BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 179/03

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 19 Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; VerpackV § 6; VerpackV § 8

Instanzenzug: BVerwG BVerwG 7 C 31.02 vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Pfanderhebungs- und Rücknahmepflichten nach §§ 6, 8 der Verpackungsverordnung - VerpackV - (so genanntes Dosenpfand).

I.

Die Beschwerdeführerin zu Ziff. 17 produziert Weißblech, die Beschwerdeführerinnen zu Ziff. 20 und 22 Einweggetränkedosen. Die Beschwerdeführerinnen zu Ziff. 16 und 18 als Betreiberinnen von Supermarktketten sowie die übrigen Beschwerdeführerinnen als Getränkehersteller vertreiben Getränke in Einwegverpackungen. Sie wehren sich gegen das Wirksam-Werden der Pfanderhebungs- und Rücknahmepflichten nach den Bestimmungen der Verpackungsverordnung vom (BGBl I S. 2379) mit Wirkung zum .

Die Beschwerdeführerinnen erhoben vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage gegen das Land Nordrhein-Westfalen mit dem Ziel, den durch das Unterschreiten der nach § 9 Abs. 2 VerpackV erheblichen Mehrweganteile ausgelösten Widerruf der Entscheidung nach § 6 Abs. 3 VerpackV aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass sie auch nach dem hinsichtlich der von ihnen hergestellten oder vertriebenen Einweggetränkeverpackungen nicht zur Pfanderhebung und Rücknahme verpflichtet seien.

Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf mit dem Hilfsantrag Erfolg. Auf die zugelassenen Sprungrevisionen des Landes Nordrhein-Westfalen und der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts auf und wies die Klagen mit Urteil vom vollumfänglich als unzulässig ab (BVerwGE 117, 322). Der Hauptantrag sei unzulässig, weil die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 VerpackV kein fingierter Verwaltungsakt sei, der als Maßnahme des beklagten Landes angefochten werden könnte. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei nach § 43 Abs. 2 VwGO unzulässig, weil die Anfechtungsklage gegen die Bekanntgabe des Nacherhebungsergebnisses einen sachnäheren und effektiveren Weg zu der angestrebten Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Verpackungsverordnung darstelle. Ein Feststellungsurteil gegen ein Bundesland ändere nichts daran, dass die durch die Bekanntgabe bundesweit ausgelösten Rücknahme- und Pfandpflichten in den übrigen Bundesländern bestehen blieben und die Beschwerdeführerinnen dazu zwängen, eine Vielzahl weiterer Feststellungsklagen zu erheben. Eine derartige Konsequenz, die einerseits den Beschwerdeführerinnen unnötige Prozessführungslasten aufbürdete und andererseits eine übermäßige Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlicher Kapazitäten darstellte, liefe dem durch den Subsidiaritätsgrundsatz bezweckten Gedanken der Prozessökonomie geradewegs zuwider.

Mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts rügen die Beschwerdeführerinnen die Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 3 Abs. 1 GG in Form des allgemeinen Willkürverbots und Art. 103 Abs. 1 GG: Art. 19 Abs. 4 GG sei verletzt, weil das Bundesverwaltungsgericht verkannt habe, dass ausschließlich der von den Beschwerdeführerinnen beschrittene Weg einer gegen das Land gerichteten Feststellungklage effektiven Rechtsschutz ermögliche. Eine rechtskraftfähige Entscheidung über das Nicht-Bestehen eines Rechtsverhältnisses könne aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 83 GG) nur gegenüber dem Land erreicht werden. Für die Begründung seiner Gegenmeinung habe das Bundesverwaltungsgericht willkürlich und unter Verletzung des Gebots der verfassungskonformen Auslegung dem Bekanntgabeakt Rechtswirkung zugemessen. Denn Art. 83 GG verbiete es, dass die Bekanntgabe der Erhebungsergebnisse mit Außenwirkung vom Bund vorgenommen würde.

Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Bundesverwaltungsgericht trotz entsprechenden Vortrags der Beschwerdeführerinnen nicht von der Unrechtmäßigkeit der Beiladung der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen sei.

Mit einem am eingegangenen Schriftsatz erhob die Beschwerdeführerin zu Ziff. 22 außerdem Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 2 bis 4 VerpackV. Hilfsweise richtet sie ihre Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen eines rechtmäßigen Vollzugs der § 6 Abs. 1 und 2, § 8 Abs. 1 VerpackV.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. hierzu BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde, der keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, ist nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde ist in Teilen unzulässig und im Übrigen unbegründet und daher ohne Aussicht auf Erfolg.

1. Unzulässig ist die unmittelbar gegen § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 2 bis 4 VerpackV gerichtete Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu Ziff. 22. Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze im Sinne des § 93 Abs. 3 BVerfGG, zu denen auch Rechtsverordnungen gehören (vgl. BVerfGE 26, 228 <236>), sind innerhalb eines Jahres seit In-Kraft-Treten der Norm zu erheben. §§ 8 und 9 VerpackV traten in ihrer heutigen Fassung am in Kraft. Die Änderungen des § 8 VerpackV durch Art. 8 des Gesetzes zur Umstellung der umweltrechtlichen Vorschriften auf den Euro (Siebtes Euro-Einführungsgesetz) betrafen nicht den materiellen Gehalt der Vorschrift, so dass sie keine neue Jahresfrist in Gang setzten (vgl. BVerfGE 12, 139 <141>). Demnach hätte spätestens bis zum Verfassungsbeschwerde erhoben werden müssen.

Zwar trifft es zu, dass die Anfechtung eines "Vollziehungsaktes" einer für verfassungswidrig gehaltenen Norm vor den Fachgerichten für die Wahrung der Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG ausreicht (vgl. BVerfGE 9, 338 <342>; 70, 297 <306>). Dies setzt aber voraus, dass der fachgerichtliche Rechtsbehelf ebenfalls innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG erhoben wird (vgl. BVerfGE 76, 107 <115 f.>). Die Beschwerdeführerin zu Ziff. 22 hat aber nicht substantiiert dargelegt, ob und gegebenenfalls welche fachgerichtlichen Rechtsbehelfe sie bis zum erhoben hat.

2. Soweit die Beschwerdeführerin zu Ziff. 22 hilfsweise ihre Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen eines rechtmäßigen Vollzugs der § 6 Abs. 1 und 2, § 8 Abs. 1 VerpackV richtet, ist diese jedenfalls mangels einer substantiierten Begründung, inwiefern hierin eine Verletzung ihrer Grundrechte liegt, unzulässig. Ihr Vortrag, dass sie durch die (vorübergehende) Hinnahme von Vollzugsdefiziten durch die Verwaltung (so genannte Übergangslösung) noch stärker belastet sei als durch einen die Verpackungsverordnung in jeder Hinsicht umsetzenden Verwaltungsvollzug, ist nicht nachvollziehbar. Zwar mag es sein, dass der Verbraucher vom Kauf eines einwegpfandpflichtigen Getränks besonders abgehalten wird, wenn er - wie es in der Übergangslösung vorgesehen war - die Verpackung am Ort des Kaufes wieder zurückgeben muss. Da die Wirtschaft kein zum funktionsfähiges, der Verpackungsverordnung entsprechendes Clearing-System aufgebaut hatte, drohte aber als wahrscheinliche Konsequenz einer ohne Übergangslösung vollzogenen Verpackungsverordnung, dass jeglicher Vertrieb von Getränken in Einwegverpackungen bis zur Inbetriebnahme des Clearing-Systems unterbliebe. Dies würde die Beschwerdeführerin eindeutig stärker belasten (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom - 1 BvR 2351/02 -).

3. Unzulässig, weil unsubstantiiert, ist die Verfassungsbeschwerde auch, soweit sie eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts rügt. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs sicherstellen, dass die vom Fachgericht zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Dagegen verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht nicht, der Rechtsansicht der Partei zu folgen.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht schlüssig vorgetragen. Die Beschwerdeführerinnen haben vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebracht, dass sie rechtliche Interessen der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland durch das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht berührt sehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und im Einzelnen dargelegt, dass und warum es diese Frage anders bewertet. Damit hat es mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG sein Bewenden.

4. Im Übrigen ist die gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.

a) Durch die Bewertung der gegen das Land gerichteten Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO als unzulässig hat das Bundesverwaltungsgericht keine Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerinnen verletzt. Die Frage, welche Klageart für einen geltend gemachten prozessualen Anspruch zu wählen ist, und welcher Rechtsträger passiv legitimiert ist, ist in erster Linie eine Frage der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts. Entsprechendes hat das Bundesverfassungsgericht bereits für die Frage ausgesprochen, welcher Rechtsweg durch eine bestimmte behauptete Rechtsverletzung eröffnet ist (vgl. BVerfGE 57, 9 <20 f.>). Für die Frage nach der zulässigen Klageart enthält Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls keine weitergehenden Vorgaben, zumal die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs tendenziell eher grundrechtliche Relevanz hat (vgl. Art. 14 Abs. 3 Satz 4; Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG).

b) Ausnahmen von diesem Grundsatz sind gegeben, wenn das Gericht durch unzumutbare Anforderungen an das prozesserhebliche Verhalten des Rechtsuchenden den Rechtsschutz unangemessen erschwert oder gar versperrt. Dies ist etwa der Fall, wenn das Gericht für den geltend gemachten Verfahrensgegenstand keine der in der Rechtsordnung an sich zur Verfügung stehenden Klagearten für gegeben hält und dabei verkennt, dass der Rechtsuchende ein Verhalten der öffentlichen Gewalt zum Verfahrensgegenstand macht (vgl. für die Rechtswegeröffnung BVerfGE 57, 9 <21>).

c) Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass und warum die Anfechtungsklage gegen den Verwaltungsakt der Bekanntgabe der Erhebungsergebnisse für die Beschwerdeführerinnen die weitaus effektivere Klagemöglichkeit gewesen wäre. Insbesondere hat es festgestellt, dass ein Obsiegen mit der gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Anfechtungsklage auch alle zuständigen Landesbehörden binde.

Dass das Bundesverwaltungsgericht mit dieser für das einfachrechtliche Verwaltungsprozessrecht vorgreiflichen Feststellung auf dem Gebiet des Abfallrechts das Willkürverbot verletzt hätte, kann nicht festgestellt werden. Selbst wenn - was keiner Entscheidung bedarf - die Kompetenz des Bundes für die Bekanntmachung der Erhebungsergebnisse in Form eines Pflichten aktualisierenden Verwaltungsaktes unter dem Gesichtspunkt des Art. 83 GG problematisch wäre, so wäre Art. 19 Abs. 4 GG noch keine Aussage über die zutreffende Klageart zu entnehmen. Denn auch ein auf Grundlage eines verfassungswidrigen Gesetzes erlassener Verwaltungsakt kann vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden und somit zu einer Inzidentüberprüfung des Gesetzes führen. Es wäre im Gegenteil dem Rechtsschutzsuchenden nicht zuzumuten, für die Wahl seiner Klageart die maßgeblichen Rechtsgrundlagen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Ein Grundrechtsverstoß des Urteils kann damit nicht festgestellt werden.

Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
XAAAB-85552