BFH Beschluss v. - III B 145/05

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) veranlagte die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) durch Bescheid vom einzeln zur Einkommensteuer 2001 und setzte die Einkommensteuer auf Null DM fest. Mit der Klage erstrebt die Klägerin die Zusammenveranlagung mit ihrem am verstorbenen Ehemann, die Festsetzung der Einkommensteuer auf Null und die Erstattung der vom Arbeitslohn des verstorbenen Ehemannes einbehaltenen Lohnsteuer an sich.

Die am beim FA eingegangene Einkommensteuererklärung für beide Ehegatten hatte nur die Klägerin unterzeichnet, sie hatte „Zusammenveranlagung” angekreuzt. Der Nachlass ist überschuldet und die Erbschaft von der Klägerin sowie weiteren als Erben in Betracht kommenden Personen ausgeschlagen worden. Möglicherweise kommt es zum Erbrecht des Fiskus. Das Nachlassgericht hat über die von der Klägerin beantragte Bestellung eines Nachlasspflegers noch nicht entschieden.

Das Finanzgericht (FG) hat das Verfahren mit Beschluss vom gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur Erbenfeststellung ausgesetzt.

Mit der Beschwerde trägt die Klägerin vor, das Wahlrecht zwischen getrennter und Zusammenveranlagung sei ein höchstpersönliches, das der Erbe nicht ausüben könne. Nach dem Wortlaut des § 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) könne die getrennte Veranlagung nur von Ehegatten gewählt werden; ein Hinweis auf das Wahlrecht von Erben fehle. Jedenfalls sei die Klägerin gegen einen Antrag auf getrennte Veranlagung durch den Erben zu schützen. Deshalb komme es auf die Ermittlung des Erben nicht an, so dass der Rechtsstreit entscheidungsreif sei. Die aufgrund der Zusammenveranlagung zu erstattende Lohnsteuer des verstorbenen Ehemannes stünde nicht den Erben, sondern der Familie zu, da sie auf die Einkünfte des Verstorbenen angewiesen und ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage durch den Lohnsteuereinbehalt im Streitjahr gemindert worden sei.

Nach Einlegung der Beschwerde änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 2001 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und setzte die Einkommensteuer auf 491,86 € fest.

Die Klägerin beantragt, den Aussetzungsbeschluss des FG aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. 1. Die Beschwerde ist nach § 128 Abs. 1 FGO zulässig.

Ein Fall des § 128 Abs. 2 FGO, wonach die Beschwerde gegen u.a. „prozessleitende Verfügungen” ausgeschlossen ist, liegt nicht vor, denn die Aussetzung eines Verfahrens dient nicht unmittelbar der Vorbereitung einer Entscheidung des Gerichts über das Klagebegehren, sondern soll im Gegenteil das Gericht vorläufig von der Pflicht entbinden, über das Klagebegehren alsbald zu entscheiden (, BFH/NV 2005, 711; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 128 Rdnr. 4).

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Das Verfahren kann gemäß § 74 FGO ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einem Rechtsverhältnis abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist (vgl. , BFHE 183, 465, BStBl II 1998, 38, unter 2.; , juris). Kann das Verfahren auf Antrag der Beteiligten aus jedweden Zweckmäßigkeitserwägungen gemäß § 155 FGO, § 251 der Zivilprozessordnung (ZPO) zum Ruhen gebracht werden, so ist die in § 74 FGO geregelte Aussetzung des Verfahrens ohne oder gegen den Willen der Beteiligten nur unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen zulässig, die wegen des Justizgewährleistungsanspruches eng auszulegen sind (Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Rz. 13). Die Aussetzung unterliegt dem Ermessen des Gerichtes, das prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Verfahrensbeteiligten gegeneinander abzuwägen hat (, BFHE 200, 444, BStBl II 2003, 145). Der BFH hat im Beschwerdeverfahren eigenes Ermessen auszuüben (Dürr in Schwarz, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, § 132 Rz. 6).

b) Die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO sind nicht gegeben. Eine Verfahrensruhe mag aus prozessökonomischer Sicht sinnvoll erscheinen, auch kann zu den Rechtsverhältnissen i.S. des § 74 FGO die Frage gehören, wer Erbe ist (Thürmer in HHSp, § 74 FGO Rz. 43; v. Wedel in Schwarz, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, § 74 Rz. 68). Die Feststellung des Erben ist aber für den anhängigen Rechtsstreit nicht vorgreiflich, denn dessen Entscheidung setzt weder voraus, dass der Erbe feststeht (oder eine Nachlasspflegschaft eingerichtet wird), noch besteht die Gefahr, dass diese Frage in verschiedenen Verfahren widersprüchlich beurteilt wird. Die Klage ist entscheidungsreif, ohne dass es darauf ankäme, welche Meinung das FG zu den einzelnen Rechtsfragen vertritt:

aa) Zu beurteilen ist vornehmlich, ob das Veranlagungswahlrecht nach § 26 Abs. 2 EStG für einen verstorbenen Ehegatten dessen Erben zusteht (so die ständige Rechtsprechung des , BFHE 81, 236, BStBl III 1965, 86; vom VIII R 193/77, BFHE 129, 262, BStBl II 1980, 188; vom XI R 20/97, BFH/NV 1998, 701) oder —wie die Klägerin meint— allein dem überlebenden Ehegatten (so Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 26 Rz. 23, m.w.N.; Seiler in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, KompaktKommentar, § 26 Rz. 80).

Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung musste die Klägerin getrennt (nicht: einzeln) veranlagt werden, die Klage wäre abzuweisen. Die Erbenfeststellung ist auch nicht deshalb vorgreiflich, weil sie die Erfolgsaussichten der Klage erhöhen würde, da der Erbe die Zusammenveranlagung wählen könnte. Folgt das FG dagegen der von Seeger und Seiler vertretenen Ansicht, so wäre das FA zur Zusammenveranlagung zu verurteilen.

bb) Falls die Klägerin im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens außerdem die Auszahlung des sich aufgrund der Zusammenveranlagung ergebenden Guthabens (Erstattung der Lohnsteuer des verstorbenen Ehemannes) an sich oder die Feststellung der Erstattungspflicht des FA beantragen sollte, könnte auch darüber entschieden werden, obwohl der Erbe noch nicht feststeht:

Ein derartiger Klagantrag hätte, falls er zulässig wäre, nur Erfolgsaussichten, wenn das FA zur Zusammenveranlagung verurteilt wird. Dann müsste weiter entschieden werden, ob eine Erstattung demjenigen Ehegatten zusteht, auf dessen Rechnung die Steuer gezahlt wurde (so , BFHE 162, 279, BStBl II 1991, 47), d.h. bei überzahlter Lohnsteuer demjenigen, von dessen Arbeitslohn sie einbehalten wurde (, BFH/NV 2005, 830; Boeker in HHSp, § 37 AO 1977 Rz. 67), und ob beim Tode des erstattungsberechtigten Ehegatten der Anspruch auf seine Erben oder den anderen zusammen veranlagten Ehegatten übergeht. Der Kenntnis um die Person des Erben bedarf es dazu nicht.

3. Eine Kostenentscheidung ist in diesem unselbständigen Nebenverfahren nicht zu treffen; über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache zu befinden (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 83/87, BFHE 154, 15, BStBl II 1988, 947; vom VII B 82/87, BFH/NV 1988, 387; vom III B 73/94, BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1103 Nr. 6
VAAAB-82028