BFH Beschluss v. - II B 6/05

Feststellung eines Grundbesitzwerts auf einen falschen Zeitpunkt als materiell-rechtlicher Fehler

Gesetze: BewG § 138 Abs. 5,AO § 127

Instanzenzug:

Gründe

I. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom verkauften die bisherigen Gesellschafter der C-GmbH sämtliche Anteile an dieser Gesellschaft mit schuldrechtlicher und dinglicher Wirkung zum an die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), einen Immobilienfonds in der Rechtsform der GmbH & Co. KG.

Wesentlicher Vermögensgegenstand der C-GmbH war ein Grundstück, das mit einem 1964 errichteten Büro-Hochhaus bebaut war. Dieses Gebäude hatte seit 1998 leergestanden. Am war zwischen der —zu 94 v.H. an der C-GmbH beteiligten— Z-GmbH als Vermieterin und einer Stadtgemeinde ein neuer Mietvertrag abgeschlossen worden. Darin hatte sich die Z-GmbH verpflichtet, das Gebäude durch einen Umbau im Rahmen eines Instandsetzungs- und Modernisierungskonzepts nach einer mit der Mieterin vereinbarten Baubeschreibung neu zu gestalten. Das Mietverhältnis sollte mit der Übergabe des vertragsmäßig erstellten und abgenommenen Objekts beginnen und 30 Jahre dauern. Der Mietzins war mit bestimmten DM-Beträgen je qm vereinbart; die Höhe der Gesamtmiete stand wegen des noch nicht durchgeführten Flächenaufmaßes und der Möglichkeit mieterhöhender Sonderwünsche der Mieterin noch nicht endgültig fest. Die Sanierungsarbeiten begannen im Frühjahr 2001; am wurde das Gebäude an die Mieterin übergeben.

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) sah in der Anteilsübertragung einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und stellte mit Bescheid vom den Grundstückswert zum auf 27 164 000 DM fest. Bei der im Ertragswertverfahren durchgeführten Wertermittlung setzte er als Nettokaltmiete den Betrag an, der im Anteilskaufvertrag der vorläufigen Ermittlung des Anteilskaufpreises zugrunde gelegt worden war (Hauptmiete, Miete für Nebenflächen, Mieterhöhung aufgrund von Sonderwünschen, die die Mieterin während der Sanierungszeit äußern konnte). Das FA vertrat die Auffassung, auch in Sanierungsfällen sei der Wert des Grundstücks in entsprechender Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 2 GrEStG nach den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Fertigstellung des Gebäudes zu ermitteln.

Während das Einspruchsverfahren nur zu einer geringfügigen Herabsetzung des festgestellten Grundstückswerts führte, hatte die Klage Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob den angefochtenen Bescheid und die Einspruchsentscheidung auf und führte zur Begründung aus, die Feststellung habe nicht auf den vorgenommen werden dürfen. Vielmehr sei der Anspruch auf Übertragung aller Anteile an der C-GmbH bereits durch den Vertrag vom begründet worden; dies sei der maßgebende Stichtag. Das Hinausschieben der schuldrechtlichen Wirkung des Vertrages auf den führe als bloße Befristung nicht zur Anwendung des § 14 Nr. 1 GrEStG. Die Vorschrift des § 127 der Abgabenordnung (AO 1977) stehe der Aufhebung des angefochtenen Bescheids nicht entgegen. Denn die Feststellung des Grundbesitzwerts auf einen falschen Zeitpunkt sei ein Verstoß gegen materielles Recht, nicht aber lediglich ein Verfahrens- oder Formfehler. Im Übrigen hätte auch in der Sache eine andere Entscheidung getroffen werden müssen, weil § 8 Abs. 2 Satz 2 GrEStG auf Sanierungsmaßnahmen an einem bereits vorhandenen Gebäude nicht anzuwenden sei und sich daher eine andere Bemessungsgrundlage ergeben würde. Das Urteil der Vorinstanz ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 384 veröffentlicht.

Mit seiner Beschwerde begehrt das FA die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.

Die Klägerin hält die Beschwerde für unzulässig.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (zusammenfassend BFH-Beschlüsse vom X B 109/02, BFH/NV 2003, 1082, unter 1. a, und vom X B 132/02, BFH/NV 2004, 495, unter 1.).

Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt (, BFH/NV 2003, 169). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere dann, wenn die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat (, BFHE 205, 416, BStBl II 2004, 748).

Eine Rechtsfrage ist nur dann klärungsfähig, wenn sie in einem künftigen Revisionsverfahren für die Entscheidung des Streitfalls rechtserheblich ist (vgl. u.a. , BFH/NV 1998, 729).

2. a) Nach diesen Maßstäben ist die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Aufhebung eines auf einen falschen Stichtag ergangenen Bescheids über die Feststellung eines Grundbesitzwerts für Zwecke der Grunderwerbsteuer im Hinblick auf § 127 AO 1977 unterbleiben könne, wenn der festgestellte von dem zutreffenden Stichtag nur geringfügig abweiche, die Abweichung offensichtlich keine Auswirkung auf die festzusetzende Grunderwerbsteuer habe und auf unklaren Angaben des Steuerpflichtigen beruhe, bereits nicht klärungsfähig. Denn es ist weder vom FA festgestellt noch aus den Akten ersichtlich, dass der Erlass des Bescheids auf einen unzutreffenden Stichtag auf unklaren Angaben der Klägerin beruhte. Vielmehr hatte die Klägerin die maßgebenden Verträge dem FA vollständig vorgelegt und bereits im Einspruchsverfahren darauf hingewiesen, dass Besteuerungszeitpunkt der sei. Wenn das FA gleichwohl auch in der Einspruchsentscheidung noch an dem von ihm gewählten abweichenden Stichtag festhält, kann dies nicht auf unklaren Angaben des Steuerpflichtigen beruhen.

b) Selbst wenn die vom FA formulierte Rechtsfrage um den letzten Satzteil („und auf unklaren Angaben des Steuerpflichtigen beruhe”) reduziert werden könnte, hätte eine solche Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung. Denn sie wäre nicht klärungsbedürftig, weil sie offensichtlich so zu beantworten wäre, wie das FG es getan hat.

Die Anwendbarkeit des § 127 AO 1977 auf einen Bescheid über die Feststellung eines Grundbesitzwerts, der auf einen Zeitpunkt ergangen ist, zu dem der Wert für die Besteuerung nicht erforderlich ist (vgl. § 138 Abs. 5 Satz 1 des BewertungsgesetzesBewG—), wird —soweit ersichtlich— in der Literatur von niemandem vertreten. Auch mit der Beschwerdebegründung wird keinerlei Äußerung aus Rechtsprechung oder Literatur vorgelegt, die das vom FG gefundene Ergebnis in Zweifel ziehen könnte, was für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hier aber erforderlich gewesen wäre.

Selbst wenn die Behauptung der Beschwerdebegründung zuträfe, wonach für die in § 127 AO 1977 verwendeten Begriffe „Vorschriften über das Verfahren oder die Form” noch keine abstrakten Definitionen entwickelt worden seien, bestehen jedenfalls keine Zweifel daran, dass die Wahl eines unzutreffenden Bewertungsstichtags keinen Verfahrens- oder Formfehler darstellt, sondern als materiell-rechtlicher Fehler anzusehen ist. Der Zeitpunkt der Steuerentstehung gehört zwar nicht zu den Besteuerungsgrundlagen, über die in den Bescheiden zur gesonderten Feststellung der Grundbesitzwerte verbindlich zu entscheiden ist (, BFH/NV 2006, 551, unter II. 1.). Gleichwohl handelt es sich bei der Angabe des Zeitpunkts, auf den die Bewertung vorgenommen worden ist, um ein zwingendes materielles Erfordernis eines jeden Feststellungsbescheids nach § 138 Abs. 5 Satz 1 BewG, der diesen in materiell-rechtlicher Hinsicht kennzeichnet und individualisiert.

Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass seine Rechtsprechung, wonach ein Feststellungsbescheid, der auf einen Stichtag erlassen worden ist, an dem keine (Folge-)Steuer entstanden ist, ins Leere geht und sich nicht auswirkt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 551, unter II. 1.), die Frage der Bindungswirkung für den Folgesteuerbescheid betrifft. Diese Rechtsprechung steht dem Anspruch des Steuerpflichtigen auf Aufhebung eines i.S. des § 138 Abs. 5 Satz 1 BewG nicht „erforderlichen” Feststellungsbescheids nicht entgegen.

3. Die weitere vom FA aufgeworfene Rechtsfrage, ob § 8 Abs. 2 Satz 2 GrEStG dahin auszulegen ist, dass die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus auch auf ein zwar bereits errichtetes, aber noch zu sanierendes Gebäude anzuwenden ist, wäre in einem künftigen Revisonsverfahren nicht klärungsfähig. An der Klärungsfähigkeit fehlt es insbesondere, wenn das FG seine Entscheidung kumulativ auf mehrere Gründe gestützt hat, von denen jeder für sich gesehen die Entscheidung trägt, die Beschwerdebegründung jedoch nur einen der das FG-Urteil tragenden Gründe betrifft (BFH-Beschlüsse vom I B 76/94, BFH/NV 1996, 42, und vom VII B 53/03, BFH/NV 2004, 978).

So liegt es hier: Das FG hat seine Entscheidung, wonach § 127 AO 1977 der Aufhebung des angefochtenen Bescheids nicht entgegenstehe, nur hilfsweise darauf gestützt, dass —wegen der nach Auffassung des FG fehlenden Anwendbarkeit des § 8 Abs. 2 Satz 2 GrEStG— eine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden müssen. In erster Linie hat das FG seine Entscheidung hingegen damit begründet, dass der Erlass eines Grundbesitzfeststellungsbescheids auf einen Stichtag, zu dem er für die Besteuerung nicht erforderlich ist, keinen Verfahrens- oder Formfehler, sondern einen materiell-rechtlichen Fehler darstelle. Dieser Teil der Begründung, der rechtlich bedenkenfrei ist und daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (vgl. oben 2. b), trägt die Entscheidung der Vorinstanz allein.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 908 Nr. 5
HAAAB-80845