Einnahmen aus Kapitalvermögen bei stiller Gesellschaft
Leitsatz
Eine stille Gesellschaft setzt nach § 230 HGB den vertraglichen Zusammenschluss zwischen einem Unternehmensträger (Inhaber eines Handelsgeschäfts) und einem anderen voraus, kraft dessen sich der andere ohne Bildung eines Gesellschaftsvermögens mit einer Einlage an dem Unternehmen beteiligt und eine Gewinnbeteiligung erhält. Dass die Erfüllung des im Rahmen der vereinbarten typisch stillen Gesellschaft geschuldeten Beitrags zur gemeinsamen Zweckverwirklichung nur vorgegeben wird, steht der Besteuerung von aus der Gesellschaft zugeflossenen Vermögensvorteilen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 1. Alternative EStG nicht entgegen.
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), mit der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt, trat im September 1988 mit X in Geschäftsverbindung, der lt. seiner Briefköpfe in Sachen „Vermögensverwaltung, Unternehmensberatung und Auslandsimmobilien” tätig war und hierzu ein eigenes Geschäftsbüro unterhielt. X trat als „Verwalter” des „X-Investment-Clubs” auf. 1988 zahlte der Kläger an X insgesamt 96 500 DM zum Zweck der Kapitalanlage im X-Investment-Club. Diese Kapitalanlage erfolgte auf der Grundlage eines vorformulierten Vertrages (sog. Typ C) mit folgenden Regelungen:
„Der Anleger zahlt DM…(mindestens DM 5 000) auf das vom Verwalter benannte Konto ein und wird anteilsmäßig an diesem beteiligt. Jeweils zum Monatsende erhält der Anleger einen Auszug, aus dem die Wertentwicklung seiner Anteile hervorgeht. Einen Zwischenauszug erhält der Anleger jeweils bei Neueintritt, bei nachträglichen Einzahlungen sowie bei Auszahlungen.
Der Anleger hat das Recht, seine Einlage jederzeit mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsschluss zu kündigen. Sollten ausreichende liquide Mittel auf dem Konto vorhanden sein, kann die Auszahlung auch schneller erfolgen.
Dem Anleger ist bewusst, dass mit dem Geld auf dem Gemeinschaftskonto spekuliert wird und zwar in Termingeschäften und Optionen auf solche. Er weiß, dass es dabei auch zu Verlusten kommen kann. Durch eine breite Risikostreuung sollten diese zwar vermieden werden können, sind jedoch nicht ganz auszuschließen.”
Ein Kontoauszug vom , mit dem dem Kläger die erste Einzahlung (10 000 DM) bestätigt wurde, enthält unter der Rubrik Bemerkungen den folgenden Text: „Sondervereinbarung: Die erzielten Gewinne werden jeweils am Ende eines Kalenderquartals ausbezahlt.”
Per belief sich der Jahresendbestand des Klägers auf 105 825,40 DM. Er sollte sich aus 175,440 Anteilen mit einem Wert von je 603,20 DM zusammensetzen. Der Kontoauszug per lautet auf 206 387,92 DM, die beiden Kontoauszüge per weisen einen Gesamtbestand in Höhe von 315 968 DM aus. Der Inhalt dieser Kontoauszüge war jedoch frei erfunden. Mit Schreiben vom 18. November 1990 teilte X seinen Anlegern mit, dass das Geld weg sei, er offensichtlich einer ganz raffinierten Betrügergruppe auf den Leim gegangen sei.
Die den Kunden vorgegebenen Geschäfte hatten in der Tat überhaupt nicht stattgefunden. Der Kundenstamm des X war im Laufe der Zeit auf ca. ... Personen angewachsen, von denen er ca. ... DM eingenommen hat.
Nach den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle, die das Finanzgericht (FG) übernahm, wurden an den Kläger mit Datum vom 9 325,40 DM geleistet, vom 10 000 DM und vom 20 000 DM. Im Laufe der zweieinhalbjährigen Geschäftsverbindung mit X hat sich der Kläger nach eigenen Angaben vier- oder fünfmal Beträge auszahlen lassen, die zwischen 10 000 DM und 20 000 DM lagen und diese Beträge auch immer wieder einbezahlt.
X sollte 20 % des Gewinns als Anteil oder Verdienst erhalten.
Für das Streitjahr 1988 berechnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ausgehend von dem auf 105 825,40 DM lautenden Kontoauszug zum 31. Dezember 1988 Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 11 068 DM.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das FG mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1162 veröffentlichten Urteil vom 5 K 20215/99 als unbegründet abgewiesen.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes —EStG— i.V.m. § 230 des Handelsgesetzbuchs —HGB—).
Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1988 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin gehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen um 8 492 DM gemindert und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger im Streitjahr 1988 aus der Anlage im X-Investment-Club Einnahmen aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 4 1. Alternative EStG (stille Gesellschaft) in Höhe einer Rendite von 9 325 DM zugeflossen sind.
a) Die streitige Rendite zählt zu den Einnahmen des Klägers aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 4 1. Alternative EStG (vgl. Senatsurteil vom VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755). Eine stille Gesellschaft setzt nach § 230 HGB den vertraglichen Zusammenschluss zwischen einem Unternehmensträger (Inhaber eines Handelsgeschäfts) und einem anderen voraus, kraft dessen sich der andere ohne Bildung eines Gesellschaftsvermögens mit einer Einlage an dem Unternehmen beteiligt und eine Gewinnbeteiligung erhält. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
aa) Nach der vertraglichen Vereinbarung zwischen X und dem Kläger bestand die von X im Rahmen des X-Investment-Clubs auf der Grundlage der Einzahlungen der Kläger auszuübende Tätigkeit in der geschäftsmäßig betriebenen Spekulation in Termingeschäften und Optionen auf solche. Hierbei handelt es sich um eine gewerbliche Betätigung (§ 1 Abs. 2 HGB).
bb) Mit dem zwischen X und dem Kläger geschlossenen Vertrag wurde ein Gesellschaftsverhältnis i.S. von § 230 HGB begründet.
Die Vertragsparteien verfolgten einen gemeinsamen Zweck, nicht aber je eigene Interessen. Den Anlegern sollte abzüglich der von X ausbedungenen 20 % des Gewinns der gesamte Erfolg der Spekulationen des X zukommen und sie hatten auch die Verluste der Spekulationen —jedenfalls bis zur Höhe ihres Anlagekapitals— zu tragen. Die Anlage im X-Investment-Club barg sowohl erhebliche Gewinnchancen wie beträchtliche Risiken, die neben der Verlustbeteiligung im Fehlen jeglicher Sicherheiten begründet waren. Eine solche Risikogemeinschaft ist typisches Merkmal eines Gesellschaftsverhältnisses. Die erforderliche Beteiligung des stillen Gesellschafters am Gewinn des Handelsgeschäfts (vgl. § 231 Abs. 2 2. Halbsatz HGB) besteht im Streitfall darin, dass die Anleger abzüglich der 20 %, die dem Verwalter zustehen sollten, am Zuwachs des Gemeinschaftskontos beteiligt waren.
Dass eine ausdrückliche Regelung über Kontrollrechte der Anleger fehlte, steht der Annahme eines Gesellschaftsverhältnisses nicht entgegen (Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II.1.a bb). Insoweit ist es ausreichend, dass nach dem Vertrag zwischen X und dem Kläger jeweils zum Monatsende der Anleger einen Auszug erhalten sollte, aus dem die Wertentwicklung seiner Anteile hervorging. Dass X die von den Anlegern bereitgestellten Mittel zum Betreiben der vereinbarten Spekulationsgeschäfte mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns einzusetzen hatte, ist zwar nicht ausdrücklich vereinbart, entspricht jedoch nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen dem vereinbarten Vertragsverhältnis.
Der Annahme eines stillen Gesellschaftsverhältnisses steht auch nicht entgegen, dass die Anleger ihre Einlage jederzeit mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsschluss kündigen konnten. Zwar ist die stille Gesellschaft als Dauerschuldverhältnis typischerweise darauf angelegt, einen Zustand zu schaffen, der über die kurzfristige Inanspruchnahme von Fremdmitteln durch den Geschäftsinhaber hinausgeht (vgl. Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II.1.a bb, m.w.N.). Jedoch ist die Regelung des § 234 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 132 HGB mit der Maßgabe ohne weiteres abdingbar, dass die Gesellschafter auch eine jederzeitige fristlose ordentliche Kündigung vereinbaren können.
cc) Mit der Annahme eines Kapitalnutzungsverhältnisses i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 4 1. Alternative EStG ist zugleich auch die Frage verneint, ob die von X zu tätigenden Börsengeschäfte den Anlegern direkt zuzurechnen sind. Insbesondere ist nicht von einem Treuhandverhältnis auszugehen.
Nach seinem typischen materiellen Gehalt zeichnet sich ein Treuhandverhältnis vor allem dadurch aus, dass der Treugeber das Rechtsverhältnis beherrscht (vgl. , BFHE 188, 254, unter II.1.b, m.w.N.). Es muss eine Weisungsbefugnis des Treugebers gegenüber dem Treuhänder und damit korrespondierend eine Weisungsgebundenheit des Treuhänders gegenüber dem Treugeber bestehen (vgl. im Einzelnen Dötsch, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 1997, 837, 838 ff., m.w.N.). Vorliegend konnte X als Verwalter jedoch frei spekulieren.
b) Dass X die vereinbarten Spekulationen tatsächlich nicht durchführte, vielmehr die Erfüllung seines im Rahmen der vereinbarten typisch stillen Gesellschaft geschuldeten Beitrags zur gemeinsamen Zweckverwirklichung nur vorgab, steht der Besteuerung der dem Kläger aus der Gesellschaft zugeflossenen Vermögensvorteile gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 1. Alternative EStG nicht entgegen. Zum einen ist schon gemäß § 116 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ein etwaiger Vorbehalt des X, den abzuschließenden Vertrag nicht vollziehen zu wollen, unbeachtlich; der Kläger kannte diesen Vorbehalt nicht (§ 116 Satz 2 BGB). Zum anderen kommt es nach der für die Beurteilung des zu besteuernden Lebenssachverhalts gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung maßgeblich darauf an, was auf der Grundlage der Vereinbarung tatsächlich vollzogen wurde. Insoweit ist für die Besteuerung des Klägers darauf abzustellen, was er aus der vereinbarten Vertragsbeziehung an Einnahmen i.S. von § 8 Abs. 1 EStG erzielte.
2. Dem FG ist auch darin zu folgen, dass die streitige Rendite von 9 325 DM dem Kläger im Streitjahr 1988 als Einnahme i.S. von § 8 Abs. 1 EStG gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen ist.
a) Einnahmen sind i.S. von § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügen kann (vgl. Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II.2.a, m.w.N.). Ein Zufluss kann auch durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt werden, dass der Betrag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet werden soll. In dieser Schuldumschaffung (Novation) kann eine Verfügung des Gläubigers über seine bisherige Forderung liegen, die einkommensteuerrechtlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld durch tatsächliche Zahlung beglichen hätte (Zufluss beim Gläubiger) und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag in Folge des neu geschaffenen Verpflichtungsgrunds dem Schuldner sofort zur Verfügung gestellt hätte (Wiederabfluss des Geldbetrags beim Gläubiger; vgl. Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II.2.a bb, m.w.N.). Voraussetzung ist, dass sich die Novation als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Gläubigers über den Gegenstand der Altforderung darstellt, insbesondere auf einem freien Entschluss des Gläubigers beruht.
b) Nach diesen Grundsätzen ist die streitige Rendite dem Kläger im Zeitpunkt der Gutschrift und Wiederanlage zugeflossen.
aa) Aus der den Anlegern jeweils zum Monatsende mitgeteilten Wertentwicklung ihrer Anteile ergibt sich auch die streitige Rendite, die dem Kläger auf einem von X geführten Konto gutgeschrieben wurde. Der Kläger hatte nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG die Möglichkeit, sich erzielte Gewinne jeweils am Ende eines Kalenderquartals auszahlen zu lassen. Er hat dies zum Teil auch jeweils kurzfristig ohne Probleme praktiziert. Wenn er sich unter Ausübung dieser Dispositionsbefugnis über die Rendite 1988 entschied, auf die sofortige Auszahlung zu verzichten und stattdessen die Rendite zur Wiederanlage im X-Investment-Club zu verwenden, steht dies einem Zufluss der Rendite i.S. von § 11 Abs. 1 EStG nicht entgegen. Die Wahl der Wiederanlage bedeutet zivilrechtlich eine Novation.
Ohne Belang ist dabei, dass der Kläger die Wiederanlage nicht gewählt hätte, wenn ihm das Täuschungsmanöver des X bekannt gewesen wäre. Hierbei handelt es sich um einen für die einkommensteuerrechtliche Wertung unbeachtlichen Motivirrtum (Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II.2.b bb bbb).
Angesichts der jedenfalls im Streitjahr noch bestehenden unbedingten Leistungsbereitschaft des X ist es unerheblich, dass X die ausgewiesenen Vermögenszuwächse tatsächlich nicht erwirtschaftet hatte.
bb) X war im Streitjahr auch zur Auszahlung der gutgeschriebenen Rendite fähig. Nach der Rechtsprechung des BFH kann ein Zufluss i.S. von § 11 Abs. 1 EStG sowohl in diesen Fällen der bloßen Gutschrift des betreffenden Betrags in den Büchern des Schuldners als auch in den Fällen der Novation grundsätzlich nur angenommen werden, wenn der Schuldner in dem betreffenden Zeitpunkt zur Zahlung des Betrags in der Lage gewesen wäre, also nicht zahlungsunfähig war (Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II.2.b cc bbb, m.w.N.). Als Zahlungsunfähigkeit in diesem Sinne wäre das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners anzusehen, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden im Wesentlichen zu berichtigen. Hiervon kann für das Streitjahr nicht ausgegangen werden.
cc) Die gutgeschriebene Rendite führte auch zu einer Vermögensmehrung, d.h. einer objektiven Bereicherung des Klägers i.S. von § 8 Abs. 1 EStG.
Unerheblich ist insoweit, dass X die Auszahlung entsprechender Renditen mit Mitteln bestritt, die ihm von anderen Anlegern oder auch vom Kläger selbst zur Verfügung gestellt worden waren (Senatsurteil in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II.2.c).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 2183 Nr. 12
EStB 2006 S. 16 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2006 S. 51
RAAAB-68129