinie“). Der Entwurf wurde zuletzt am geändert (https://go.nwb.de/feiyz). Die Unshell-Richtlinie wendet sich in erster Linie gegen reine Missbrauchsgestaltungen mittels Briefkastengesellschaften innerhalb der EU. Nichtsdestotrotz sind von ihr auch solche Gesellschaften betroffen, die für ihre aktive Tätigkeit eine nur geringe Substanz benötigen.
Nach ihren typisierenden Regelungen soll eine Briefkastengesellschaft bei kumulativer Erfüllung der nachfolgenden Kriterien vorliegen (Art. 6 Unshell-Richtlinie):
• passive Einnahmen (z. B. Zinsen, Lizenzen, Dividenden; Art. 4 Unshell-Richtlinie) > 65 %,
grenzüberschreitende Tätigkeit (Buchwert der gehaltenen Wirtschaftsgüter oder der erzielten Einnahmen) > 55 % und
Auslagerung der Verwaltung des Tagesgeschäfts und der Entscheidungsfindung.
Sind diese Kriterien erfüllt, soll die Gesellschaft verpflichtet sein, bei Abgabe der Steuererklärung zusätzlich für jeden Veranlagungszeitraum nachzuweisen, ob sie die nachfolgenden Substanzindikatoren erfüllt (Art. 7 Unshell-Richtlinie):
eigene Räumlichkeiten oder Räumlichkeiten, die gemeinsam mit anderen Gruppengesellschaften genutzt werden,
eigene Räumlichkeiten oder Räumlichkeiten, die gemeinsam mit anderen Gruppengesellschaften genutzt werden, und
mindestens ein Geschäftsführer muss steuerlich ansässig und zu Entscheidungen autorisiert sein oder die Mehrheit der Arbeitnehmer muss ansässig und für die Ausübung der Tätigkeiten qualifiziert sein. Dabei wird nur eine steuerliche Ansässigkeit in dem EU-Mitgliedstaat oder „in der Nähe des EU-Mitgliedstaats“, der eine ordnungsgemäße Durchführung erlaubt, anerkannt.
Sind diese Substanzindikatoren nicht erfüllt soll im Sitzstaat des Gesellschafters der substanzlosen Briefkastengesellschaft als Rechtsfolge eine Besteuerung eintreten (sog. „Durchblickung“ der Briefkastengesellschaft; Art. 11 Unshell-Richtlinie). Weiterhin soll in ihrem Ansässigkeitsstaat keine Ansässigkeitsbescheinigung, die zu steuerlichen Erleichterungen führt, erteilt werden (Art. 12 Unshell-Richtlinie).
Nach den Vorstellungen der EU-Kommission sollte die Richtlinie in den Mitgliedstaaten bis zum umgesetzt werden. Aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Verzögerungen wird mit einer Umsetzung nicht vo 2025 gerechnet.
II. Erscheinungsform
Briefkastengesellschaften sind im Regelfall im niedrig besteuernden Ausland wirksam als Kapitalgesellschaften gegründet und in das örtliche Gesellschaftsregister eingetragen, ohne dass sie jedoch eine ihrem nominellen Gesellschaftszweck entsprechende Geschäftsausstattung unterhalten und entsprechende Leistungen von objektiv feststellbarem Wert erbringen.
Der gegenwärtige Umbruch im europäischen Gesellschaftskollisionsrecht durch verschiedene Entscheidungen des EuGH ermöglicht die Gründung von Briefkastengesellschaften in allen EU und EWR-Mitgliedstaaten, da Deutschland die nach dem Recht dieser Staaten wirksam gegründete Gesellschaften anzuerkennen hat, auch wenn der Verwaltungssitz in Deutschland liegt. Damit ist es Deutschland versagt, in solchen Fällen die hier geltende Sitztheorie anzuwenden, nach der ggf. ausländischen Gesellschaften die Rechtsfähigkeit als juristische Person versagt wird.
Werden Leistungsbeziehungen zu einer Gesellschaft, die in einem Mitgliedstaat der EU wirksam gegründet wurde, nicht anerkannt, kann dies einen Verstoß gegen die durch den EU Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit begründen, wenn es sich nicht um rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck der Steuerumgehung handelt.
Die Tätigkeit einer Briefkastengesellschaft im engeren Sinne erschöpft sich regelmäßig in der Unterhaltung einer Geschäftsadresse, eines „Briefkastens” mit einer Firmenbezeichnung. Mangels einer Geschäftsausstattung und geschäftlich aktiven Personals können sie in keinen Leistungsaustausch zu inländischen Steuerpflichtigen treten und Gegenleistungen für aus dem Inland an sie geleistete Zahlungen erbringen. Die mit ihnen formal geschlossenen Verträge sind regelmäßig als Scheingeschäfte zu qualifizieren, die nichtig sind.
Die Gründung einer Briefkastengesellschaft kann durch verschiedene wirtschaftliche Interessen der hinter ihr stehenden Personen motiviert sein. Beispielhaft zu nennen sind hier:
Die Erlangung von Abkommensvorteilen durch Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft, dem sog. „treaty shopping”,
die Verringerung der steuerlichen Belastung stiller Reserven z. B. immaterieller Wirtschaftsgüter durch frühzeitige Übertragung auf Gesellschaften im niedriger besteuernden Ausland
oder
die Begründung von – rein formalen - Leistungsbeziehungen zwischen inländischem Steuerpflichtigen und ausländischer Gesellschaft im niedriger besteuernden Ausland, um Betriebsausgaben zu fingieren oder Steuersubstrat zu verlagern.