Verfassungsmäßigkeit des Abzugs von Beiträgen zur Krankenversicherung als Sonderausgaben
Leitsatz
Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr 1997 geltenden Fassung insofern verfassungsmäßig ist, als
1. diese Vorschrift den Abzug von Beiträgen zu Krankenversicherungen mit der Wirkung begrenzt, dass diese im Streitfall nicht ausreichen, damit die Kläger für sich selbst Krankenversicherungsschutz in dem von den gesetzlichen Krankenversicherungen gewährten und somit angemessenen Umfang erlangen können,
2. die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Abziehbarkeit der den gesamten Vorsorgebedarf abdeckenden Aufwendungen durch den dem Steuerpflichtigen selbst und seinem Ehegatten zustehenden Höchstbetrag unabhängig davon begrenzt wird, ob unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden sind oder nicht. Weder § 10 Abs. 3 EStG noch eine sonstige Vorschrift des EStG sieht eine steuerliche Entlastung oder bei der Bemessung des Kindergeldes eine Transferleistung für den Fall vor, dass der Steuerpflichtige seine Kinder privat gegen Krankheit versichert, um für diese im Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherungsschutz zu erlangen.
Gesetze: EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a,EStG § 10 Abs. 3,GG Art. 1,GG Art. 3 Abs. 1,GG Art. 6 Abs. 1,GG Art. 20 Abs. 1,,GG Art. 100 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug: ,
Gründe
A. Gegenstand der Vorlage (Sachverhalt, Entscheidung des Finanzgerichts und Vortrag der Beteiligten)
I. Sachverhalt
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1997 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Sie haben sechs Kinder, die zwischen 1977 und 1995 geboren wurden. Der Kläger ist Rechtsanwalt und erzielte im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von ca. 431 000 DM. Der Gesamtbetrag der Einkünfte betrug unter Berücksichtigung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung (ca. 162 000 DM) ca. 269 000 DM.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger Versicherungsbeiträge in Höhe von ca. 66 000 DM geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mit dem gesetzlichen Höchstbetrag des § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 19 830 DM berücksichtigte. Weil sich im angefochtenen Einkommensteuerbescheid ein Gesamtbetrag der Einkünfte von mehr als 240 000 DM ergab, versagte das FA die Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG. Hiergegen haben die Kläger Sprungklage erhoben, mit der sie sinngemäß beantragt haben, eine Steuerbegünstigung für die eigengenutzte Wohnung sowie eine kindbedingte Ermäßigung nach § 34f EStG zu gewähren, hilfsweise, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob § 10e Abs. 5a EStG und § 10 Abs. 3 EStG das GG verletzen.
Sie haben im Klageverfahren u.a. vorgetragen: Die Beschränkung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 EStG sei verfassungswidrig. Insbesondere Steuerpflichtige mit Einkünften aus selbständiger Arbeit müssten im Vergleich zu solchen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielten, höhere Beträge für die Zukunftssicherung aufbringen, ohne dass diese steuerlich berücksichtigt würden. Der erhöhte Aufwand von Steuerpflichtigen mit mehreren Kindern bleibe steuerlich unberücksichtigt.
II. Entscheidung des Finanzgerichts (FG)
Das FG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es zum Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen ausgeführt:
Die von den Klägern geltend gemachten Vorsorgeaufwendungen seien im Rahmen des § 10 Abs. 3 EStG in zutreffender Höhe verfassungsrechtlich einwandfrei berücksichtigt. Dem (BFHE 200, 529, BStBl II 2003, 179) sei darin zuzustimmen, dass der Gesetzgeber nicht gehalten sei, Vorsorgeaufwendungen im Umfang einer Mindestvorsorge von der Besteuerung abzuschirmen, weil es sich insoweit nicht um einen gegenwärtigen Grundbedarf der Steuerpflichtigen handele. Es genüge vielmehr, dass dem Steuerpflichtigen nach Erfüllung der Einkommensteuerschuld noch Mittel in ausreichendem Umfang zur Verfügung stünden, um den notwendigen Lebensunterhalt bestreiten und die Kosten einer Mindestvorsorge tragen zu können. Dies sei bei den Klägern bei einem zu versteuernden Einkommen von 229 993 DM und einer Einkommensteuerschuld von 81 536 DM der Fall.
III. Vortrag der Beteiligten im Revisionsverfahren
Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragen die Kläger u.a. den Abzug der „Beiträge für Krankenversicherung und Lebensversicherung bzw. Altersvorsorgebeiträge” als Sonderausgaben (Vorsorgeaufwendungen). Es sei zu berücksichtigen, welche Vorsorgeaufwendungen für eine achtköpfige —privatversicherte— Familie aufzubringen seien. Der Gesamtbetrag der Krankenversicherungsbeiträge habe im Streitjahr 32 833,20 DM betragen. Die Beiträge zur privaten Krankenversicherung wären noch höher, wenn nicht Selbstbeteiligungen vereinbart worden wären. Es handle sich insoweit keineswegs um „Luxusaufwendungen”. Zusammen mit weiteren Beiträgen zu Lebensversicherungen sei der Höchstbetrag des § 10 Abs. 3 EStG weit überschritten. Auch in diesem Streitpunkt bleibe unberücksichtigt, dass eine Familie mit sechs Kindern erheblich mehr an Aufwendungen trage als ein kinderloses Ehepaar. Kinderreiche Familien müssten Singles und kinderlose Ehepaare subventionieren. Im Jahre 1997 hätten sie, die Kläger, Beiträge zum Aufbau einer Altersrente von insgesamt 28 953,60 DM gezahlt. Auch dieser Betrag sei vom Gesamtbetrag der Einkünfte in Abzug zu bringen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Einkommensteuerbescheid für 1997 dahin zu ändern, dass die Steuerbegünstigung für die eigengenutzte Wohnung in Höhe 19 800 DM und die Ermäßigung nach § 34f EStG in Höhe von 6 000 DM gewährt sowie Beiträge zur privaten Krankenversicherung in Höhe von insgesamt 32 833,20 DM und Lebensversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 28 953,60 DM anerkannt werden.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
B. Entscheidungsgründe betreffend die Abziehbarkeit von Beiträgen zur Krankenversicherung als Sonderausgaben
I. Beschluss zur Aussetzung des Verfahrens
Der Senat beschließt, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zu den Vorlagefragen einzuholen.
1. Die Vorlage an das BVerfG ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) geboten, weil der beschließende Senat § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr 1997 maßgebenden Fassung in dem aus den Vorlagefragen ersichtlichen Umfang für verfassungswidrig hält.
Die in der Vorlagefrage zu 1. in Bezug genommene Rechtslage verstößt nach Auffassung des Senats gegen den vor allem aus Art. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des GG (Art. 20 GG) abgeleiteten Grundsatz der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit. Mit der in der Vorlagefrage zu 2. umschriebenen Rechtslage —Fehlen von Kinderadditiven beim Sonderausgabenabzug— wird zusätzlich die bürgerlich-rechtliche Verpflichtung der Eltern zur Leistung von Unterhalt an ihre Kinder —hier: in Gestalt der Aufwendungen für Krankenversicherungsschutz— nicht den Vorgaben der Verfassung entsprechend berücksichtigt; insofern verstößt das geltende Recht gegen das Gebot des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 GG) und —im Hinblick auf die Benachteiligung gegenüber Ehepaaren ohne Kinder— gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
2. Eine verfassungskonforme Auslegung (vgl. und 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263, 275 ff.), die den nachfolgenden verfassungsrechtlichen Erwägungen zu den einschlägigen Verfassungsnormen Rechnung tragen und der Klage insoweit zum Erfolg verhelfen würde, ist in Anbetracht der unmissverständlichen und numerisch eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht möglich.
II. Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 EStG im Streitfall - Beurteilung am Maßstab des einfachen Rechts
1. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sind Beiträge zu Kranken-, Pflege-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen neben den in Buchst. b dieser Vorschrift genannten weiteren „Vorsorgeaufwendungen” (Legaldefinition im Einleitungssatz des § 10 Abs. 2 EStG) als Sonderausgaben abziehbar. Der Abzug ist nach näherer Maßgabe des § 10 Abs. 3 EStG durch Höchstbeträge begrenzt. Das beklagte FA hat die Vorschriften über den Sonderausgabenabzug zutreffend angewendet.
§ 10 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr 1997 geltenden Fassung lautet wie folgt:
„Für Vorsorgeaufwendungen gelten je Kalenderjahr folgende Höchstbeträge:
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1. ein
Grundhöchstbetrag von im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten von |
2 610 DM, 5 220 DM; |
2. ein
Vorwegabzug von im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten von |
6 000 DM, 12 000 DM." |
Die Kürzung des Vorwegabzugs (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG) ist im Streitfall mangels Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen ohne Bedeutung.
Nach § 10 Abs. 3 Nr. 4 EStG können Vorsorgeaufwendungen, die die nach den Nrn. 1 bis 3 abziehbaren Beträge übersteigen, zur Hälfte, höchstens bis zu 50 v.H. des Grundhöchstbetrags abgezogen werden (hälftiger Höchstbetrag).
2. Mit der Abziehbarkeit der in § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG aufgezählten Vorsorgeaufwendungen trägt der Gesetzgeber dem Bedürfnis des Einzelnen nach Absicherung vor bestimmten privaten Lebensrisiken und der damit verbundenen Beeinträchtigung der individuellen Leistungsfähigkeit Rechnung. Die Rechtfertigung für den Abzug dieser Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben ist in der durch eine Minderung der Leistungsfähigkeit hervorgerufenen wirtschaftlichen Belastung des Steuerpflichtigen zu sehen (Senatsurteil vom X R 2/84, BFHE 157, 101, BStBl II 1989, 683, unter Bezugnahme auf den , BVerfGE 66, 214, 223, BStBl II 1984, 357, 359). Diese Aufwendungen sind für den Steuerpflichtigen insoweit unausweichlich („indisponibel”), als ein bestimmte Grundrisiken abdeckender Krankenversicherungsschutz notwendiger Bestandteil einer „sozialgerechten Existenz” ist (unten VI.2.).
3. Im Streitjahr —bis zur Neuregelung durch das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) vom (BGBl I 2004, 1427)— umfassten die gesetzlichen Höchstbeträge nach näherer Maßgabe des § 10 Abs. 3 EStG betragsmäßig nicht aufgegliedert sämtliche Vorsorgeaufwendungen. Da sich die vom Senat gestellten Vorlagefragen lediglich auf die beschränkt abziehbaren Beiträge zu Krankenversicherungen beziehen, erscheint es geboten, die Divergenz zwischen dem Ist-Zustand und dem verfassungsrechtlich Gebotenen annähernd zu beziffern und zu diesem Zweck den einheitlichen Betrag aufzugliedern. Hierbei erscheint eine Orientierung geboten am prozentualen Anteil der Krankenversicherungsbeiträge am Gesamtsozialversicherungsbeitrag als der Summe der Pflichtbeiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, von denen der Arbeitnehmer in der Regel die Hälfte zu tragen hat (anders J. Hey, Deutsche Rentenversicherung, 2004, 1 ff., 11 ff.). Berücksichtigt man die Beitragssätze von 14,2 v.H. (allgemeiner Beitragssatz der Krankenversicherung nach § 241 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch —SGB V—), 19,5 v.H. (Rentenversicherung), 6,5 v.H. (Arbeitslosenversicherung gemäß § 341 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch —SGB III—) und 1,7 v.H. (Pflegeversicherung), so entfällt ein Anteil von 33,9 v.H. des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (41,9 v.H.) auf die Beiträge zur Krankenversicherung. Bezogen auf einen Sonderausgaben-Höchstbetrag von 19 830 DM ergibt sich ein rechnerischer, auf Krankenversicherungsbeiträge entfallender anteiliger —steuerlich abziehbarer— Betrag von höchstens ca. 6 700 DM.
4. Eine Berücksichtigung von Mehraufwendungen, die Eltern aufgrund der Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern entstehen, ist —als sog. Kinderadditive— in § 10 Abs. 3 EStG nicht vorgesehen. Auf dieser Grundlage und weil für unterhaltsberechtigte Kinder gezahlte Krankenversicherungsbeiträge weder —was unter systematischen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden ist (hierzu nachfolgend)— im Existenzminimum der Eltern noch in Sonderausgaben-Additiven oder in den Kinderfreibeträgen berücksichtigt sind, zahlten die Kläger die über 6 700 DM hinausgehenden Beiträge aus ihrem versteuerten Einkommen.
5. Das geltende Recht regelt in § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG i.d.F. des AltEinkG den Sonderausgabenabzug für Beiträge zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit, zu bestimmten Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, zu Kranken-, Pflege-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen sowie für Risikoversicherungen, die nur für den Todesfall eine Leistung vorsehen. Diese Aufwendungen können gemäß § 10 Abs. 4 EStG je Kalenderjahr insgesamt bis zum Betrag von 2 400 € abgezogen werden. Der Höchstbetrag beträgt 1 500 € bei Steuerpflichtigen, die ganz oder teilweise ohne eigene Aufwendungen einen Anspruch auf vollständige oder teilweise Erstattung oder Übernahme von Krankheitskosten haben oder für deren Krankenversicherung Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 oder § 3 Nr. 14 EStG erbracht werden. Bei zusammen veranlagten Ehegatten bestimmt sich der gemeinsame Höchstbetrag aus der Summe der jedem Ehegatten unter den Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 zustehenden Höchstbeträge (§ 10 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG). Auch das geltende Recht berücksichtigt nicht, dass Eltern, die ihre Kinder gegen Krankheit versichern, infolge bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsverpflichtung zwangsläufige Aufwendungen haben.
III. Berücksichtigung von Kindern bei den Höchstbeträgen für Vorsorgeaufwendungen und bei der Bemessung des Kindergeldes - Rechtsentwicklung
Die im Streitfall einschlägigen Normen des Einkommensteuerrechts haben sich entstehungsgeschichtlich wie folgt entwickelt (ausführlich Söhn, Steuer und Wirtschaft —StuW— 1990, 356, 357 ff.).
1. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 des Preuß. EStG vom 24. Juni 1891 (Preuß. GS 1891, 175) waren Beiträge des Steuerpflichtigen u.a. zu Kranken- und Unfallversicherungen der Höhe nach unbeschränkt abziehbar, ferner die mit dem Einkommen der Ehefrau in unmittelbarem Zusammenhang stehenden, von ihr zu entrichtenden Beiträge zu Kranken- und Invalidenversicherungskassen (Fuisting, Einkommensteuergesetz, Bd. I, 8. Aufl. 1915, S. 311 ff.; Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr. A 77).
Eine entsprechende Regelung enthielt § 8 Abs. 2 des Preuß. EStG 1906 vom (Preuß. GS 1906, 241).
2. § 13 Nr. 3 EStG 1920 vom (RGBl 1920, 359) sah die unbeschränkte Abziehbarkeit von Beiträgen vor, die der Steuerpflichtige für sich und seine nicht selbständig veranlagten Haushaltsangehörigen u.a. zu Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen zahlte. Ein Höchstbetrag von 1 000 Reichsmark jährlich war vorgesehen für Prämien zu Versicherungen u.a. des Steuerpflichtigen auf den Todes- oder Erlebensfall.
3. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1925 vom (RGBl I 1925, 189) waren als Sonderleistungen abziehbar „Beiträge, die der Steuerpflichtige für sich und seine nicht selbständig veranlagten Haushaltungsangehörigen” u.a. zu Kranken- und Unfallversicherungen gezahlt hat. Für alle Versicherungsbeiträge wurde erstmals ein einheitlich geltender Höchstbetrag von 480 Reichsmark eingeführt; dieser Betrag erhöhte sich „für die zur Haushaltung des Steuerpflichtigen zählende Ehefrau sowie für jedes zu seiner Haushaltung zählende und nicht selbständig zu veranlagende minderjährige Kind um je 100 Reichsmark” (§ 17 Abs. 2 EStG 1925). Ausweislich der Gesetzesmaterialien (Nachweise bei Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925, § 17 Anm. 2, Anm. 47) hielt es der Gesetzgeber für zweckmäßig, „den Höchstbetrag nach sozialen Gesichtspunkten zu staffeln”.
§ 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1934 vom (RGBl I 1934, 1005) hat Beiträge u.a. zu Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen als Sonderausgaben benannt und einen gemeinsamen Höchstbetrag für Beiträge zu Versicherungen und Bausparkassen eingeführt. Dieser Betrag erhöhte sich für die Ehefrau und zusätzlich nach näherer Maßgabe des Gesetzes für Kinder.
4. § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1949 vom (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes —WiGBl— 1949, 266) sah einen Sonderausgabenabzug vor u.a. für Beiträge zu Krankenversicherungen, der gemäß Abs. 2 Nr. 1 dieser Vorschrift ausgedehnt wurde auf Sonderausgaben für die Ehefrau und —nach näherer Maßgabe dieser Vorschrift— auf Kinder des Steuerpflichtigen. Dieser Sonderausgabenabzug war im Rahmen eines Höchstbetrags von 800 DM abzugsfähig, der sich um je 400 DM im Jahr für die Ehefrau und für jedes Kind i.S. des § 32 Abs. 4 Nr. 4 EStG 1949 erhöhte.
5. Mit Art. 1 Nr. 40 des Gesetzes zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung (Einkommensteuerreformgesetz —EStRG—) vom (BGBl I 1974, 1769) schuf der Gesetzgeber ein die Kindergeldregelung umfassendes einheitliches Kinderlastenausgleichssystem. Die einkommensteuerlichen Kinderfreibeträge entfielen nach § 32 EStG n.F.; an ihre Stelle traten erheblich erweiterte Kindergeldansprüche. Gleichzeitig wurde durch Art. 1 Nr. 17 EStRG § 10 Abs. 3 EStG geändert, nach dessen bis zur Fassung vom (BGBl I 1985, 1153) geltenden Wortlaut Vorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG a.F. mit Höchstbeträgen von zunächst 1 800 DM, später 2 100 DM und 2 340 DM und im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten 3 600 DM bzw. 4 200 DM und 4 680 DM als Sonderausgaben abziehbar waren. Diese Beträge erhöhten sich
„a) für jedes Kind des Steuerpflichtigen im Sinne des § 32 Abs. 4 bis 7 um
600 Deutsche Mark,
b) für jedes Kind des Steuerpflichtigen im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 bis 7, das nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 dem anderen Elternteil zugeordnet wird und dem gegenüber der Steuerpflichtige seiner Unterhaltsverpflichtung für den Veranlagungszeitraum nachkommt, um
300 Deutsche Mark”.
Auf Verfassungsbeschwerden gegen das EStRG hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 1 BvR 265/75 (BVerfGE 45, 104, BStBl II 1977, 526) zu „Inhalt und Zweck der einzelnen Bestimmungen über kinderbedingte Steuervorteile” ausgeführt:
„Mit diesen erweiterten Abzugsmöglichkeiten trägt der Gesetzgeber dem wegen der Kinder gesteigerten Vorsorgebedürfnis Rechnung. Dieses kann auf mehreren Gründen beruhen. Einmal sind unmittelbar zugunsten des Kindes Vorsorgeleistungen zu erbringen, z.B. Beiträge zur Krankenkasse, Aussteuerversicherung oder Haftpflichtversicherung. Zum anderen werden Eltern geneigt sein, um auch den Unterhalt des Kindes im Falle ihrer Arbeitsunfähigkeit oder ihres Todes zu gewährleisten, eine erhöhte Eigensicherung vorzunehmen ...”
6. In § 10 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes (StSenkG) 1986/1988 vom (BGBl I 1985, 1153; mit dieser Änderung gültig ab ) sind die Zusatzhöchstbeträge für Kinder entfallen. Sie wurden übernommen in die gleichzeitig angehobenen Kinderfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG 1986 (Begründung BTDrucks 10/2884, S. 100). Der Kinderfreibetrag wurde auf 2 484 DM je Kind erhöht und grundsätzlich jedem Elternteil zur Hälfte gewährt. Diese Regelung sollte „insgesamt…Familien (begünstigen), die wegen geringen Einkommens die SA-Höchstbeträge nicht voll ausschöpfen konnten, und Familien mit vielen Kindern”. Nach der Begründung zum StSenkG 1986/1988 hatte die Anhebung des Kinderfreibetrags (ab dem Jahre 1986) nicht nur die Aufgabe, das allgemeine Existenzminimum eines Kindes abzudecken, sondern auch zusätzlich —anstelle der durch dasselbe Gesetz gestrichenen §§ 10 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a (i.V.m. Nr. 3) und 10c Abs. 3 Nrn. 1 und 2 EStG a.F.— sog. kindbedingte Vorsorgeaufwendungen bis zu 900 DM von der Steuer freizustellen (BTDrucks 10/2884, S. 96 und 100). Die Begründung zum Entwurf eines StSenkG (BTDrucks 10/2884, S. 100) führt zum Entwurf eines § 32 Abs. 6 EStG aus:
„Der Abzugsbetrag von bis zu 900 DM je Kind, um den sich die Höchstbeträge für den Sonderausgabenabzug für Vorsorgeaufwendungen erhöhen, soll insbesondere aus Vereinfachungsgründen in dem auf 2 484 DM je Kind angehobenen Kinderfreibetrag aufgehen. Der Wegfall des kindbedingten Erhöhungsbetrages führt vor allem zu einer Vereinfachung bei der Berechnung der Vorsorgepauschale für Arbeitnehmer (§ 10c EStG). Demgemäß soll der bisherige Satz 2 in § 10 Abs. 3 Nr. 1 EStG gestrichen werden.”
Der ab dem Jahre 1986 angehobene Kinderfreibetrag sollte der Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern „wieder verstärkt im Steuerrecht Rechnung…tragen” und „mit der neueren Rechtsprechung des BVerfG in Einklang gebracht” werden (BTDrucks 10/2884, S. 96).
Nach Auffassung von Söhn (StuW 1990, 356, 363) war die Streichung der kinderbedingten Erhöhung des Grundhöchstbetrags und des hälftigen Höchstbetrags verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn die Besteuerung der Eltern nach wie vor den Anforderungen des Leistungsfähigkeitsprinzips entsprach. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
7. Zur Rechtslage im Jahre 1986 hat der (BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429) —in „Anwendung und Fortentwicklung der Grundsätze des Vorlagebeschlusses” vom III R 206/90 (BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755) an das BVerfG— ausgeführt: Eltern mit zwei Kindern seien durch die steuerlichen Kinderfreibeträge und das Kindergeld in gerade noch ausreichendem, verfassungsrechtlich noch nicht zu beanstandendem Umfang entlastet worden. Dabei sei berücksichtigt, dass die elterliche Unterhaltspflicht auch Vorsorgeleistungen für die Kinder (Beiträge zur Krankenversicherung) mit umfasse. In diesem Urteil heißt es weiter:
„Damit hat der Gesetzgeber nach Auffassung des Senats dem Umstand Rechnung getragen, dass Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht u.a. auch Vorsorge zum Schutz der Kinder vor Krankheit, Unfall und Haftpflichtfällen treffen müssen (vgl. hierzu auch den , BVerfGE 45, 104, BStBl II 1977, 526, Abschn. C.IV.2.a). Soweit es sich dabei um Aufwendungen zur Ermöglichung einer Mindestvorsorge handelt, ist nach Auffassung des erkennenden Senats ein steuermindernder Abzug von Verfassungs wegen (Art. 1, 3, 6, 20 GG) geboten (ebenso insbesondere Söhn in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 10 Rdnr. P 6 und P 76; vgl. auch , BFHE 157, 101, BStBl II 1989, 683, Abschn. I Nr. 1). Da dieser Abzug nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr über § 10 EStG gewährt wird, ist er bei der Anwendung des § 32 Abs. 6 EStG zu berücksichtigen.”
Mangels exakter statistischer Unterlagen bezifferte der III. Senat des BFH für das Streitjahr 1986 den —typisierenden— Mindestvorsorgebetrag mit 200 DM pro Kind.
8. In seinem Urteil vom VI R 121/90 (BFHE 183, 538, BStBl II 1997, 692) geht der VI. Senat des BFH von der Aussage der ständigen Rechtsprechung aus, dass bei der Ermittlung des steuerlichen Existenzminimums eines Kindes der Mindestbedarf, den der Gesetzgeber im Sozialrecht festgelegt hat, nicht unterschritten werden darf. Hieran schließt er die folgende Erwägung an:
„Eine weitere Unsicherheit bringt die Rechtsprechung des III. Senats des BFH mit sich, nach der zu berücksichtigen ist, dass die elterliche Unterhaltspflicht auch Vorsorgeleistungen für die Kinder (Beiträge zur Krankenversicherung) mitumfasst. In dem Urteil in BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429, 432 f. hat der III. Senat es für notwendig erachtet, den tatsächlich gewährten Kinderfreibetrag deshalb in Höhe von 200 DM pro Jahr und Kind nicht in die Ermittlung des fiktiven Kinderfreibetrages einzubeziehen, weil Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht u.a. auch Vorsorge zum Schutz der Kinder vor Krankheit, Unfall und Haftpflichtfällen treffen müssten. Der Auffassung, dass dies zu einer Kürzung des in einen steuerlichen Freibetrag umzurechnenden Kindergeldes führen müsse, könnte jedoch entgegengehalten werden, dass Krankheitskosten oder entsprechende Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der gebotenen typisierenden Betrachtung außer Betracht bleiben können. Dabei könnte eine Rolle spielen, dass bei der Veranlagung zur Einkommensteuer die tatsächlichen Krankheitskosten nach § 33 EStG steuermindernd berücksichtigt werden. Außerdem entsteht für die überwiegende Zahl der Steuerpflichtigen, die als Arbeitnehmer pflichtversichert sind, wegen der Krankenversicherung ihrer Kinder kein Mehraufwand. Denn in den gesetzlichen Krankenkassen richten sich die Beiträge ausschließlich nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherten; Familienmitglieder sind mitversichert, ohne dass für sie Beiträge erhoben werden (vgl. §§ 3 und 10 des Sozialgesetzbuchs —SGB V—; § 205 der Reichsversicherungsordnung —RVO—). Dem Beschluss in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 660 könnte im übrigen zu entnehmen sein, dass Vorsorgeaufwendungen nicht in dem vom Existenzminimum abgedeckten Grundbedarf enthalten seien und deshalb nicht in den Vergleich einzustellen sind.”
9. Der Kinderfreibetrag wurde durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1992 vom (BGBl I 1992, 297) um 540 DM von 1 512 DM auf 2 052 DM angehoben (mit Verdoppelung bei zusammen veranlagten Ehegatten). Dies ging zurück auf die Rechtsprechung des BVerfG, insbesondere dessen Beschlüsse vom 1 BvL 20/84 u.a. (BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653) und vom 1 BvL 72/86 (BVerfGE 82, 198, BStBl II 1990, 664 (so ausdrücklich BTDrucks 12/1108, S. 35, 59: „Ausbau und weitere Verbesserung des Kinderlastenausgleichs”). Nach Auffassung von Kanzler (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Anm. 168) waren die in den Jahren 1993 bis 1995 normierten kindbedingten Entlastungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
10. Das Jahressteuergesetz (JStG) 1996 vom (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) hat mit Wirkung vom den sog. dualen Familienlastenausgleich durch den Familienleistungsausgleich mit der alternativen Inanspruchnahme von Kindergeld und Kinderfreibetrag ersetzt (§ 31 Satz 1 EStG). Mit der Neuregelung wollte der Gesetzgeber zum einen der Rechtsprechung des BVerfG Rechnung tragen, nach welcher der existenznotwendige Aufwand für Kinder in angemessener, realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freizustellen ist. Zugleich sollte eine deutlich verbesserte Förderung der Familien mit Kindern erreicht und die besondere Leistung der Familie für die Gesellschaft anerkannt werden. Ziel der Reform war zugleich eine Verbesserung der Transparenz und eine Vereinheitlichung der Verfahren beim Familienleistungsausgleich (BTDrucks 13/1558, S. 139, 155). In § 31 Abs. 6 Sätze 1 bis 3 EStG wurden die Kinderfreibeträge auf 3 132/6 264 DM angehoben und entsprechend dem nunmehr auch für den Kinderfreibetrag geltenden Monatsprinzip in monatlichen Beträgen ausgewiesen.
Nach dem System des Familienleistungsausgleichs sind die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG bei der Einkommensteuerveranlagung abzuziehen, wenn die von Amts wegen durchzuführende Vergleichsrechnung (sog. Günstigerprüfung) ergibt, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern nicht in vollem Umfang durch das während des Kalenderjahres als Steuervergütung gezahlte Kindergeld bewirkt wird (§ 31 Satz 4 EStG). In diesen Fällen sind das Kindergeld oder vergleichbare Leistungen nach § 36 Abs. 2 EStG zu verrechnen, auch soweit sie dem Steuerpflichtigen im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zustehen (§ 31 Satz 5 EStG). Zu verrechnen sind nach der im Streitjahr maßgeblichen Fassung des § 31 EStG nur das im Veranlagungszeitraum tatsächlich gezahlte Kindergeld und der darauf bezogene Ausgleichsanspruch. Das Kindergeld ist nach § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG „im entsprechenden Umfang” zu verrechnen, d.h. die Höhe der Hinzurechnung richtet sich danach, ob das Einkommen um einen vollen oder einen halben Kinderfreibetrag für den jeweiligen Zahlungszeitraum vermindert wurde. Soweit durch das Kindergeld die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Freistellung nicht in vollem Umfang erreicht wird, ist nach § 31 Satz 4 EStG bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag abzuziehen. Der Umstand, dass das Gesetz denjenigen Steuerpflichtigen, bei dem das Kindergeld nicht zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums seiner Kinder ausreicht, wegen der weiter gehenden steuerlichen Entlastung auf die Veranlagung zur Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres verweist (§ 25 Abs. 1 EStG), ist verfassungsrechtlich unbedenklich (, BFHE 198, 201, BStBl II 2002, 596). Zur Rechtslage ab 1996 hat der BFH in letzterem Urteil entschieden, dass § 66 Abs. 1 EStG, wonach das Kindergeld für das erste und zweite Kind jeweils 200 DM beträgt, verfassungsgemäß ist. Dies gilt unabhängig davon, ob der Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder genügt. Der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen lediglich verpflichtet, das nach sozialhilferechtlichen Kriterien zu ermittelnde Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie im wirtschaftlichen Ergebnis von der Einkommensteuer freizustellen (vgl. ferner , BFH/NV 2002, 1456, unter Bezugnahme auf die BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, und vom 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174; die Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, , Steuer-Eildienst —StEd— 2003, 574).
11. Durch das am in Kraft getretene Gesetz zur Familienförderung vom (BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) wurde der Familienleistungsausgleich in einer ersten Stufe neu geregelt. Der Gesetzgeber hat damit —entsprechend dem (BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182)— berücksichtigt, dass das Existenzminimum eines Kindes nicht nur den sächlichen Bedarf, der durch den Kinderfreibetrag abgedeckt wird, sondern auch einen Betreuungs- und Erziehungsbedarf umfasst. Die Neuregelung sieht eine Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen nicht vor.
12. Nach gefestigter Rechtsprechung des BVerfG liefert der „Warenkorb” der Sozialhilfe (sog. Sozialhilfebedarf) den vom Gesetzgeber anerkannten Maßstab zur Bemessung eines realitätsgerechten Grundbedarfs. Hiervon ausgehend hat die Bundesregierung für 1996 den Betrag des Existenzminimums mit 6 288 DM für jedes Kind einer Familie in gleicher Höhe ermittelt (Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien vom Jahr 1996, BRDrucks 68/95, S. 9 und 11, BTDrucks 13/381). Andere Berechnungen ermitteln einen Betrag von mehr als 10 000 DM (z.B. Kennerknecht, Nachweise bei Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 32 EStG Anm. 168). Nach dem genannten Bericht der Bundesregierung setzt sich der notwendige Lebensunterhalt im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), der insbesondere Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens umfasst, aus den folgenden Komponenten zusammen:
Regelsätze, die die laufenden Leistungen für Ernährung, hauswirtschaftlichen Bedarf einschließlich der Haushaltsenergie sowie Ausgaben für persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens umfassen;
einmaligen Leistungen, die solche Bedarfspositionen abdecken, die nicht regelmäßig monatlich in gleicher Höhe anfallen;
- Mieten (bei Wohnungseigentum vergleichbare Aufwendungen), einschließlich Nebenkosten wie Wassergeld und Müllabfuhrgebühr;
- Heizungskosten.
Diese Zusammenstellung von Aufwendungen korrespondiert damit, dass gemäß § 12 Abs. 1 BSHG (jetzt: § 27 Abs. 1 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch —SGB XII—) der notwendige Lebensunterhalt auch Unterkunft und Heizung (Wohnkosten) umfasst. Einmalige Leistungen werden jeweils gewährt, wenn der konkrete Bedarf besteht. Dem Existenzminimum eines Kindes liegen die gleichen Komponenten zugrunde wie dem Existenzminimum eines Steuerpflichtigen. Für jedes Kind einer Familie wird das Existenzminimum gleich hoch angesetzt. Nach Auffassung von Kanzler (in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 32 EStG Anm. 168; ders., § 31 EStG Anm. 25) lässt die Orientierung des steuerlichen Existenzminimums am Sozialhilfebedarf eine jährliche Überprüfung und ggf. auch eine Anpassung umso dringlicher erscheinen, als der Kinderfreibetrag für den Veranlagungszeitraum 1996 bereits knapp unter dem von der Bundesregierung selbst ermittelten Existenzminimum von 6 288 DM liegt.
Versicherungsbeiträge für die Vorsorge im Krankheitsfall sowie weitere Vorsorgeaufwendungen sind in die Berechnung des Existenzminimums nicht einbezogen (vgl. von Eichborn, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2003, 1515, 1517). Damit bleiben die kindbedingten Aufwendungen hinter dem Leistungsvolumen des BSHG zurück.
13. Hinsichtlich der Rechtsentwicklung des Kinderlastenausgleichs wird ergänzend verwiesen auf die ausführliche Darstellung von M. Jachmann (in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 31 Rdnr. A 20 ff.).
14. Söhn (StuW 1990, 356, 357 ff.) weist zutreffend darauf hin, dass die Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen in den jeweiligen Gesetzgebungsverfahren nie eigentlich begründet worden ist. In früheren Jahren hat der Gesetzgeber Kinderadditive berücksichtigt, die später —vorerst vollwertig kompensierend— durch eine Erhöhung des Kindergeldes ersetzt worden sind. Diese kinder- und familienfreundliche „Ausstattung” des Kindergeldes hat sich in späteren Jahren verflüchtigt. Dies benachteiligt Eltern, deren Kinder nicht in der gesetzlichen Sozialversicherung beitragsfrei mitversichert sind.
IV. Perspektiven der Steuerreform
1. Nach § 23 Nr. 4 des Entwurfs der Fraktion der FDP eines Gesetzes zur Einführung einer neuen Einkommensteuer (BTDrucks 15/2349) sind als Sonderaufwendungen in voller Höhe abziehbar „Beiträge zu Versicherungen im Krankheitsfall, zur Pflegeversicherung und Krankentagegeldversicherung bis höchstens 18 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung”. Die Beschränkung wird damit gerechtfertigt, dass „bei der bestehenden Vielfalt an derartigen Versicherungen mit sehr unterschiedlichem Leistungs- und Tarifangebot besonders hohe Beiträge steuerlich nicht subventioniert werden sollen”. Mit dem Kindergeld oder mit einem Kinderfreibetrag in Höhe von 7 700 € sollen die Kosten der Vorsorge für die Kinder, für ihre Erziehung und Betreuung sowie für ihre Aus- und Fortbildung abgegolten sein.
2. Der Initiativantrag der Abgeordneten Friedrich Merz, Dr. Meister u.a. („Ein modernes Steuerrecht für Deutschland - Konzept 21, BTDrucks 15/2745) sieht vor, dass die Abzugsfähigkeit von Kranken-, Pflege-, Unfall- und Arbeitslosenversicherungsbeiträgen „bis zur Herstellung der Rechtseinheit zwischen Sozialversicherungs- und Steuerrecht grundsätzlich erhalten bleibt”. Es ist ein Kindergrundfreibetrag von 8 000 € vorgesehen.
3. Aus der Reformliteratur sind die folgenden Beiträge zu erwähnen:
a) Nach dem Karlsruher Entwurf zur Reform eines EStG (hrsg. von P. Kirchhof u.a., 2001, S. 43 f.) soll der Grundfreibetrag von (seinerzeit) 16 000 DM einheitlich den gesamten persönlichen Lebensbedarf erfassen, insbesondere auch die herkömmlichen Abzugsbeträge für außergewöhnliche Belastungen und Sonderbedarfe der Aus- und Fortbildung. „Die Typisierung folgt dem Gedanken, dass die persönliche Lebensgestaltung grundsätzlich Sache des Einzelnen ist, das Steuerrecht in seiner Typisierung auf das Existenznotwendige diese individuellen Gestaltungen nicht nachzeichnen muss.” Mit dem Grundfreibetrag sind auch Vorsorgeaufwendungen abgegolten, insbesondere Beiträge zu Kranken-, Haftpflicht- und Unfallversicherungen, jedoch mit Ausnahme der in § 9 des Entwurfs genannten Zukunftssicherungsleistungen. Im von P. Kirchhof vorgelegten Einkommensteuergesetzbuch (2003) ist der Abzug von Sonderausgaben im herkömmlichen Sinne nicht vorgesehen.
b) Der von J. Lang u.a. erarbeitete „Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes” (2005) sieht in § 36 Abs. 1 Nr. 4 neben dem Grundfreibetrag, der den regelmäßigen Grundbedarf berücksichtigt, „Beiträge zu Versicherungen für die Abdeckung von Sonderbedarfsausgaben, zum Beispiel Kranken-, Pflege- und Unfallversicherungen” vor. Diese dienen dazu, „die Finanzierung des existenznotwendigen Lebensbedarfs zu sichern” (a.a.O., Rdnr. 460).
c) Elicker (Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, 2004, S. 242 ff.) schlägt im Entwurf eines § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG vor, „Beiträge zu privaten Kranken- und Pflegeversicherungen” im Leistungsumfang der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung als „Sonderbedarf” abzuziehen, auch soweit sie für gesetzlich Unterhaltsberechtigte geleistet werden. Diese Aufwendungen werden nicht in den Grundfreibetrag „eingebaut”, „da diese Versicherungen nicht für alle Personen verpflichtend sind und es so bei der nicht versicherten Personengruppe zu einem zu hohen Abzug vom objektiven Einkommen käme, während die Behandlungskosten für die Angehörigen dieser Gruppe im Krankheitsfall ggf. der Allgemeinheit zur Last fielen”.
d) Nach § 22 Abs. 1 des von J. Mitschke vorgestellten Entwurfs (Erneuerung des deutschen Einkommensteuerrechts, 2004, S. 73 ff.) sind Vorsorgeaufwendungen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung und zu anderen Versicherungen öffentlicher und nichtöffentlicher Versicherungsträger mit Ausnahme von Sach- und Kreditversicherungen. Sofern nicht höhere Aufwendungen nachgewiesen werden, können die Aufwendungen mit sog. Vorsorgepauschalen abgezogen werden. Mitschke (a.a.O., Rdnr. 171) schreibt: „Die Rechenkunststücke zur Abzugsbegrenzung von Vorsorgeaufwendungen, die das geltende Recht aus fiskalischen oder pseudogerechten Gründen veranstaltet (§ 10 Abs. 3 EStG), verletzen das steuerliche Gleichmäßigkeitsgebot schon aus Transparenzgesichtspunkten.” Privataufwendungen zur Zukunfts- und Alterssicherung gingen dem Steueranspruch der öffentlichen Hand gerade in einer Zeit vor, in der diese ihre Vorkehrungen zur Gesundheitsvorsorge und Alterssicherung auf den Prüfstand stelle. Der Wegfall der betragsmäßigen Begrenzungen mache zusammen mit der generellen Investitionsbegünstigung eine besondere Altersvorsorgezulage (§§ 79 bis 99 geltendes EStG) gegenstandslos.
e) Anton/Brehe/Petersen (in Manfred Rose [Hrsg.], Reform der Einkommensbesteuerung in Deutschland, 2004, S. 59 ff.) regen an, dass die tatsächlichen Beiträge zur Sozialversicherung „bzw. entsprechende Beiträge zum Privatversicherungssystem in tatsächlicher Höhe von der Einkommensteuer freigestellt” werden.
f) Der Abschlussbericht der Sachverständigenkommission zur Neuordnung der steuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen —BMF—, Bd. 74, 2003, S. 6) schlägt vor, sonstige Vorsorgeaufwendungen, die nicht zu den Altersvorsorgeaufwendungen gehören, wie bisher als Sonderausgaben abzuziehen, und zwar mit dem jährlichen Höchstbetrag von 1 500 € für Alleinstehende und 3 000 € für Verheiratete. Eine Kinderkomponente ist nicht vorgesehen (kritisch hierzu P. Fischer, Betriebs-Berater —BB— 2003, 873 ff., 878).
V. Rechtsprechung zu den Verfassungsfragen
1. Im vorliegenden Zusammenhang ist zu beachten, dass das BVerfG in seinem „Renten-Urteil” vom 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618) dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung auch des Rechts der Altersvorsorge gesetzt hat. Das Urteil enthält in seinem Leitsatz 3 den Auftrag an den Gesetzgeber, im Rahmen der gebotenen Neuregelung der Besteuerung von Alterseinkünften die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis von Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird. Eine Aussage zur Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen betreffend die Risiken der Krankheit und der Erwerbsunfähigkeit wird nicht getroffen. Unter D.II. der Entscheidungsgründe schließt es das BVerfG aus, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, „die Rechtslage rückwirkend, bezogen auf das Veranlagungsjahr 1996, zu bereinigen”. Hiernach ist der Gesetzgeber für Veranlagungszeiträume vor 2005 zu einer „Nachbesserung” des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet (vgl. Senatsurteil vom X R 72/01, BFH/NV 2005, 513). Durch die Fristsetzung wird die hier aufgeworfene Verfassungsfrage einer steuerlichen Behandlung der Vorsorge für den Krankheitsfall nicht berührt.
Mit dem Abzug von Vorsorgeaufwendungen Selbständiger hatten sich die Kammerbeschlüsse des (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1978, 293) und vom 1 BvR 982/86 (Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst —DStZE— 1986, 357) befasst. Sie führen u.a. aus, die Gewährung eines über die gesetzlichen Höchstbetragsgrenzen hinausgehenden Abzugs sei nicht geboten. Auch in den Kammerbeschlüssen vom 2 BvR 1400/90 (HFR 1991, 672), vom 1 BvR 1523/88 (HFR 1998, 397) und vom 1 BvR 1300/89 (HFR 1997, 937) hat sich das BVerfG zur Abziehbarkeit von Beiträgen zu Krankenversicherungen nicht explizit geäußert. Der Beschluss in HFR 1998, 397 legt dar, die zum Abzug zugelassenen Rentenversicherungsbeiträge genügten, um im Alter eine das Existenzminimum überschreitende Rente zu sichern. Im Übrigen ist die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerden von pflichtversicherten Arbeitnehmern auch damit begründet worden, dass die Behandlung der Vorsorgeaufwendungen von dem Auftrag des BVerfG zur Neuregelung der Besteuerung der Alterseinkünfte umfasst sei (vgl. Wernsmann, StuW 1998, 317).
2. Die betragsmäßig beschränkte Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen wird in der Rechtsprechung überwiegend für verfassungsgemäß gehalten. Der XI. Senat des BFH hat die Begrenzung des Sonderausgabenabzugs gemäß § 10 Abs. 3 EStG im Wesentlichen gebilligt.
a) Mit Urteil vom XI R 57/99 (BFHE 192, 304, BStBl II 2001, 28) hat er unter Bezugnahme auf den Beschluss des BVerfG in HFR 1998, 397 zur Besteuerung von Aufwendungen für die Altersvorsorge entschieden, dass auf Grund verfassungsrechtlicher Vorgaben „auch das Einkommen in Höhe der Aufwendungen der Besteuerung entzogen sein muss, das der Mindestversorgung im Alter dient”. Dies war auch die normative Grundlage der im Beschluss vom XI R 41/99 (BFH/NV 2001, 770) an das BMF gerichteten Beitrittsaufforderung.
b) Nach dem BFH-Urteil in BFHE 200, 529, BStBl II 2003, 179 (Verfassungsbeschwerde anhängig unter dem Az. 2 BvR 274/03) ist der beschränkte Abzug von Kosten der Krankheitsvorsorge gemäß § 10 Abs. 3 EStG 1987 nicht verfassungswidrig. Dies wird wie folgt begründet:
Die Begrenzung der Abzugsbeträge in § 10 Abs. 3 EStG i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 EStG —geltend gemacht war ein unbegrenzter Abzug auch von Krankenversicherungsbeiträgen— verletze die Kläger nicht in ihrem Recht auf steuerliche Freistellung ihres Existenzminimums. Auch sei der Abzug dieser Aufwendungen in voller Höhe von Verfassungs wegen nicht geboten. Im Unterschied zu Aufwendungen, die der Sicherung des aktuellen Grundbedarfs dienen, seien diese Aufwendungen „der Sache nach zukunftsorientierte Leistungen, für deren steuer- und verfassungsrechtliche Beurteilung andere Maßstäbe gelten” würden. Sie dienten nicht der aktuellen Existenzsicherung, sondern der Vorsorge für künftige Zeiten und seien ihrer Art nach als Rücklagen und Sparleistungen zu qualifizieren. Bei diesen Leistungen sei der Gesetzgeber nicht gehalten, sie im Umfang einer Mindestvorsorge von der Besteuerung abzuschirmen. Es genüge vielmehr, dass der Steuerpflichtige nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld noch ausreichende Mittel zur Verfügung habe, um seinen notwendigen Lebensunterhalt bestreiten und seine Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung leisten zu können. Die Aufwendungen für Kranken- und Pflegeversicherung dienten der Absicherung existenzieller Risiken, die in der Zukunft lägen. - Soweit sich aus dem Beschluss des Senats in BFH/NV 2001, 770 (Aufforderung an das BMF zum Verfahrensbeitritt) sowie aus dem Senatsurteil in BFHE 192, 304, BStBl II 2001, 28 eine andere Auslegung des Beschlusses des BVerfG in HFR 1998, 397 ergebe, halte der Senat hieran ausdrücklich nicht mehr fest. Weiterhin heißt es in dem Urteil:
„Auch hinsichtlich der Kosten der Krankheitsvorsorge genügt es, wenn den Klägern nach Besteuerung ausreichende Mittel verbleiben, um sie tragen zu können. Der Steuergesetzgeber ist nicht verpflichtet, die Kosten einer Krankenversicherung als existenznotwendig zum Abzug zuzulassen. Durch eine begrenzte Absetzbarkeit werden die Kläger nicht in ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt. Für die Kosten einer Pflegeversicherung gilt nichts anderes. Krankheitskosten können als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG —unter Abzug geringer Eigenanteile— geltend gemacht werden. Der Steuergesetzgeber hat damit in ausreichendem Maße dafür Sorge getragen, dass bei der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aktuelle Krankheitskosten berücksichtigt werden. Dem entspricht es, dass Sozialhilfeempfänger Anspruch auf vorbeugende Gesundheitshilfe und Krankheitshilfe nach §§ 36 f. des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und damit auf Übernahme ihrer Kosten haben.”
Die Kläger würden auch nicht in ihrem Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt, der eine Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen verbiete. Zwar seien die Abzugsbeträge für kinderlose Steuerpflichtige und Steuerpflichtige mit Kindern gleich hoch. Da die Vorsorgeaufwendungen aber bereits dem Grunde nach keine notwendigen Aufwendungen zur Sicherung des aktuellen Existenzminimums darstellten, sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die gesetzliche Regelung keine zusätzlichen Abzugsbeträge für Vorsorgeaufwendungen zugunsten des zum Haushalt gehörenden minderjährigen Kindes vorsehe.
Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) sei auch nicht darin zu sehen, dass einem Selbständigen von den zu seinen Gunsten geleisteten Vorsorgeaufwendungen im Vergleich zu pflichtversicherten Arbeitnehmern deshalb ein geringerer Betrag steuerfrei verbleibe, weil der Vorwegabzugsbetrag nach § 10 Abs. 3 EStG hinter dem nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfreien Arbeitgeberanteil zurück bleibe.
c) Im gleichen Sinne hat der XI. Senat des (BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650; Verfassungsbeschwerde anhängig unter dem Az. 2 BvR 912/03) für Streitjahre bis 1997 entschieden. Der Gesetzgeber sei nicht gezwungen, Vorsorgeaufwendungen wie Erwerbsaufwendungen zum Abzug zuzulassen. Der Senat hat seine Rechtsprechung fortgeführt und die Rechtsfrage als nicht mehr höchstrichterlich klärungsbedürftig erachtet (Beschluss vom XI B 68/01, BFH/NV 2003, 1567, und öfter, jeweils m.w.N.; s. ferner , BFH/NV 2003, 1569).
d) In seinem Urteil vom XI R 47/01 (BFH/NV 2003, 1160) hat der XI. Senat entschieden, dass die Begrenzung der steuerlich abziehbaren Vorsorgeaufwendungen und die Kürzung des Vorwegabzugs bei zusammen veranlagten Eheleuten auch dann verfassungsgemäß seien, wenn bereits die tatsächlichen Aufwendungen für die Krankheitsvorsorge die abziehbaren Höchstbeträge überschreiten. Er hat seine Rechtsauffassung mit weiterer Entscheidung vom XI R 37/02 (BFH/NV 2005, 1024) unter Bezugnahme auf sein Urteil in BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650 und auf die BVerfG-Beschlüsse in HFR 1998, 397 und in HFR 1997, 937 bestätigt. Ein beschränkter Abzug von Vorsorgeaufwendungen im Veranlagungszeitraum 1999 bei einer sechsköpfigen Familie mit einem in der Ärzteversorgung pflichtversicherten und einem nicht selbständig tätigen Ehegatten sei nicht verfassungswidrig. Diese Aufwendungen dienten nicht der aktuellen Existenzsicherung, sondern der Vorsorge (Bezugnahme auf Bareis, Erwiderung zur Kritik am „Karlsruher Entwurf”, StuW 2002, 135, 142, der sich freilich nur mit den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung befasst). Der Gesetzgeber müsse sie nicht im Umfang einer Mindestvorsorge von der Besteuerung abschirmen. Es genüge vielmehr, dass der Steuerpflichtige nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld noch ausreichende Mittel zur Verfügung habe, um seinen notwendigen Lebensunterhalt bestreiten und seine Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung leisten zu können. Die Aufwendungen für Kranken- und Pflegeversicherung dienten der vorsorgenden Absicherung bestimmter Risiken; auch ihr Abzug als Sonderausgaben sei von Verfassungs wegen nicht geboten. Weiterhin heißt es:
„Die Kläger werden auch nicht in ihren Rechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG verletzt, die eine Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen verbieten (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter B.I.2.a). Zwar sind die Abzugsbeträge für kinderlose Steuerpflichtige und Steuerpflichtige mit Kindern gleich hoch. Da die Vorsorgeaufwendungen aber bereits dem Grunde nach keine notwendigen Aufwendungen zur Sicherung des aktuellen Existenzminimums darstellen, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die gesetzliche Regelung keine zusätzlichen Abzugsbeträge für Vorsorgeaufwendungen zugunsten der zum Haushalt gehörenden minderjährigen Kinder vorsieht (BFH in BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650). Auch das BVerfG geht in dem Beschluss in HFR 2004, 690 davon aus, dass dem Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums durch den Familienleistungsausgleich bereits ausreichend Rechnung getragen wird.”
Der (HFR 2004, 690) ist ergangen zur Frage, ob die in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG vorgenommene Differenzierung der als Sonderausgaben berücksichtigungsfähigen Schulgeldzahlungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
e) Der IV. Senat des BFH (Beschlüsse vom IV R 95/99, BFH/NV 2003, 1054; vom IV B 185/02, BFH/NV 2004, 1245) und einige FG haben sich der Auffassung des XI. Senats angeschlossen (, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2004, 737; betreffend „Zukunftssicherungsleistungen” auch , juris Nr.: StRE200370850; , juris Nr.: StRE200570030).
f) Der beschließende Senat hat in seinem Urteil in BFH/NV 2005, 513 dahingestellt sein lassen, ob er dem XI. Senat (Urteil in BFHE 200, 529, BStBl II 2003, 179) darin folgen könne, dass die Begrenzung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 EStG nicht verfassungswidrig sei. Er gehe davon aus, dass eine Neuregelung zur Effektuierung des subjektiven Nettoprinzips, nach welchem indisponible Aufwendungen des Steuerpflichtigen die Steuerbemessungsgrundlage mindern müssen, von dem Regelungsauftrag und der Weitergeltungsanordnung im Urteil des BVerfG in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618 umfasst sei. Auch in seinem Beschluss vom X R 38/93 (BFH/NV 1999, 163) hat der Senat entschieden, dass die Höchstbetragsregelung des § 10 Abs. 3 EStG nicht verfassungswidrig ist.
Hierzu ist klarstellend zu bemerken, dass in jenen Verfahren die Kläger u.a. die Abziehbarkeit der Rentenversicherungsbeiträge als Werbungskosten bei den Einkünften aus § 22 EStG begehrt hatten und die Abziehbarkeit von Beiträgen zur Krankenversicherung nicht streitig war. Soweit ein Abzug dieser Zukunftssicherungsleistungen von der Steuerbemessungsgrundlage geltend gemacht worden war, beruhen diese Entscheidungen auf der Erwägung, dass der Auftrag des BVerfG an den Gesetzgeber zur Neuordnung der Besteuerung von Alterseinkünften auch die Neuregelung der steuerlichen Behandlung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen, soweit sie der Alterssicherung dienen, umfasst. In letzterer Hinsicht befindet er sich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Senate des BFH (z.B. Urteile vom III R 55/03, BFH/NV 2004, 1178; in BFHE 200, 529, BStBl II 2003, 179, mit Anmerkung von Eichborn in HFR 2003, 345; in BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650, betreffend den Veranlagungszeitraum 1997).
g) Der VIII. Senat des BFH hat in einem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom VIII B 212/04 (BFH/NV 2005, 338) ausgeführt, es sei nicht mehr klärungsbedürftig, sondern durch die Rechtsprechung des BVerfG geklärt, welche Positionen bei der Ermittlung des steuerlichen Existenzminimums eines Kindes i.S. des § 32 Abs. 6 EStG zu berücksichtigen sind und dass Vorsorgeaufwendungen nicht dazu gehören (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174). Letztere Entscheidung sei aufgrund des Vorlagebeschlusses des III. Senats des BFH in BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755 ergangen. Der III. Senat des BFH hatte jedoch vor der Entscheidung des BVerfG die in seinem Vorlagebeschluss aufgestellten Grundsätze in seinem Urteil in BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429, 432 dahin fortentwickelt und konkretisiert, dass nach seiner Auffassung bei der Ermittlung der Höhe des Existenzminimums eines Kindes im Jahre 1986 u.a. auch ein Mindestvorsorgebetrag von 200 DM zu berücksichtigen sei. Der Beschluss des VIII. Senats in BFH/NV 2005, 338 folgert hieraus: Das BVerfG sei in seinem Beschluss in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174 auf die Problematik der Vorsorgeaufwendungen nicht ausdrücklich eingegangen. Es habe ausgeführt, dass die verfassungsrechtlich vorgegebene Maßgröße des sozialhilferechtlich anerkannten existenznotwendigen Mindestbedarfs sich auf der Grundlage des BSHG von insgesamt vier Positionen errechne (s. hierzu oben III.12.). Wenn das BVerfG angesichts dessen nicht auf die Vorsorgeaufwendungen und die den Vorlagebeschluss ergänzenden Ausführungen des III. Senats eingegangen sei, habe es damit konkludent entschieden, dass auch seiner Auffassung nach Aufwendungen für den Krankenversicherungsschutz von Kindern nicht in das steuerfrei zu belassende Existenzminimum aufzunehmen seien.
VI. Auffassungen zu den Verfassungsfragen in der Literatur
1. Zum Teil wird die derzeitige Rechtslage ohne eigene Begründung als rechtens akzeptiert (Rindermann/Schlenker in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 10 EStG Rdnr. 873; Stöcker in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr. 926; Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 10 EStG Anm. 391; Bauschatz in Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 10 Rdnr. 264; ohne Stellungnahme Heinicke in Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 24. Aufl. 2005, § 10 Rdnr. 212). Hutter (in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 10 EStG Rdnr. 365) vertritt im Anschluss an die Rechtsprechung des XI. Senats des BFH die Auffassung, Vorsorgeaufwendungen seien allgemein „besonders geartete und gesicherte Sparleistungen”.
2. Die im Schrifttum wohl herrschende Meinung tritt dem entgegen.
a) Nach Auffassung von Söhn (in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10 Rdnr. S 18, 21 ff., gegen BFH in BFHE 200, 529, BStBl II 2003, 179, und gegen Weber-Grellet; s. bereits Söhn, StuW 1986, 324, 325; ders., StuW 1990, 356, 359) sind Vorsorgeaufwendungen begrifflich Ausgaben, die den Steuerpflichtigen und seine Familie vor existenzgefährdenden privaten Lebensrisiken —u.a. Krankheit, Tod, Unfall, Arbeitslosigkeit, vorzeitige Erwerbsunfähigkeit, Haftpflichtfälle— schützen und im Alter existenzsichernd sein sollen (Bezugnahme auf Tipke, StuW 1976, 157, 160). Vorsorgeaufwendungen seien „zwangsläufiger, pflichtbestimmter Aufwand” i.S. des , 1735/00 (BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534). Gehe es um den Zwang zur Vorsorge „für eine sozialgerechte persönliche und familiäre Existenz” (Lang, StuW 1974, 293, 298), könne der Gesetzgeber nicht frei entscheiden, ob er Vorsorgeaufwendungen überhaupt steuerlich abziehbar berücksichtigen wolle. In welchem Umfang diese Aufwendungen als Sonderausgaben abziehbar seien, müsse der Gesetzgeber festlegen; eine nur begrenzte Abziehbarkeit sei nicht von vornherein verfassungswidrig (Söhn, StuW 1985, 395, 404, unter Bezugnahme auf , BFHE 129, 553, BStBl II 1980, 320).
Die letztere Bemerkung ist nach Auffassung des Senats zu verstehen vor dem Hintergrund der Überlegung, dass die sog. Altersvorsorgeprodukte in unterschiedlichem Umfang erforderlich sind, und zwar in Abhängigkeit davon, ob mit ihnen existentielle Risiken abgesichert werden oder ob sie zugleich oder ausschließlich Sparcharakter haben (unten VIII.4.; allgemein zu „Vorsorgeversicherungen” Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10 Rdnr. E 2 ff.).
Söhn (in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10 Rdnr. S 21 ff.) hält einen Abzug der „indisponiblen” Vorsorgeaufwendungen —"Zwangsaufwendungen im engeren Sinne” als Pflichtvorsorgeaufwendungen, die im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung zum Schutz gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit sowie zur Sicherung im Alter gezahlt werden müssen— im Um-
fang einer Mindestvorsorge für verfassungsrechtlich zwingend. Höchstbeträge dürften nicht realitätsfremd niedrig sein (Bezugnahme auf BVerfG-Beschluss in BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357). Sie müssten mindestens so hoch sein, dass die Pflichtbeiträge pflichtversicherter Steuerpflichtiger in voller Höhe steuermindernd seien (s. bereits Söhn, StuW 1985, 395, 404). Ausgangskriterium für die Untergrenze eines Höchstbetrages sei die Überlegung, dass ein Steuerpflichtiger im Falle der Aktualisierung des Risikos nicht auf staatliche Transferleistungen (Sozialhilfe u.Ä.) angewiesen sein dürfe. Der soziale Rechtsstaat sei verpflichtet, dem Versicherten mehr Einkommen —zur Finanzierung von Vorsorgeaufwendungen— zu belassen, als der Sozialstaat dem Nichtversicherten zur Existenzsicherung gewähre. Jedenfalls die Pflichtvorsorgeaufwendungen im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung zum Schutz gegen Krankheit seien als für eine Mindestvorsorge notwendige Aufwendungen als steuerlich abziehbar zu normieren. Nichtversicherungspflichtige Steuerpflichtige müssten faktisch zwangsläufige Vorsorgeaufwendungen zum Schutz im Krankheitsfall, bei Arbeitslosigkeit und zur Alterssicherung aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) in einer Höhe abziehen können, dass eine vergleichbare Vorsorge erreichbar ist. Ob die derzeitigen Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen, müsse schon deshalb fraglich sein, weil zumindest eine ergänzende private Altersvorsorge schon seit Jahren staatlicherseits „empfohlen” und zwischenzeitlich auch —im Rahmen der sog. Riester-Rente— steuerlich gefördert werde. Pflichtversicherungsfreie Steuerpflichtige müssten aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung Vorsorgeaufwendungen, die eine vergleichbare Mindestvorsorge ermöglichen, steuermindernd geltend machen können, weil Ausgaben für eine Mindestvorsorge auch für diesen Personenkreis tatsächlich unvermeidlich seien.
b) Von Eichborn hat die Rechtsprechung des XI. Senats kritisiert (HFR 2003, 345 und 777). Der Sozialstaat Bundesrepublik könne nicht ohne angemessene Eigenvorsorge der Bürger —für die Rente ebenso wie für Krankheit— funktionieren. Es gelte das Gebot realitätsgerechter Tatbestandsgestaltung (, BVerfGE 93, 121, 136). Dafür, was eine angemessene Vorsorge Nicht-Pflichtversicherter sei und der Gesetzgeber deshalb nicht außer Acht lassen dürfe, ohne gegen das Gebot der horizontalen Gerechtigkeit zu verstoßen, könnten die Pflichtbeiträge der gesetzlichen Sozialversicherungen wesentliche Anhaltspunkte liefern. „Denn was der (Sozial-)Gesetzgeber als Pflichtbeiträge zur Sicherstellung einer sozialen Absicherung für notwendig erachtet, kann vom (Steuer-)Gesetzgeber nicht als unangemessen hohe Vorsorge der Nicht-Pflichtversicherten angesehen werden” (von Eichborn, Der Betrieb —DB— 2000, 944, 949).
c) Auch andere Autoren vertreten die Auffassung, dass Aufwendungen für eine Mindestvorsorge die subjektive Leistungsfähigkeit mindern (z.B. Birk, DStZ 1998, 74, 75; ders., Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, Verhandlungen des Österr. Juristentags, Bd. III/2, S. 53 ff., 65 f.; P. Fischer, Finanz-Rundschau —FR— 2003, 770, 774; J. Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981/88, S. 207 ff.; Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 9 Rdnr. 712). Die Gegenüberstellung mit den §§ 13, 14 BSHG verdeutliche, dass der Sonderausgabenabzug der Vorsorgeaufwendungen „nur zum geringen Teil einen existentiell notwendigen Vorsorgebedarf umfasse” (Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, 1993, S. 186; Lindberg in Frotscher, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 10 Rdnr. 222 f.; Seer, StuW 1996, 323, 333; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2003, S. 827 f.; ferner —mit zum Teil abweichender Begründung— Wernsmann, StuW 1998, 317 ff., 321 ff.).
3. Speziell zur Frage von kindbedingt erhöhten Vorsorgeaufwendungen („Kinderadditiven”) vertritt Söhn (StuW 1990, 356, 362 f.; ders. in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10 Rdnr. S 364 ff., 368) die Auffassung, die „steuertechnische” Lösung des StSenkG 1986/88 (oben III.6.) sei zwar steuersystematisch zulässig, aber nur dann, wenn der erhöhte Kinderfreibetrag nicht bereits durch laufende Unterhaltsaufwendungen aufgezehrt wurde, sondern auch Vorsorgeaufwendungen der Eltern zugunsten von Kindern mit abdecke. Dies sei indes tatsächlich eher nicht der Fall. Eltern müssten im Rahmen ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht für Kinder auch Vorsorge zum Schutz vor Krankheit, Unfall und in Haftpflichtfällen treffen und eine Hinterbliebenenversorgung sichern (ebenso von Eichborn, DB 2000, 944; P Fischer, BB 2003, 873 ff., 878).
Nach Auffassung von Jachmann (in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 32 Rdnr. A 88, unter Bezugnahme auf BFH-Urteile in BFHE 183, 538, BStBl II 1997, 692; vom VI R 147/90, BFHE 183, 544, BStBl II 1997, 694; vom VI R 114/96, BFHE 183, 549, BStBl II 1997, 697; a.A. BFH-Urteil in BFHE 173, 528, BStBl II 1994, 429) können Vorsorgeaufwendungen bei der typisierenden Bestimmung des Kindesexistenzminimums im Hinblick darauf außer Betracht bleiben, dass gemäß §§ 3, 10 SGB V Familienmitglieder —und somit auch Kinder— in der gesetzlichen Krankenversicherung ohne besondere Kosten mitversichert sind.
VII. Rechtsauffassung des erkennenden Senats zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung –Prüfungsmaßstäbe
1. Hinsichtlich der Bemessung des Existenzminimums (Grundfreibetrag) folgert das BVerfG aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und Art. 6 Abs. 1 GG die Verpflichtung des Staates, dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei zu belassen, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein für sich und seine Familie benötigt wird (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 82, 60, 85, BStBl II 1990, 653). Es wäre inkonsequent, wenn der Staat nach den genannten Verfassungsnormen dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen sichern müsste, jedoch dem steuerpflichtigen Bürger das selbst erzielte Einkommen bis zu diesem Betrag (Existenzminimum) entziehen könnte mit der Folge, dass er den Bedürftigen und seine Familie mit Sozialleistungen unterstützen müsste.
2. Einfachgesetzlicher Bezugspunkt (sedes materiae) der verfassungsrechtlichen Problematik ist der Sonderausgabenabzug, nicht das steuerfreie Existenzminimum aller Steuerpflichtigen oder —rechtstechnisch berücksichtigt mit dem Kindergeld oder Kinderfreibetrag— dasjenige von Kindern. Eine gleichheitsgerechte Regelung muss bei den „Sonder"-Ausgaben des § 10 EStG ansetzen, weil nicht alle Steuerpflichtigen Vorsorge gegen existentielle Wechselfälle des Lebens wie Krankheit, Unfall und Inanspruchnahme auf Haftpflicht treffen - aus unterschiedlichen Gründen, sei es, dass sie aus Sorglosigkeit oder aus anderen Gründen keinen „Versicherungsdruck” verspüren, sei es, dass insbesondere nahe Angehörige in den gesetzlichen Krankenversicherungen kostenfrei mitversichert werden, sei es, dass —so etwa von beihilfeberechtigten öffentlich Bediensteten— nur ein Teilrisiko versichert wird. Alle Menschen müssen sich kleiden, ernähren und wohnen. Ein vergleichbarer existentieller Zwang zum Erwerb von Versicherungsschutz besteht nicht. Nur wer eine Mindestvorsorge für existenzbedrohende Risiken tatsächlich leistet und sich nicht auf sein Vermögen oder aber darauf verlässt, von der Allgemeinheit mittels sozialhilferechtlicher Leistungen aufgefangen zu werden, hat Anspruch auf steuerliche Entlastung nach den Grundsätzen über die Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit. Ungeachtet der hierdurch bedingten Rechtstechnik —Vorsorgeaufwendungen sind rechtssystematisch den Sonderausgaben zuzurechnen— sind im Umfang der existentiell notwendigen Mindestvorsorge die tendenziell strikteren Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen bei der steuerrechtlichen Freistellung des Familienexistenzminimums einschlägig.
3. Die geltende Höchstbetragsregelung verstößt nach Auffassung des Senats gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in der Ausprägung des Grundsatzes der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit. Soweit Vorsorgeaufwendungen unvermeidbare Privatausgaben sind, liegt in der Abzugsfähigkeit die Verwirklichung einer verfassungsrechtlich geforderten leistungsfähigkeitskonformen Besteuerung. Vorsorgeaufwendungen müssen abziehbar sein, soweit sie eine Mindestvorsorge für eine sozialgerechte, persönliche und familiäre Existenz ermöglichen sollen. In diesem Umfang ist der Abzug von Aufwendungen für eine angemessene Mindestvorsorge indisponibel (vgl. Söhn, StuW 1990, 356, 359 f.).
a) Beiträge für Versicherungen gegen existentielle Lebensrisiken —insbesondere Krankheit, Unfall, Haftpflicht— sind nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 EStG indisponible („unvermeidbare”) Aufwendungen, die gemäß dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit die steuerliche Bemessungsgrundlage ungeachtet dessen mindern müssen, ob der Steuerpflichtige diese Aufwendungen —nach Entrichtung der tariflich geschuldeten Einkommensteuer— aus seinem Nettoeinkommen bestreiten kann. Diese Wertung wird durch die vom Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG getroffene Entlastungsentscheidung nur dem Grunde nach vorgegeben und in § 10 Abs. 3 EStG in Abhängigkeit von der Veranlagungsart der Höhe nach spezifiziert.
b) Indem das geltende Recht keine sog. Kinderadditive vorsieht, verstößt der Gesetzgeber gegen die von ihm selbst statuierte Sachgesetzlichkeit, weil und soweit er die zusätzlichen individuell kinderbezogenen Vorsorgelasten von Eltern nicht berücksichtigt. Aus Gründen der Systemgerechtigkeit sowie der Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist es dem Gesetzgeber verwehrt, die Berücksichtigung gerade von Kindern aus einem folgerichtigen Konzept der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit auszublenden. Vorsorgelasten obliegen den Eltern kraft ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht (§§ 1626 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB—) insofern, als sie Vorsorge zum Schutz der Kinder jedenfalls im Krankheitsfall, bei Unfällen und in Haftpflichtfällen treffen sowie eine Hinterbliebenenversorgung sichern müssen. Eine diesbezügliche Benachteiligung von Eltern mit Kindern durch die Versagung des Sonderausgabenabzugs widerspricht dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG.
4. Prüfungsmaßstäbe sind sowohl Art. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des GG (Art. 20 GG), der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und —soweit es um die steuerliche Berücksichtigung kindbedingter Unterhaltspflichten geht— der Schutz der Ehe und Familie (Art. 6 GG).
a) Im Einkommensteuerrecht wird die finanzielle Leistungsfähigkeit ausschließlich durch das verfügbare Einkommen eines Steuerpflichtigen bestimmt (, 1335/78, 1104/79 und 363/80, BVerfGE 61, 319, und , BVerfGE 87, 153). Der für den Lebensunterhalt des Steuerpflichtigen und den Unterhalt seiner Kinder benötigte Teil des Einkommens ist nicht disponibel und deshalb dem Zugriff der Einkommensteuer entzogen. Diesem Gebot der steuerlichen Verschonung des für die Steuerzahlung nicht verfügbaren Einkommens trägt das Einkommensteuerrecht —jedenfalls im hier fraglichen sachlichen Umfang des Erwerbs von Versicherungsschutz— durch den Sonderausgabenabzug, ferner durch die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG sowie durch weitere Vorschriften Rechnung, durch die berücksichtigt wird, dass unvermeidbare („indisponible”) Aufwendungen dem Steuerpflichtigen zum Steuernzahlen nicht zur Verfügung stehen.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (zusammenfassend Beschluss in BVerfGE 99, 246, 259 f., BStBl II 1999, 174, m.w.N.; neuestens , DStR 2005, 911, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) fordert das GG, dass existenznotwendiger Aufwand in angemessener, realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freigestellt wird. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist der sich aus Art. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ergebende Grundsatz, dass der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muss, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Der existenznotwendige Bedarf bildet von Verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer, die über-, aber nicht unterschritten werden darf. Mindestens das, was der Gesetzgeber dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln als Sozialhilfe zur Verfügung stellt, muss er auch dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbseinkünften belassen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 87, 153, 171; vom 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93, 111; in BVerfGE 99, 246, 260, BStBl II 1999, 174).
Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in Gestalt des subjektiven Nettoprinzips verlangt ferner, dass unvermeidbare Ausgaben, die in der privaten Sphäre anfallen, die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer mindern.
Aus den genannten Verfassungsnormen, zusätzlich aber auch aus Art. 6 Abs. 1 GG, folgt zudem, dass bei der Besteuerung der Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben muss (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 82, 60, 85, BStBl II 1990, 653; vgl. Wernsmann, StuW 1998, 317 ff., 323 f.).
Zu der dem Steuerpflichtigen und seiner Familie danach zustehenden Mindestausstattung gehört auch eine Absicherung gegen die existentiellen Risiken der Erwerbsunfähigkeit, der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit. Die hierfür dem Grunde und der Höhe nach notwendigen Aufwendungen werden nach der Konzeption des EStG im Rahmen der nachzuweisenden Sonderausgaben berücksichtigt (oben 2.).
c) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. , BVerfGE 98, 365). Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale beim Vergleich von Lebenssachverhalten er als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln (, BVerfGE 50, 57, 77). Die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Gleichheitssatz bei der Regelung von Sachfragen Differenzierungen erlaubt, ist wesentlich nach der Eigenart des jeweiligen Sachbereichs —"bereichsspezifisch"— zu beurteilen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 93, 121). In seiner Ausprägung als „horizontale Steuergleichheit” gebietet der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern.
d) Die für die einkommensteuerliche Lastengleichheit maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Für den Bereich des subjektiven Nettoprinzips ist das Verfassungsgebot der Verschonung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner Familie zu beachten (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27, 48, BStBl II 2003, 534 – doppelte Haushaltsführung). Auch Bezieher höherer Einkommen müssen je nach Einkommen gleich hoch besteuert werden; eine verminderte Leistungsfähigkeit durch die Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind muss dementsprechend bei allen Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz sachgerecht berücksichtigt werden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 246, 260 ff., BStBl II 1999, 174).
e) Die bereichsspezifische Ausprägung des verfassungsrechtlichen Gebots der Folgerichtigkeit besagt, dass der Gesetzgeber zwar bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum hat. Nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes —hier: Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen dem Grunde nach— hat der Gesetzgeber aber die einmal getroffene Belastungs- bzw. Entlastungsentscheidung folgerichtig im Sinne einer Belastungsgleichheit umzusetzen (vgl. BVerfG-Entscheidungen vom 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C.I.1.c; vom 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671; in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655, unter C.II.1.d; vom 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, HFR 1999, 292, unter C.I.1.; Vorlagebeschlüsse des erkennenden Senats vom X R 171/96, BFHE 188, 69, BStBl II 1999, 450, unter B.III.2., und vom X R 60/95, BFHE 189, 479, BStBl II 2000, 131, unter B.III.2.; vom X R 32-33/01, BFHE 197, 199, BStBl II 2002, 183, jeweils m.w.N. der Rechtsprechung des BVerfG; zu System- und Sachgerechtigkeit sowie Folgerichtigkeit Osterloh in Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 3 Rdnr. 98 ff., 142). Zugleich sind die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG zu beachten. Eine unterschiedliche steuerliche Belastung bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, auf welche der „zählbar gemachte Belastungsgrund” abzielt, durchbricht eine vom Gesetz selbst statuierte Sachgesetzlichkeit. Aus dem Gebot der Folgerichtigkeit ergibt sich, dass für Abweichungen von der Sachgesetzlichkeit erhöhte Begründungsanforderungen gelten (vgl. Osterloh, a.a.O., Art. 3 Rdnr. 98 ff.; Klaus Vogel, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft —DStJG— 12 (1988), S. 123, 126 ff., 138 ff.). Das Gewicht der für die Abweichung sprechenden Gründe muss der Intensität der getroffenen Ausnahmeregelung entsprechen (vgl. —zur Indizwirkung der „Sachgesetzlichkeit"— BVerfG-Entscheidungen vom 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, 103, 115; vom 1 BvL 39/80, BVerfGE 61, 138, 148).
f) Bei der verfassungsrechtlich gebotenen einkommensteuerrechtlichen Freistellung des Familienexistenzminimums, der differenzierenden Würdigung und Berücksichtigung auch von Aufwendungen jenseits des Existenzminimums, jedoch innerhalb der grundrechtlich geschützten Sphäre privater Lebensführung (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27, 49, BStBl II 2003, 534), sowie bei der grundsätzlichen Ausrichtung der Steuerbelastung an der wirtschaftlichen bzw. finanziellen Leistungsfähigkeit (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 82, 60, 86, BStBl II 1990, 653) unterliegt der Gesetzgeber tendenziell strikteren Bindungen als bei sozialrechtlichen Regelungen zur Förderung der Familie (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, 436, m.w.N.; in DStR 2005, 911, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260). Dabei bildet das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum, die über-, aber nicht unterschritten werden darf (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174; in DStR 2005, 911, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260). Die besondere Belastungssituation der Eltern muss berücksichtigt werden (ständige Rechtsprechung des BVerfG, z.B. Beschlüsse vom 1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242, 257, 263; vom 1 BvR 1681/94, 1 BvR 2491/94, 1 BvR 24/95, BVerfGE 103, 271). Der Staat darf auf die Mittel, die für den Unterhalt von Kindern unerlässlich sind, bei der Besteuerung nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf Mittel, die der Bürger zur Befriedigung beliebiger anderer Bedürfnisse einsetzen kann (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534). Es geht hier um die Erfüllung und Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrags des Art. 6 Abs. 1 GG mit der Zielsetzung, die im Vergleich mit Kinderlosen verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit der Familie teilweise auszugleichen (vgl. BVerfG-Beschluss in DStR 2005, 911, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260).
g) Das Gebot, bei allen Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz die existenznotwendigen Mindestaufwendungen für den Kindesunterhalt in der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen, ergibt sich auch aus dem Grundsatz der Folgerichtigkeit. Diesem Grundsatz widerspräche es, wenn im Fall der Kombination von Kinderfreibetrag und Kindergeld, wie sie der Gesetzgeber des JStG 1996 gewählt hat, die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit nicht ebenso voll berücksichtigt würde, wie es der Fall wäre, wenn diese Minderung der Leistungsfähigkeit allein durch einen steuerlichen Freibetrag Berücksichtigung fände (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 82, 60, 97, BStBl II 1990, 653; in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174; , BFHE 207, 471, BFH/NV 2005, 443).
VIII. Rechtsauffassung des erkennenden Senats zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung – Anwendung der Prüfungsmaßstäbe
1. Der Gesetzgeber hat von Verfassungs wegen zu berücksichtigen, dass Vorsorgeaufwendungen der Höhe nach jedenfalls zwangsläufig sind, soweit sie eine Mindestvorsorge für eine sozialgerechte, persönliche und familiäre Existenz ermöglichen sollen. Insoweit ist auch der Umfang der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen für den —einfachen— Gesetzgeber indisponibel. Die (Mindest-)Vorsorge für den Krankheitsfall führt zu Aufwendungen, welche die subjektive steuerliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653) unvermeidbar mindern und für ihn indisponibel sind. Nur das nach dem Abzug zwangsläufiger Privatausgaben verbleibende Einkommen kann der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Insofern geht es vorliegend nicht um eine Steuervergünstigung, die zur Disposition des „einfachen” Steuergesetzgebers stünde.
2. Es entspricht der in der Literatur herrschenden Meinung, dass der Gesichtspunkt der Subsidiarität sozialstaatlicher Unterstützung den Vorrang der Eigenvorsorge einschließt (z.B. Söhn, StuW 1990, 356; Seer, StuW 1996, 323; von Eichborn, DB 2000, 944). Dieser Auffassung und der von dieser gegebenen Begründung schließt sich der Senat nach näherer Maßgabe der folgenden Ergänzungen an.
a) Die steuerliche Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen war nach früherer Auffassung eine Vergünstigung, die sich „aus dem Wollen des Gesetzgebers” ergab (so ausdrücklich Bericht der Einkommensteuerkommission, Schriftenreihe des BdF, Heft 7, 1963, S. 140) und den „Charakter einer Steuervergünstigung” hatte (, BFHE 117, 72, BStBl II 1976, 69; vom VI R 167/74, BFHE 120, 398, BStBl II 1977, 154; kritisch hierzu m.w.N. Söhn, StuW 1990, 356, 358 f.). Werden die Verfassungsgrundsätze über die Steuerfreiheit des sog. Existenzminimums folgerichtig weiterentwickelt, ist diese Auffassung abzulehnen. Die Absicherung gegen existenzgefährdende Wechselfälle des Lebens ist zwingendes Erfordernis einer „sozialgerechten Existenz” (J. Lang, StuW 1974, 293, 298). Versicherungsschutz insbesondere gegen Krankheit ist existentiell notwendig.
b) Dies ergibt sich aus zahlreichen inhaltsgleichen Wertungspositionen, die ohne Verstoß gegen die Einheit der Rechtsordnung und die Kohärenz des Rechts —letzterer Begriff im Sinne einer Wertungsgleichheit— auch im vorliegend erörterten Sachzusammenhang nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
aa) Das Leistungsvolumen der Sozialhilfe liefert den vom Gesetzgeber anerkannten Maßstab des steuerlich realitätsgerechten Grundbedarfs. Im BSHG (jetzt: SGB XII) finden Vorsorgeaufwendungen mehrfach Berücksichtigung. Gemäß § 12 Abs. 1 BSHG (jetzt: § 27 Abs. 1 SGB XII) umfasst der „notwendige Lebensunterhalt” u.a. insbesondere Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Einmalige Leistungen werden jeweils gewährt, wenn der konkrete Bedarf besteht. Dem Existenzminimum eines Kindes liegen die gleichen Komponenten zugrunde wie dem Existenzminimum eines Steuerpflichtigen. Für jedes Kind einer Familie wird das Existenzminimum gleich hoch angesetzt. Vorsorgeaufwendungen sind in die Berechnung des Existenzminimums nicht einbezogen. Angemessene Beiträge für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung werden durch §§ 13 f. BSHG (§§ 32 f. SGB XII) als notwendig anerkannt (vgl. Fichtner/Wenzel, Bundessozialhilfegesetz, 2. Aufl. 2003, § 13 Anm. 3 f.). Nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG (§ 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII) sind im Rahmen der für die Bemessung der Bedürftigkeit i.S. des BSHG erforderlichen Einkommensermittlung u.a. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, vom Einkommen abzusetzen. Jedermann muss sich durch die Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen eine eigenverantwortliche Vorsorge mindestens in der Höhe sichern können, wie sie der Staat Bürgern ohne Eigenvorsorge nach sozialrechtlichen Vorschriften zur Verfügung stellt. Soweit keine Versicherungsleistungen erbracht werden, ist Kranken nach §§ 36 ff. BSHG (§§ 47 ff. SGB XII) Krankenhilfe/Hilfe zur Gesundheit und Pflegebedürftigen nach § 68 BSHG (§§ 61 ff. SGB XII) Hilfe zur Pflege zu gewähren. Denn die Fürsorge für Menschen, die im Alter zu den gewöhnlichen Verrichtungen des Lebens aufgrund von Krankheit und Behinderung nicht in der Lage sind, gehört zu den sozialen Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft.
bb) Die sozialstaatlich gebotene Vorsorge muss in der Weise ausgestaltet werden, dass der Steuerpflichtige dann, wenn sich ein existentielles Risiko aktualisiert, nicht auf staatliche Transferleistungen —insbesondere auf Sozialhilfe— angewiesen ist. Dies war seit jeher Hauptziel der Sozialgesetzgebung insofern, als die Sozialversicherung seit den Tagen ihrer Gründung „ihr besonderes Ethos darin (findet), dass sie dem einzelnen Schutz aufgrund eigener Vorsorge vermittelt. Wer versichert ist, verlässt sich nicht auf fremde Hilfe, er erbringt vielmehr Leistungen für die eigene Sicherheit…Sozialversicherte sind von Beginn an Träger eigener Rechte gewesen, nicht…Objekte einer Verwaltungsverantwortung, die primär an der Gewährleistung der öffentlichen Ordnung ausgerichtet war” (Friedhelm Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, 2000, S. 10 ff.; Hervorhebung im Original). Die Wertung, dass der Gesetzgeber diesbezügliche Sozialversicherungspflichten begründet hat, ist aus Gründen der Folgerichtigkeit der Rechtsordnung auch im Steuerrecht zu beachten. Eine gesetzliche Versicherungspflicht ist nur zur Finanzierung solcher Leistungen gerechtfertigt, deren Inanspruchnahme notwendig ist.
cc) Der existentielle Charakter der Risiken wird in den Urteilen des BVerfG zur Pflegeversicherung betont (vom 1 BvR 81/98, BVerfGE 103, 225, 235, 240; vom 1 BvR 2014/95, BVerfGE 103, 197, 217, 223). Die Pflegeversicherung ist ebenso wie die Krankenversicherung Teil einer existenziellen Vorsorge (von Eichborn, DStR 2003, 1515, 1516) und gehört dem Grunde nach zur existentiellen Mindestvorsorge (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 103, 225: „Versicherung, die ein existenzielles Risiko absichern soll”, wobei „Schutzbedarf bei allen besteht”). Sie dient der Abdeckung „allgegenwärtiger Risiken” (BVerfG-Urteil in BVerfGE 103, 197, 223). Die Pflegeversicherung ist Aufgabe des zur sozialpolitischen Gestaltung berufenen Gesetzgebers. Dem Staat ist die Wahrung der Würde des Menschen im Falle von Krankheit und Behinderung besonders anvertraut (Art. 1 Abs. 1 GG; BVerfG-Urteil in BVerfGE 103, 197). Es ist ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, die sich aus der Pflegebedürftigkeit ergebenden finanziellen Belastungen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen abzumildern, um einer allein im Pflegebedarf begründeten Abhängigkeit von Sozialhilfeleistungen vorzubeugen.
dd) Nach dem Beschluss des BVerfG in DStR 2005, 911, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 dürfen die für Rechnung eines unterhaltsberechtigten Kindes abgeführten Sozialversicherungsbeiträge nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einbezogen werden. Die Begrenzung des Anspruchs auf Kinderfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG und auf Kindergeld gemäß §§ 62 ff. EStG nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist dem Regelungsbereich der verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums zuzuordnen. Hier unterliegt der Gesetzgeber tendenziell strikteren Bindungen als bei sozialrechtlichen Regelungen zur Förderung der Familie. Auch für die Würdigung der Kindergeldregelungen in ihrer sozialrechtlichen Funktion bleibt verfassungsrechtlich von Gewicht, dass der Gesetzgeber diese Regelungen in ein abgestimmtes System von Steuerentlastung und Sozialleistung eingefügt hat und dass es in jedem Fall auch um die Erfüllung und Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrags des Art. 6 Abs. 1 GG geht mit der Zielsetzung, die im Vergleich mit Kinderlosen verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit der Familie teilweise auszugleichen. Das BVerfG hat es als verfassungswidrig angesehen, wenn ein solcher Ausgleich im Falle des Bezugs sozialversicherungspflichtiger Einkünfte versagt wird, „obwohl Einkünfte in Höhe der gesetzlichen Pflichtbeiträge für den laufenden Unterhalt des Kindes, unabhängig von einer Willensbetätigung der Beteiligten, von vornherein nicht verfügbar sind und deshalb eine unmittelbare Erhöhung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern nicht bewirken können”. „In Höhe dieser Beiträge, die vom Arbeitgeber abgeführt werden und deshalb nicht in den Verfügungsbereich des Arbeitnehmers gelangen, können Einkünfte des Kindes keine Minderung der Unterhaltslasten und somit auch keine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der unterhaltsverpflichteten Eltern bewirken - unabhängig von deren Willen und vom Willen des unterhaltsberechtigten Kindes.”
ee) Angesichts der möglichen Höhe von Krankheitskosten geht die Rechtsprechung zum Versorgungs- und Beihilferecht der Beamten davon aus, dass die Eigenvorsorge nur durch den Abschluss einer angemessenen Krankenversicherung zu bewerkstelligen ist. Das (BVerwGE 109, 331) entschieden, dass die Kündigung der Krankenversicherung bei nachfolgendem Bezug von Krankenhilfe gemäß § 37 BSHG grundsätzlich ein sozialwidriges Verhalten i.S. von § 92a Abs. 1 Satz 1 BSHG darstellt. Gemäß letzterer Vorschrift ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer als Volljähriger „die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe an sich selbst oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat”. Die Sozialwidrigkeit des besagten Verhaltens begründet das BVerwG wie folgt:
„Krankheit ist bekanntermaßen eines der Hauptrisiken des Lebens, das jeden jederzeit unvorbereitet und mit beträchtlichen finanziellen Folgen treffen kann…Deswegen muss, soweit keine Pflichtversicherung besteht, von dem nicht anderweit gesicherten Bürger erwartet werden, Vorsorge für den Krankheitsfall durch Krankenversicherungsschutz zu treffen oder diesen aufrechtzuerhalten. Mit Recht haben die Vorinstanzen es missbilligt, wenn jemand einen vorhandenen Versicherungsschutz aufgibt und sich stattdessen auf sein Recht auf Krankenhilfe verlässt ...
Nicht nur derjenige, der bereits erkrankt ist oder der die Notwendigkeit einer Heilbehandlung bereits absehen kann und gleichwohl ohne sonstige Vorsorge die Krankenversicherung kündigt, handelt sozialwidrig, sondern grundsätzlich auch der, der den Versicherungsschutz in der Hoffnung aufgibt, dass keine Krankheit auftritt, deren Kosten er nicht bestreiten kann. Auch wer jung und gesund ist, handelt leichtfertig, wenn er ausschließlich auf seine fortdauernde Gesundheit vertraut...”
Das BVerwG fährt fort: Kann der Hilfsbedürftige die Mittel für eine Versorgung im Krankheitsfall nicht selbst aufbringen, obliegt es nicht ihm, zwischen Hilfe nach § 13 BSHG und Hilfe nach § 37 BSHG zu wählen. Vielmehr muss er es dem Sozialhilfeträger, der die Mittel für seine Versorgung im Krankheitsfall aufbringt, überlassen, ob dieser schon vor Eintritt eines Krankheitsfalles die Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung als Ermessensleistung (§ 13 Abs. 2 BSHG) übernehmen oder erst im Krankheitsfall Krankenhilfe nach § 37 BSHG leisten will. Wer etwa als Student (vgl. § 26 BSHG) keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat, hat nach dem speziellen Ausbildungsförderungsrecht —hier: § 13 Abs. 2a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG)— Anspruch auf den notwendigen Lebensunterhalt, zu dem auch die Aufrechterhaltung der Krankenversicherung gehört, „denn sie stellt eine typische Vorsorgemaßnahme dar, die regelmäßig jedermann trifft”.
ff) Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss die amtsangemessene Alimentation des Beamten von Verfassungs wegen die Kosten einer Krankenversicherung decken, die zur Abwendung krankheitsbedingter, durch Leistungen aufgrund der Fürsorgepflicht nicht ausgeglichener Belastungen erforderlich ist (vgl. , BVerfGE 83, 89, m.w.N.).
3. In Abgrenzung zur Rechtsprechung des XI. Senats bemerkt der beschließende Senat, dass Versicherungen, die lediglich ein Risiko abdecken, keine Sparleistung enthalten, weil die Beiträge, die nicht für die Regulierung eines dem Versicherten zugestoßenen Versicherungsfalles benötigt werden, versicherungstypisch „umverteilt” werden. Die Versicherung ist angelegt auf „die Deckung eines im Einzelfall ungewissen, insgesamt aber schätzbaren Geldbedarfs auf der Grundlage eines durch Zusammenfassung einer genügend großen Zahl von Einzelwirtschaften herbeigeführten Risikoausgleichs (Karl Hax, Grundlagen des Versicherungswesens, 1964, S. 22; weitere in der Sache übereinstimmende Definitionen werden nachgewiesen bei Friedhelm Hase, a.a.O., S. 40 ff.). Hiermit steht in Einklang, dass nach Auffassung des BVerfG zum „Wesen der Sozialversicherung” „die gemeinsame Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit” gehört ( 1 BvR 190 u.a./58, BVerfGE 11, 105, 112 – Hervorhebung nicht im Original).
Zu Recht geht die herrschende Meinung davon aus, dass der Gesetzgeber Vorgänge des Sparens bzw. der Vermögensbildung aus der steuerlichen Förderung des Vorsorgeaufwands ausschließen kann. Letztere Wertung liegt dem AltEinkG insofern zugrunde, als reine Risikoversicherungen, die definitionsgemäß keinen Sparanteil enthalten, privilegiert sind. In dieser Hinsicht folgerichtig unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Vorsorgeformen mit Sparcharakter und „echten Altersvorsorgeprodukten” („Produkte der ersten und zweiten Schicht”): Die Ablaufleistung darf nicht vererblich sein (vgl. Abschlussbericht der Sachverständigenkommission, a.a.O., S. 13 ff.). Diese gedankliche Grundlage des „Drei-Schichten-Modells” führt zur Begünstigung reiner Risikoversicherungen und damit zu einer gleichheitsgerechten Abschichtung von Kapitalanlageprodukten, die wie „das ,normale' Sparen im Sinne von Vermögen bildendes Investieren” aus versteuertem Einkommen vom Steuerpflichtigen nach seinem Gutdünken erworben werden können.
4. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind Beiträge für eine Krankenversicherung nicht nur „in die Zukunft gerichtet”. Der Gegenwartsbezug des Versicherungsschutzes ergibt sich daraus, dass sich das versicherte Risiko —die Krankheit— jederzeit aktualisieren kann. Dies ist auch die Sicht des Zivilrechts: Die Hauptleistungspflicht des Versicherungsträgers liegt in der Übernahme der versicherten Gefahr und nicht erst in der Geldleistung bei Eintritt des Versicherungsfalls, so dass der Versicherungsschutz der Natur der Sache nach stets aktuell Sicherheit bietet (zum Problem: Weyers, Versicherungsvertragsrecht, 1995, Rdnr. 376 ff.; Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, 2000, S. 337; Hase, a.a.O., S. 96 ff., zum Gegensatz von „Gefahrtragungstheorie” und Geldleistungstheorie).
5. Ein kompensatorischer Hinweis auf die Abziehbarkeit tatsächlich angefallener Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung verbietet sich im Hinblick darauf, dass eine solche steuerliche Entlastung nur dann eingreifen kann, wenn und soweit überhaupt Mittel zur Verfügung stehen, um vorab die Aufwendungen zu tragen. Der Abzug dieser Aufwendungen von der Bemessungsgrundlage, wenn er sich —was bei Beziehern kleiner Einkommen und/oder wegen der Anrechung der zumutbaren Eigenbelastung (§ 33 Abs. 1, 3 EStG) fraglich ist— überhaupt steuerlich auswirkt, bringt es mit sich, dass die Aufwendungen nicht erstattet, sondern nur in Abhängigkeit vom individuellen Steuersatz entlastend berücksichtigt werden.
6. Der Senat hat erwogen, ob die Zwangsläufigkeit der Beiträge zu Krankenversicherungen in dem Umfang versagt werden kann, wie die Beiträge zur privaten Krankenversicherung diejenigen zur gesetzlichen Krankenversicherung übersteigen. Solches wäre allenfalls anzunehmen, wenn die Entscheidung gegen die gesetzliche Krankenversicherung als Obliegenheitsverletzung die Zwangsläufigkeit späterer —höherer— Ausgaben in Frage stellen würde. Dies ist indes zu verneinen. Es lässt sich nicht mit der gebotenen Bestimmtheit sagen, dass zu dem Zeitpunkt, in dem die Kläger über eine endgültige Festlegung ihres Versicherungsstatus durch eine —rechtlich mögliche— Wahl zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu befinden hatten, die gesetzliche Krankenversicherung eindeutig günstiger war als die private. Die maßgeblichen —objektiven (tariflichen) und subjektiven— Entscheidungskriterien für die Wahl der „richtigen” Versicherungsform waren vielfältig. Eine private Krankenversicherung konnte auch bei Vorhandensein mehrerer Familienmitglieder „konkurrenzfähig” sein. In Bezug auf den Familienstand war zu berücksichtigen, dass ein junger lediger Angestellter für einen Beitrag, der erheblich unter dem der gesetzlichen Krankenversicherung lag, einen ausreichenden privaten Krankenversicherungsschutz erlangen konnte. Berufstätige Ehepaare konnten durch die Befreiung eine sonst kostspielige Doppelversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung vermeiden (vgl. A. Bauer, Gesetzliche und private Krankenversicherung – Die Wahlmöglichkeiten nach dem Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetz, BB Beilage zu Heft 33/1970, S. 1 ff., 5 ff.; Fritzsche, Gesetzliche und private Krankenversicherung – Darstellung der beiden Versicherungen und der Entscheidungskriterien nach dem Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetz, DB Beilage zu Heft 1/1971, S. 1 ff., 24 ff.). Vorteile bzw. Nachteile ergaben sich aus nicht planbaren Änderungen der Erwerbs- und Familienbiographie.
IX. Rechtsauffassung des erkennenden Senats zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung – Benachteiligung von Eltern mit Kindern
Wie dargelegt sind nach geltendem Recht die steuerlichen Abzugsbeträge für kinderlose Steuerpflichtige und für Steuerpflichtige mit Kindern gleich hoch. Den für die Kinder notwendigen Mindestvorsorgeaufwendungen wird auch nicht etwa im Rahmen der Regeln des Familienlastenausgleichs Rechnung getragen.
Durch die Versagung einer Kinderkomponente beim Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen als Sonderausgaben werden Eltern mit Kindern benachteiligt. Dies widerspricht dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG und dem Verfassungsauftrag, deren Situation schrittweise zu verbessern, um einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 103, 242 – Pflegeversicherung). Zu einer Vorsorge der Eltern für Kinder gehören der Krankenversicherungsschutz, Unfall- und Haftpflichtversicherung sowie gegebenenfalls Vorsorge für den Fall, dass die Eltern vorzeitig versterben (von Eichborn, DStR 2003, 1515, 1517, unter Bezugnahme auf BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534). Die Höchstbetragsregelung des § 10 Abs. 3 EStG verstößt damit auch gegen Art. 6 Abs. 1 GG, der eine Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen verbietet (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter B.I.2.a).
Zwar ist das hier erörterte Problem für die meisten Steuerpflichtigen nicht relevant, da fast 90 v.H. der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind und diese ohne Auswirkung auf die Beitragshöhe als Familienversicherung ausgestaltet ist, Kinder ohne versicherungspflichtige eigene Einkünfte also beitragsfrei mitversichert sind (§ 10 SGB V sowie für die Pflegeversicherung § 25 SGB XI; vgl. BVerfG-Beschluss in DStR 2005, 911, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260). Gleichwohl würde es den Rahmen zulässiger Typisierung sprengen, wollte man dies für die betroffene Gruppe unberücksichtigt lassen. Denn die Ausübung versicherungsfreier Tätigkeiten ist ungeachtet des genannten Prozentsatzes Teil der sozialen Normalität und damit „typischer Fall der Normanwendung”. Ein verwaltungstechnischer Typisierungsvorteil kommt nicht in Betracht, zumal auch angesichts einer eindeutigen rechtlichen Abgrenzbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen und der leichten Feststellbarkeit ihrer tatsächlichen Höhe der Gewinn an Praktikabilität des Verfahrens nicht erheblich ins Gewicht fällt. Wie der vorliegende Fall zeigt, wäre eine Typisierung in Anbetracht ihrer betragsmäßigen Auswirkung nicht mehr hinnehmbar (zu den Grenzen einer zulässigen Typisierung s. auch BFH-Beschluss in BFHE 207, 471, BFH/NV 2005, 443).
Wollte man die Notwendigkeit eines eigenen Krankenversicherungsschutzes für Kinder leugnen, wäre dies ein Verstoß gegen die vom Gesetzgeber statuierte Sachgesetzlichkeit, die in einem System steuerlich abziehbarer Vorsorgeaufwendungen einschließlich ausdrücklich erwähnter Kosten für die Krankenversicherung normiert ist.
C. Entscheidungserheblichkeit der Vorlage
Der Senat hat das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zu den Vorlagefragen einzuholen, da es für die Entscheidung des Streitfalles auf die Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG ankommt (Art. 100 Abs. 1 GG; § 80 Abs. 1 BVerfGG).
Die Kläger sind durch die nach Auffassung des beschließenden Senats verfassungswidrige Begrenzung des Sonderausgabenabzugs betroffen.
1. Erweist sich § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG als mit der Verfassung vereinbar, wäre die Revision gegen das klagabweisende Urteil des FG hinsichtlich der Abziehbarkeit von Beiträgen zu privaten Krankenversicherungen als unbegründet zurückzuweisen. Hält das BVerfG hingegen die Versagung bzw. je nach Sachlage die betragsmäßige Begrenzung des Sonderausgabenabzugs für Krankenversicherungsbeiträge für verfassungswidrig und erklärt es die genannten Bestimmungen insoweit für unvereinbar mit dem GG, so muss der Gesetzgeber eine Neuregelung treffen. Für die Kläger besteht dann die Chance, auch persönlich in den Genuss einer für sie günstigen Regelung zu gelangen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 61, 138, 146, und vom 2 BvL 39, 40/93, BVerfGE 93, 386, 395).
2. Im derzeitigen Stadium des Verfahrens kann hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen offen bleiben, in welcher Höhe exakt der existentiell erforderliche Aufwand der Kläger für ihre eigene Mindestvorsorge zu beziffern ist. Jedenfalls ist es ausgeschlossen, dass die Kläger mit einem —anteiligen (oben B.II.3.)— Sonderausgabenbetrag von 6 700 DM für sich selbst und ihre Kinder einen Krankenversicherungsschutz mit einem der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbaren Leistungsniveau erwerben konnten. Erforderlichenfalls wird der Gesetzgeber festlegen müssen, bis zu welcher Höhe der Sonderausgabenabzug nachzubessern ist.
Hinsichtlich der für die Kinder aufzuwendenden Beiträge zu Krankenversicherungen steht fest, dass insoweit eine Aufstockung des Sonderausgabenabzugs zwecks Mindestvorsorge geboten ist.
3. Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt verneint werden, dass die Kläger im vorliegenden Verfahren eine Begünstigung der hier fraglichen Einkünfte für das Streitjahr nicht erreichen könnten (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 197, 199, BStBl II 2002, 183, unter C.II.). Für die Zulässigkeit der Vorlage kommt es nicht darauf an, ob im Fall der Unwirksamkeit der zur Prüfung gestellten Norm zu erwarten ist, dass das BVerfG die weitere Anwendung der verfassungswidrigen Norm für einen Übergangszeitraum anordnen wird (BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvL 12/85, BVerfGE 72, 51, 62; in BVerfGE 87, 153, 180; in BVerfGE 93, 121, 131; Senatsbeschluss in BFHE 197, 199, BStBl II 2002, 183, unter II.1.a). Für die Entscheidungserheblichkeit genügt es, dass sich den Klägern mit dem vorliegenden Verfahren die Chance bietet, an einer Erweiterung der begünstigenden Regelung teilzuhaben (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 61, 138, 146; BVerfG-Beschluss in BVerfGE 93, 386, 395).
Selbst wenn —auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG in diesem Normenkontrollverfahren— der Gesetzgeber nicht verpflichtet sein sollte, die Rechtslage bezogen auf das Streitjahr rückwirkend zu bereinigen, führt dies nicht dazu, dass die Vorlage deshalb mangels Entscheidungserheblichkeit unzulässig wäre (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618; BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 72, 51, 62; in BVerfGE 87, 153, 180; in BVerfGE 93, 121, 131; in BVerfGE 103, 225; in BVerfGE 103, 242). Sie kann zudem auch für den einzelnen Kläger erfolgreich sein, wenn das BVerfG in der vorliegenden Sache anordnen sollte, dass sich der Erfolg der Klage für die Kläger in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden einkommensteuerlichen Entlastung noch auswirken müsse (so z.B. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182; in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174; vom 2 BvR 1220/93, BVerfGE 99, 268; vom 2 BvR 1852/97, 2 BvR 1853/97, BVerfGE 99, 273).
4. Die Möglichkeit, dass das BVerfG die den angefochtenen Steuerbescheid im streitigen Punkt tragenden Regelungen trotz Verfassungswidrigkeit zeitweise für weiterhin anwendbar hält, ist im vorliegenden Zusammenhang unbeachtlich (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655, 659, unter B.I.).
D. Keine vorherige Divergenzanfrage nach § 11 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
Trotz Abweichung von Entscheidungen des XI. Senats (oben B.V.II.) bedurfte es bei der Vorlage gemäß Art. 100 GG an das BVerfG nicht der Anrufung des Großen Senats des BFH, da diese keine Entscheidung i.S. des § 11 Abs. 3 FGO ist (, BFHE 125, 188, BStBl II 1978, 446, m.w.N. der Rechtsprechung; Sunder-Plassmann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 11 FGO Rdnrn. 49, 61).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BB 2006 S. 202 Nr. 4
BFH/NV 2006 S. 431 Nr. 2
DB 2006 S. 191 Nr. 4
DStRE 2006 S. 218 Nr. 4
DStZ 2006 S. 99 Nr. 4
EStB 2006 S. 48 Nr. 2
FR 2006 S. 336 Nr. 7
GStB 2006 S. 46 Nr. 2
HFR 2006 S. 461 Nr. 5
INF 2006 S. 123 Nr. 4
KÖSDI 2006 S. 14958 Nr. 2
NJW 2006 S. 1088 Nr. 15
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2007 S. 3446
NWB-Eilnachricht Nr. 4/2006 S. 232
SJ 2006 S. 4 Nr. 3
StB 2006 S. 42 Nr. 2
StB 2006 S. 82 Nr. 3
StBW 2006 S. 4 Nr. 2
StuB-Bilanzreport Nr. 3/2006 S. 112
IAAAB-74690